Transkript
FORTBILDUNG
Fünfzig Jahre Thiaziddiuretika
Klassiker zur Blutdrucksenkung
Thiaziddiuretika senken seit mehr als einem halben
Jahrhundert zuverlässig den Blutdruck und redu-
zieren die Häufigkeit kardiovaskulärer und zerebro-
vaskulärer Ereignisse. Die Behandlungsergebnisse
sind bei jungen und alten Patienten gleichermassen
positiv, auch wenn Stoffwechselstörungen wie Hypo-
kaliämie oder Hyperglykämie auftreten können.
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Thiazide und thiazidähnliche Diuretika sind seit ihrer Einführung im Jahr 1958 die Eckpfeiler des Bluthochdruckmanagements. Nur wenige Substanzen werden seit so langer Zeit angewendet, was sowohl auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit hinweist als auch auf die Bedeutung der Salz- und Plasmavolumenkontrolle im Management der essenziellen Hypertonie. Die Behandlungsergebnisse sind bei jungen und alten Menschen konsistent positiv, auch wenn Stoffwechselstörungen wie Hypokaliämie oder Hyperglykämie auftreten können. In einem Review anlässlich des 50. Jahrestages der Markteinführung beschreiben Marvin Moser und Peter Feig (USA) die Erforschung der Thiaziddiuretika und haben wichtige Studienergebnisse zur Wirksamkeit zusammengestellt. Die Autoren weisen zudem auf Anwendungsbeschränkungen hin und diskutieren die zukünftige Entwicklung der medikamentösen Blutdrucksenkung.
Von Sulfonamiden zu Thiaziddiuretika In den Dreissigerjahren wurde entdeckt, dass Sulfonamide einen diuretischen Effekt haben, und in den folgenden Jahren erforschte man die harntreibende Wirkung des chemisch verwandten Carboanhydrasehemmers Acetazolamid (Diamox®). Auf der Suche nach weiteren Carboanhydrasehemmern stiessen Wissenschaftler dann auf Chlorothiazid, das sich als effektiveres Diuretikum mit einem unerwarteten Wirkmechanismus entpuppte. Chlorothiazid führte zu einer erhöhten Ausscheidung von Natrium statt des erwarteten Bikarbonats, denn
Chlorothiazid hemmt nicht nur die Carboanhydrase, sondern vor allem das Natriumchlorid-Kotransportsystem. In den späten Fünfzigerjahren stellte man bei der Anwendung von Chlorothiazid zur Therapie der Stauungsinsuffizienz schnell fest, dass das Diuretikum auch wirksam den Blutdruck senkt. Heute gehören Hydrochlorothiazid (Esidrex®) und das Thiazidanalgon Chlorthalidon (Hygroton®) zu den gängigsten Thiaziddiuretika.
Wirkmechanismus noch nicht ganz geklärt Trotz der überzeugenden Erfolge in der Blutdrucksenkung konnte der Wirkmechanismus der Thiaziddiuretika bis heute nicht ganz geklärt werden. Im ersten Schritt resultiert die Senkung des Blutdrucks aus einer durch das Diuretikum induzierten Verringerung des Plasmavolumens und des kardialen Outputs. Als Folge verringert sich der Gefässwiderstand, wodurch der niedrigere Blutdruck erhalten bleibt. Der kardiale Output normalisiert sich anschliessend wieder, jedoch mit leicht erniedrigtem Plasmavolumen. Der Mechanismus der Langzeitwirkung der Thiazide ist nicht bekannt.
Studien belegen Wirksamkeit und Sicherheit In der Veterans Cooperative Study wurde erstmals der Nutzen einer antihypertensiven Therapie bei mittlerem bis schwerem Bluthochdruck belegt. Bei Patienten mit einem diastolischen
Merksätze
■ Für das klinische Ergebnis ist das Ausmass der Blutdrucksenkung wichtiger als die ausgewählte Medikamentenklasse.
■ In Kombination mit anderen Medikamenten wie ACE-Hemmern, Betablockern oder Angiotensin-II-Rezeptorblockern kann der Blutdruck besser gesenkt werden als mit Diuretika alleine.
■ Ein antihypertensives Therapieregime mit mehreren Substanzen sollte immer ein Diuretikum beinhalten.
■ Bei eingeschränkter Nierenfunktion sollten statt Thiaziddiuretika Schleifendiuretika gegeben werden.
