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OFFIZIELLES ORGAN FOEDERATIO MEDICORUM PRACTICORUM FOEDERATIO MEDICARUM PRACTICARUM
Das Parkinson-Gesetz in der Medizin
THOMAS ZÜND
Es wurde überall besprochen, und Beispiele aus dem eigenen Bereich und in benachbarten Unternehmen wurden ausgetauscht. Einhellig war damals die Meinung, dass es so im eigenen Betrieb zugehe, ja dass es sich fast um ein unabwendbares Naturgesetz handle (1). Obwohl das amüsant geschriebene Buch so viele richtige Faktoren beschreibt, ist es um diese Ansichten über das Funktionieren der Verwaltung merkwürdig still geworden. Wir haben bei Medizinern und Nichtmedizinern Umfragen gestartet und fanden eine ziemlich deutliche Altersgrenze des Nichtwissens: Jüngere kennen dieses «Naturgesetz» in der Verwaltungsebene kaum, die Älteren können sich hingegen sehr gut erinnern. Die wichtigsten Punkte des Parkinsonschen Gesetzes sind: ■ Der Selbsterhaltungstrieb der Ver-
waltung ■ Die Aufblähung des Verwaltungs-
apparats ■ Die «Injelitis»: Die Kombination von
Ineffizienz und Jealousy (Eifersucht) ■ Die Ausgaben steigen in dem Masse
wie die Einnahmen. Und in unserem Zusammenhang ist auch das Peter-Prinzip wichtig: ■ Jeder wird bis zu seiner Unfähigkeit
befördert.
Der Selbsterhaltungstrieb der Verwaltung Nach Parkinson ist die Administration reiner Selbstzweck, ob eine Tätigkeit sinnvoll ist oder nicht, kümmert nie-
Kennen Sie das Parkinson-Gesetz? Nein, gemeint ist nicht die ParkinsonKrankheit, die uns allen hoffentlich bestens bekannt ist. Die Älteren unter uns kennen das Parkinson-Gesetz sicher noch, war es doch in den Sechzigerjahren in aller Mund, und niemand konnte sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegen, ohne das Buch eingehend gelesen zu haben.
manden. Die Verwaltung wächst auch, wenn es gar nichts mehr zu verwalten gibt oder wenn das zu Verwaltende schrumpft. Die Verwaltung hat nur eine Existenzberechtigung, wenn genügend Arbeit für sie selbst – nicht in der Produktion – vorhanden ist. Wenn diese fehlt, wird alles dran gesetzt, Arbeit zu finden, ob sinnvoll oder sinnlos. In unserem Fall wollen wir uns vor allem auf die medizinische Verwaltung fokussieren, also auf Stufe Bundes- und Kantonalverwaltung, aber das Gesetz gilt natürlich auch für Verwaltungen von Spitälern und Krankenkassen. Ein weiteres Gesetz nach Parkinson ist, dass Arbeit sich wie ein Gummi ausdehnen lässt, und wenn keine Arbeit vorhanden ist, muss man solche finden. In der Medizin, einem System, das eigentlich ganz gut funktioniert, ist es für die Verwaltung nicht so ganz einfach, Arbeit zu finden. Somit müssen mit Fantasie Tätigkeitsfelder gefunden werden, die, wenn sie genügend ausgeweitet sind, dem aufgeblähten Verwaltungsapparat genügend Existenzberechtigung geben. Kürzlich haben wir ja hautnah erleben können, wie eine oder zwei – vom Namen und von der saisonalen Eigenheit, keineswegs von der Gefährlichkeit her – etwas
aussergewöhnliche Grippewellen, die in keiner Phase irgendwelche Anzeichen einer Bedrohung zeigten, zu einer nationalen Katastrophe hochstilisiert wurden. Das gab Arbeit im Verwaltungsapparat mit vielen Sitzungen, Interviews, Fernsehsendungen, Zeitungsartikeln und vielem mehr. Es gab auch Arbeit in vielen anderen Zweigen von Verwaltung und Wirtschaft, vor allem in den Medien. Radio und Fernsehen organisierten abendfüllende Sendungen, Zeitungen waren von vorn bis hinten mit den gefährlichen Nachrichten über die Pandemie gefüllt. Bei den Medien gilt unser Naturgesetz natürlich auch, und sie stürzen sich auf alles, was ihnen angeboten wird. Schliesslich gibt es für die Medien nichts Schlimmeres, als keine Nachrichten zu haben. Jeder, insbesondere die Politiker, war überzeugt, dass die wackeren Mannen und Frauen in diesem Verwaltungsapparat sehr nötig sind, und jedermann hing an den Lippen derjenigen, die es wissen sollten. Gelder und Kredite wurden unbesehen zuhauf bewilligt, mindestens zwei Impfstoffe für jeden Einwohner wurden mit einem Millionenbudget gekauft, da es ja nicht denkbar ist, dass jemand diese wohltuende Impfung ablehnt. Das führte lo-
