Transkript
FORTBILDUNG
Therapieempfehlungen bei rheumatoider Arthritis
Eine Zusammenfassung der NICE-Guidelines
Die möglichst frühzeitige Diagnose, eine intensive
medikamentöse Therapie bei aktiver rheumatoider
Arthritis und eine engmaschige Kontrolle des Krank-
heitsverlaufs mit entsprechender Anpassung der
Behandlung sind die wichtigsten Punkte bei der
Betreuung von Patienten mit rheumatoider Arthritis.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Da die frühzeitige Diagnose und Behandlung bei rheumatoider Arthritis den Verlauf der Erkrankung entscheidend beeinflussen kann, komme dem Hausarzt eine entscheidende Rolle zu, schreiben die Autoren der aktuellen NICE-Guidelines (NICE: National Institute for Health and Clinical Excellence, UK). Der Hausarzt sollte demnach jeden Patienten bei Verdacht auf eine Synovitis unbekannter Ursache an einen Rheumatologen überweisen. Diese Überweisung ist besonders dringend, wenn die kleinen Gelenke der Hände oder Füsse beziehungsweise mehr als ein Gelenk betroffen sind sowie bei Patienten, die mehr als drei Monate verstreichen liessen, bis sie ihren Arzt aufsuchten. Röntgenaufnahmen der Hände und Füsse sollten bei persistierender Synovitis in diesen Gelenken möglichst früh gemacht werden. Auch die Laboruntersuchung auf Rheumafaktoren sollte umgehend erfolgen. Ein Test auf Antikörper gegen zyklisches citrulliniertes Peptid (CCP) ist bei Verdacht auf rheumatoide Arthritis empfehlenswert, wenn die Rheumafaktoren negativ sind und eine Kombinationstherapie indiziert sein kann.
Schmerztherapie Mithilfe von Analgetika wie Paracetamol sollte man versuchen, eine Langzeitanwendung von NSAID oder COX-2-Hemmern möglichst zu vermeiden. Falls NSAID oder COX-2-Hemmer eingesetzt werden müssen, kommen beide Substanzklassen gleichermassen infrage, so die NICE-Autoren. Sowohl NSAID als auch COX-2-Hemmer sollten nur in einer möglichst niedrigen Dosis für einen möglichst kurzen Zeitraum eingenommen werden. In beiden Fällen ist gleichzeitig ein Protonenpumpeninhibitor (PPI) zu verordnen. Da alle oralen NSAID und COX-
2-Hemmer zwar eine etwa äquivalente analgetische Wirkung, aber unterschiedlich stark ausgeprägte Nebenwirkungen aufweisen, sind bei der Wahl des Medikaments individuelle Risikofaktoren und allfällige Unverträglichkeiten zu beachten. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, die regelmässig niedrig dosierte Acetylsalicylsäure einnehmen müssen, kommen zunächst andere Analgetika in Betracht. Sollte sich damit keine befriedigende Schmerzlinderung erreichen lassen, können auch bei diesen Patienten NSAID oder COX-2-Hemmer verordnet werden, ebenfalls mit gleichzeitiger Gabe eines Protonenpumpenhemmers. Lässt sich trotz allem keine gute Schmerzlinderung erreichen, ist die antirheumatische medikamentöse Behandlung (s. unten) zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
DMARD und Glukokortikoide Bei neu diagnostizierter rheumatoider Arthritis sollte möglichst innert drei Monaten nach Symptombeginn eine Kombinationstherapie mit Methotrexat und einem weiteren DMARD (Disease Modifying Antirheumatic Drugs, z.B. Methotrexat, Sulfalazin, Leflunomid, Gold) beginnen. Kurzzeitig kommen zusätzlich Glukokortikoide zur Linderung der Symptome zum Einsatz. Falls eine Kombinationstherapie nicht möglich ist, beginnt man eine DMARD-Monotherapie mit möglichst rascher
Merksätze
■ Falls NSAID oder COX-2-Hemmer eingesetzt werden müssen, ist gleichzeitig ein Protonenpumpeninhibitor (PPI) zu verordnen.
■ Möglichst innert drei Monaten nach Symptombeginn sollte eine Kombinationstherapie mit Methotrexat und einem weiteren DMARD beginnen.
■ Glukokortikoide sind zur kurzzeitigen Symptomkontrolle, aber nicht für die langfristige Anwendung geeignet.
■ Bedenken hinsichtlich der Langzeithaltbarkeit von Gelenkprothesen sollten kein Grund sein, diese jüngeren Patienten mit rheumatoider Arthritis vorzuenthalten.
