Transkript
Prostatitis und chronisches Beckenschmerzsyndrom
Vielfältige Beschwerden und wenig standardisierte Therapieoptionen
FORTBILDUNG
Der Begriff Prostatitis oder besser Prostatitissyndrom
umschreibt die Symptome einer Gruppe von Patienten
mit verschiedenartigen urogenitalen, perinealen und
perianalen Beschwerden. Diese können auf einer
schweren systemischen Infektion (akute Prostatitis)
beruhen oder auf einer chronischen Erkrankung, bei
der in 95 Prozent der Fälle keine bakteriellen Erreger
nachweisbar sind. Da die Ursache des chronischen
Beckenschmerzsyndroms in den meisten Fällen unbe-
kannt bleibt, gestaltet sich die Therapie schwierig,
und sie ist oftmals empirischer Natur.
WERNER HOCHREITER
Während die akute Prostatitis als schwere systemische Infektion keine diagnostischen Probleme bereitet, lässt die klinische Symptomatik bei den chronischen Prostatitisformen eine eindeutige Differenzialdiagnose meist nicht zu. Unter Schirmherrschaft der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) wurde eine Klassifizierung erarbeitet, die insbesondere die Problematik des Beckenschmerzes integriert und mittlerweile den internationalen Standard darstellt (Tabelle 1). Epidemiologische Daten zur Prävalenz der akuten Prostatitis bestehen nicht, dennoch ist die Bedeutung der chronischen Prostatitis /des chronischen Beckenschmerzsyndroms (CP/CBSS) in der urologischen Praxis belegt: Zusammenfassend wird die Prävalenz des Prostatitissyndroms in der Bevölkerung auf 5 bis 10 Prozent geschätzt und erreicht in den USA die Prävalenz der koronaren Herzkrankheit und Diabetes. Die Arztbesuche wegen Prostatitis liegen in den USA höher als diejenigen wegen benigner Prostatahyperplasie (BPH) und Prostatakarzinom. Patienten mit Prostatitissymptomen in der Anamnese zeigen ein deutlich erhöhtes Risiko, weitere symptomatische Episoden und eine symptomatische BPH zu entwickeln.
Akute bakterielle Prostatitis Die akute bakterielle Prostatitis ist eine schwerwiegende systemische Infektion und wird in der Regel von E. coli und anderen Enterobakterien, gelegentlich auch von Pseudomonas verursacht. Die Rolle grampositiver Kokken ist umstritten. Die Symptome der akuten Prostatitis umfassen Schwierigkeiten beim Wasserlösen, die mit imperativem Harndrang, ausgeprägter Dysurie und heftigen Schmerzen im Unterbauch einhergehen können. Systemische Entzündungszeichen wie hohes Fieber und Schüttelfrost deuten auf eine Sepsis hin. Als Komplikationen können Harnverhalt, Prostataabszess und Epididymitis auftreten. Eine akute Prostatitis, die infolge eines Eingriffs am Harntrakt (z.B. Prostatabiopsie) entsteht, ist in der Regel mit einer höheren Komplikationsrate und einem ungünstigeren Erregerspektrum behaftet. Die Diagnose wird anhand der typischen Klinik, der stark druckdolenten Prostata bei der Rektalpalpation und des Nachweises von Leukozyten und Bakterien im Mittelstrahlurin gestellt. Eine mikrobiologische Untersuchung des Urins mit Resistenzprüfung ist in jedem Fall erforderlich. Die Diagnostik umfasst zudem eine sonografische Abklärung des Harntrakts mit Restharnbestimmung und einen transrektalen Ultraschall (TRUS) zum Ausschluss eines Prostataabszesses. Eine Prostatamassage ist in der akuten Phase absolut kontraindiziert. Die wirksamsten Antibiotika bei akuter Prostatitis stellen die Fluorochinolone dar. Weitere Substanzen sind Cephalosporine, Breitspektrumpenicilline, die bei der empirischen Therapie in Kombination mit einem β-Laktamaseinhibitor eingesetzt werden sollten, und Aminoglykoside. Gegebenenfalls muss
Merksätze
■ Während die akute Prostatitis keine diagnostischen Probleme bereitet, erlaubt die Symptomatik chronischer Prostatitisformen meist keine klare Differenzialdiagnose.
