Transkript
FORTBILDUNG
Mykosen in der hausärztlichen Praxis
Häufig, harmlos und immer heilbar
Die Begleitumstände für Mykosen waren noch nie so
günstig wie heute. Hausärzte stehen diesem Thema
hautnah gegenüber — zum einen wegen der hohen
Inzidenz der Erkrankungen, zum anderen wegen des
engen ärztlichen Kontaktes zu den Betroffenen.
Die Pilzerreger sparen keine Hautregion aus. Das
Spektrum der Infektionen reicht von Fuss bis Kopf
(Dermatophyten) und von der Intertrigo bis zur
Pityriasis versicolor (Hefen). Mykosen zu behandeln,
ist eine dankbare Aufgabe, denn jede Mykose ist
heilbar.
HANS-JÜRGEN TIETZ
Infektionen durch Pilze gehören zu den häufigsten Erkrankungen. 30 Prozent aller Menschen leiden an Fusspilz, über 12 Prozent haben Nagelpilz. Hautpilze (Dermatophyten) sind ein Spiegel der Gesellschaft. Ihre Zunahme ist vorwiegend sozial bedingt: durch höhere Lebenserwartung, Zunahme von Grunderkrankungen, Haustiere, Sport, Tourismus, Vernachlässigung der Selbstmedikation (Kosten), Tabuisierung und Ignoranz. Der Arzt wird zumeist erst dann aufgesucht, wenn ein bestimmtes Mass der Erkrankung überschritten ist.
Erreger Die klassischen Erreger von Nagel- und Fussmykosen sind Trichophyton rubrum und Trichophyton interdigitale (über 90% aller Infektionen), danach folgen C. albicans und der einzige relevante Schimmelpilz Scopulariopsis brevicaulis. Dermatophyten wachsen am besten bei 25 bis 28 °C und feuchter Kälte. Befallen werden bevorzugt Füsse, Hände, Finger oder Nägel von Diabetikern, Rauchern, älteren Menschen und Patienten mit Durchblutungsstörungen (1). Da jedoch auch Kinder erkranken können, kommen Faktoren wie mechani-
sche Belastung bei Sport und Spiel, die Beschaffenheit der Schuhe und andere Risiken hinzu. Spezifische Ursache ist immer der Erreger. Die Infektionsquelle befindet sich häufig in der Familie. Überträger sind Pilzsporen, die bei -20 bis +80 ˚C überleben können, im Kühlschrank und in der Saunakabine.
Pilze breiten sich gern aus Die Hautmykosen (syn. Tinea) sind harmlose Erkrankungen. Man stirbt daran nicht, da die Erreger nie nach innen und langsam wachsen. Ihr Therapiebedarf ergibt sich aus dem Charakter der Infektion. Sie breitet sich aus, von den Füssen und Nägeln über die Leistengegend, den Bauch und Rücken, die Extremitäten, aufsteigend bis ins Gesicht, nicht selten unbegrenzt als Tinea corporis generalisata.
Merksätze
■ Jede Mykose ist heilbar. ■ Prädisponierend wirken «kalte Füsse» (Diabetiker, Herz-Kreislauf-
Patienten, Raucher, Senioren). ■ Wichtige Differenzialdiagnosen sind Psoriasis beziehungsweise
Nagelekzem (z.B. unter Betablockern, Chemotherapeutika, Formaldehyd). ■ Mykosen breiten sich von «Fuss bis Kopf» aus. ■ Es gibt keine Spontanheilung (Nagelpilz). ■ Innere Organe werden nicht befallen. ■ Topische Antimykotika sollten breit wirken (Bifonazol, Ciclopiroxolamin). ■ Die Therapiedauer bei Fusspilz sollte mindestens zwei Wochen betragen. ■ Bei Tinea corporis ist eine systemische Therapie notwendig (Fluconazol, Terbinafin). ■ Bei Onychomykose gilt: keine systemische Therapie ohne Lokalbehandlung. ■ Die Therapiedauer bei Nagelpilz sollte etwa ein Jahr betragen.
