Metainformationen


Titel
Was tun bei Statinunverträglichkeit?
Untertitel
-
Lead
Zu diesem Thema erschien kürzlich ein ausführlicher und informativer Review-Artikel in den «Annals of Internal Medicine» (1). Statine haben die Behandlung atherosklerotisch verursachter Herz-Kreislauf-Erkrankungen sehr verbessert und deren Morbidität und Letalität gesenkt. Über die gesicherten Indikationen für Statine, gemessen an der Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten mit und ohne Hyperlipidämie, bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern, haben wir mehrfach berichtet. Statine sind umso wirksamer in der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse, je höher das absolute Risiko für solche Ereignisse bei definierten Patientengruppen und beim individuellen Patienten ist.
Datum
Autoren
-
Rubrik
MEDIZIN — Fortbildung
Schlagworte
Artikel-ID
737
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/737
Download

Transkript


FORTBILDUNG
Was tun bei Statinunverträglichkeit?

Zu diesem Thema erschien kürzlich ein ausführlicher und informativer Review-Artikel in den «Annals of Internal Medicine» (1). Statine haben die Behandlung atherosklerotisch verursachter Herz-Kreislauf-Erkrankungen sehr verbessert und deren Morbidität und Letalität gesenkt. Über die gesicherten Indikationen für Statine, gemessen an der Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten mit und ohne Hyperlipidämie, bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern, haben wir mehrfach berichtet. Statine sind umso wirksamer in der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse, je höher das absolute Risiko für solche Ereignisse bei definierten Patientengruppen und beim individuellen Patienten ist.
ARZNEIMITTELBRIEF

erwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) ist selten und tritt besonders bei sehr hoher Statindosierung und bei Patienten mit meist identifizierbaren weiteren Risikofaktoren auf (weibliches Geschlecht, geringes Körpergewicht, hohes Alter, Multimorbidität, exzessive Muskelarbeit, Hypothyreose, Multimedikation, besonders Kombinationen mit Fibraten, Ciclosporin, MakrolidAntibiotika, Amiodaron, Verapamil). Auch Myopathien oder Muskelschmerzen vor Beginn der Statintherapie sind ein Risikofaktor, ebenso wie der häufige Genuss von Grapefruitsaft. Die Pathophysiologie der Statinmyopathie ist nicht geklärt. Diskutiert werden ein verminderter Cholesteringehalt der Myozytenmembranen, Depletion der Zellen an Isoprenoiden (Farnesylphosphat) oder Coenzym Q10 und eine Dysfunktion der Mitochondrien. Da Myopathien aber auch nach Einnahme von Fibraten mit ganz anderem Wirkungsmechanismus als die Hemmung der Cholesterinsynthese auftreten können, ist keine der Hypothesen überzeugend. In randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) liegt die Inzidenz der Statinmyopathie zwischen 1 und 5 Prozent, in Beobachtungsstudien um 5 Prozent. Der Unterschied dürfte durch Ausschluss von Patienten mit erheblichem Myopathierisiko in den RCT bedingt sein. In 30 RCT mit insgesamt 83 858 Patienten wurde über 7 Fälle von Rhabdomyolyse unter Statinen und 5 Fälle unter Plazebo (!) berichtet (2). Ausserhalb von Studien ist die Inzidenz wahrscheinlich höher.