■ Nur bei 5 Prozent der Patienten mit chronischen Prostatitisformen können uropathogene Keime eindeutig nachgewiesen werden.
■ Die häufigsten Therapiestrategien bei chronischem Beckenschmerzsyndrom umfassen Antibiotika, Alphablocker und Antiphlogistika.
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FORTBILDUNG
Tabelle 1: Klassifikation des Prostatitissyndroms nach NIH
Kategorie Name I akute bakterielle Prostatitis II chronische bakterielle Prostatitis III chronische Prostatitis / chronisches
Beckenschmerzsyndrom (CBSS) IIIa entzündliches CBSS IIIb nicht entzündliches CBSS IV asymptomatische entzündliche
Prostatitis
NIH: National Institutes of Health, USA
Beschreibung akute Infektion der Prostata chronische Infektion der Prostata mit rezidivierenden Harnwegsinfekten keine nachweisbare Infektion
Leukozyten in Ejakulat, Prostatasekret oder Urin nach Prostatamassage keine Leukozyten in Ejakulat, Prostatasekret oder Urin nach Prostatamassage keine subjektiven Symptome, entdeckt durch Prostatabiopsie oder durch Leukozyten in Prostatasekret oder Ejakulat im Zuge einer Diagnostik aus anderen Gründen
nach Resistenztestung auf eine gezielte Antibiotikatherapie umgestellt werden, die nach Besserung der klinischen Situation als orale Therapie für mindestens zwei bis vier Wochen fortgesetzt wird. Bei schweren Infektionen kann eine Kombinationstherapie (z.B. β-Laktamantibiotika plus Fluorchinolone) erforderlich sein. Beim Vorliegen von Restharn unter 100 ml kann ein Versuch mit α-Rezeptorblockern durchgeführt werden, bei Restharnwerten über 100 ml sollte die Anlage eines suprapubischen Blasenverweilkatheters erfolgen. Die Einlage eines transurethralen Katheters ist in der akuten Phase ebenfalls kontraindiziert. Der Prostataabszess stellt eine Sonderform der akuten Prostatitis dar und erfordert in der Regel eine sofortige chirurgische Entlastung (z.B. transperineale Drainage, transrektale Punk-tion oder TUR-Prostata). Bei kleinen Abszessen < 1 bis 1,5 cm kann je nach klinischer Situation auch ein konservativer Therapieversuch mit Einlage eines suprapubischen Katheters und engmaschiger TRUS-Kontrolle erfolgen. Chronische Prostatitis und chronisches Beckenschmerzsyndrom (CP/CBSS) Bei der chronischen Prostatitis wird eine bakterielle (Kategorie II) und eine «nicht bakterielle» (Kategorie III) Form unterschieden. Die bakterielle Variante ist durch den eindeutigen Nachweis uropathogener Keime definiert, macht aber nur zirka 5 Prozent aller chronischen Formen aus. In 95 Prozent der Fälle ist trotz ausgedehnter Untersuchungen kein Keimnachweis möglich, und man spricht in diesem Fall vom chronischen Beckenschmerzsyndrom. Hingegen sind die Symptome bei beiden Formen ähnlich. Die chronische Prostatitis äussert sich mit einer Vielzahl von Beschwerden und wird nicht zu Unrecht als Chamäleon bezeichnet. Im Vordergrund stehen verschieden stark ausgeprägte Schmerzen im Becken- oder Dammbereich, die in Rücken, Penis, Hoden oder Oberschenkel ausstrahlen können. Dazu können irritative und obstruktive Miktionsbeschwerden wie imperativer Harndrang, Pollakisurie, Dysurie, Nykturie, Harnstrahlabschwächung und Restharngefühl kommen. Bis zu 70 Prozent der Patienten klagen über eine erektile Dysfunktion. Die Symptome treten in der Regel langsam auf und haben typischerweise einen wellenförmigen Verlauf. Zeiten mit relativer Beschwerdearmut wechseln sich ab mit Zeiten, in denen die Beschwerden invalidisierend zu sein scheinen. Der Leidensdruck von Patienten mit chronischer Prostatitis ist vergleichbar mit