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Menopause und Hormonersatz
FORTBILDUNG
Die Hormontherapie gehört zu den wirksamen Behandlungen von akuten und chronischen Menopausebeschwerden. Im Folgenden soll eine kurz gefasste Orientierung über Indikation, Kontraindikation und Applikationsweisen der Hormontherapie gegeben werden.
PETRA STUTE
Beim Climacterium praecox (Menopause < 40. Lebensjahr) zusätzlich: ■ Karyotyp (v.a. < 30. Lebensjahr) ■ Blutbild, Gesamtprotein, Rheumafaktor, Nüchternglukose ■ antinukleäre und antimikrosomale Antikörper, Anti-Thyreo-
globulin ■ Nebennierenrinden- und Schilddrüsenfunktion ■ Knochendichtemessung (DXA).
3. Grundlagen der Hormontherapie (HT) Für die konventionelle peri- und postmenopausale HT stehen Östrogene und Gestagene in verschiedenen Dosen, Kombinationsschemata und Applikationsmodi zur Verfügung. Daneben kommen zunehmend Androgene, SERM (selektive Östrogenrezeptormodulatoren) und Phytotherapeutika zur Anwendung.
Die Menopause ist definiert als das permanente Ausbleiben der Menstruation als Folge eines Verlustes der Hormonbildung durch die Eierstöcke. Sie tritt spontan als natürliche Menopause oder iatrogen als induzierte Menopause ein. In den westlichen Ländern liegt das mittlere natürliche Menopausenalter bei 51 Jahren.
1. Begleiterscheinungen der Menopause Zu den wichtigsten akuten und chronischen Begleiterscheinungen der Peri- und Postmenopause zählen vasomotorische Symptome (VMS) (v.a. Wallungen, Schweissausbrüche), Blutungsstörungen, Schlafstörungen, reduzierte Fertilität, urogenitale Beschwerden (v.a. Scheidentrockenheit, Inkontinenz und rezidivierende Harnwegsinfekte), zentralnervöse Symptome (v.a. depressive Verstimmung und Gedächtnisstörungen), sexuelle Funktionsstörungen, Beeinträchtigung des Knochen- und Gelenkapparates (Osteoporose und Gelenkschmerzen), kardiovaskuläre Erkrankungen, Gewichtszunahme sowie Haut- und Haarveränderungen.
2. Diagnostik der Menopause ■ Amenorrhö über mindestens 12 Monate ■ FSH > 40 mE/ml bei 3 Messungen im Abstand von einigen
Wochen ■ Östrogenmangel (E2 < 30 pg/ml oder negativer Gestagentest) ■ TSH bei DD Schilddrüsenfunktionsstörung.
Merksätze
■ Indikationen für eine HT: — vasomotorische Beschwerden (systemisch) — Osteoporose (systemisch) — vulvovaginale Atrophie und rezidivierende HWI (lokal).
■ Keine alleinige Indikation für eine HT: — Verbesserung der Lebensqualität — Harninkontinenz — altersbedingte Hautveränderungen (Falten, Androgenisierung) — Prävention einer KHK oder Herzinfarkt.
■ Altersabhängige Risiken einer HT: — Thromboembolie — Apoplex (ischämisch) — Beeinträchtigung der Kognition (Demenz).
■ Anwendungsdauerabhängige Risiken einer HT: — Mammakarzinom (systemisch) — fraglich: Ovarialkarzinom (systemisch).
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FORTBILDUNG
Anwendungsmodus Bei hysterektomierten Frauen ist die alleinige Östrogentherapie (ET) ausreichend. Frauen mit Uterus benötigen zusätzlich ein Gestagen. Es werden die kontinuierlich-sequenzielle (CS-EPT) und kontinuierlich-kombinierte Östrogen-Gestagen-Therapie (CC-EPT) unterschieden. Bei der CS-EPT erfolgt die Östrogenapplikation kontinuierlich; über 10 bis 14 Tage pro Zyklus wird sie von einer zusätzlichen Gestagengabe überlagert. Es wird ein regelmässiger Zyklus simuliert. Bei der CC-EPT antagonisiert das Gestagen den proliferativen Effekt des Östrogens auf das Endometrium. Es resultiert eine Amenorrhö. Die alleinige vaginale Östrogentherapie bedarf im Allgemeinen keiner zusätzlichen Gestagengabe.
