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Arsenicum: Sabbatical
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Der alte Hausarzt, nämlich ich, ist völlig unpassend und untypisch in die Ferien gefahren. Ende Januar. Nach Asien. Für mindestens drei Monate ... Ja, deutlich mehr als seine üblichen 14 Tage, die der Schweizer Family-Doctor aus dem unterversorgten Gebiet sich sonst forttraut. Es ist ihm nicht leicht gefallen, aber man hat es ihm leicht gemacht. In seiner Praxis arbeitet ein menschlich und fachlich exzellenter Vertreter, dem er vertraut.
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Sabbatical

arsenicum
D er alte Hausarzt, nämlich ich, ist völlig unpassend und untypisch in die Ferien gefahren. Ende Januar. Nach Asien. Für mindestens drei Monate ... Ja, deutlich mehr als seine üblichen 14 Tage, die der Schweizer Family-Doctor aus dem unterversorgten Gebiet sich sonst forttraut. Es ist ihm nicht leicht gefallen, aber man hat es ihm leicht gemacht. In seiner Praxis arbeitet ein menschlich und fachlich exzellenter Vertreter, dem er vertraut. Den die Patienten und Patientinnen gern haben. Keiner hat gemeckert, wie sie es sonst immer beim zweiwöchigen Jahresurlaub zu tun pflegen, den der Hausarzt zu nehmen wagte. Im Gegenteil. Nach 30 Jahren Praxis gönnen sie ihm die längere Auszeit. «Sie haben recht! Sollte mir ein Beispiel daran nehmen!», ist die allgemeine Meinung. Sogar die Kollegen freuen sich. Ermuntern ihn, den bekannten Workoholic, zu mehr Hedonismus. «Wurde Zeit», knurren sie. «Wir haben schon auf deinen Herzinfarkt gewartet.» Sein Freund und Vorbild, ebenfalls Allgemeinarzt, schenkt ihm wunderbare Reiselektüre und einen Zen-Sandkasten en miniature. Damit sich der Hausarzt weniger aufregt oder Wartezeiten auf Flughäfen überbrückt? Kollegin Evelyne, im Osten Deutschlands sozialisiert, sagt es deutlich, obwohl sie Psychiaterin ist. «Hau ab! Meinst du, du wärst unersetzbar?» Nein, meint der Hausarzt nicht. Aber bünzlihaft, umwelt- und pflichtbewusst ist er. Der Fernflug macht ihm, dem Velo- und ÖV-Fahrer, ein schlechtes Gewissen. Und wer schreibt das Arsenicum? Dr. Uwe Beise will nicht einspringen. Verleger Dr. Richard Altorfer lächelt. «Du schreibst einfach süss-saure Kolumnen von der Reise. Wie Peter Achten. Und kommst nachher voller neuer Ideen zurück.» Der Hausarzt ist geschmeichelt, mit einem so eminenten Journalisten verglichen und für kreativ gehalten zu werden. Kollege Dr. Halid Bas befürchtet, dass der Arsenicumschreiber vor lauter Wohlleben nicht mehr böse schreibt oder gar nach Asien emigriert. (Quatsch, der kommt zurück, bleibt giftig, und ist wegen den Kokos- und Cashewnüssen vermutlich noch dicker. Anm. d. Layouters). Der Hausarzt freut sich monatelang an der Vorfreude. In den wenigen Momenten, in denen er Zeit dazu hat. Denn es gibt eine Menge vorzubereiten. Er versteht

jetzt seine beiden Urgrossmütter, für die ihre gemeinsame Italienreise DAS Ereignis ihres Lebens war. Er wälzt Reiseprospekte. Nervt mit ständigen neuen Ideen den Herrn Carrasco vom Reisebüro Hotelplan, einen wahren Meister der Geduld. Die Frau des Hausarztes hat schliesslich alles gebucht. Die Höhenflüge ihres Fernwehgepackten gestoppt, der den Iran, Dubai, Indien in die paar Wochen hineinstopfen wollte, lauter Rundreisen aussuchte, den Fuji besteigen, den Mekong durchschiffen und die Heimat des Dalai Lama besuchen wollte. Plus Abstecher nach Australien. «Ist ein anderer Kontinent. Vergiss es. Und Tadsch Mahal auch. Diesmal nicht. Wäre überladen. Im Iran knallt es gerade. Und Dubai ist pleite. Wir fliegen durch bis Bangkok. Und dann erst mal faul erholen am Meer!», entscheidet sie mit dem Pragmatismus, für den er sie liebt. Seine Patienten gaben Tipps. Ausser ihm war jeder schon mal da. Weiss jeder, wo man in Pattaya die beste Pizza isst. Er weiss erst jetzt, wo das auf der Landkarte liegt. Staunt. Gönnt sich und seiner Frau einen obszönen Luxus. Eine Nacht im Mandarin Oriental Hotel. Als sie auf der Flussterasse frühstücken, sich wie in den Flitterwochen fühlen, fährt ein Touristenboot vorbei. Der deutschsprachige Fremdenführer zeigt mit dem Finger auf sie und kräht: «Diese Leute zahlen 300 Euro pro Nacht!» Alle starren den Hausarzt und seine Frau an, diese schwerreichen Bonzen. «Was soll das kosten?», hatte er sich tatsächlich gefragt, bevor es losging. Doch Herr Carrasco hatte ihn beruhigt und günstige Angebote kombiniert. Am meisten aber hatte der 24-jährige Sohn des Hausarztes zur Finanzierung beigetragen, als er das schöne Auto seiner Mutter zu Schrott fuhr. Unverletzt, ohne Schuld, aber doch zerknirscht entstieg er ihm. Was die AllianzVersicherung an Schadenssumme auszahlte, wird jetzt beim Sabbatical verplempert. Verreist. Durch die Gurgel gejagt. Denn für ein neues Auto der gleichen Marke war es zu wenig. Und für Ferien in Grächen zu viel. Diese Destruktion gab den Anstoss, den langgeträumten Plan des Sabbaticals in die Tat umzusetzen …

134 ARS MEDICI 4 ■ 2010