Ein kleiner Teil der Patienten erleidet unter Statinbehandlung Myopathien. Wenn ein solcher Patient das Statin absetzen muss, sein individuelles kardiovaskuläres Risiko aber sehr hoch ist, dann stellt sich die Frage nach alternativen Therapien. Die Statinmyopathie ist leider nicht eindeutig definiert. Die Statin-assoziierte Myopathie (Statin-Related Myopathy = SIRM) bezeichnet eine Muskelerkrankung mit Muskelschmerzen (meist Oberschenkel und/oder Waden oder generalisiert), Schwäche oder Krämpfen mit einer Erhöhung der Kreatinkinase-(CK-)Konzentration im Blut um mehr als das 10-Fache der oberen Referenzgrenze. Unter einer Statinmyalgie versteht man Muskelschmerzen und/oder Schwäche ohne CK-Erhöhung. Auch asymptomatische Patienten können eine deutliche CK-Erhöhung haben, die nach Absetzen des Statins zurückgeht. Die gefährlichste Statinkomplikation ist die Rhabdomyolyse mit Muskelsymptomen, exzessiver CK-Erhöhung (> 50-facher Wert der oberen Referenzgrenze), oft mit Myoglobinurie (brauner Urin) und Anstieg des Serumkreatinins durch myoglobinurische Nephropathie. Diese schwere un-

Merksätze
■ Statine sind hoch wirksame und zumeist sehr gut verträgliche Medikamente.
■ Die Statin-Myopathie ist eine seltene, aber wichtige Nebenwirkung.
■ Um eine Myopathie zu vermeiden, sollte vor allem bei alten Menschen und Frauen mit niedrigem Körpergewicht vorsichtig dosiert werden.
■ Bei leichter Myopathie sollte die Dosis gesenkt und die Komedikation überprüft werden.
■ Zwingt die Symptomatik zum Absetzen des Medikaments, kann bei dringlicher Therapieindikation die Behandlung durch Umstellung auf ein anderes Statin oder ein anderes Therapieregime fortgesetzt und eine erneute Myopathiesymptomatik oft vermieden werden.

ARS MEDICI 11 ■ 2010 457

FORTBILDUNG

KOMMENTAR
Prof. Dr. med. Annette Draeger, Institut für Anatomie, Universität Bern

Mögliche Ursachen der statinassoziierten Myopathie

Gelegentlich auftretende Muskelbeschwerden bei Patienten, die mit cholesterinsenkenden Medikamenten (Fibraten, Niacin) behandelt wurden, sind seit vielen Jahren bekannt. Als Ursache wurde eine Destabilisierung der Muskelzellmembran durch Mangel an Cholesterin angenommen. Da es nach Einführung der Statine zu einer starken Zunahme der wegen Hypercholesterinämie therapierten Patienten kam, hat zwangsläufig auch die statinassoziierte Myopathie zahlenmässig an Bedeutung gewonnen.

Durch Statine wird der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Cholesterinsynthese gehemmt. Dadurch kommt es — neben der Abnahme von Cholesterin — zu einem Fehlen anderer Metaboliten für die Lipidsynthese. An Zellkulturmodellen wurde gezeigt, dass ein Mangel dieser Substanzen die Funktion der Mitochondrien beeinträchtigt, die die Energieversorgung des Muskels gewährleisten. Neuere Theorien implizieren eine Myopathie, hervorgerufen durch selentransportierende Proteine, oder eine Förderung des Muskelabbaus durch die Aktivierung zellulärer «Selbstmordgene». In Analogie zur Tumorkachexie wurde ein verstärkter Muskelabbau durch die statinbedingte Aktivierung eines Muskelatrophiegens postuliert. Erste Hinweise auf einen gestörten Kalziumstoffwechsel zeigten vor einigen Jahren zellkultur- und tierexperimentelle Studien.

In unseren eigenen Untersuchungen konnten wir bei Patienten, die an klinisch diagnostizierter statinassoziierter Myopathie litten, vermehrt Mikrotraumen im T-tubulären System der Skelettmuskelzellmembran feststellen. Das T-tubuläre System, das mit dem Extrazellulärraum kommuniziert und die elektromechanische Kopplung der Zelle koordiniert, ist eine Schnittstelle für die Koordination der Muskelkontraktion. Es enthält die Komponenten für die Regulation des intrazellulären Kalziumspiegels. Die Art der Muskelschädigung — eine Vakuolisierung im impulsleitenden Bereich der Zellmembran — erlaubt einen Rückschluss auf das wahrscheinlich zugrunde liegende Problem dieser Zellen: eine Störung ihres intrazellulären Kalziumhaushalts. Die Identifizierung und Charakterisierung dieser Läsionen erlaubte die gezielte Suche nach molekularen Genmarkern, die an der Regulation der intrazellulären Kalziumkonzentration beteiligt sind und damit als potenzielle Auslöser einer Statinmyopathie infrage kommen.

