Transkript
P O L I T- FO RU M
UNDHEIT IN BÄRN
Obligatorische Krankenversicherung — Aufnahme der Neuropsychologie in den Leistungskatalog
Jacques Neirynck, Nationalrat CVP, Kanton Waadt, reichte am 22.9.2009 folgende Motion ein:
Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament folgende Änderungen der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) und der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) zu unterbreiten: Änderung des Artikels 46 KVV 1. In Absatz 1 soll ein Buchstabe f) hinzuge-
fügt werden: «f) Neuropsychologe oder Neuropsychologin» 2. Ergänzung der KVV: neuer Artikel 50b KVV «Art. 50b Neuropsychologen oder Neuropsychologinnen»
Die Neuropsychologen und Neuropsychologinnen haben nachzuweisen: 1. ein Lizenziat oder einen Master einer aner-
kannten Universität mit Hauptfach Psychologie. Das Departement veröffentlicht nach Anhörung der Kantone und der Berufsorganisationen eine Liste der anerkannten Universitäten. Ausländische Diplome werden anerkannt, sofern sie einem schweizerischen Diplom gleichwertig sind. 2. eine Weiterbildung bestehend aus: einer mindestens fünfjährigen praktischen Tätigkeit in klinischer Neurologie in einer anerkannten Institution einer theoretischen Ausbildung in folgenden Bereichen: Grundkenntnisse der Neuropsychologie, Diagnostik, Intervention, Neuropsychologie und Entwicklung, Neuropsychologie und Kognitionsstörung, Neuro-Anatomie, Vertiefung der Kenntnisse in verwandten Disziplinen wie Neurologie, Neurochirurgie, Psychiatrie und Psychopathologie, Kenntnisse der psychosozialen Faktoren.
Die Erfüllung der Anforderungen im Rahmen der theoretischen und praktischen Weiterbildung sowie die Anerkennung der Institutionen werden durch ein von den Kantonen bezeichnetes Organ kontrolliert. Dieses Organ stellt eine gesamtschweizerisch einheitliche Praxis und Qualität sicher. Falls die Kantone kein Organ bezeichnen, übernimmt dies das Departement.
Ergänzung der KLV: neuer Abschnitt 5 und neuer Artikel 11a KLV «5. Abschnitt: Neuropsychologie» Der Neuropsychologe oder die Neuropsychologin untersucht auf ärztliche Anordnung hin die kognitiv-komportementalen Funktionen von Personen, die Schwierigkeiten im Alltag, in der Schule oder im Beruf haben. Dabei werden diese Funktionen sowie mutmassliche oder erwiesene Gehirnverletzungen berücksichtigt. Die neuropsychologische Untersuchung erfolgt nach einer Diagnose von beziehungsweise einem Verdacht auf: ■ Schlaganfall ■ Schädel-Hirn-Trauma ■ expansive Hirnprozesse ■ infektiöse Hirnprozesse ■ Stoffwechselprozesse im Hirn und toxisch ■ bedingte Hirnprozesse ■ Entwicklungsstörungen des Gehirns ■ degenerative Hirnprozesse ■ Epilepsie ■ multiple Sklerose ■ psychiatrische Störungen mit organischer ■ Ursache
Für andere Diagnosen muss das Einverständnis des Vertrauensarztes oder der Vertrauensärztin vorliegen. 3. Die Versicherung übernimmt auf ärztliche
Anordnung hin die Kosten für die neuropsychologische Diagnose (Untersuchung, Besprechung/Beratung, Studium des Dossiers, Verfassen des Berichts) von maximal 14 Stunden. Falls eine längere Behandlung notwendig ist, muss der Neuropsychologe oder die Neuropsychologin dem Vertrauensarzt oder der Vertrauensärztin einen gut begründeten Vorschlag zukommen lassen. Der Vertrauensarzt oder die Vertrauensärztin informiert daraufhin den Versicherer, in welchem Mass die Diagnose eine Rückerstattung rechtfertigt. Die Anordnung kann nur zweimal pro Jahr erneuert werden.
Begründung Die Neuropsychologie steht heute nicht im Arzttarif Tarmed. Neuropsychologen und Neuropsychologinnen können im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung keine Leistungen erbringen. Das Unfallversicherungsgesetz (UVG) sieht im Gegensatz zum Krankenversicherungsgesetz (KVG) eine vertragliche Regelung vor. In Bezug auf die Behandlung von Patienten und Patientinnen ist dies eine Rechtsungleichheit. Die Neuropsychologie wurde 2002 von der Eidgenössischen Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen anerkannt. Im selben Jahr hat Bundesrätin Ruth Dreifuss den Antrag um Aufnahme nicht direkt abgelehnt, sondern ihn auf die Warteliste gesetzt und darauf verwiesen, dass das Bundesgesetz über die Psychologieberufe abgewartet werden müsse. Beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), bei santésuisse und beim Spitalverband H+ bestehen jedoch keine Zweifel an der Notwendigkeit der Neuropsychologie. Diese Motion ermöglicht es, eine Leistungslücke in der Krankenversicherung zu schliessen, denn die Patientinnen und Patienten hätten nicht nur im Rahmen des UVG, sondern auch der KVV Zugang zu den notwendigen Leistungen. Die Neuropsychologinnen und Neuropsychologen sowie die Klinik können direkt mit den Versicherern verhandeln. Die Patientin oder der Patient muss immer von einem Arzt oder einer Ärztin überwiesen werden. Nach der Überweisung kann der Neuropsychologe oder die Neuropsychologin autonom weiterarbeiten. Es handelt sich somit nicht um eine übertragene Tätigkeit. Die Neuropsychologie steht nicht in Konkurrenz zur Medizin, sondern ist eine notwendige Ergänzung im Bereich der Rehabilitation. Die klinische Tätigkeit der Neuropsychologen und Neuropsychologinnen erfolgt in einem fachübergreifenden Kontext. Es entstehen nur wenig zusätzliche Kosten: ungefähr zwei Millionen Franken jährlich für alle Neuropsychologen und Neuropsychologinnen.
