Transkript
INTERVIEW
Was wird aus der «Hypertonie-Impfung»?
Interview mit Professor Jürg Nussberger, CHUV Lausanne
Die Compliance bei der medikamentösen Hypertonie- ARS MEDICI: Impft man auch gegen andere Komponenten
therapie ist in der Regel eher dürftig. Eine Impfung
des Renin-Angiotensin-Systems? Jürg Nussberger: Man hat versucht, gegen Renin zu impfen,
gegen Komponenten des Angiotensin-Renin-Systems
um sozusagen ganz oben in die Kaskade einzugreifen. Das führte bei den Versuchstieren zwar zu guten Antikörpertitern
könnte eine verlockende Alternative sein. Während
und einer Blutdrucksenkung, zerstörte aber deren Nieren. Es kam zu so etwas wie einem Good-pasture-Syndrom, und die
eine Pilotstudie zu einer beeindruckenden Senkung
Tiere sind daran gestorben. Die Immunisierung gegen Renin war also eine Sackgasse. Ebenfalls nicht brauchbar war die
des Blutdrucks führte, enttäuschte die Folgestudie,
Immunisierung gegen Angiotensin I. Es gab hier zwar keine Komplikationen, aber der Effekt auf den Blutdruck war prak-
und die Zukunft der «Hypertonie-Impfung» ist unklar. tisch gleich null. Dieses Angiotensin I war einfach ein schlech-
tes Antigen, und darum funktionierte die Impfung nicht.
Wir sprachen mit Professor Jürg Nussberger, der an
den Studien beteiligt war und sich seit Jahren mit
ARS MEDICI: Es gibt eine ganze Reihe guter Medikamente gegen Hypertonie. Wozu dann die Impfung?
Impfstrategien gegen Hypertonie befasst.
Jürg Nussberger: Das grosse Problem bei der Hypertoniebehandlung ist zunächst einmal die Compliance der Patien-
ten. Wir wissen, dass etwa 50 bis 80 Prozent der Hypertoniker
nicht alle vorgeschriebenen Medikamente auch tatsächlich
einnehmen. Das zweite, nicht minder wichtige Problem ist der
morgendliche Blutdruckanstieg. Schon beim Gesunden steigt
ARS MEDICI: Herr Professor Nussberger, normalerweise der Blutdruck beim Erwachen physiologisch um etwa 30 mmHg
verbindet man mit dem Begriff Impfung die Abwehr von systolisch an. Beim Hypertoniker können das aber bis zu
Krankheitserregern. Wie soll eine Impfung gegen Hypertonie 60 mmHg sein. Es gibt grosse Blutdruckveränderungen am
funktionieren?
Morgen, und das ist auch die Tageszeit mit den meisten kar-
Professor Jürg Nussberger: Eine Impfung mit dem Ziel der diovaskulären Komplikationen. Die meisten Herzinfarkte oder
Blutdrucksenkung betrifft das Renin-Angiotensin-Aldosteron- Schlaganfälle geschehen zwischen drei und neun Uhr am
System. Wie Sie wissen, wird durch das Renin der Niere zu- Morgen, ebenso der plötzliche Herztod oder transiente Isch-
nächst Angiotensin I, ein Dekapeptid, frei-
gesetzt. Dieses ist physiologisch inaktiv, wird aber praktisch innert Sekunden durch
«Ich war zunächst skeptisch, denn ich dachte,
das Konversionsenzym, das sich haupt- dass die Gegenreaktion des Renin-Angiotensin-Systems
sächlich auf den Endothelzellen befindet, zum physiologisch aktiven Oktapeptid
einen allfälligen blutdrucksenkenden Effekt wieder
Angiotensin II aktiviert. Angiotensin ist
ausbremsen würde. Aber dem war nicht so.»
sozusagen der Hauptakteur des Renin-
Angiotensin-Aldosteron-Systems. Man kennt
etwa 60 physiologische Wirkungen des Angiotensins. Für die ämien des Myokards. Somit haben wir das Problem, dass
Hypertonie besonders wichtig ist die starke vasokonstrik- genau dann, wenn wir die Blutdruckkontrolle am dringends-
torische Wirkung des Angiotensins. Hier setzen die derzeiti- ten benötigen, der Effekt antihypertensiver Medikamente
gen Versuche einer Impfung gegen Hypertonie an, nämlich am wegen der pharmakologischen Halbwertszeiten am gerings-
Angiotensin II.
