Transkript
FORTBILDUNG
Acne vulgaris im Jugendalter
Differenzialdiagnose und therapeutische Optionen
Acne vulgaris ist im Jugendalter ausgesprochen weit-
verbreitet. Das «Pickelgesicht» bedeutet häufig eine
grosse psychosoziale Belastung, die zu sozialem
Rückzug bis zur Depression bei Betroffenen führen
kann. Dabei ist durch die richtig gewählte medika-
mentöse Behandlung in den meisten Fällen eine
deutliche Linderung bis Heilung der Hauterkrankung
möglich.
LISA WEIBEL UND BÄRBEL HIRRLE
Eine leichte Akne tritt passager meist schon im Säuglingsalter in den ersten 1 bis 3 Lebensmonaten auf, überwiegend bedingt durch mütterlich übertragene Androgene (Acne neonatorum). Auch im Vorschulalter kann eine Akne auftreten (Acne infantum), was jedoch sehr selten ist und eine aktive Behandlung erfordert. Im Jugendalter (Pubertät bis zum frühen Erwachsenenalter) sind dagegen fast alle, zirka 85 Prozent der Knaben und Mädchen, zu irgendeinem Zeitpunkt betroffen, die jungen Männer meist schwerer als die Mädchen und jungen Frauen. Der Grossteil der milden Akneerscheinungen im Jugendalter hat keinen eigentlichen Krankheitswert, im Gegensatz zur Akne mit ästhetischer Beeinträchtigung und mit entzündlicher Aktivität, welche zu Vernarbungen führt. Die sogenannte Spätakne des Erwachsenenalters nimmt derzeit zu, ist aber vergleichbar selten und betrifft zirka 12 Prozent der Frauen und 3 Prozent der Männer (Durchschnittswerte im Alter von 44 Jahren). Eine Aknetherapie gemäss den heute etablierten Therapiealgorithmen hat sich bewährt; bei schweren Formen kann dadurch eine Narbenbildung nach Abheilung des Akutstadiums verhindert werden. Leichtere Akneformen lassen sich mit Lokaltherapeutika gut behandeln. Bei adoleszenten Mädchen können auch orale Kontrazeptiva mit antiandrogen wirkendem Gestagen eine «elegante Monotherapie» darstellen.
Multifaktorielle Pathogenese Die Pathogenese der Akne ist nicht im Detail geklärt. Folgende vier Faktoren, individuell unterschiedlich ausgeprägt, sind für die Akneentstehung jedoch hauptverantwortlich: ■ follikuläre Keratinisationsstörung ■ Seborrhö ■ Proliferation von Propionibacterium acnes ■ inflammatorische Reaktion.
Bei der Acne vulgaris handelt es sich um eine genetisch bedingte Verhornungsstörung und erhöhte Talgdrüsenaktivität. Waren beide Elternteile im Jugendalter von Akne betroffen, liegt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens beim Kind bei 50 Prozent und mehr. Hormone, das heisst Androgene (DHEAS), sind Auslöser für die erhöhte Talgproduktion, was wiederum für das Auftreten der Akne in der Pubertät verantwortlich ist. In seltenen Fällen ist die Akne Symptom eines polyzystischen Ovarialsyndroms (PCOS) oder eines androgenitalen Syndroms (AGS), und ganz selten sind ovarielle oder adrenale hormonproduzierende Tumoren Auslöser der Hautläsionen. Daneben wirken äussere Einflüsse akneverstärkend: Insbesondere Medikamente – Antiepileptika (Phenytoin), vermehrte Zufuhr der Vitamine B1, B6, B12, wie auch Steroide und Anabolika, Lithium und Tuberkulostatika – können Akne verursachen. Des Weiteren können Kosmetika, starke oder auch mangelnde Sonnenstrahlung sowie Stress (Prüfungssituationen!) Trigger sein. Dagegen existieren keine Beweise für den ungünstigen Einfluss von Ernährungsgewohnheiten. Weder für stark fettnoch kohlehydratreiche Speisen oder einen erhöhten Milchkonsum konnte eine sichere Assoziation bezüglich des Schweregrads der Akne nachgewiesen werden. Entgegen vielfachen Annahmen gibt es somit keine Basis für Diätmassnahmen im Behandlungskonzept der Akne.