Kontraindikationen Absolute Kontraindikationen für die HT sind ungeklärte vaginale Blutungen, Mammakarzinom, Endometriumkarzinom, bestehende thromboembolische Erkrankungen und Schwangerschaft. Relative Kontraindikationen stellen eine akute Lebererkrankung, chronische schwere Leberdysfunktion, Cholestase, Gallensteine, Pankreatitis, Hyperlipoproteinämie Typ 4 und 5, gastrointestinale Störungen, Hypertonie und Thromboembolien unter Östrogenen, Thrombophilie, Uterus myomatosus, Endometriose, Migräne und Epilepsie dar.
4. Hormontherapie im Kontext von Risiken Für die Beschreibung von Risiken gilt folgende Nomenklatur: ■ ≤ 10 Ereignisse pro 10 000 Personen pro Jahr = «Kategorie
selten» ■ ≤ 1 Ereignis pro 10 000 Personen pro Jahr = «Kategorie sehr
selten».
Das Kosten-Nutzen-Profil einer HT unterscheidet sich in Abhängigkeit von den Vorerkrankungen, vom chronologischen und Menopausenalter und von der Intensität menopausaler Beschwerden. Daher ist die Indikation einer HT immer individuell zu stellen. Die bisherigen Studien lassen jedoch keine Schlussfolgerung zu, wie lange im individuellen Fall eine HT durchgeführt werden kann oder sollte. Vasomotorische Beschwerden werden bei hysterektomierten Frauen effektiv durch eine ET und bei Frauen mit intaktem Uterus durch eine EPT reduziert. Ebenso werden Symptome der vulvovaginalen Atrophie vermindert. Wenn die lokale Beschwerdesymptomatik das dominierende Symptom ist, so sollte vaginales Östrogen bevorzugt werden. Die alleinige Verbesserung der sogenannten allgemeinen oder der gesundheitsbezogenen Lebensqualität ist keine Indikation zu einer HT. Für die Behandlung der sexuellen Funktionsstörung ist die alleinige Gabe einer HT nicht ausreichend. Transdermales Testosteron ist zurzeit nur für die beidseitig adnex- und hysterektomierte Frau mit subjektiv belastender Libidoreduktion bei gleichzeitiger Anwendung einer ET zugelassen. Eine aktuelle Studie belegte den Nutzen von Testosteron auch für postmenopausale Frauen ohne gleichzeitige ET-Anwendung. Lokales Östrogen vermindert das Auftreten von rezidivierenden
Harnwegsinfekten. Für die Behandlung anderer urologischer Beschwerden wie der Stress- oder Dranginkontinenz ist die Datenlage für die lokale und systemische HT unzureichend beziehungsweise zeigt einen negativen Einfluss. Eine HT reduziert das Risiko postmenopausaler osteoporotischer Frakturen. Eine HT ist auch dann für die sekundäre und tertiäre Osteoporoseprävention geeignet, wenn alternative Präparate aufgrund von Unverträglichkeit oder unbekanntem Langzeitrisiko nicht infrage kommen. Bei der Diskussion um den Einfluss einer HT auf das Herz-Gefäss-System stehen die koronare Herzerkrankung (KHK), der Apoplex und venöse Thromboembolien (vTE) im Vordergrund. Im Gegensatz zu randomisiert-kontrollierten Studien (RCT) zeigen die meisten Beobachtungsstudien und präklinischen Studien einen positiven Einfluss einer HT auf das KHK-Risiko. Die differierenden Ergebnisse werden auf die Unterschiede der untersuchten Patientinnenkollektive zurückgeführt. Wenn bei der Auswertung von RCT chronologisches und Menopausenalter bei HT-Initiierung berücksichtigt werden, so zeigt sich in Übereinstimmung mit Beobachtungsstudien eine Risikoreduktion für die KHK, wenn eine HT in jüngerem Alter und kurz nach der Menopause begonnen wird. Dennoch ist eine HT derzeit nicht zur Primär- oder Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit indiziert. Das Risiko für einen ischämischen, aber nicht hämorrhagischen Apoplex steigt durch eine HT an. Eine postmenopausale HT ist nicht in der Lage, das Risiko eines Re-Apoplexes bei kardiovaskulär vorerkrankten Frauen zu