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FÜNFZIG JAHRE THIAZIDDIURETIKA
Wert über 105 mmHg führte die medikamentöse Behandlung zu einer signifikanten Abnahme der Inzidenz von Tod, Schlaganfällen und kardiovaskulären Ereignissen. Als blutdrucksenkendes Regime diente die Kombination aus einem Thiaziddiuretikum, Reserpin und Hydralazin-Hydrochlorid. Im Hypertension Detection and Follow-Up Program konnte später gezeigt werden, dass eine Blutdrucksenkung auch bei leichtem und mittlerem Hochdruck (diastolische Werte von 90 bis 105 mmHg) mit einem Rückgang an Schlaganfällen, koronaren Ereignissen und damit assoziierten Todesfällen verbunden war. Die positive Wirkung konnte sogar bei nur leicht erhöhten diastolischen Werten von 90 bis 104 mmHg beobachtet werden. Das Systolic Hypertension in the Elderly Program (SHEP) war die erste randomisierte Studie, in der nachgewiesen werden konnte, dass auch die Senkung eines isoliert erhöhten systolischen Wertes (> 160 mmHg, diastolisch < 90mmHg) Schlaganfälle und andere kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren kann. In SHEP wurde eine stufenweise Therapie mit niedrig dosiertem Chlorthalidon als erstem Medikament durchgeführt. Mit durchschnittlich 72 Jahren waren die Teilnehmer älter als in vielen anderen Studien. Der Nutzen einer Blutdrucksenkung in noch höherem Alter wurde anschliessend in Hypertension in the very Elderly (HYVET) mit Patienten über 80 Jahren untersucht. Als Therapieregime wurde Indapamid (Fludex® SR und Generika) mit oder ohne zusätzlichen ACE-Hemmer angewendet. Die Studie ergab, dass auch bei sehr alten Menschen die Inzidenz von Schlaganfällen, kardiovaskulären Ereignissen und Herzinsuffizienz durch eine Senkung des Blutdrucks mit Diuretika reduziert werden kann. Thiaziddiuretika genauso wirksam wie neuere Substanzen Im Rahmen von Antihypertensive and Lipidlowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial (ALLHAT), der bislang grössten Blutdruckstudie, wurde die Wirksamkeit einer Initialtherapie mit unterschiedlichen Antihypertensiva im Hinblick auf den Verlauf kardiovaskulärer Erkrankungen untersucht. Alphablocker erwiesen sich in dieser Studie als am wenigsten effektiv. In den gut wirksamen Klassen der Diuretika, der Kalziumkanalblocker (CCB) und der ACE-Hemmer wurden bezüglich des primären kardiovaskulären Ergebnisses (tödliche und nicht tödliche Ereignisse) keine Unterschiede beobachtet. Allerdings erlitten Patienten, die ein Diuretikum (Chlorthalidon 12,5–25 mg/d) als Initialtherapie erhalten hatten, weniger häufig Schlaganfälle und Herzinsuffizienz als die mit ACE-Hemmern behandelten, und es traten seltener Ereignisse aufgrund von Herzinsuffizienz auf als unter Kalziumkanalblockern. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass diuretikabasierte Therapieregime genauso effektiv sind wie ACE-Hemmer und Kalziumkanalblocker und bei manchen Patienten sogar besser wirken als die neueren Medikamente. Aufgrund der Ergebnisse aus ALLHAT, SHEP und weiteren Studien wurden Diuretika vom US-amerikanischen Seventh Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation and Treatment of High Blood Pressure (JNC-VII) als Medikamente der ersten Wahl für die meisten Bluthochdruckpatienten empfohlen. Metabolische Nebenwirkungen haben keine klinische Relevanz Nebenwirkungen wie Hypokaliämie und Hyperglykämie werden nach Ansicht der Autoren oft überbewertet und schmälern den Nutzen der Thiaziddiuretika nicht. So wurde in SHEP unter Chlorthalidon bei Diabetikern eine ausgeprägtere Reduzierung an tödlichen und nicht tödlichen Herzinfarkten (-54% und -26%) und bezüglich der Gesamtsterblichkeit beobachtet als bei nichtdiabetischen Patienten (-23% und -15%). Die positiven Ergebnisse der Diuretikatherapie wurden etwas relativiert, da es bei manchen Patienten zur Hypokaliämie kam, die klinischen Ergebnisse der behandelten Patienten waren aber dennoch besser als die der Plazebogruppe. Zudem bestand ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Hypokaliämie und der Dosierung des Chlorthalidons, sodass heute niedrigere Dosierungen angewendet werden, die seltener zur Hypokaliämie führen. In ALLHAT wurde unter Chlorthalidon eine etwas höhere Rate an neu aufgetretenem Diabetes beobachtet als bei anderen Antihypertensiva. Andererseits kam es unter Diuretika seltener zur Herzinsuffizienz als bei Kalziumkanalblockern, und die Inzidenz von Schlaganfall und Herzinsuffizienz war niedriger als bei der Behandlung mit ACE-Hemmern. Insgesamt erreichen die metabolischen Nebenwirkungen der Thiaziddiuretika in Studien keine