Diagnostik Die Diagnose wird primär klinisch gestellt, das klinische Bild zeigt sich in den charakteristischen follikulär gebundenen Papulopusteln und Komedonen. Die Komedonen sind wegweisend in der Differenzialdiagnose, beispielsweise zur Abgrenzung einer perioralen Dermatitis oder Rosazea. Eine Bakteriologie und/oder Mykologie kann sinnvoll sein, um eine Beteiligung von gramnegativen Keimen oder einer Pityrosporuminfektion entsprechend behandeln zu können. Bei Frauen
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A C N E V U L G A R I S I M J U G E N DA LT E R
Tabelle: Therapie der ersten Wahl für verschiedene Schweregrade der Acne vulgaris
Acne comedonica topisches Retinoid (1)
Leichte Acne papulopustulosa
Mittelschwere Acne papulopustulosa
topisches Retinoid (1) und Benzoylperoxid (2) und/oder topisches Antibiotikum (3)
topisches Retinoid (1) und Benzoylperoxid (2) und orales Antibiotikum (4) und/oder orales Antiandrogren (für Frauen) (5)
Schwere Acne papulopustulosa/ Übergang in Acne nodulocystica
orales Isotretinoin (6) (0,5 mg/kg KG) und orales Kontrazeptivum mit Antiandrogen (für Frauen) (5)
Acne conglobata
orales Isotretinoin (6) (0,5—1,0 mg/kg KG) und orales Kontrazeptivum mit Antiandrogen (für Frauen) (5)
Substanz- und Handelsnamen: (1) z.B. Adapalen (Differin® Creme/Gel), Isotretinoin (Roaccutan® Gel) (2) Benzoylperoxid (z.B. Lubexyl® Waschlotion, Acne Crème Widmer Plus®, Benzac® Gel), Duac® Akne Gel (3) topische Antibiotika: z.B. Clindamycin (Dalacin T® Lösung), Erythromycin (Eryaknen® Gel, Aknemycin® Lösung), Duac® Akne Gel (4) orale Antibiotika: z.B. Lymecyclin (Tetralysal®), Doxycyclin (Doxycylin®), Minocyclin (Minocin-Akne®), Erythromycin (Erythrocin®) (5) Antiandrogene: z.B. Cyproteronacetat (Androcur®, Diane-35®), Spironolacton (Aldactone®), kombinierte Kontrazeptiva (Yasmin®, Belara®, Minerva®, Gracial®)
sind Zyklusanomalien und der Behaarungstyp (Hirsutismus) wegweisend für weitere hormonelle Abklärungen zum Ausschluss eines ursächlichen PCOS oder AGS. Die Differenzialdiagnose der Akne umfasst folgende Hauterkrankungen: periorale Dermatitis, Rosazea, seborrhoisches Ekzem, Verrucae planae, Milien, Follikulitis und Varizelleninfektion.
Therapeutisches Vorgehen Die Therapie ist dem Schweregrad der Akne respektive der Akneform anzupassen. Dabei handelt es sich in der Regel um eine Kombination verschiedener lokal und/oder oral anzuwendender Substanzen sowie um Begleitmassnahmen zur Hautpflege. Eine Übersicht über den Algorithmus der Therapie der ersten Wahl – mit einer Liste einiger geeigneter Substanzen/Handelspräparate – bei den verschiedenen Akneformen im Jugend- bis zum frühen Erwachsenenalter wird in der Tabelle gegeben.