ten ist. Wenn man aber gegen Angiotensin II impfen könnte,
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stichstelle und gelegentlich grippeartige Symptome, die aber alle zwei Tage nach der Impfung abgeklungen waren. Der Blutdruck wurde kontinuierlich über 24 Stunden ambulant gemessen. Vor allem in den Morgenstunden gab es ganz deutliche Unterschiede im 24-Stunden-Blutdruck bei den VerumGeimpften gegenüber den Plazebo-Geimpften. Wir haben alle Blutdruckunterschiede zwischen acht und neun Uhr morgens
«Was wir mit der Impfung wahrscheinlich erreichen könnten, ist eine Senkung von durchschnittlich 10 bis 15 mmHg.»
Professor Jürg Nussberger, CHUV Lausanne
14 Wochen nach der Erstimpfung gegenüber vorher verglichen und eine Abnahme von 25 mmHg systolisch und 13 mmHg diastolisch festgestellt. Das war schon sehr eindrücklich. Über den gesamten Tag gemittelt waren es -5,6 mmHg systolisch und 2,8 mmHg diastolisch.
könnte man erstens vergessen, jeden Tag eine Pille zu nehmen, und zweitens hätte man eine gleichbleibende Blutdruckkontrolle und keinen Jo-Jo-Effekt mehr beim Anfluten und Absinken von Medikamentenspiegeln.
ARS MEDICI: Womit wurde in den aktuellen Impfstudien geimpft? Jürg Nussberger: Das war Angiotensin II, gebunden an ein Carriermolekül. Das ist ein extrem gutes Antigen, mit dem sich hohe Antikörpertiter generieren lassen. Ich war trotzdem zunächst skeptisch, denn ich dachte, dass die Gegenreaktion des Renin-Angiotensin-Systems einen allfälligen blutdrucksenkenden Effekt wieder ausbremsen würde. Aber dem war nicht so. In den Tierversuchen mit spontan hypertensiven Ratten konnte man mit der Impfung eine anhaltende Blutdrucksenkung erreichen.
ARS MEDICI: Welche Resultate hatte die erste klinische Studie? Jürg Nussberger: Es handelte sich um 72 Patienten mit leichter bis mittelschwerer Hypertonie, die zuvor noch nicht medikamentös behandelt worden waren. Die Studie dauerte 4 Monate mit einer Nachbeobachtungsdauer von 8 Monaten. Es gab drei Gruppen, denen man eine niedrige oder hohe Dosis Antigen oder Plazebo impfte. Frühestens nach 4 und 12 Wochen erfolgten die Boosterimpfungen. Wir hatten damals aus Sicherheitsgründen festgelegt, dass der Antikörpertiter um mindestens 25 Prozent des Maximalwerts wieder abfallen muss, bevor man die zweite Boosterimpfung wagte. Alle Patienten entwickelten spezifischen Antikörper, und bei allen sank der Titer innerhalb der 6. bis 8. Woche um diese 25 Prozent. Im Vergleich mit Plazebo gab es keine schweren Nebenwirkungen, sondern im Wesentlichen nur impftypische Beschwerden wie Schwellung, Schmerz oder Rötung an der Ein-
ARS MEDICI: Was passierte eigentlich mit dem Renin? Wenn man das Angiotensin II in seinem Effekt oder in seiner Genese blockiert, dann gibt es in der Niere eine Gegenreaktion, und Renin steigt an. Kam es zu dieser Gegenreaktion? Jürg Nussberger: Erstaunlicherweise fiel diese Gegenreaktion relativ gering aus, jedenfalls viel geringer, als wir das sonst bei ACE-Hemmern, Angiotensinrezeptorblockern oder Reninhemmern beobachten. Möglicherweise senkt man das Angiotensin II durch die Antikörperentwicklung so sanft, dass es sozusagen keine Panikreaktion in der Niere gibt.