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gischerweise zur Aufblähung des Verwaltungsapparats. Bei einer solchen grossen, nationalen Gefahr müssen sämtliche Ressourcen mobilisiert werden, das sieht ja jeder ein. Nun ist aber die Verwaltung personell plafoniert und kann nicht aufgestockt werden. Aus dieser Zwickmühle hilft nur, wenn man Aufträge auslagert, das heisst an andere, zum Teil private Institutionen weitergibt. Das hat den Vorteil, dass diese Institutionen ebenfalls Arbeit bekommen und dadurch eine Existenzberechtigung. Sie haben ausserdem den Vorteil, dass sie keinerlei Konkurrenz zur Verwaltung darstellen.
Beispiel Qualitätskontrolle in der Medizin Aber es gibt auch noch andere Themen, die der Verwaltung Arbeit beschaffen. Wir möchten da das Beispiel der Qualitätskontrolle erwähnen. In der Schweiz steht es mit der Qualität der medizinischen Versorgung gar nicht so schlecht, wenigstens im Vergleich mit ausländischen Versorgungssystemen. Der beste
Qualitätsinspektor ist immer noch der Patient, solange er die Möglichkeit der Arztwahl hat. Und trotzdem muss diese Qualität verbessert werden, koste es, was es wolle. Da nun die Beamten nicht unsere Qualität kontrollieren können, sondern nur die Temperatur in unseren Kühlschränken, die Ablaufdaten unserer Medikamente und ob die Reinigung unserer Toiletten auch wirklich protokolliert wurde, was fleissig und mit Akribie gemacht wird, steht die Verwaltung vor einem neuen Dilemma. Zur Qualitätskontrolle in unseren Praxen, die nur einen Hauch von Effizienz haben sollte, braucht es Leute, die mindestens eine gewisse Ahnung haben von einem Praxisablauf und die auch vom Praxisinhaber respektiert werden. Theoretisch könnte man ja MPA einstellen, diese haben oft einen guten Einblick in das Praxisgeschehen und sind nach der jüngsten Säuberungswelle von Herrn Couchepin in Massen zu haben. Diese dürften jedoch in fremden Praxen nicht besonders gern gesehen sein, sie könnten sich auch mit einem noch so schönen amtlichen Ausweis nicht den nötigen Respekt verschaffen. Das ist kein guter Weg. Aber es gibt ja noch eine andere Berufskategorie, die sich eignen würde: die alten Ärzte, welche die Praxis übergeben haben und nicht mehr ein hektisches Leben mit Notfalldiensten, Personalsorgen et cetera führen, sich aber noch nicht zur Ruhe setzen wollen. Diese meinen, sie seien am besten geeignet, in andere Praxen zu sitzen («assessement») und dort Feststellungen zu machen, was in der besuchten Praxis anders läuft als in ihrer eigenen. Sie meinen, diese sei natürlich bei Weitem besser organisiert gewesen als die besuchte Praxis, und das führt zu einer einseitigen Sicht in der Bewertung. Wir alle wissen, dass das Tätigkeitsfeld noch unendlich erweiterbar ist, die Praxisinhaber werden in immer kürzeren Abständen
geprüft mit immer irrwitzigeren Prüfungsinhalten. Die Röntgenprüfung ist uns allen noch in bester Erinnerung mit ihren unsinnigen Prüfungsinhalten und der chaotischen äusseren Organisation. Doch dafür kann man ein Heer von Verwaltungsangestellten anstellen. Da, wie schon erwähnt, diese plafoniert sind, muss man einen Retter in der Not finden: die FMH! Statt die Interessen der Mitglieder zu verteidigen, stellt sie sich in den Dienst der Verwaltung und organisiert Kontroll- und Überwachungsaufgaben für die Verwaltung. Für die FMH gelten natürlich die Parkinson-Gesetze ebenso, und sie ist ebenfalls dankbar für Arbeit. Der Vorteil ist dabei noch, dass alles von den Mitgliedern bezahlt wird in Form von Prüfungsgebühren und Mitgliederbeiträgen. Damit hat auch diese Organisation ihre Existenzberechtigung gefunden, hurra! – Alle sind zufrieden, dass sie ihren Aufgaben so gut nachkommt.