reduzieren. Das vTE-Risiko steigt durch eine orale HT an. Das Risiko einer vTE ist vor allem in den ersten beiden Anwendungsjahren erhöht. Es gibt bis jetzt keine RCT zum Einfluss einer transdermalen oder niedrig dosierten HT auf das vTERisiko. Gemäss einiger Beobachtungs- und Kohortenstudien scheint die transdermale HT jedoch sicherer zu sein. Das Risiko der Diagnose von Brustkrebs nimmt mit einer länger als 3- bis 5-jährigen EPT zu. In der Women’s Health Initiative wurden jährlich 4 bis 6 zusätzliche invasive Mammakarzinome pro 10 000 Frauen, die eine EPT über mehr als 5 Jahre anwendeten, diagnostiziert. Der Risikoanstieg für Brustkrebs korrelierte signifikant mit einer früheren EPT-Anwendung. Im Gegensatz hierzu reduziert eine ET die Wahrscheinlichkeit der Diagnose eines Mammakarzinoms: Über einen Zeitraum von etwa 7 Jahren wurden jährlich pro 10 000 ET-Anwenderinnen 6 Brustkrebserkrankungen weniger diagnostiziert. Die Datenlage zur konventionellen HT nach Mammakarzinom ist unzureichend, eine HT kann daher nicht empfohlen werden. Tibolon erhöht das Rezidivrisiko. Unter Demenz versteht man einen krankheitsbedingten progressiven Verlust der kognitiven Funktion, der über das normale Mass des Alterungsprozesses hinausgeht. Die häufigste Ursache der Demenz ist der M. Alzheimer. Die physiologische Menopause hat wenig Einfluss auf die kognitive Funktion. Die bilaterale Adnexektomie prämenopausaler Frauen ist jedoch mit einem erhöhten Risiko für Einbussen kognitiver Funktionen und Demenz assoziiert. Eine HT hat keinen wesentlichen Einfluss auf die Kognition junger, physiologisch postmenopausaler Frauen. Die Initiierung einer
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MENOPAUSE UND HORMONERSATZ
HT nach dem 65. Lebensjahr ist mit einem erhöhten Demenz-
risiko verbunden. Für Frauen, die bereits an einer Demenz
erkrankt sind, bewirkt eine HT keine Verbesserung der Kogni-
tion.
Aus der Gruppe der Phytotherapeutika sind Isoflavone aus Rot-
klee und Soja sowie die Traubensilberkerze (Cimicifuga race-
mosa) im Hinblick auf menopausale Beschwerden am besten
untersucht. Sie vermindern Hitzewallungen wenn, dann nur
marginal. Mögliche Risiken alternativer Therapien können
heute nicht ausreichend bewertet werden.
Abzugrenzen von natürlich menopausalen Frauen sind jene
mit früher (< 45. Lebensjahr) und vorzeitiger Menopause
(< 40. Lebensjahr). Ob Nutzen und Risiken einer HT bei
Frauen mit prämaturer Menopause verschieden sind von de-
nen bei Frauen mit Eintritt der Menopause um das 50. Lebens-
jahr, ist unklar. Eine HT kann bei Frauen mit prämaturer
Menopause bis zum durchschnittlichen Menopausealter
durchgeführt werden.
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PD Dr. med. Petra Stute Oberärztin
Stv. Leiterin der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin
Inselspital Bern, Frauenklinik, Effingerstr. 102, 3010 Bern Tel. 031-632 13 03 (Sekretariat) Fax 031-632 13 05 (Sekretariat) E-Mail: petra.stute@insel.ch
Interessenkonflikte: Die Arbeit entstand mit finanzieller Unterstützung durch die Firma Orion.
Literatur: Estrogen and progestogen use in postmenopausal women: July 2008 position statement of the North American Menoause Society. Menopause 15(4): 584—603. The North American Menopause Society. The role of local vaginal estrogen for treatment of vaginal atrophy in postmenopausal women: 2007 position statement of The North American Menopause Society. Menopause 2007; 14: 357—369. S3-Leitlinien «Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause», www.dggg.de Schweizer Menopause Gesellschaft www.meno-pause.ch
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