Patienten, die an instabiler Angina pectoris, aktivem Morbus Crohn oder kürzlich durchgemachtem Myokardinfarkt leiden. Bei der chronischen bakteriellen Prostatitis ist die ätiologische Bedeutung von Harnwegsinfekterregern, in erster Linie E. coli, unumstritten. Die ätiologische Relevanz von Chlamydia trachomatis und Mykoplasmenspezies wird auch heute noch kontrovers diskutiert. Anaerobier werden nur bei 1 Prozent der Patienten gefunden und gelten ebenso wie Neisseria gonorrhoeae, Trichomonas vaginalis, Viren und Pilzspezies nur in Einzelfällen als klinisch relevant. Mycobacterium tuberculosis kann im Rahmen einer Urogenitaltuberkulose eine Prostatitis verursachen. An pathogenetischen Faktoren gilt bei der chronischen bakteriellen Prostatitis der Reflux infizierten Urins in die Prostatagänge als gesichert. Beim chronischen Beckenschmerzsyndrom (Kategorien IIIa und IIIb) werden vielschichtige ätiologische Aspekte diskutiert, die in Tabelle 2 zusammengefasst sind. Asymptomatische inflammatorische Prostatitis Diese Form wurde in das neue Klassifikationskonzept des Prostatitissyndroms eingeführt, um symptomfreie Patienten zu erfassen, die erhöhte Leukozytenzahlen im Prostatasekret oder Ejakulat, beziehungsweise leukozytäre Infiltrate in Prostatabiopsien aufweisen. Es handelt sich in der Regel um eine 452 ARS MEDICI 11 ■ 2010 PROSTATITIS UND CHRONISCHES BECKENSCHMERZSYNDROM Tabelle 2: Mögliche pathogenetische Faktoren des chronischen Beckenschmerzsyndroms Pathogenese (post-)infektiös analog zur interstitiellen Zystitis physikalisch (auto-)immun psychogen funktionelle/morphologische infravesikale Obstruktion neurogen Veränderungen im Analbereich Bemerkung Nachweis von bakteriellem Genom im Prostatagewebe; Prostataverkalkungen als bakterieller Nidus Epithelschaden mit Störung der Glycosaminoglycanschicht der Harnblase Reflux von Urin und stickstoffhaltigen Urinprodukten in die Prostatagänge Auto-Antikörper (PSA?), Zytokinproduktion, Mastzelldegranulation, T-Zell-vermittelte Autoimmunität «Stress»-Prostatitis, «Angst-Spannungs-Zyklus» verstärkter intraprostatischer Druck; Innervationsstörung der glatten/quergestreiften Muskulatur; Blasenhalshypertrophie Allodynie, Hyperästhesie «Anogenitalsyndrom», Hämorrhoiden, Fissuren Zufallsdiagnose im Rahmen einer Fertilitätsabklärung oder bei einer Prostatabiopsie zur Karzinomdiagnostik. Die AIP an sich bedarf keiner Therapie. Bei Patienten mit erhöhtem PSA, die in der Prostatabiopsie kein Karzinom, aber eine Entzündung aufweisen, kann eine antibiotische Behandlung indiziert sein, bevor eine PSA-Kontrolle beziehungsweise eine Rebiopsie geplant wird. Basisdiagnostik bei CP/CBSS Komplizierte Verflechtungen mit infravesikaler Obstruktion, sexueller Dysfunktion und chronischen Schmerzzuständen erfordern den Einsatz standardisierter Fragebögen, um spezifische Prostatitissymptome qualitativ und quantitativ evaluieren zu können. Im deutschen Sprachraum steht dabei die deutsche Version des NIH-CPSI (National Institutes of Health Chronic Prostatitis Symptom Index) zur Verfügung (Abbildung 1). Ein weiteres zentrales Standbein der Basisevaluation stellt die Lokalisationsdiagnostik der Entzündung und Infektion dar. Klassischerweise wird seit über drei Jahrzehnten die sogenannte 4-Gläser-Probe propagiert, bei der idealerweise gleichzeitig das Leukozytenaufkommen zusammen mit einer semiquantitativen Erregersuche in Erst-, Mittelstrahl- und Exprimaturin sowie im exprimierten Prostatasekret durchgeführt wird. Befragungen US-amerikanischer und auch Schweizer