960 ARS MEDICI 23 ■ 2009
Gefährdete Männergesundheit: Was unternimmt der Bund?
Interpellation, eingereicht von Alec von Graffenried, Nationalrat GPS, Kanton Bern, am 25.9.2009.
Welche Bemühungen unternimmt der Bundesrat beziehungsweise der Bund, um die Männergesundheit im Rahmen von Gender Health gezielt zu fördern beziehungsweise gegen deren Gefährdungen vorzugehen?
fünf Jahre früher als Frauen und haben ein mehrfach höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, eine Alkohol- oder Drogensucht zu entwickeln, an Lungenkrebs- oder Prostatakrebs zu erkranken, bei einem Unfall zu sterben oder wegen Stress zu erkranken. Es braucht gezielte Massnahmen wie unter anderem Informationskampagnen, die diese Risiken thematisieren und Männer dafür sensibilisieren. Ähnlich wie beispielsweise die
Krebsvorsorge bei Frauen bereits in jungen Jahren ein Thema ist, sollen auch Männer früher auf typische «männliche» Krebserkrankungen aufmerksam gemacht werden. In diesem Sinne wäre die Einführung einer Men’s Health Policy prüfenswert.
Stand der Beratung: im Plenum noch nicht behandelt.
Begründung Es ist bekannt, dass das Geschlecht ein wichtiger Einflussfaktor für die Gesundheit eines Menschen ist. Der Fachbereich Gender Health in der Sektion Chancengleichheit und Gesundheit im Bundesamt für Gesundheit ist darum besorgt, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse und Risiken von Frauen und Männern im Bereich Gesundheit berücksichtigt werden. Dennoch sterben in der Schweiz Männer rund
Mit «gender» kommt zum Ausdruck, was es heisst, in einer Gesellschaft eine Frau oder ein Mann zu sein. Diese Unterscheidung ermöglicht im Gesundheitsbereich eine Fokussierung auf nicht biologische Dimensionen und soziale Einflussfaktoren. Dazu gehören Lebens- und Arbeitsbedingungen, Verhaltensweisen und Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Medizinische Grundversorgung in Gefahr
Erich von Siebenthal, Nationalrat SVP, Kanton Bern, reichte am 25.9.2009 folgende Motion ein:
Der Bundesrat wird beauftragt, mit dringlichen Massnahmen weitere drohende Lohneinbussen bei den Grundversorgern verbindlich zu verhindern oder allenfalls 1:1 zu kompensieren. Insbesondere sind die aktuellen Labortaxpunktwerte nicht mehr kostendeckend, sodass ein wichtiges Diagnosemittel in der Praxis in Zukunft wegfällt. Die Labortarife müssen für die Hausärzte wieder so korrigiert werden, dass sie kostendeckend
sind und die Grundversorgung im Praxisablauf nicht behindern.
Begründung Die medizinische Grundversorgung ist in akuter Gefahr. In den letzten Monaten hat das Bundesamt für Gesundheit diverse Entscheide getroffen, die die Hausarztmedizin empfindlich getroffen haben und deren weitere Existenz bedrohen: Labortarifsenkung, Ankündigung von weiteren Margenkürzungen bei der Medikamentenabgabe bis zu deren Aufhebung. Im BAG finden unkontrollierte Fehlentscheide statt, die unwirtschaftlich und nicht zweckmässig sind. Diese Zustände im BAG müssen kontrolliert und rasch behoben werden. Die selbstständig erwerbenden Grundversorger dürfen nicht weitere finanzielle Einbussen erleiden, da bereits vor den bisherigen Spar-
massnahmen kaum mehr Nachfolger auch für Gruppenpraxen gefunden werden konnten. Ansonsten droht ein Systemwechsel in die Staatsmedizin mit dem bekannten gravierenden Qualitätsverlust (z.B. Schweden, England). Die kurzfristigen Einsparungen, die mit diversen Beschlüssen auf Kosten der Grundversorger getätigt werden, werden sich zukünftig als Bumerang erweisen. Die Gesundheitskosten werden mit Auflösung des bisherigen Hausarztsystems nochmals massiv ansteigen, weil Spitäler und Spezialisten deutlich teurer sind, keine Generalistenfunktion übernehmen können und ihre Kapazitäten für ihr Fachgebiet freihalten müssen. Wie will man 2012 die DRG einführen und dabei auf die Hausärzte setzen, die die vorzeitig aus den Spitälern entlassenen Patienten betreuen sollen, wenn es dann immer weniger Hausärzte gibt?
ARS MEDICI 23 ■ 2009 961