ARS MEDICI: Dann folgte die zweite klinische Studie und die Ernüchterung ... Jürg Nussberger: Stimmt, so war es. Man impfte nur noch die hohe Dosis gegenüber Plazebo und boosterte intensiv, um die Antikörpertiter möglichst hochzutreiben: Insgesamt fünfmal innert 70 Tagen wurde geimpft. In der Tat trieb man die Titer damit auf 40 000 gegenüber 8000 in der ersten Studie. Aber: Der Blutdruck wurde sehr viel schlechter gesenkt. Man hatte nur eine etwa halb so gute Blutdrucksenkung erreicht wie in der ersten Studie.
ARS MEDICI: Woran könnte das gelegen haben? Jürg Nussberger: Das Schnellbooster-Schema war vermutlich keine gute Idee. Eigentlich weiss man, dass man beim Impfen den B-Lymphozyten etwas Zeit zum Reifen lassen sollte, aber man wollte eben sehr rasch hohe Titer erreichen, in der Hoffnung auf eine eindrückliche Blutdrucksenkung. In diesem Fall war aber die Strategie «viel hilft viel» nicht erfolgreich. Die neue Impfstrategie bewirkte zwar in der Tat höhere Titer, aber die Antikörper hatten eine geringere Affinität. Wie man beim Impfen boostert, ist schon noch eine Kunst für sich. Man könnte auch spekulieren, dass eine stärkere Verminderung der Angiotensin-II-Spiegel eine stärkere kompensatorische
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Reninausschüttung hervorgerufen haben könnte, die Gegenreaktion also nicht mehr so segensreich sanft wie in der ersten Studie, sondern vielleicht zu stark ausgefallen ist. Was wirklich geschehen ist, wissen wir aber noch nicht genau, und entsprechende Datenauswertungen laufen noch. Immerhin können wir immer noch sagen, dass die Impfung sicher und gut verträglich ist, und das ist ein positives Ergebnis.
«Das Schnellbooster-Schema war vermutlich keine gute Idee. Immerhin können wir
immer noch sagen, dass die Impfung sicher und gut verträglich ist, und das ist ein positives Ergebnis.»
ARS MEDICI: Sie sagen, dass die Impfung sicher und gut verträglich war. Aber ganz wohl ist mir bei dem Gedanken einer Anti-Angiotensin-Impfung nicht. Schliesslich ist es ein lebensnotwendiges Molekül mit – wie Sie selbst sagten – mehr als 60 physiologischen Funktionen. Jürg Nussberger: Diese Frage kommt immer, und sie ist auch wichtig. Selbstverständlich stellen wir das System nicht ganz ab. Wir haben im Grunde eine Situation, wie wir sie seit bald 30 Jahren von der ACE-Hemmer-Behandlung her kennen. Auch da kann es zum Problem werden, wenn jemand gerade seinen ACE-Hemmer oder sein Sartan genommen hat, dann einen Unfall hat, blutet, kollabiert und dringend seine Vaso-
konstriktion brauchen würde. Da müssen wir intervenieren. Aber chronische Probleme sahen wir durch die Impfung eben keine, weil wir das System offenbar nicht völlig abschalten. So hatten die Geimpften beispielsweise keine Orthostasebeschwerden.
ARS MEDICI: Die Blutdrucksenkung ist auf Jahre hinaus angelegt, aber das Follow-up der ersten Studien noch sehr kurz. Darf man da schon von einer sicheren Therapie sprechen? Jürg Nussberger: Natürlich müssen wir die Geimpften weiter beobachten. Aber ich mache mir keine allzu grossen Sorgen über allfällige Langzeiteffekte dieser Impfung. Ich befasse mich schon seit Jahrzehnten mit Impfungen gegen Angiotensin. Die Kaninchen mit den höchsten Antikörpertitern lebten immer am längsten. Möglicherweise haben wir uns um die auch am meisten gekümmert, aber die Angiotensinantikörper über Jahre hinweg scheinen ihnen jedenfalls nichts ausgemacht zu haben. Unstrittig ist natürlich, dass etwas anderes ist, ob Sie einen tödlichen Krebs oder HIV mit einer Impfung stoppen wollen oder nur eine Hypertonie, wo die Impfung einfach bequemer wäre als Tabletten. Da sind die Ansprüche an die Sicherheit mit Recht besonders hoch, sodass man das weiter kontrollieren muss.