Urologen haben allerdings gezeigt, dass aufgrund der komplizierten und zeitaufwendigen Prozedur die 4-Gläser-Probe im klinischen Alltag keine Rolle spielt. Neuere Daten belegen zudem, dass in der klinischen Routine die vergleichende Untersuchung von Urin vor und nach Prostatamassage für die Differenzialdiagnostik der einzelnen Prostatitisformen zuverlässige Ergebnisse liefert (Abbildung 2). Entscheidend ist hier eine zehnfach höhere Konzentration von Leukozyten im Exprimaturin, um eine entzündliche Prostatitis (NIH II, IIIa) zu diagnostizieren. Eine chronische bakterielle Prostatitis (NIH II) definiert sich durch eine zehnfach höhere Erregerkonzentration typischer Harnwegsinfekterreger im Exprimaturin. Infolge von Veränderungen in der Urethra mit Verwirbelung des laminaren Urinstroms können «prostatitische Beschwerden» auftreten. Da sich bei 30 bis 40 Prozent der Patienten mit «prostatitischen Beschwerden» urodynamisch wirksame Veränderungen zeigen, ist die Abklärung der Blasenentleerung zu empfehlen. Funktionelle Veränderungen dominieren mit 33 Prozent gegenüber echten Obstruktionen, die nur 2 Prozent betragen. Einzelne Arbeitsgruppen erklären einen durch eine vermehrte adrenerge Stimulation des Beckenbodens verursachten Harnröhrenverschlussdruck mit konsekutivem Influx von Urin in die Prostatagänge als wesentlichen Pathomechanismus der Schmerzgenese. Um eine infravesikale Obstruktion funktioneller oder anatomischer Genese verifizieren zu können, sollte zumindest ein standardisierter Fragebogen wie der IPSS (International Prostate Symptom Score), eventuell auch eine Uroflowmetrie mit Restharnmessung eingesetzt werden. Bei pathologischen Befunden werden weitere diagnostische Schritte (retrogrades Urethrogramm, Urethrozystoskopie, Zystomanometrie) notwendig. Weiterführende Diagnostik bei CP/CBSS Die strikte NIH-Klassifikation fordert zwar die Untersuchung des Ejakulats zur Differenzialdiagnose der einzelnen Prostatitisformen, diese wird in der Praxis aber fast ausschliesslich in spezialisierten Zentren durchgeführt. Finden sich ≥ 106 peroxidasepositive Leukozyten pro ml Ejakulat, weist dies auf einen entzündlichen Adnexprozess hin. Gemäss WHO sollte eine Ejakulatkultur nur bei erhöhten Leukozytenwerten angelegt werden. Als signifikante Bakteriospermie wird eine Erregerkonzentration von ≥ 103 KbE/ml Harnwegsinfekterreger angesehen (KbE = CFU: colony forming units). Nur bei der chro- ARS MEDICI 11 ■ 2010 453 FORTBILDUNG Abbildung 1: CPSI (Chronic Prostatitis Symptom Index) 454 ARS MEDICI 11 ■ 2010 PROSTATITIS UND CHRONISCHES BECKENSCHMERZSYNDROM Prostatamassage 1. Glas Mittelstrahlurin 2. Glas Massageurin Abbildung 2: 2-Gläser-Urinprobe nischen bakteriellen Prostatitis ist in nahezu allen Fällen eine signifikante Bakteriospermie mit dem gleichen wie in der 4-Gläser-Probe nachgewiesenen Erreger zu finden. Da 50 Prozent aller asymptomatischen Männer eine Bakteriospermie (Besiedlung der vorderen Harnröhre) aufweisen, ist die alleinige mikrobiologische Ejakulatanalyse irreführend. Zudem ist die Ejakulatanalyse nicht in der Lage, eine Lokalisationsdiagnostik der urogenitalen Entzündung oder Infektion zu leisten. Der transrektale Ultraschall (TRUS) hat bei der Diagnostik des Prostatitissyndroms einen beschränkten Stellenwert. Prostatasteinen wurde eine prognostische Bedeutung zugeschrieben, da sie als potenzieller bakterieller Nidus zu rezidivierenden Harnwegsinfektionen bei der chronischen bakteriellen Prostatitis (NIH II) führen können. Diese Hypothese konnte allerdings nicht bestätigt