Allgemeine Begleitmassnahmen zur Hautreinigung und -pflege Bei allen Akneformen sind mit den Patienten Begleitmassnahmen zu besprechen, welche bei konsequenter Beibehaltung die Behandlung unterstützen. Hierzu gehören vor allem: ■ milde Reinigung morgens und abends von Gesicht und
betroffenen Hautpartien (z.B. mit Dermed® Waschlotion, Lubex® Waschlotion) ■ Verzicht auf zu fettige Grundlagen (Salben, Pomaden); besser Verwendung von Cremes, Fluids oder Lotionen (z.B. Linola halbfett® Emulsion, Normaderm® Pflegecreme, Effaclar H®) ■ eventuell Verwendung von Abdeckfarben (-stiften) (z.B. Akne-med Wolff®, Acnecolor®)
Abbildung 1: Acne comedonica
Abbildung 2: Acne papulopustulosa mit Vernarbungen
■ Vermeidung eigener Manipulationen der Läsionen (bei Acne comedonica kann eine sogenannte Aknetoilette durch eine kosmetische Fachperson nützlich sein).
Topische Medikamente bei leichten Formen Bei Acne comedonica und anderen leichteren Akneformen steht die topische Therapie an erster Stelle. Topische Retinoide (Adapalen, Isotretinoin) bilden die Basis jeder Aknetherapie bei diesen Schweregraden. Es gilt dabei, wichtige Anwendungsregeln zu beachten und die Patienten darüber aufzuklären, um die Compliance über die lange Behandlungsdauer sicherzustellen. Die topischen Retinoide sind grossflächig auf das gesamte Hautareal aufzutragen, am besten jeden Abend nach der Hautreinigung. Es kommt oft initial zu einer Hautirritation, welche sich bei Gewöhnung der Haut mit der Zeit einstellt. Bei zu starker Reaktion und empfindlicher Haut sollte die Retinoidcreme nur jeden zweiten Tag aufgetragen werden. Bei Auftreten von entzündlichen Aknepusteln wird das topische Retinoid mit Benzolperoxid kombiniert, welches antibakteriell wirkt. Auch diese Substanz geht initial mit einer leichten
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Abbildung 3: Acne nodulocystica/conglobata Abbildung 4: Acne conglobata
Hautirritation als Begleitwirkung einher und verursacht bei entsprechendem Kontakt eine Wäscheverfärbung. Eventuell kann zusätzlich ein topisches Antibiotikum – lokales Clindamycin oder Erythromycin – aufgetragen werden, um den antimikrobiellen Effekt zu verstärken. Neu steht uns mit Duac® Akne Gel ein Kombinationspräparat mit Clindamycin und Benzoylperoxid zur Lokaltherapie zur Verfügung. Zu beachten ist, dass lokale Antibiotika bei Akne keine Monotherapie darstellen und nicht dauerhaft angewendet werden sollen. Um den Effekt einer lokalen Aknetherapie zu beurteilen, ist aber generell eine minimale Therapiedauer von 3 Monaten angezeigt und die Compliance wiederholt zu überprüfen.
Systemische Behandlung bei mittelschweren bis schweren Formen Bei mittelschwerer Akne oder wenn die alleinige lokale Therapiekombination nicht (genügend) angesprochen hat, kann zusätzlich ein orales Antibiotikum – zum Beispiel ein Tetrazyklin (Achtung: keine Anwendung vor dem 10. Lebensjahr!) oder Erythromycin – eingesetzt werden. Zu beachten ist wiederum eine maximale Therapiedauer von 12 bis 16 Wochen. Bei Absetzen muss mit einem Rezidiv der Akne gerechnet werden. Bei Frauen kann alternativ oder zusätzlich mit einem oralen Antiandrogen – in der Regel Cyproteronacetat oder kombinierte Kontrazeptiva mit antiandrogen wirksamem Gestagen (Yasmin®, Belara®, Minerva® oder Gracial®) – behandelt werden. Besteht ein ausgeprägter psychosozialer Leidensdruck, Vernarbungstendenz oder eine Acne nodulocystica/Acne conglobata, ist die Gabe von oralem Isotretinoin (z.B. Roaccutan® oder Generika) indiziert – bei Frauen unter sicherer Kontrazeption wegen der obligaten Teratogenität der Substanz. Orales Isotretinoin ist mit Abstand die wirksamste heute verfügbare Aknetherapie: 40 Prozent der Betroffenen sind laut klinischen Studien nach einem Therapiezyklus (ca. 6 bis 10 Monate) rezidivfrei, weitere 40 Prozent zeigen eine deutliche Verbesserung, zirka 20 Prozent benötigen im Verlauf einen weiteren Therapiezyklus.