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MYKOSEN IN DER HAUSÄRZTLICHEN PRAXIS
feindlich gegenüber Depots. Sie wächst schnell und ist mit Schweiss gesättigt. Damit treibt sie Fremdkörper und nicht wasserfeste Substanzen wie Terbinafin ab. Pilze sind zudem Verwandlungskünstler. Unter dem Einfluss des Medikaments bilden sich resistente Sporen. Da diese nur alle drei bis fünf Tage auskeimen, liegt hierin ein wesentlicher Grund für die Erfordernis von Langzeittherapien bei Pilzerregern. Die Grenzen der lokalen Therapie sind erreicht, wenn die Infektion den ganzen Fuss und die Nägel befallen hat.
Abbildung 1: Interdigitalmykose, stark entzündet — vor (oben) und nach zwei Wochen Therapie (unten) mit Clotrimazol (1%) und Hydrocortison (1%). Erreger: T. rubrum. alle Fotos: Tietz
Tinea pedis Die Mykosen der Zwischenräume und des Fusses können topisch behandelt werden. Die wichtigsten Substanzen sind in Tabelle 1 aufgeführt. Bifonazol und Ciclopiroxolamin besitzen die breitesten Wirkspektren. Neben der Qualität der Substanz ist auch die Therapiedauer entscheidend. Es sollte nie zu kurz behandelt werden: wegen der hohen Rezidivgefahr möglichst nicht unter zwei bis drei Wochen (Abbildung 1). Kürzlich wurde eine Ein-Tages-Therapie mit Terbinafin eingeführt. Diese funktioniert mithilfe eines Depots. Die Haut ist allerdings
Onychomykose Von allen Pilzinfektionen ist die Erkrankung der Nägel am schwierigsten zu behandeln. Sie ist eine Altersmykose. Ab dem 65. Lebensjahr ist jeder Zweite betroffen, es erkranken jedoch auch Kinder. Die Onychomykose ist meist die Folge einer nicht behandelten Fussmykose. Therapeutisch wichtig ist die Beseitigung der infizierten Nagelsubstanz. Es gibt mehrere Optionen: 1.Extraktion des Nagels. Diese Methode ist abzulehnen. Das gefol-
terte Nagelorgan wird zudem umgehend wieder neu infiziert. 2.Laser. Hierzu bedarf es einer Anästhesie. Komplikationen
wie Nagelbettverengungen sind leider keine Seltenheit. 3.Fräsen und Lack. Ein Fräsen der Nägel ist Voraussetzung
für die erfolgreiche Behandlung mit medizinischem Lack, jedoch mit zusätzlichen Kosten verbunden. Häufig wird nicht steril gearbeitet und nur oberflächlich «gekratzt». Die Lacke enthalten Wirkstoffe wie Ciclopiroxolamin oder Amorolfin (mangelnde Erfahrung bei Kindern sowie Patienten mit Diabetes und Durchblutungsstörung). 4.Harnstoff 40 Prozent in Kombination mit Bifonazol. Diese Methode ist der Goldstandard der Selbstmedikation. Sie ist geeignet für Patienten, die sich selbst behandeln möchten. Harnstoff beseitigt die infizierte Nagelsubstanz, Bifonazol gelangt zum Infektionsort (Nagelbett) und tötet alle relevanten Erreger effektiv ab.
Tabelle 1: Moderne topische Antimykotika in Cremes, Lacken und Harnstoff und ihre Wirksamkeit Tabelle 1: gegenüber den wichtigsten Erregern von Nagel- und Hautmykosen
Erreger
T. rubrum T. interdigitale T. albicans T. brevicaulis M. canis T. mentagrophytes T. verrucosum
Bifonazol + + + + + + +
Ciclopirox + + + + + + +
Antimykotikum Clotrimazol + — + — + — —
Terbinafin + + +1 + (+)3 + +
Amorolfin + + —2 —
1 Wirkung nur gegenüber C. albicans in der virulenten Myzelphase; 2 nur einige Stämme sensibel; 3 Terbinafin ist den Azolpräparaten und Ciclopirox unterlegen.