werden. In seltenen Fällen kann der TRUS Utrikuluszysten der Prostata detektieren, die eine Beckenschmerzsymptomatik auslösen können. Tabelle 3 fasst die diagnostischen Optionen gemessen an ihrer Bedeutung zusammen. Therapie bei chronisch bakterieller Prostatitis Bei der chronischen bakteriellen Prostatitis (NIH II) steht an erster Stelle die antibiotische Behandlung mit einem modernen Fluorchinolon, primär für zwei bis vier Wochen. Bei ungenügendem Ansprechen wird die Behandlungsdauer auf sechs bis acht Wochen ausgedehnt. Mit dieser Therapie sind bei gramnegativen Infektionen mikrobiologische Heilungsraten von über 70 Prozent zu erwarten. Aufgrund einer längeren Therapiedauer (3 Monate) und der niedrigeren Erfolgsrate gilt Cotrimoxazol als Mittel der zweiten Wahl. Die Kombination von antimikrobieller Therapie und Gabe eines α-Rezeptorenblockers soll den Therapieerfolg verbessern. Inwieweit eine Normalisierung der Symptome durch eine Eradikation des Erregers zu erzielen ist, ist bisher nicht ausreichend evaluiert. Alternative Therapieansätze wie die transperineale Injektion von Antibiotika haben sich nicht gegen orale Fluorchinolone durchsetzen können. Die Vakzination mit inaktivierten Enterobakterien erbrachte keine überzeugenden Langzeitergebnisse. Tabelle 3: Übersicht zu diagnostischen Optionen bei CP/CBSS Empfohlene Untersuchungen Optionale Untersuchungen digito-rektale Untersuchung der Prostata und anderer pelviner Strukturen 2-Gläser-Urinprobe (Sediment + Kultur) Prostatitisfragebogen (NIH-CPSI) IPSS (International Prostate Symptom Score) Harnstrahlmessung, Restharnbestimmung, Urethrogramm, Urodynamik Ejakulatanalyse transrektaler Ultraschall (TRUS) Nicht routinemässig empfohlene Untersuchungen Urethrozystoskopie PSA ARS MEDICI 11 ■ 2010 455 FORTBILDUNG Bei therapierefraktären Patienten über 50 Jahre wurde als Ultima ratio die radikale transurethrale Resektion in Einzelfällen beschrieben, wobei die komplette Resektion des infizierten intrakapsulären Gewebes und der Prostatasteine erzielt werden muss. Aber auch hier lassen sich nur in zirka 60 Prozent der Fälle mikrobiologische Heilungsraten erzielen. Obwohl die Bedeutung einer mykoplasmen- oder chlamydienassoziierten Prostatitis nie definitiv geklärt werden konnte, ist die Gabe eines potenziell wirksamen Antibiotikums (z.B. Doxycyclin für 2 Wochen) bei entsprechendem Erregernachweis vertretbar. Alternativ kann auch Erythromycin oder Acithromycin verordnet werden. auf pathogenetische Mechanismen des CBSS haben, spielen Antiphlogistika eine wichtige Rolle in der symptomatischen, vor allem analgetischen Therapie. Die Wirkung verschiedener Phytotherapeutika (z.B. Extrakte aus Sägepalmen, Pollen, Brennnessel usw.) ist weitgehend unbekannt, ein positiver Effekt auf irritative Miktionsbeschwerden wird aber immer wieder beobachtet. Antiinflammatorische Effekte werden dem Roggenpollenextrakt Cernilton (in Deutschland als Pollstimol erhältlich) zugeschrieben, das sich in einer deutschen multizentrischen, plazebokontrollierten Studie bei der NIH-Klassierung IIIa als symptomatisch wirksam bewährt hat. Therapie bei chronischem Beckenschmerzsyndrom Da die Ursache des chronischen Beckenschmerzsyndroms (CBSS) in den meisten Fällen unbekannt bleibt, gestaltet sich die Therapie schwierig, und sie ist oftmals empirischer Natur. Die häufigsten Therapiestrategien umfassen die «drei A»: Antibiotika, Alphablocker, Antiphlogistika. Antibiotika zählen zu den am meisten eingesetzten Medikamenten bei Patienten mit chronischer Prostatitis, obwohl