Transkript
P O L I T- FO RU M
UNDHEIT IN BÄRN
INTERPELLATION
Strategie zur Stärkung des Gesundheitssystems und des Pharmastandorts Schweiz
Ruth Humbel Nationalrätin Kanton Aargau
Interpellation vom 11.12.2009
Über die Interpellation berichtete ARS MECIDI in Ausgabe 3/2010
Die Antwort des Bundesrates vom 24.2.2010
Der Bundesrat anerkennt die Wichtigkeit der Pharmabranche für die schweizerische Wirtschaft und von guten Rahmenbedingungen für den Pharmastandort Schweiz. Die konkreten Fragen der Interpellantin kann der Bundesrat folgendermassen beantworten: 1. Wie Untersuchungen von unabhängigen Experten zeigen, zählt die Schweiz im international immer härter werdenden Wettbewerb nach wie vor zur Spitzengruppe der wettbewerbsfähigsten und attraktivsten Unternehmensstandorte. Es ist ein erklärtes Ziel des Bundesrates, günstige Rahmenbedingungen für Unternehmen mit hoher Wertschöpfung und attraktiven Arbeitsplätzen zu schaffen beziehungsweise zu erhalten, auch für die Pharmaindustrie. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Pharmaindustrie für die Schweiz ist unbestritten. Besonders ins Gewicht fällt das Nebeneinander von grossen etablierten Firmen und vielen Neugründungen in Zukunftstechnologien, die als Keimzellen künftigen Wachstums gelten. Deshalb wird die Attraktivität des Standorts Schweiz für die Pharmaindustrie und verwandte Bereiche auch künftig ein wichtiges Anliegen bleiben. Verschiedene Länder wenden zur Förderung der Standortattraktivität unterschiedliche Rezepte an. Die Ausgangslagen sind unterschiedlich, und nicht jede Massnahme eignet sich daher auch für die Schweiz. 2. Auch wenn der Schweizer Heimmarkt als wichtiger und anspruchsvoller Testmarkt gilt, trägt er insgesamt nur einen kleinen Teil zum Gesamtumsatz der Schweizer Pharmafirmen bei. Preisregulierungen auf grösseren ausländischen Absatzmärkten oder die Zulassungs- und Gesundheitspolitik der Vereinigten Staaten spielen eine wichtige Rolle, denn diese bestimmen massgeblich die Kosten für Neuzulassungen von Medikamenten weltweit und damit auch die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. Bei den Verhandlungen über Preise von Pharmazeutika in der Schweiz behält der Bundesrat solche Zusammenhänge ebenso im Auge wie die volkswirtschaftlichen Auswirkungen auf die Schweiz. Die Preise müssen die Forschungsarbeit gebührend honorieren, aber auch in einem vernünftigen Verhältnis zu den im Ausland erzielten Preisen stehen. Dabei dient das Preisniveau
im Ausland bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines Medikaments als Richtwert, es ist jedoch nicht das alleinige Kriterium bei der Preisfestsetzung. Bei Preissenkungen erfolgt indessen nicht eine vollumfängliche Senkung auf das Auslandpreisniveau. So wurde beispielsweise bei der jüngsten ausserordentlichen Preisüberprüfung ein Abstand von bis zu 4 Prozent zum Preisniveau im Ausland akzeptiert. Die Standortattraktivität hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Dazu gehören neben hochqualifizierten Arbeitskräften sowie einem offenen Arbeitsmarkt auch eine transparente und moderate Besteuerung und eine gute Infrastruktur. Ein angemessener Patentschutz und die Nähe zu bedeutenden Forschungseinrichtungen spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, gerade auch im Pharmabereich. Hier hängt die internationale Konkurrenzfähigkeit stark von Innovationen ab. Die Auswirkungen von Preisreduktionen bei patentgeschützten Medikamenten und Generika auf die Standortattraktivität der Schweiz dürften sich hingegen auch deshalb in engen Grenzen halten, weil andere Länder diesbezüglich vor derselben Herausforderung stehen. 3. Wie bereits erwähnt, hat die internationale Wettbewerbsposition der Schweiz viele Facetten. Die Ausgaben für Bildung und Forschung brauchen nach Meinung des Bundesrats trotz der wachsenden Konkurrenz keinen internationalen Vergleich zu scheuen: Sie liegen weiterhin auf einem Niveau, das der Wettbewerbsfähigkeit der Pharmaindustrie eine Spitzenposition ermöglicht (Studie «Monitoring Life Sciences Locations» von BAK Basel Economics vom Januar 2008). Der Bund investiert via den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) in die freie Grundlagenforschung und finanziert mit der Förderagentur für Innovation (KTI) die anwendungsorientierte Forschung und den Wissenstransfer aus den Hochschulen in die Wirtschaft. Preissenkungen für Medikamente oder beispielsweise auch die Haltung zu Tierversuchen sind grundsätzlich keine Probleme, welche die Schweiz allein betreffen. Im Vergleich zu anderen Standortfaktoren ist ihr Einfluss auf die Position der Schweiz im europäischen und auch im internationalen Standortwettbewerb deshalb nur relativ massgebend.
