Transkript
INTERVIEW
«Arzneimittel sollten erst gar nicht in den Kläranlagen landen»
Ein Gespräch mit dem Umweltchemiker Klaus Kümmerer über die Bedeutung von Arzneimittelrückständen im Wasser
Arzneimittelrückstände lassen sich mittlerweile in
fast allen Gewässern nachweisen. Dabei handelt es
sich um Substanzen, die häufig den Körper, aber auch
die Kläranlagen unverändert passieren. Zwar liegen
die gemessenen Konzentrationen weit unter den
Wirkschwellen, die langfristigen Konsequenzen sind
jedoch unbekannt. Sinnvoller wäre es, meint der
Freiburger Umweltchemiker Klaus Kümmerer, schon
bei der Entwicklung von Medikamenten auf gute
Abbaubarkeit zu achten.
ARS MEDICI: Herr Professor Kümmerer, muss man sich Sorgen um unser Wasser machen? Prof. Dr. med. Klaus Kümmerer: In der Vergangenheit hat man dem Thema Arzneimittel in der Umwelt und deren Einfluss auf den Menschen wenig Bedeutung geschenkt. Inzwischen hat sich das Interesse aber deutlich erhöht. Die vergangenen 15 Jahre haben nämlich gezeigt, dass Arzneimittel sowohl im Trinkwasser als auch im Grundwasser zu finden sind. Trinkwasser ist eine Ressource, die grundsätzlich sauber zu halten ist. Grundwasser kann aus technischen und finanziellen Gründen praktisch nicht saniert werden. Wir wissen von anderen Stoffen, dass sie sehr lange nachweisbar bleiben. Beispielsweise ist das Pflanzenschutzmittel Atrazin schon lange verboten und wird tatsächlich auch nicht mehr eingesetzt. Trotzdem wird es in manchen Gebieten immer noch im Grundwasser nachgewiesen. Bei Nitrat im Grundwasser müssen wir mit Zeitskalen von 200 Jahren rechnen.
ARS MEDICI: Mit welchen Medikamenten haben wir es im Wasser hauptsächlich zu tun? Kümmerer: Wenn man die Problemstoffe mengenmässig betrachtet, sind das hauptsächlich Psychopharmaka, Lipidsenker, Betablocker, Antidepressiva und Antibiotika.
Auch Ifosphamid und Cyclophosphamid, zwei klassische Zytostatika, gehen unverändert durch die Kläranlagen. Einige wenige Stoffe wie Acetylsalicylsäure werden zwar sehr gut abgebaut, da aber gerade von solchen Schmerzmitteln grosse Mengen verbraucht werden, sind sie im Ablauf noch gut nachweisbar.
ARS MEDICI: Sind denn die Konzentrationen der Medikamente im Trinkwasser nicht viel zu gering, um Effekte zu zeigen? Kümmerer: Es ist schwierig, die langfristigen Auswirkungen einer permanenten Aufnahme von Medikamenten in sehr niedriger Konzentration zu beurteilen. Wenn man von Nachhaltigkeit redet, kann man nicht nach fünf Jahren aufhören zu beobachten und meinen, danach passiert schon nichts mehr. Die gemessenen Konzentrationen beispielswiese von Antibiotika, Hormonen oder Schmerzmitteln sind mit ng oder wenigen g/l zwar deutlich unter der Wirkgrenze, allerdings sagt das nichts über die Langzeitwirkung solcher Stoffe aus. Ausserdem besitzen die Arzneimittel sehr unterschiedliche Wirkschwellen. Beispielsweise interagieren bestimmte Zytostatika direkt mit der DNA. Für die kann überhaupt kein Schwellenwert angegeben werden. Da kann theoretisch ein Molekül ausreichen, um beispielsweise tumorinitiierend zu sein. Auch bei Hormonen im Trinkwasser wissen wir nicht, was sie für die Geschlechtsdifferenzierung bei ungeborenen Kindern bedeuten. Wir wissen aber – ohne die letzten Ursachen zu kennen –, dass die Unfruchtbarkeit, vor allem bei Männern, in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Ausserdem sind die meisten Daten, die wir zum Verhalten der Arzneimittel in Gewässern besitzen, Einzelstoffbewertungen. Das ist eine Situation, die in der Umwelt nicht gegeben ist, da dort immer viele verschiedene Substanzen und Faktoren zusammenspielen.
ARS MEDICI: Wie kommen Arzneimittel überhaupt in die Gewässer? Kümmerer: Aus einer Umfrage im Jahr 2006 weiss man, dass 16 Prozent der Deutschen nicht verwendete Tabletten zumindest gelegentlich in die Toilette werfen. Bei flüssigen Medikamenten ist das sogar fast die Hälfte. Ich nehme an, dass dies in anderen Ländern nicht viel anders ist. Noch grösser ist aber
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wendige Verfahren. Ausserdem können bei oxidierenden Verfahren mit Ozon Folgeprodukte entstehen, die zum Teil toxischer sind als die Ausgangsprodukte.