klinische Relevanz, meinen die Autoren. Dies gilt vor allem bei niedriger Dosierung von Chlorthalidon (12,5–25 mg/Tag) oder Hydrochlorothiazid (25–50 mg/Tag). Erreichter Zielwert wichtiger als Wahl des Medikaments Bei manchen Personen, beispielsweise bei Patienten mit diabetischer Nephropathie, kann die Anwendung von ACE-Hemmern oder Angiotensin-II-Rezeptorblockern (ARB) verträglicher sein. Allerdings war in Studien zu ACE-Hemmern oder ARB bei Patienten mit Nephropathie oder linksventrikulärer Hypertrophie meist die Zugabe von Diuretika zur ausreichenden Senkung des Blutdrucks erforderlich. Inzwischen ist gut belegt, dass für das klinische Ergebnis des Patienten das Ausmass der erzielten Blutdrucksenkung wichtiger ist als das jeweilige Medikament. Schleifendiuretika bei eingeschränkter Nierenfunktion Von allen Diuretika werden Thiaziddiuretika derzeit am häufigsten zur Blutdrucksenkung angewendet, ausser bei eingeschränkter Nierenfunktion. In diesen Fällen sollte ein Schleifendiuretikum gegeben werden. Normalerweise werden Schleifendiuretika aufgrund ihrer kurzen Wirkzeit jedoch nicht zur Initialtherapie des Bluthochdrucks eingesetzt. ARS MEDICI 4 ■ 2010 159 FORTBILDUNG In Kombination noch wirksamer Werden Diuretika in Kombination mit anderen Medikamenten wie Betablockern, ARB oder ACE-Hemmern verabreicht, ist der blutdrucksenkende Effekt noch ausgeprägter und somit das klinische Ergebnis besser. Allgemein wird deshalb in vielen Richtlinien empfohlen, dass ein blutdrucksenkendes Regime mit mehreren Substanzen auch immer ein Diuretikum beinhalten sollte. Anwendungsrückgang nicht gerechtfertigt Trotz des guten Wirkprofils wurden Thiaziddiuretika während der letzten 30 Jahre immer seltener angewendet. Die Autoren nehmen an, dass möglicherweise für Thiaziddiuretika zu wenig und für andere Substanzen sehr viel mehr geworben wird. Zudem vermuten sie, dass viele Ärzte die metabolischen Nebenwirkungen als zu gravierend einschätzen oder durch die Verschreibung neuerer Medikamente «up-to-date» sein wollen. Die Autoren gelangen zu dem Schluss, dass Thiaziddiuretika sicher und wirksam sind und deshalb im Management der Hypertonie auch weiterhin angewendet werden sollten. Ein besseres Verständnis der molekularen Mechanismen und der genetischen Dispositionen im Zusammenhang mit Blut- hochdruck könnte zukünftig die Entwicklung noch besserer Blutdrucksenker ermöglichen. ■ Interessenkonflikte: keine deklariert Moser Marvin, Feig Peter U: Fifty Years of Thiazide Diuretic Therapy for Hypertension, Arch. Intern. Med. 2009; 169 (20): 1851—1856. Petra Stölting BEKANNTMACHUNG Der kardiovaskuläre Risikopatient im Fokus der hausärztlichen Praxis — eine fallbasierte Fortbildung Donnerstag, 18. Februar 2010, 14.00 bis 17.00 Uhr, Hotel Einstein, Berneggstrasse 2, 9000 St. Gallen Ein Fortbildungsangebot von Menarini, in Medienpartnerschaft mit DoXMedical Die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Spezialisten und Hausärzten aus der Region bildet seit je die Basis der hausärztlichen Fortbildung. Menarini kommt dieser bewährten und effizienten Form der Fortbildung entgegen und organisiert, zusammen mit der Fachzeitschrift «DoXMedical», eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema «Hypertoniebehandlung unter spezieller Beru¨cksichtigung von Diagnostik und Therapie bei begleitenden Erkrankungen». Als Referenten engagieren sich kompetente und bekannte Fachleute aus der Region. Sie garantieren hoch stehende Veranstaltungen und praxisnahe Diskussionen. Programm: 13.30—14.00 Uhr Begrüssungskaffee Begrüssung durch den Moderator Herr Dr. Brändle 14.00—14.40 Uhr PD Dr. med. Hans Rickli Chefarzt fur Kardiologie, Kantonsspital St. Gallen Hypertonie-Guidelines und die Umsetzung in der Praxis, einschliesslich Präsentation von etwa zwei Fallbeispielen und Diskussionsrunde 14.40—15.20 Uhr PD Dr. med. Michael Brändle Leitender Arzt, Kantonsspital St. Gallen Der schwierige Diabetespatient mit Zusatzerkrankungen — ein Problem kommt selten allein, einschliesslich Präsentation von etwa zwei Fallbeispielen und Diskussionsrunde 15.20—15.40 Uhr Kaffeepause 15.40—16.20 Uhr Dr. med. Reto Engel FMH Kardiologie, St. Gallen Vorhofflimmern einschliesslich Präsentation von zwei Fallbeispielen und Diskussionsrunde 16.20—17.00 Uhr Dr. med. Françoise-Isabelle Binet Leitende Ärztin, Kantonsspital St. Gallen Grundlagen der diabetischen Nephropathie in der hausärztlichen Praxis, einschliesslich Präsentation von etwa zwei Fallbeispielen und Diskussionsrunde 17.00—19.00 Uhr Apéro SGAM und SGIM: je 3 Credits 160 ARS MEDICI 4 ■ 2010