Gegen die Verzögerungen bei der Zulassung von Medikamenten werden im Rahmen des Heilmittelverordnungspakets III Ausführungsbestimmungen zu Artikel 13 des Heilmittelgesetzes erlassen. Durch klare Kriterien, für welche Fälle von bereits im Ausland zugelassenen Arzneimitteln die wissenschaftliche Begutachtung reduziert oder ausgesetzt werden kann, können bei Swissmedic Ressourcen freigesetzt werden. Dies wirkt sich positiv auf die Bearbeitungszeiten der übrigen Gesuche aus und trägt zu einem rascheren Marktzugang neuer Arzneimittel bei. Zudem strebt der Bundesrat auch eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Swissmedic und der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA an. 4. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Schweizer Wirtschaft stellt eine Daueraufgabe für die Politik dar, um den Unternehmen beste Chancen im internationalen Wettbewerb zu sichern und die Attraktivität der Schweiz als Standort weiter zu verbessern. Der Bundesrat berücksichtigt dabei auch die Interessen der Pharmaindustrie, wo die Schweiz schon heute zu den weltweit führenden Standorten für Unternehmen und die Forschung zählt. Spezifische auf eine einzelne Industrie ausgerichtete Massnahmen erachtet der Bundesrat in diesem Zusammenhang weder als notwendig noch zielführend. Jedoch wurde das Patentgesetz in den letzten Jahren in wichtigen Teilen erneuert, und der Bundesrat hat zudem kürzlich dem Parlament ein Gesetz über die Forschung am Menschen unterbreitet, das die interdisziplinäre Forschung erleichtern wird. Ferner sieht auch die geplante Revision des Heilmittelgesetzes geeignete Massnahmen vor wie zum Beispiel ein längerer Schutz wissenschaftlicher Daten und von geistigem Eigentum, die der Forschung zugutekommen. 5. Ein regelmässiger Dialog an der Schnittstelle zwischen Gesundheits- und Wirtschaftspolitik ist nützlich und wichtig. Er wird heute auf höchster Ebene im Bundesrat und im Parlament gepflegt, aber auch zwischen den relevanten Verbänden und Bundesämtern. Die bestehenden Foren funktionieren, und dementsprechend bedarf es keiner weiteren Institutionalisierung.
Stand der Beratung: im Plenum noch nicht behandelt.
384 ARS MEDICI 10 ■ 2010
POSTULAT
Prüfung eines Modells zur Koordination der Grundversicherer
Luc Recordon Ständerat Kanton Waadt
Postulat vom 10.12.2009
Der Bundesrat wird beauftragt, die Schaffung eines Systems zu prüfen, bei dem die Krankenkassen über einen Ausgleichsfonds koordiniert sind, der als Einziger für die Buchführung der Grundversicherung zuständig ist und der die Reserven für jede Kategorie von Versicherten berechnet und diese zusammenfasst.
Begründung Volk und Stände haben 2007 ein ganz bestimmtes Modell für eine Einheitskasse abgelehnt. Ein wichtiger Grund für die Ablehnung war, dass die Vorlage eine Verknüpfung der Einheitskasse mit einer einkommensabhängigen Prämie vorsah. Die Frage sollte heute erneut diskutiert werden, aber nur noch das Modell an sich, ohne Verknüpfung mit einer anderen Regelung. Dabei muss nicht zwangsläufig eine einzige juristische Person geschaffen werden; ebenso wäre eine Koordinationsstruktur denkbar, die von den bestehenden Kassen geführt
wird, so wie es auch in anderen Sozialversicherungszweigen (z.B. AHV, IV, ALV) vorgesehen ist. Die Koordination würde durch einen Ausgleichsfonds gewährleistet, der folgende Aufgaben hätte: — Er führt eine konsolidierte Kostenrechnung für
die gesamte Grundversicherung. — Er berechnet die Reserven (Abdeckung der
schlechten Risiken), die für jede auf der Grundlage der gesetzlichen Kriterien (Alter, Geschlecht, Wohnregion) definierte Gruppe von Versicherten benötigt werden. — Er legt den entsprechenden auf die einzelnen Krankenkassen entfallenden Prämienanteil fest, den die Krankenkassen bei der Berechnung der Gesamtprämie für jede bei ihnen versicherte Person zu berücksichtigen haben. — Er führt den Fonds und entscheidet namentlich über die Gesuche der Krankenkassen um Rückgriff auf die Reserven.