Unsere Genexpressionsanalysen, die vergleichend bei Proban-

den ohne Statin und bei statintherapierten Patienten ohne Muskel-

symptome durchgeführt wurden, geben erste Hinweise auf eine ver-

stärkte Aktivierung von Genen, die für den Kalziumhaushalt sowie

die Reparatur der Zellmembran verantwortlich sind, und bestätigen

damit unsere Annahme.

Ein wichtiger Aspekt sind Arzneimittel-Interaktionen. So sollten Simvastatin, Lovastatin und Atorvastatin (Sortis®), die durch das hepatische CYP3A4 metabolisiert werden, nicht zusammen mit HIV-Protease-Inhibitoren eingenommen werden, da Letztere das Zytochrom inhibieren. Weitere bedeutsame CYP3A4-Hemmer sind: Clarithromycin, Erythromycin, Cipround Norfloxacin, Itra-, Flu- und Ketoconazol, Fluvoxamin, Imatinib, Verapamil, Diltiazem, Cimetidin und Amiodaron (vgl. [3]). Auch Ciclosporin und Gemfibrozil erhöhen das Risiko für eine Statinmyopathie (4), während Fenofibrat mit einer nicht sehr hohen Dosis eines Statins kombiniert werden kann. Wenn unter einem Statin Myalgien ohne Erhöhung der CK auftreten, muss der Patient entscheiden, ob er dieses Medikament weiter nimmt. Zunächst sollte die Dosis, wenn möglich, reduziert werden. Wird bei asymptomatischen Patienten eine leichte CK-Erhöhung festgestellt (die Messung wird nicht routinemässig empfohlen), dann sollte der CK-Wert öfter kontrolliert werden. Bei Myopathie mit CK-Erhöhung über das 10-Fache der oberen Norm und selbstverständlich bei Rhabdomyolyse muss das Statin abgesetzt werden. Was aber ist zu tun, wenn das Statin abgesetzt werden muss bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die aber nicht alle hinsichtlich ihrer Wirksamkeit evaluiert sind: ■ Versuch mit einem anderen Statin oder Einnahme nur
jeden 2. bis 3. Tag. Bisher sind keine Rhabdomyolysen unter Fluvastatin berichtet worden. In einer Studie erhielten 199 Patienten mit symptomatischer Myopathie unter anderen Statinen entweder 80 mg/Tag retardiertes Fluvastatin oder 10 mg/Tag Ezetimib (Ezetrol®) oder beides 12 Wochen lang. Zwischen 14 und 24 Prozent der Patienten in den 3 Gruppen entwickelten wieder Muskelsymptome, aber bei nur 3 bis 8 Prozent musste das Präparat oder die Kombination wieder abgesetzt werden (5). Niedrig dosiertes Rosuvastatin (5–10 mg/Tag), das durch CYP2C9 metabolisiert wird, scheint bei Patienten mit Myopathie und notwendiger Multi-Komedikation günstiger zu sein. In einer offenen Studie war nur bei 1 von 61 Patienten nach Umsetzen auch Rosuvastatin (Crestor®) unverträglich (6). Für Rosuvastatin gibt es eine Studie an 51 Patienten, die unter diesem Statin eine Myopathie hatten. Unter 5 bis 10 mg des gleichen Statins nur jeden 2. Tag trat innerhalb von 4 bis 5 Monaten angeblich kein Rezidiv der Myopathie auf (7). ■ Ezetimib: 10 mg/Tag Ezetimib senken das LDL-Cholesterin (LDL-C) um rund 18 Prozent und verstärken den Effekt niedriger Dosen von Statinen. Bei Patienten mit Statinmyopathie tritt nach Ersatz durch Ezetimib die Myopathie fast nie wieder auf, aber es ist weiterhin unbewiesen, ob durch Ezetimib, das die Cholesterinresorption im Darm hemmt, das kardiovaskuläre Risiko überhaupt reduziert wird (8). Wir halten deshalb einen Therapieversuch mit Ezetimib nur bei Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko und unzureichender Wirkung von Statinen oder bei Statinintoleranz für indiziert.

