Metainformationen


Titel
Arsenicum: G(l)obi und der Kaufrausch
Untertitel
-
Lead
Nach den feuchtheissen Tagen in Taiwan freut sich der Schweizer Hausarzt über die Kälte im nächsten Reiseort, in Beijing. Die erfrischende Brise bringt aber auch Feinstaub aus der 240 km entfernten Wüste Gobi mit – das Haupthaar ist schmutzgepudert. Leise brummele ich, dass ich mich wie in der Gobi fühle. Die Ehefrau hat es falsch verstanden. «Ja, man kommt sich hier wirklich wie Globi vor!», lacht sie. «Wie uns alle anstarren – dabei sind wir doch keine blauen Beret-Papageien in rotschwarzkarierter Hose!» Tatsächlich – mein grauer Vollbart bringt Kinder zum Glotzen, Teenager zum Losprusten, und auch die Erwachsenen müssen an sich halten, um sich das Kichern zu verkneifen.
Datum
Autoren
-
Rubrik
Rubriken
Schlagworte
-
Artikel-ID
799
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/799
Download

Transkript


arsenicum
N ach den feuchtheissen Tagen in Taiwan freut sich der Schweizer Hausarzt über die Kälte im nächsten Reiseort, in Beijing. Die erfrischende Brise bringt aber auch Feinstaub aus der 240 km entfernten Wüste Gobi mit – das Haupthaar ist schmutzgepudert. Leise brummele ich, dass ich mich wie in der Gobi fühle. Die Ehefrau hat es falsch verstanden. «Ja, man kommt sich hier wirklich wie Globi vor!», lacht sie. «Wie uns alle anstarren – dabei sind wir doch keine blauen Beret-Papageien in rotschwarzkarierter Hose!» Tatsächlich – mein grauer Vollbart bringt Kinder zum Glotzen, Teenager zum Losprusten, und auch die Erwachsenen müssen an sich halten, um sich das Kichern zu verkneifen. It's cool man – Alpöhi goes East. «Gäll – Globis abenteuerliche Fahrt in andere Welten!», gluckse ich, die Langnase aus der Schweiz. Und realisiere beschämt, wie unendlich höflich und taktvoll sich unsere WONCA-Gäste im 2009 verhielten, als sie in der Schweiz zu Besuch waren. Freundlich-ehrfürchtig haben sie genickt, als wir ihnen stolz unsere Attraktionen zeigten: Das Jungfraujoch (3454 m) lobte der Angiologe Anil aus Kathmandu (Mount Everest 8850 m). Im höchsten Haus der Schweiz, dem Basler Messeturm (105 m), nahm die charmante Hausärztin Chen Yi aus Taipei (Scyscraper One-o-One 509,2 m) mit uns einen Drink in der Bar Rouge und bewunderte die schöne Aussicht. Der Kardiologe Hao zeigte grosses Interesse für die Geschichte der Liestaler Stadtmauer (20 m lang, um 1300 nach Christi errichtet). Er stammt aus Beijing (Chinesische Mauer 8851,8 km lang, um 500 vor Christi errichtet). Asien ist synonym mit höher, grösser, altehrwürdiger, besser ... Leider auch beim Shopping: Würde man die Vie Tornabuoni und Condotti, die Champs-Elysées und Rive Gauche, die Fifth Avenue, die Friedrich- und Kaufingerstrasse plus Kö, die Oxford- und New Bond Street, die Ermou und die Tverskaya sowie die Bahnhofstrasse inklusive Paradeplatz alle zusammenlegen, würden sie in den Shoppingparadiesen wie Zhong Xiao E. Road, Wanfuijing Dajie und Xidan Beidajie verschwinden.

Denn hier wird auf exquisites Ladendesign und repräsentative Räumlichkeiten geachtet. Je grösser ein Geschäft ist, desto bedeutender wird es wahrgenommen. Kleine Luxusboutiquen werden als mickrig angesehen. Gross muss der Raum sein, dann ist er grossartig. Und so taumeln wir von Konsumtempel zu Shoppingschrein, glotzen wie die Landeier und verhalten uns bünzliger, als es ein ruraler Aargauer in Downtown Zürich tut. Meine Frau assimiliert sich jedoch schnell. Während ich noch inmitten von rund 200 perfekt geschminkten Verkäuferinnen einer Kaufhaus-Kosmetikabteilung sprachlos Mund und Augen aufreisse, hat sie sich schon beide Arme mit Parfumproben besprayen lassen. 17 Flakons sind in der engeren Wahl, für fünf entscheidet sie sich. «Willst du nicht einen Espresso nehmen?», fragt sie liebevoll, führt mich zu einem fragilen Stühlchen, für das sogar Martin Vosseler nach einem Hungerstreik zu schwer wäre, und besorgt ein Tässchen Kaffee. «Geht nicht lang, muss nur noch ein paar Kleinigkeiten erledigen!», zwitschert sie und holt eine lange Einkaufsliste aus der Tasche. Ein globiartiger Vers kommt mir in den Sinn, als sie mit meiner und ihrer Kreditkarte losspurtet: «Die Gattin nutzt das Angebot / das Konto leidet grosse Not / die Karte geht von Schlitz zu Schlitz / der Saldo sinkt – schnell wie der Blitz.» Listig umgeht sie alle Konsum-Hindernisse: Konfektionsgrössen zu klein für Westler? Dann kaufte sie eben Seide vom Meter und lässt massschneidern. Gewichtslimite des Fluggepäcks? «Der freundliche Verkäufer hat schon die Versandkosten addiert. Sie schicken es per Schiff», säuselt sie. «Vielleicht käme es billiger, einen ganzen Cargo-Schiffscontainer zu mieten?», scherze ich. Sie jubelt: «Schatz, das wäre genial! 3,05 m mal 6,10 m mal 12,19 m! Dann könnten wir auch einen dieser genialen chinesischen Esstische kaufen, mit dem drehbaren Marmor-Einsatz in der Mitte! Und Hakka-Teppiche! Seidene Wandbehänge! Und ein Gipstempelchen als Vogelhäuschen für unseren Garten!» Hätte ich doch meinen Schnabel gehalten, ich Globi …

G(l)obi und der Kaufrausch

254 ARS MEDICI 7 ■ 2010