Beispiel Gesundheitspolitik Ohne Zweifel wird der Leser, der uns bis jetzt gefolgt ist, viele weitere Beispiele selber finden, wo das Naturgesetz Anwendung findet. Ein etwas besonderes Gebiet ist vielleicht die Politik. Da ist nicht Arbeit gefragt, sondern vonnöten sind politische Themen, vor allem Erfolge in diesen. Im Gesundheitswesen können sich viele Politiker tummeln, und ein dankbares Feld ist die sogenannte Kostenexplosion. Diese ist eigentlich ein ähnliches Phänomen wie die Schweinegrippe. Allen ist bekannt, dass die Gesundheitskosten wegen der Überalterung, wegen des medizinischen Fortschritts, den niemand missen will, und wegen der Anspruchshaltung der Patienten steigen. Dass die Kosten der Mobilität in ähnlichem Mass steigen wie die Gesundheitskosten, darüber ärgert sich niemand, und kein Politiker fordert dringende Massnahmen wie die Ab-
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schaffung des schwächsten Gliedes, zum Beispiel des Nahverkehrs. Von diesen Politikern wird das Phänomen der Kostensteigerung im Gesundheitswesen zu einer nationalen Katastrophe hochstilisiert wie die Schweinegrippe, der man nur mit aussergewöhnlichen und einschneidenden Massnahmen Herr wird. Ein Politiker erntet dann Beifall und Stimmen, wenn er Vorschläge zur Kostenreduktion bringt, koste es, was es wolle. Wir haben das mit unserem früheren Gesundheitsminister erlebt, der dauernd Gesetze aus dem Ärmel zauberte, von denen er meinte, sie brächten eine Kostenreduktion, die aber bei näherer Betrachtung eher eine Kostensteigerung zur Folge hatten. In Zukunft stehen uns jedoch noch viele Veränderungen bevor, die aus blosser «Veränderitis» in Angriff genommen werden sollen, bei denen ein finanzieller oder qualitativer Nutzen nicht ersichtlich ist. Wir erwähnen hier bloss die DRG, die HPC und Dinamo – eine Idee, die hoffentlich gestorben ist. Es ist ja eigenartig, dass Politiker im Gesundheitswesen überall sparen wollen und dazu bewährte Strukturen umkrempeln, genau so wie in andern Bereichen, zum Beispiel im Strassenverkehr, wo Geld unbesehen verschwendet wird, um Trottoirs einige Zentimeter zu versetzen oder nutzlose Schikanen zu bauen.
