Transkript
FORUM
Was Hausärzte von MacDonald’s lernen könnten
Das fehlende Profil der Hausarztpraxis als Wettbewerbsnachteil im Notfalldienst
Walter Grete
Die Erstversorgung verlagert sich zusehends in die Spitäler Kritik an den Hausärzten ist selten. Ihr Wissen, ihre Fertigkeiten und ihr Engagement werden kaum infrage gestellt. Ihre Klientel ist arzttreu, oft etwas überaltert. Die Patientinnen und Patienten sind mit «meiner» Ärztin, mit «meinem» Arzt sehr zufrieden, sonst hätten sie längst gewechselt. Und doch, immer deutlicher verlagert sich die Erstversorgung bei Neuerkrankungen und gesundheitlichen Störungen — vor allem zur Unzeit — in die Spitäler. Die Notfallambulatorien dieser Institutionen quellen über. Sie werden deshalb landesweit personell und baulich mit Steuergeldern aufgerüstet, denn lange Wartezeiten und harzige interne Abläufe schaden dem Ruf des lokalen Spitals. Weil dort breit ausgebildete Triageärzte fehlen, besinnen sich die Verantwortlichen an Spitälern auf ihre hausärztlichen Zuweiserinnen und Zuweiser und gestalten die Notfallversorgung an der Spitalpforte zusammen mit «ihren» Hausärzten — zum gegenseitigen Nutzen. Wirklich?
Der Trend zur Institution nimmt zu Obschon an den Notfallstationen der öffentlichen Spitäler bisher Assistenzärzte in Weiterbildung die Frontarbeit besorgten, die Einrichtungen und auch die Organisation oft suboptimal waren, die Wartezeiten die Patienten und Angehörigen belasteten und die Abklärungs- und Behandlungspfade sehr komplex, hierarchisch gesteuert und auch teuer waren, hat der Trend zu diesen Institutionen un-
aufhaltsam zugenommen. Die gegenwärtige Qualitätsverbesserung der spitalbasierten Notfallversorgung wird den Trend zur Institution zusätzlich beschleunigen. Diese Entwicklung leitet eine sanfte, aber grundlegende Veränderung der ambulanten Gesundheitsversorgung in unserem Land ein.
Eine Systemveränderung wird augenfällig Die Gründe sind mannigfaltig. Meine Praxismitarbeiterinnen versuchten jeweils die Patienten zu informieren oder vielmehr zu erziehen. Dies ist natürlich ein erfolgloses, beinahe naives Unterfangen. Als Ursache für diesen unaufhaltsamen Trend zur Institution als Anlaufstelle bei gesundheitlichen Störungen in den Städten und in der Agglomeration werden Usanzen in anderen Ländern mit anderen Gesundheitssystemen, die moderne Ungeduld, die medial geschürten Krankheitsängste, eine «Tankstellenshoprund-um-die-Uhr-Mentalität» und komplizierte Telefonbeantwortersysteme in den Praxen genannt. Zentral ist jedoch das uneinheitliche Bild über die Leistungsfähigkeit der Arztpraxen in der Grundversorgung. Zugegeben, Spezialisten haben es einfacher, ein spezifischer FMH-Titel grenzt das Arbeitsgebiet ein und deutet das Angebot an. Dennoch, die Leistungsfähigkeit der notfalldienstleistenden Praxen ist nicht definiert.
Die Marke «Hausarzt» ist kaum definiert Hauptproblem ist zweifellos das weit auseinander klaffende Leistungsangebot der Grundversorgerpraxen. Die Indi-
Walter Grete
vidualität der hausärztlichen Praxis hat massiv zugenommen. Das Spektrum der Grundversorger reicht von der psychosomatischen Sprechstunde mit alternativmedizinischer Ausrichtung über die nicht operative Gynäkologie durch hochspezialisierte Kolleginnen ohne FMH-Zertifikat bis zum nicht invasiven Krampfaderndoktor — kurz, den Grundversorgerpraxen fehlt das Gesicht und damit die Kontur des Leistungsangebots. Die Marke «Hausarzt» ist für den «Marktteilnehmer» nicht definiert. Weiterbildungsengpässe, knappe Mittel zur Praxiseinrichtung und eine Standespolitik, die alle Ärzte zur allgemeinen Notfalldienstleistung drängte, haben die Marke Hausarzt als Anlaufstelle für viele Patienten massiv beschädigt. Viele Notfallpatienten erlebten den Notfalldienst in den letzten Jahren als lästigen, zeitraubenden und auch teuren Umweg ins Spital:
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■ «Nein wir nähen keine Wunden.» ■ «Ein verstopfter Katheter? Das ist
Sache der Spitex.» ■ «Nein, wir nehmen keine Kinder unter
16 Jahren.» ■ «Unterleib? Dafür ist der gynäkologi-
sche Notfalldienst zuständig.» ■ «Nein, wir röntgen nicht.» ■ «Hausbesuch? Wenn er nicht zu mir
kommen kann, gehört er ohnehin ins Spital!» ■ «Kratzen im Auge, melden Sie sich beim Augenarzt.»