458 ARS MEDICI 11 ■ 2010

■ Gallensäurebinder: Colestipol, Colestyramin und Colesevelam unterbrechen den enterohepatischen Kreislauf der Gallensäure im Dünndarm und senken indirekt das LDL-C. Colestyramin war der erste Cholesterinsenker, mit dem schon vor 25 Jahren ein Rückgang der koronaren Herzkrankheit bei Männern mit Hypercholesterinämie nachgewiesen wurde. Es muss 3 × täglich eingenommen werden, verursacht keine Myopathien, aber andere UAW, wie Magen-Darm-Beschwerden, hyperchlorämische Azidose und Hypovitaminosen (D, K). Diese Arzneimittel können als Statinersatz eingenommen werden, jedoch liegen keine kontrollierten Studien bei Patienten mit Statinmyopathie vor. Ausserdem wird die Resorption vieler anderer Arzneimittel durch Gallensäurebinder gehemmt.
■ Coenzym-Q10-Supplementierung: Coenzym Q10 ist am Elektronentransport in den Mitochondrien beteiligt. Die Ergebnisse verschiedener Studien zu der Frage, ob Statine zu einer Verarmung der Zellen an Coenzym Q10 führen, sind widersprüchlich. Ebenso widersprüchlich sind die Ergebnisse kleinerer Studien mit Coenzym-Q10-Supplementierung (100 oder 200 mg/Tag im Vergleich mit Vitamin A) bei Patienten mit Statinmyopathie hinsichtlich der Besserung der Symptome. In einem 2007 erschienenen systematischen Review wird von der routinemässigen Anwendung von Coenzym Q10 bei Statinmyopathie abgeraten (9).

Fazit

Das Wichtigste, um eine Statinmyopathie zu vermeiden, ist die

vorsichtige Dosierung des Statins, vor allem bei alten Men-

schen und bei Frauen mit niedrigem Körpergewicht. Jede Ko-

Medikation sollte hinsichtlich möglicher Interaktionen über-

prüft und gegebenenfalls umgestellt werden.

Bei einer milden Statinmyopathie sollte zunächst die Dosis

gesenkt und die Begleitmedikation überprüft werden. Wenn

die Myopathie zum Absetzen des Statins zwingt, kann bei wei-

terhin dringlicher Behandlungsindikation durch den Wechsel

auf ein anderes Statin in niedriger Dosis, durch die Einnahme

bestimmter Statine nur jeden zweiten oder dritten Tag oder

durch Rückgriff auf einen Gallensäurebinder eine erneute

Myopathiesymptomatik oft vermieden werden.

Literatur: 1. Joy, T.R. und Hegele, R.A.: Ann. Intern. Med. 2009, 150, 858. 2. Thompson, P.D. et al.: JAMA 2003, 289, 1681. 3. AMB 2008, 42, 92. 4. Jones, P.H. und Davidson, M.H.: Am. J. Cardiol. 2005, 95, 120. 5. Stein, E.A. et al.: Am. J. Cardiol. 2008, 101, 490. 6. Glueck, C.J. et al.: Clin. Ther. 2006, 28, 933. 7. Backes, J.M. et al.: Ann. Pharmacother. 2008, 42, 341. 8. AMB 2008, 42, 31. 9. Marcoff, L. und Thompson, R.D.: J. Am. Coll. Cardiol. 2007, 49, 2231.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Arzneimittelbrief» Nr. 12, Dezember 2009. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber D. von Herrath und W. Thimme.