Ein solches System hätte folgende klaren Vorteile: — Zusammenführung des Reservefonds der Grund-
versicherung, dessen Verwaltung bekanntlich heikel ist und immer wieder zu Kontroversen führt, namentlich bei Kassenwechseln — Vermeidung von schwierigen Vergleichen, die die Versicherten anstellen müssen, wenn sie ihre Kasse wechseln möchten; generell wäre ein Krankenkassenwechsel mit dem neuen System sowieso weniger interessant als heute — Wegfall der Marketing- und Werbekosten, die die Grundversicherung belasten — weitere erhebliche Sparmöglichkeiten, namentlich bei der Buchführung, z.B. der Verwaltungsaufwand bei den häufigen Kassenwechseln. Es versteht sich von selbst, dass dieser Vorschlag, wie jeder Lösungsansatz in diesem komplexen Bereich, kein Wundermittel ist, aber er ist zweifellos ein Stein in einem Mosaik von nützlichen Massnahmen.
Die Antwort des Bundesrates vom 24.2.2010
Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung sieht vor, dass die soziale Krankenversicherung von mehreren sich konkurrenzierenden Versicherern durchgeführt wird. Die Prämien werden von den Versicherern derart festgelegt, dass sie die Kosten und den Verwaltungsaufwand decken. Zur Sicherstellung ihrer langfristigen Zahlungsfähigkeit bilden die Versicherer Reserven, deren Satz sich nach dem Versichertenbestand richtet. Die Reserven stellen bei den Krankenkassen als juristisch und wirtschaftlich selbstständigen Einheiten die Eigenmittel dar; ihr Zweck besteht namentlich darin, die Risiken in Zusammenhang mit der Versicherungstätigkeit abzudecken (versicherungstechnische Risiken, Markt- und Kreditrisiken sowie operationelle Risiken). Die Reserven werden aus dem Ergebnis der Erfolgsrechnung geäufnet und reflektieren entsprechend den von den Versicherern in allen Geschäftsjahren erwirtschafteten Gesamtgewinn beziehungsweise -verlust.
Der Bundesrat nahm zur Schaffung eines einzigen Reservefonds für die Gesamtheit der Krankenkassen bereits Stellung. In seiner Antwort vom 23. März 2005 legte er insbesondere dar, dass mit der Bildung eines solchen Fonds einzelne Krankenkassen versucht sein könnten, ihre Prämien zu tief anzusetzen, da allfällige Verluste von der Gesamtheit der Versicherer getragen würden. Dadurch würde der im KVG verankerte Wettbewerbsgedanke ganz klar untergraben. Der Bundesrat beantragte daher die Ablehnung des Postulats 04.3759. Der Nationalrat folgte diesem Argument und lehnte das Postulat am 19. März 2009 ebenfalls ab. Die Argumente, die vom Bundesrat und vom Nationalrat in Zusammenhang mit diesem Postulat angeführt wurden, haben weiterhin Gültigkeit. Darüber hinaus wäre es unzweckmässig, wenn einem Ausgleichsfonds die Zuständigkeit für die Buchführung der Versicherer übertragen würde, denn Letztere sind über ihre Marktposition, ihren Ver-
sichertenbestand und ihren Aufwand besser im Bilde als eine externe Stelle. Es obliegt folglich ihnen, ihre wirtschaftliche und finanzielle Verwaltung auch auf Ebene der Rechnungsführung wahrzunehmen. Der Bundesrat ist von der Effizienz und den Vorteilen des heutigen Systems überzeugt und möchte dieses nicht grundlegend ändern. Die Struktur der Versicherer ist nicht Ursache für die mangelnde Kosteneindämmung. Zu diesem Zweck hat der Bundesrat verschiedene Revisionsvorlagen zum KVG ausgearbeitet, und er wird weitere Anstrengungen unternehmen. Er sieht daher keine Notwendigkeit, einen Bericht über die Schaffung eines Systems zur Koordination der Grundversicherer über einen Ausgleichsfonds zu erarbeiten.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulats.
ARS MEDICI 10 ■ 2010 385