Anwendung von oralem Isotretinoin: spezielle Hinweise Das orale Isotretinoin hemmt hochwirksam die Talgproduktion und die Sebozytenaktivität, die Therapie wirkt keratolytisch sowie antiinflammatorisch. Die übliche Therapiedosis liegt bei 0,5 bis 1 mg/kg KG pro Tag, dabei wird einschleichend dosiert (Beginn z.B. mit 20 mg/Tag). Die Behandlung wird bis zum Erreichen einer kumulativen Zieldosis von 120 (bis 150) mg/
kg KG durchgeführt. Ein solcher Therapiezyklus dauert in der
Regel zwischen 6 und 10 Monaten, immer in Abhängigkeit von
der individuellen Tagesdosis und dem Körpergewicht.
Zu beachten und der Patientin bei der Verordnung mitzuteilen
sind die obligaten und dosisabhängigen Nebenwirkungen, vor
allem Cheilitis, Xerosis cutis und Fotosensitivität, eventuell
auch Xerophthalmie, Rhinitis sicca und Nasenbluten. Diesen
Nebenwirkungen kann jedoch gut durch regelmässige und
konsequente Begleitmassnahmen wie Rückfetten der Haut,
Lippenpflege und Sonnenschutz entgegengewirkt werden. Es
gilt zu beachten, dass bei der oralen Isotretinointherapie auf
sämtliche lokale Aknetherapeutika verzichtet werden sollte,
um zusätzliche Hautreizungen zu verhindern, denn Isotre-
tinoin stellt eine ausreichende Monotherapie dar. In seltenen
Fällen kommt es unter der oralen Isotretinointherapie zu
Leber- und Fettstoffwechselstörungen, Gelenk- und Knochen-
schmerzen, Knochenbildungsstörungen (Hyperostosen), Nau-
sea/Erbrechen und Kopfschmerzen. Über die Induktion von
Depressionen unter Isotretinoin ist berichtet worden, ein Kau-
salitätsnachweis steht aber bis anhin aus.
Ganz wesentlich ist die sichere Antikonzeption (orales Kon-
trazeptivum oder Spirale) aufgrund der Teratogenität des Iso-
tretinoins. Sie sollte mindestens 1 Monat vor Therapiebeginn
starten und bis mindestens 1 Monat nach Behandlungsende
dauern. Eine schriftliche Einverständniserklärung zur Isotreti-
nointherapie ist bei minderjährigen Patienten durch die Eltern
generell zu empfehlen.
Zum Monitoring gehört vor Therapiebeginn ein Schwanger-
schaftstest (Mädchen) sowie die Bestimmung der Leberen-
zyme, der Cholesterin- und der Triglyzeridwerte. Im Verlauf
werden diese Untersuchungen initial monatlich, dann 6- bis
8-wöchentlich wiederholt.
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Dr. med. Lisa Weibel Dermatologische Klinik UniversitätsSpital Zürich, 8091 Zürich
und Kinderspital Zürich, 8032 Zürich
E-Mail: lisa.weibel@usz.ch lisa.weibel@kispi.usz.ch und Bärbel Hirrrle, Redaktion
Quellen: 1. Mallon T., et al.: The quality of life in acne: a comparison with general medical conditions using
generic questionnaires. Br J Dermatol 1999; 140: 672—676. 2. Jorizzo JL., Rapini L., Bolognia L. (Hrsg.).: Dermatology (2.Ed.). Mosby. London 2003. 3. Wyniis T., et al.: News insigns into acne vulgaris. Curr Opin Ped 2008; 20: 436—440.
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