ARS MEDICI: Wo bleiben denn die Stoffe? Kümmerer: Prinzipiell sind nicht die grossen Gewässer stärker belastet, sondern eher die kleineren. Was durch die Kläranlagen hindurchgeht, bleibt in den Sedimenten der Flüsse, Seen oder der Meere oder wird von den Organismen aufgenommen. Es existiert aber keine vollständige Bilanz dieses Stoffkreislaufs. Langfristig wird ein Teil davon noch weiter abgebaut, durch spezielle Bakterien oder womöglich auch durch Licht. Aber auch hier dürfen wir nicht vergessen, was für Folgesubstanzen entstehen.
«Schon die Synthese von Medikamenten sollte mit möglichst wenig Energie- und
Rohstoffverbrauch verbunden sein.»
Zur Person:
Schon seit zwei Jahrzehnten forscht Prof. Dr. Klaus Kümmerer vom Institut für
Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg auf dem
Gebiet der Ökotoxikologie und der Umweltchemie. Schwerpunkte sind der Eintrag und
das Verhalten von Arzneimitteln in der Umwelt sowie die nachhaltige Verwendung von
Medikamenten. Kürzlich wurde der Chemiker, der auch Herausgeber des Standard-
werks «Pharmaceuticals in the Environment» ist, vom schwedischen Pharmaunter-
nehmen Recipharm mit dem International Environmental Award ausgezeichnet. Im Mai
2010 erscheint das Buch «Green and Sustainable Pharmacy», in dem sich internatio-
nale Experten zur nachhaltigen Pharmazie äussern.
(Foto: Klaus Duffner)
der Anteil der eingenommenen Arzneimittel, die unseren Körper wieder «unverbraucht» verlassen. Wir haben berechnet, dass bei den Antibiotika 70 Prozent aller Wirksubstanzen unverändert vom Körper wieder ausgeschieden werden. Viele dieser stabilen Stoffe passieren dann auch die Kläranlagen. Von den von uns untersuchten Medikamenten können nur etwa ein Viertel biologisch abgebaut werden. Und vollständig mineralisierbar sind noch viel weniger. Hauptverantwortlich für den Eintrag sind übrigens nicht – wie früher häufig angenommen – die Abwässer der Spitäler, sondern zu über 90 Prozent die Privathaushalte.
ARS MEDICI: Warum geht so viel unverändert durch die Kläranlagen? Kümmerer: Keines der derzeitigen Verfahren holt alle Stoffe vollständig heraus. Man versucht gegenwärtig, die herkömmlichen dreistufigen Kläranlagen mit mechanischer und biologischer Reinigung sowie Nachklärung durch die Entwicklung weiterer Stufen zu verbessern. Das sind zum Beispiel Oxidationsverfahren, Schadstoffabbau durch Licht oder auch Aktivkohlefilter. Allerdings sind das manchmal sehr energieauf-
ARS MEDICI: Um das zu vermeiden, sollte man die Medikamente erst gar nicht in die Kläranlagen kommen lassen … Kümmerer: Richtig. Bis anhin wird nur auf die Anwendung geschaut. Das ist aber keine nachhaltige Funktionalität. Daher wollen wir nicht mehr am Ende des Abwasserrohrs, sondern möglichst weit vorne beim Medikament ansetzen. Denn schon die Synthese von Medikamenten sollte mit möglichst wenig Energie- und Rohstoffverbrauch sowie Abfällen verbunden sein. Gleichzeitig muss ich an das Ende des Lebenslaufs eines Stoffs denken. Was passiert nach der Ausscheidung? Bisher hat man den Metabolismus lediglich nach neu gebildeten kanzerogenen Stoffen im Körper betrachtet, zum Beispiel im Harn hinsichtlich der Entstehung von Blasenkrebs. Wir müssen aber weitergehen und die Stoffe von vornherein so entwickeln, dass sie einerseits ihre Wirkung gut entfalten und andererseits leicht abbaubar sind. Sie sollten gar nicht erst in den Kläranlagen landen beziehungsweise durch sie hindurchgehen.
ARS MEDICI: Warum tut man sich so schwer, diese Ideen umzusetzen? Kümmerer: Es wird keiner ein Molekül kaufen, weil es bessere Umwelteigenschaften hat. Unser Anspruch ist, dass ein neues Medikament nicht nur besser abbaubar, sondern möglichst auch wirkungsvoller als das alte ist. Prinzipiell benötigen wir Stoffe, die nur zu einer bestimmten Zeit und zu einem bestimmten Zweck stabil sind und dann wieder abgebaut werden. Wir Chemiker und Pharmazeuten sind in den vergangenen 100 Jahren aber ganz anders erzogen worden: Nur wenn ein Stoff stabil war, hatte er eine Chance, auf den Markt zu kommen. Eine wirklich stabile Substanz ist in Wirklichkeit aber wertlos. Denn mit ihr gäbe es keine chemischen Reaktionen und damit auch kein Leben.