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Tabelle 2: Haut- und Nagelmykosen: systemische Therapie in Abhängigkeit vom Erreger
1. Onychomykose
Präparat Erregerspektrum
Tag 1 bis 5 täglich (Anflutphase), danach eine Dosis pro Woche
Fluconazol T. rubrum C. albicans
150 mg
Terbinafin
T. rubrum T. interdigitale S. brevicaulis (C. albicans)1
250 mg
Itraconazol T. rubrum C. albicans S. brevicaulis
400 mg
2. Tinea der freien Haut
Präparat Erregerspektrum
1 bis 2 Wochen täglich (Anflutphase), danach eine Dosis pro Woche2
Fluconazol* T. rubrum M. canis
10 mg je kg KG
Terbinafin**
T. rubrum T. mentagrophytes T. verrucosum
250 mg (> 40 kg KG) 125 mg (< 40 kg KG)
ltraconazol*** T. rubrum M. canis
5 mg je kg KG
1 In der virulenten Myzelphase des Erregers wirksam; 2 Die Dauer richtet sich nach dem Verlauf bis zum Negativ der Kultur (M. canis!)
Die Möglichkeiten der topischen Therapie sind erschöpft, wenn mehr als drei Nägel betroffen sind oder eine Fläche von über 50 Prozent befallen ist (2). In diesen Fällen ist eine zusätzliche systemische Therapie angezeigt. Es gibt keine Altersbeschränkung. Insbesondere ältere Menschen sind Infektionsquellen, für sich selbst und für andere. In der Familie übertragen sie beides, den Erreger und die genetische Prädisposition. Die Onychomykosetherapie wird durch zahlreiche Begleitumstände erschwert (Kinder, Multimorbidität, Begleitmedikation) und sollte so schonend wie möglich erfolgen. Optimal sind Substanzen mit breitem Spektrum, guter Verträglichkeit, geringem Interaktionspotenzial und niedriger Wirkstoffmenge. Diesen Ansprüchen werden Terbinafin und Fluconazol gerecht. Es genügen 0,001 µ/ml Terbinafin, um alle relevanten
Dermatophyten abzutöten. Das in Tabelle 2 entwickelte Behandlungsmodell umfasst daher nur ein kurzes Anfluten der Substanz bei anschliessender Erhaltungsdosis von 250 mg pro Woche bis zur vollständigen Heilung (3). Die Minimaltherapie ist gut verträglich, ökonomisch und auch bei multimorbiden älteren Patienten aufgrund fehlender Interaktionen und bei Kindern anwendbar. Sie ist allerdings (noch) nicht durch Studien gestützt. Die derzeit zugelassene Therapie mit Terbinafin hat zwei Nachteile: 1.Die Dosis ist viel zu hoch und mit Nebenwirkungen behaftet. 2.Die Therapiedauer ist zu kurz. Sie sollte über die gesamte
Zeit des Nagelwachstums erfolgen und dauert etwa ein Jahr (Abbildung 2).
Fazit: Die schonende Gabe systemischer Antimykotika ist umso erfolgreicher, je gründlicher die topische Therapie erfolgt. Damit wird der Erreger von zwei Seiten «in die Zange genommen», und jede Nagelmykose wird heilbar.
Diagnostik Nagelmykosen sind klinisch meist eindeutig und eine Blickdiagnose. Vor einer systemischen Therapie sollte jedoch der Erreger bestimmt werden. Hierzu genügt es, möglichst viele feine Nagelspäne, Hautschuppen oder epilierte Haare in kleinen Briefumschlägen an ein Labor einzusenden, die nicht steril entnommen werden müssen.
Abbildung 2: Onychomykose, über 50 Prozent Befall des Nagels — vor und nach Therapie mit Harnstoff/Bifonazol über zwei Wochen und Fluconazol systemisch (150 mg pro Woche), Therapiedauer: zehn Monate. Erreger: T. rubrum.