eine eindeutige bakterielle Infektion nur bei 5 Prozent aller Patienten zu beweisen ist. Da auch bei Männern mit CBSS die Möglichkeit einer mit konventionellen Methoden nicht nachweisbaren Infektion diskutiert wird, empfiehlt eine europäische Konsensuskonferenz beim Vorliegen eines Beckenschmerzsyndroms den probatorischen Einsatz eines Antibiotikums, in der Regel eines Fluorchinolons. Diese Empfehlung basiert zwar nicht auf starken evidenzbasierten Daten, wird aber von der Beobachtung unterstützt, dass etwa 40 Prozent der Patienten trotz fehlenden Erregernachweises von der antibiotischen Behandlung profitieren. Tritt aber nach maximal vierwöchiger Therapie keine Besserung ein, sollte die antibiotische Strategie verlassen werden. Repetitive Antibiotika-«Kuren» mit wechselnden Präparaten sind als obsolet zu betrachten. Gerade die Verflechtungen von CP/CBPS mit obstruktiven und irritativen Blasenentleerungsstörungen haben den Einsatz von Alphablockern attraktiv gemacht. Im Gegensatz zur Antibiotikagabe deuten die Daten zur Therapie mit Alphablockern deutlich deren therapeutische Potenz bei Männern mit CP/CBSS an. Doppelblind randomisierte, prospektive Studien belegen einen signifikanten Effekt auf die Beschwerden bei den gebräuchlisten Alphablockern Terazosin, Alfuzosin und Tamsulosin. Sie scheinen am besten bei Patienten geeignet zu sein, die noch keine Vortherapie mit Alphablockern erhalten haben, moderate bis starke Beschwerden aufweisen und gewillt sind, die Therapie über mehr als sechs Wochen konsequent fortzuführen. Bei mehrfach vorbehandelten Patienten mit einer langen Beschwerdeanamnese scheinen Alphablocker jedoch keine signifikante Erleichterung zu bringen. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass eine manifeste Harnröhrenoder Blasenhalsverengung einer operativen Therapie bedürfen. Der Einsatz nichtsteroidaler Antiphlogistika ist zwar weitverbreitet, entbehrt jedoch weitgehend einer evidenzbasierten Datengrundlage. Obwohl sie wahrscheinlich keinen Einfluss Erweitertes therapeutisches Management Aufgrund der limitierten Erfolge der genannten Therapie- strategien wurde eine Vielzahl weiterer Therapieoptionen medikamentöser, physikalischer, schmerzmodulierender, ver- haltenstherapeutischer, operativer, minimalinvasiver und mul- timodaler Art entwickelt, die alle eine unterschiedliche Evi- denzqualität aufweisen. Zumeist bleibt dabei völlig unklar, welche Therapiestrategie bei einer individuellen Befund- konstellation vorzuziehen ist. Neue Wege versuchen, das uni- modale medizinische Schmerzmodell durch ein multimodales, bio-psycho-soziales Krankheitsmodell mit dem Ziel zu erset- zen, dem Patienten auf individuelle, massgeschneiderte Weise zu helfen. Es ist somit anzunehmen, dass die interdisziplinäre Betreuung von Patienten mit CBSS in Zukunft an Bedeutung gewinnt. Zusammenfassend ist die Therapie der CP/CBSS weiterhin durch eine hohe Quote therapieresistenter Patienten bei unge- nügend evaluierten und wenig standardisierten Therapie- optionen charakterisiert. In wenigen randomisierten und zahl- reichen unkontrollierten Studien wurde eine Vielzahl von the- rapeutischen Vorgehensweisen beschrieben, die noch nicht abschliessend bewertet sind, aber zum Teil vielversprechende Ansätze andeuten. ■ Dr. med. Werner Hochreiter Urologie-Zentrum Hirslanden Klinik Schänisweg 5001 Aarau Tel. 062-836 72 00 Fax 062-836 72 01 E-Mail: aarau.hochreiter@uro-hirslanden.ch Interessenkonflikte: keine Literatur auf Anfrage beim Autor erhältlich. 456 ARS MEDICI 11 ■ 2010