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ARS MEDICI: Aber wenn nun eine schlecht abbaubare Substanz sehr wirkungsvoll ist? Kümmerer: Manche Pharmafirmen sagen: Wir können den Menschen einen heilenden Wirkstoff nicht vorenthalten. Das ist schon richtig, aber dann muss man auch andere ethische Fragen an die Pharmaindustrie stellen: Wie viele Wirkstoffe, die in armen Ländern unbedingt gebraucht würden, werden erst gar nicht entwickelt, weil der Markt ökonomisch zu klein ist? Warum gibt es bei Malaria so wenig Neues? Warum gibt es für seltene Krankheiten kaum Neuentwicklungen? So weit kann es mit der Ethik nicht her sein. Ich habe kein Problem damit, dass die Firmen Geld verdienen wollen. Aber dann sollten wir ökonomisch und nicht ethisch diskutieren.
ARS MEDICI: Mittlerweile existieren aber Gesetze, die stärker auf eine bessere Erfassung der Umwelteigenschaften zielen … Kümmerer: Seit 2006 ist die Abprüfung der Umwelteigenschaften von neuen Arzneimittelstoffen bei Zulassungen in der EU gesetzlich vorgeschrieben. Aber 90 Prozent der Wirkstoffe sind Altstoffe, zu denen immer noch zu wenige Daten existieren. Wenn man dann noch an die potenziellen Kombinationen verschiedener Wirkstoffe denkt, ist das überhaupt nicht durchführbar.
ARS MEDICI: Wie verhalten sich neue Medikamente, wie etwa die Biologics, in der Umwelt? Kümmerer: Wir untersuchen momentan die neuen Biopharmaceuticals. Sie haben Vorteile, da sie metabolisiert werden und ihre Proteine im alkalischen Milieu der Kläranlagen eventuell denaturiert werden. Allerdings muss beachtet werden, dass nicht alle Naturstoffe leicht abbaubar sind. Ausserdem werden die Biopharmaceuticals, um Nebenwirkungen zu reduzieren oder um bessere Wirkungseffekte zu bekommen, häufig in Kombination mit den klassischen Wirkstoffen eingesetzt. Die Argumentation, dass sich durch den Einsatz solcher neuen Medikamente das Rückstandsproblem lösen lasse, ist nicht zutreffend.
ARS MEDICI: Wie entwickelt man überhaupt umweltverträgliche Medikamente? Kümmerer: Man kann heutzutage bestimmte Eigenschaften von Molekülen wie Wasserlöslichkeit oder auch gewisse Toxizitäten, insbesondere Mutagenität und Kanzerogenität, recht gut mit computerbasierten Methoden berechnen. Der Anwender muss uns sagen, was eine Substanz können muss, um eine
bestimmte Wirkung zu erzielen. Dazu kommt der Synthetiker, der uns sagt, ob man das überhaupt synthetisieren kann. Und dann kommen wir und sagen: Aus Umweltgesichtspunkten sind diese und jene Teilstrukturen zu vermeiden. Man kann zwar nicht alles vorhersagen, aber wir wissen, was problematisch ist und was nicht. Beispielsweise sind Esterfunktionen in der Umwelt vergleichsweise positiv und Kohlenstoff-FluorVerbindungen eher kritisch. Auch bestimmte heterozyklische Verbindungen können Probleme bereiten. Auf diese Weise können wir ohne Experimente Tausende von Strukturvorschlägen zeichnen. Am Ende bleiben nach computerbasierter Bewertung die erfolgversprechendsten Moleküle übrig. Wenn jedoch so ein Stoff erst kurz vor der Zulassung zu uns kommt, ist es viel zu spät.
«Ich glaube nicht, dass bis in 25 Jahren alle Arzneimittel biologisch abbaubar sind.»
ARS MEDICI: Was wird sich in Zukunft ändern müssen? Kümmerer: Ich glaube nicht, dass bis in 25 Jahren alle Arzneistoffe biologisch abbaubar sind. Aber 60 bis 70 Prozent sollten schon drin sein. Dann hätten wir das Problem halbiert. Wichtig ist vor allem, dass sich das Denken verändert. Wir müssen klarmachen, dass – übrigens nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich – ein hoher Benefit zu erwarten ist, wenn von vornherein auf eine gute Abbaubarkeit von Substanzen geachtet wird. In 80 Jahren wird es selbstverständlich sein, dass auch an die Arzneimittelrückstände in der Umwelt gedacht wird und dass bestimmte Stoffe einfach nicht auf den Markt dürfen.
ARS MEDICI: Wie sieht denn das ideale Medikament aus?
Kümmerer: Das ideale Medikament ist möglichst oral ver-
fügbar. Es ist optimal wirksam und mit keinen oder möglichst
geringen Nebenwirkungen verbunden. Gleichzeitig wird es zu
100 Prozent metabolisiert, mineralisiert und ausgeschieden.
Als zweitbeste Lösung sollte es spätestens in der Kläranlage
vollständig abgebaut werden. Alles andere darf nur ein Kom-
promiss auf dem Weg dorthin sein.
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Das Interview führte Klaus Duffner.
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