Pilze durch Tiere (Zoonosen) Neben den von Mensch zu Mensch übertragbaren Dermatophyten gibt es weitere wichtige Erreger, die von Tieren stammen: Microsporum canis (Katze, Hund), Trichophyton mentagro-
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Abbildung 3: Infektionen vom Tier. Links: Tinea faciei bei einem 8-jährigen Jungen. Erreger: T. mentagrophytes. Infektionsquelle: Meerschweinchen. Rechts: Tinea corporis microsporica (Mikrosporie) bei einem 12-jährigen Mädchen. Erreger: M. canis. Infektionsquelle: Katze.
Systemische Therapie
In Abhängigkeit von der Erregerart ergibt sich die Wahl des
optimalen Antimykotikums (Tabelle 2). Fluconazol wirkt bei
T. rubrum, C. albicans, M. canis und ist aufgrund der ausge-
zeichneten Verträglichkeit insbesondere bei jungen Patienten
angezeigt. Fehlt eine therapeutische Alternative, ist es bei Kin-
dern ab dem 1. Lebensjahr zugelassen. Ein Nachteil ist die
Interaktion mit verschiedenen Medikamenten. Hier ist Terbi-
nafin Mittel der Wahl, speziell auch bei Erregern wie T. inter-
digitale, T. mentagrophytes und S. brevicaulis. Das breite Wirk-
spektrum eröffnet zudem die Möglichkeit der empirischen
Therapie, die in der hautärztlichen Praxis von Bedeutung ist.
Itraconazol ist aufgrund der oftmals schlechten Resorption den
erstgenannten Präparaten unterlegen.
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phytes (Meerschweinchen, Kaninchen) und Trichophyton verrucosum (Kälber). Die Übertragung erfolgt direkt an die «Kuschelstelle». Am häufigsten sind Arme, Gesicht, Oberkörper im Brustbereich befallen (Abbildung 3). Zoophile Dermatophyten dringen tiefer in die Haut ein und wachsen bei 37 °C. Zum klassischen Hautbefund (kreisrote, randbetonte, juckende, entzündliche Herde) können weitere Symptome hinzukommen: Fieber, Eiter, Lymphknotenschwellungen. Die Erreger bilden um Haare im Mikroskop gut sichtbare Sporenpakete. Dadurch sind sie sehr ansteckend. M. canis, der sehr oft von Kindern aus südlichen Urlaubsländern mitgebracht wird, kann zu Epidemien in Kinderkollektiven führen. Eine Meldepflicht besteht, wie bei allen anderen Mykosen, nicht mehr.
Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de/downloads
Korrespondenzadresse; Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Tietz Institut für Pilzkrankheiten und Mikrobiologie
D-10117 Berlin E-Mail: tietz@institut-fuer-pilzkrankheiten.de
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 4/2009. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
BEKANNTMACHUNG
Symposium «Medizin in der Manege»
Donnerstag, 3. Juni 2010, 14.00 bis 18.15 Uhr Im Zelt des Nationalzirkus KNIE (diesmal auf der Landiwiese in Zürich-Wollishofen)
Referenten: Prof. Dr. med. Paul F. Heini, Bern Prof. Dr. med. Erich Seifritz, Zürich Prof. Dr. med. Ulrich Keller, Basel Dr. med. Adrian Forster, Diessenhofen Prof. Dr. med. Roland Biedert, Biel Prof. Dr. med. Albert Gollhofer, Freiburg Dr. med. Enrique Steiger, Zürich
Sprache: deutsch
Zielgruppe: Ärzte (Allgemeinpraktiker, Internisten, Sportmediziner, Neurologen, Orthopäden, Rheumatologen, Endokrinologen), Apotheker und Physiotherapeuten
Wissenschaftliche Leitung: Dr. med. Hans Spring, Rehazentrum und Swiss Olympic Medical Center Leukerbad
Organisation: CONTENT GmbH Frau Simone Abegg Eggenwilerstrasse 13a, 5620 Bremgarten Tel. 056-648 28 00, Fax 056-648 28 01 E-Mail: simone.abegg@contenter.ch Internet: www.contenter.ch
Homepage und Online-Anmeldung: www.mepha.ch
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