Das Peter-Prinzip und die «Injelitis» Ein weiteres Gesetz wurde unter dem Namen Peter-Prinzip bekannt: Jeder wird bis zu seiner Unfähigkeit befördert (2). Anfänglich versuchte der Altbundesrat, mit dem faulen Trick der Reservereduktion der Krankenkassen die Kostensteigerung etwas zu minimieren. Als alle den faulen Zauber begriffen hatten, blies er zum Angriff auf den schwächsten Player im Gesundheitswesen: den Hausarzt. Dieser Akt im Trauerspiel ist uns ja allen bekannt: Obwohl die erste Tarifsenkung
im Labor gar nichts brachte, gab er den Ring frei zur nächsten Runde von Labortarifsenkungen und hinterliess als Vermächtnis nach seinem Abgang den Versuch eines Verbots der direkten Medikamentenabgabe, von dem er vielleicht meinte, es brächte eine Kostenreduktion. In Wirklichkeit wird diese Massnahme sicher eine Kostensteigerung bringen, das wissen alle, die einen gewissen Einblick in die Praxisrealität haben. Die Zukunft sieht eher düster aus für den neuen Gesundheitsminister. Denn wir haben gesehen: Es handelt sich hier beinahe um Naturgesetze. Wir haben Beispiele gesehen von guten Politikern, die sich diesen «Naturgesetzen» widersetzen wollten und wie im Fall Blocher gescheitert sind. Andere, wie US-Präsident Obama, die voll guten Willens gegen diese Zwänge angetreten sind, müssen sich angesichts dieser Zwänge geschlagen geben. Es ist zu befürchten, dass unser neuer Bundesrat in dieselbe Mühle geraten wird und dass auch er sich den Naturgesetzen der Verwaltung nicht entziehen kann. Die «Injelitis» schliesslich ist eine Kombination von Ineffizienz, gepaart mit Eifersucht (jealousy), die jeden echten Fortschritt verhindert. Sobald jemand gute Ideen hat und erfolgreich ist, schlägt ihm sofort eine Welle von Eifersucht entgegen, und er hat gegen Mauern zu kämpfen, die meist unüberwindlich sind.
Unheilbare Systemlähmung? Die Parkinson-Krankheit besteht darin, dass nach einem Aktionspotenzial die Gegenreaktion, also die Bremsreaktion, die physiologischerweise gleichzeitig mit der Aktion erfolgt, etwas verspätet auftritt. Das hat zur Folge, dass der Patient zunehmend bis praktisch fast vollständig gelähmt ist. Nun haben wir aber gesehen, dass in der Verwaltung jede Initiative nach einer gewissen Latenzzeit von einer Reaktion der Gegenkräfte auf-
Präsident Dr. med. Hans-Ulrich Bürke Mürtschenstrasse 26 8048 Zürich Tel. 044-431 77 87
Vizepräsident Dr. méd. Guy Evequoz Rue du Mont 16 1958 St-Léonard Tél. 027-203 41 41
Quästor Dr. med. Thomas Zünd Bahnstrasse 16 Postfach 130 8603 Schwerzenbach Tel. 044-825 36 66
Vorstandsmitglied Dr. med. Rudolf Hohendahl Zürcherstrasse 65 8406 Winterthur Tel. 052-203 04 21
FMP im Internet: www.fmp-net.ch La version française suivra dans le prochain numéro.
gehoben wird, die zur Folge hat, dass das System gelähmt wird. Somit sind das Parkinson-Gesetz, das mit dem gleichnamigen Morbus so gar nichts zu tun hat, und die Parkinson-Krankheit eigentlich doch nicht so weit voneinander entfernt. Das Parkinson-Gesetz ist einfach eine Krankheit in der Gesellschaft, bei der jeder Aktion nach kurzer Latenzzeit ein Verhinderungspotenzial entgegengesetzt wird. Beiden ist gemeinsam, dass sie unheilbar sind, höchstens durch ganz einschneidende Medikationen eine Zeitlang eingedämmt werden können. ■
Dr. med. Thomas Zünd 8603 Schwerzenbach
1. Parkinson, C. N. (2001): Parkinsons Gesetz und andere Studien über die Verwaltung (Übers., Parkinson's Law, 1957). 2. erw. Aufl., München: Econ Taschenbücher, ISBN 3-548-75072-9
2. Peter, Laurence J; Hull, Raymond (1969). The Peter Principle: why things always go wrong. New York: William Morrow and Company. OCLC 1038496. WorldCat lists 24 editions. Vgl auch: Lazear, Edward P (2000-10-12). «The Peter Principle: Promotions and Declining Productivity» (PDF). Hoover Institution and Graduate School of Business, Stanford University. www-siepr.stanford.edu/Papers/pdf/00-04.pdf.
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