Sie kennen alle die Aussagen der Patienten. Hinzu kommen ärztliche Ängste, geschürt durch Haftpflichtbedenken und natürlich die Hinweise und Empfehlungen der Medien, sicherheitshalber doch immer gleich 144 zu wählen. Auch die öf-
fentlichen Klagen über unerträgliche ärztliche Arbeitszeiten führen zur Schonung des Hausarztes durch feinfühlige Patienten.
Was ist in dieser Situation zu tun? Die Prognose für die hausärztliche Einzelkämpferpraxis als institutionalisierte Anlaufstelle im Notfalldienst ist — abgesehen von wenigen abgelegenen Bergregionen — schlecht. Die Professionalisierung der ambulanten Notfalldienste erfordert ein Leistungsspektrum, das die Einzelpraxis längerfristig nicht mehr anbieten kann, vielleicht auch nicht anbieten soll. Nur ein Zusammenschluss von Ärztinnen und Ärzten, die diese Anlaufstellen mit einheitlichem Angebot und Marktauftritt pflegen, wird Bestand haben. Der Patient (wirtschaftlich ausge-
drückt der Kunde) muss wissen, was er
wo erwarten darf. MacDonald’s macht es
vor: Ein einheitliches, erkennbares Logo,
ein uniformierter Auftritt, eine klare Pa-
lette bei den Angeboten, flächende-
ckende Qualitätsvorgaben und trans-
parente Preise sind die Garanten des
Erfolgs. Es ist zu wünschen, dass die
kommende Generation der Hausärzte
diese Chance nicht verpasst und das Feld
der Anlaufstellen nicht allein den staatli-
chen Institutionen überlässt, denn die
ärztliche Anlaufstelle lenkt die weiteren
Behandlungspfade.
■
Dr. med. Walter Grete Allgemeinmedizin FMH
8184 Bachenbülach E-Mail: walter.grete@hin.ch
BEKANNTMACHUNG
Schweizerische Gesellschaft für Innere Medizin Société Suisse de Médecine Interne Società Svizzera di Medicina Interna Swiss Society of Internal Medicine
Weiter- und Fortbildungskurs der SGIM vom 17.—18. März 2010
Innere Medizin in Praxis und Klinik — News & Basics
18 interaktive Workshops z.B. ■ Wenn die Lunge pfeift:
Update obstruktive Lungenerkrankung Peter Dür, Baar ■ Neue und mühsame Erreger, zunehmend auch in der Praxis Marco Rossi, Luzern ■ Das schwierige EKG David Ramsay, Baar ■ Akutes Nierenversagen — Fallbeispiele und diagnostische Hilfsmittel Rahel Pfammatter, Baar ■ Altbekannte und «moderne» Notfälle in der Onkologie Teresa De Zulueta, Baar ■ Erhöhte Leberwerte — was tun? Martin Diem, Baar ■ Welche Antibiotika braucht es überhaupt in Praxis und Klinik? Markus Vogt, Baar
5 Hauptreferate ■ Rheumatologie-Update
Beat Michel, Zürich ■ Pneumologie-Update
Thomas Geiser, Bern ■ Neue Trends bei sexuell ubertragbaren Krankheiten (STIs)
Stephan Lautenschlager, Zürich ■ Neues aus der Kardiologie
David Ramsay, Baar / Georges Borek, Zug ■ Hepatitis — ein Update für die Praxis
Darius Moradpour, Lausanne
Anerkennung: 10 Credits SGIM / volle Fortbildungsdauer anrechenbar SGAM
Tagungspräsident: Prof. Dr. med. Markus Vogt, Baar Tagungsort: Parkhotel Zug Informationen und Anmeldung: www.congress-info.ch/sgimfbk2010
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