ARS MEDICI: Wie lange hält der Blutdruckeffekt nach der Impfung an? Jürg Nussberger: Das können wir leider noch nicht beantworten, weil die Studienteilnehmer nach Ende der Studie wieder mit Medikamenten behandelt wurden. Wir wissen zwar,
BEKANNTMACHUNG
Symposium: Perspektiven der psychiatrischen Therapie 2009
Hotel Marriott Zürich, Donnerstag, 10. Dezember 2009
Themen:
■ Soma und Psyche ■ Angst und ihre Therapie
Wissenschaftliche PD Dr. med. Josef Schöpf, Zürich
Leitung:
Prof. Dr. med. Ulrich Schnyder, Zürich
Kongresssprache: Deutsch
Administrative Leitung:
Dr. Schlegel Healthworld AG, Sennweidstrasse 46, 6312 Steinhausen Tel. 041-748 76 00 / Fax 041-748 76 11 E-Mail: t.vonwyl@schlegelhealth.ch, Internet: www.congress-info.ch/psychiatrie
Hauptsponsor: Sponsor: Medienpartner:
Pfizer AG, Zürich, Bristol-Myers Squibb SA, Baar Springer Medizin Verlag Schweiz AG, Zürich
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dass die Halbwertszeit für die Antikörper vier Monate beträgt, Patienten, bei denen man mit einem ACE-Hemmer, einem
aber das heisst noch lange nicht, dass wir dann auch noch Sartan oder einem Reninhemmer klinischen Erfolg erzielt,
einen mindestens halb so grossen Effekt bei der Blutdruck- auch Erfolge mit der Impfung zu erwarten. A la longue ist
senkung erwarten dürfen. Das war auch ein Grund, warum natürlich klar, dass das Reninsystem auch mit dem Volumen
man in der zweiten Studie versucht hat, höhere Titer zu errei- interferiert.
chen.
ARS MEDICI: Dann ginge es trotz Impfung doch
«Ich möchte natürlich unbedingt, dass die
nicht ganz ohne Medikamente? Jürg Nussberger: Ja, das wird wohl so sein. Was
Entwicklung der Angiotensinimpfung weitergeht.» wir mit der Impfung wahrscheinlich erreichen
könnten, ist eine Senkung von durchschnittlich 10
bis 15 mmHg. Wir können nicht alle Hypertoniker
ARS MEDICI: Wie geht es jetzt weiter?
mit einer Impfung auf normale Blutdruckwerte bringen, aber
Jürg Nussberger: Ich möchte natürlich unbedingt, dass die wir könnten das System etwas dämpfen. Wenn Sie jemanden
Entwicklung der Angiotensinimpfung weitergeht. Aber es permanent mit ACE-Hemmern behandeln, steht das Angio-
besteht natürlich die Gefahr, dass die Sache aus finanziellen tensin nach zwei Jahren vielleicht auch nur auf 90 Prozent des
Gründen wieder eine Zeit lang einschläft. Letztlich müsste ja Ausgangswertes. Aber schon die klein erscheinende Differenz
ein Unternehmen weitere Studien finanzieren.
von 10 Prozent weniger Angiotensinaktivität ist nützlich. Es
geht nie um alles oder nichts, und das ist bei der Impfung
ARS MEDICI: Für welche Hypertoniker könnte die Impfung – sicher auch so.
wenn sie einmal kommen sollte – Erfolg versprechend sein?
Jürg Nussberger: Antikörper entwickeln eigentlich alle Ge- ARS MEDICI: Herr Professor Nussberger, wir danken Ihnen
impften. Aber es gibt eher volumenbedingte und eher vaso- für das Gespräch.
konstriktionsbedingte Hypertonien. Da sich die Impfung in
erster Linie gegen die Vasokonstriktion richtet, sind bei allen
Das Interview führte Renate Bonifer.