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THERAPIEEMPFEHLUNGEN BEI RHEUMATOIDER ARTHRITIS
Dosiseskalation bis zu klinisch relevanter Wirksamkeit; dabei sei eine rasche Dosissteigerung wichtiger als die Wahl des Medikaments, so die NICE-Autoren. Wenn innert zwei Jahren eine anhaltende, zufriedenstellende Wirksamkeit der Kombinationstherapie erreicht wurde, kann eine vorsichtige Dosisreduktion versucht werden. Ebenfalls sollte nach mehr als zwei Jahren bei stabiler Erkrankung eine vorsichtige Dosisreduktion der DMARD beziehungsweise Biologika versucht werden. Beim ersten Aufflackern von Symptomen ist jedoch sofort zur alten Dosis zurückzukehren. Werden neue Medikamente zur Verbesserung der Krankheitskontrolle hinzugenommen, sollte man das Ausschleichen und Absetzen der vorherigen Medikation erwägen, sobald die Krankheit gut kontrolliert erscheint. Glukokortikoide sind zur kurzzeitigen Symptomkontrolle bei Beginn der rheumatoiden Arthritis sowie beim Aufflackern von Symptomen im Verlauf der Erkrankung nützlich. Für die langfristige Anwendung sind sie nicht gut geeignet. Sie sollten nur bei Versagen anderer Medikamente, inklusive Biologika, in Betracht gezogen werden, wobei der Patient über die allfälligen Langzeitkomplikationen einer systemischen GlukokortikoidDauertherapie umfassend aufzuklären ist.
Biologika Zu den Biologika ist in der Zusammenfassung der NICEGuidelines nichts Spezielles zu lesen. In der mehr als 200 Seiten umfassenden, ausführlichen Version der Guidelines wird daran erinnert, dass Biologika zwar einen bedeutenden Einfluss auf die Behandlung bei rheumatoider Arthritis haben, dies jedoch gleichermassen für die konventionellen DMARD gelte. Da Biologika deutlich teurer als konventionelle DMARD sind, sei zu hinterfragen, wie gross der therapeutische Gewinn durch Biologika gegenüber den DMARD wirklich sei. Für alle Biologika empfiehlt NICE, dass diese nur von erfahrenen Rheumatologen verordnet und überwacht werden. Für Rituximab und die TNF-Inhibitoren Adalimumab, Etanercept und Infliximab gibt es vorläufige Anwendungsempfehlungen. Demnach ist Rituximab in Kombination mit Methotrexat eine Option bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, bei denen DMARD nicht den gewünschten Effekt hatten oder nicht vertragen wurden und wenigstens ein TNF-Inhibitor ohne Erfolg versucht wurde. Die Rituximab-Methotrexat-Kombinationstherapie sollte nur dann fortgesetzt werden, wenn eine adäquates Ansprechen (DAS28 mindestens +1,2 Punkte) festzustellen ist. Wiederholte Behandlungszyklen sollten nicht öfter als alle sechs Monate erfolgen. Die TNF-Inhibitoren Adalimumab, Etanercept oder Infliximab kommen bei Patienten ab einem DAS28 über 5,1 infrage, wobei der DAS28 mindestens an zwei Untersuchungen im Abstand von einem Monat zu erheben ist. Bei den Patienten müssen ausserdem mindestens zwei DMARD zuvor versucht worden sein, darunter Methotrexat (sofern nicht kontraindiziert). Ein DMARD-Versuch ist hierbei definiert als eine normalerweise sechsmonatige Anwendung mit der Standarddosis für mindestens zwei Monate (sofern keine Einschränkung durch Toxizität
auftrat). Auch die TNF-Inhibitoren sollten normalerweise mit Methotrexat kombiniert werden. Wie beim Rituximab sollte die Therapie nur fortgesetzt werden, wenn innert sechs Monaten ein befriedigender Effekt messbar ist (DAS28 mindestens +1,2 Punkte); auch bei der Fortsetzung ist mindestens alle sechs Monate zu prüfen, ob der gewünschte Effekt anhält. Ein TNF-Inhibitor kann anstelle eines anderen versucht werden, falls Unverträglichkeiten auftreten. TNF-Inhibitoren sind auch bei Patienten mit schwerer, aktiver und progredienter rheumatoider Arthritis nicht als First-line-Medikament zu empfehlen; auch hier soll zuerst Methotrexat eingesetzt werden. Abatacept (Orencia®) ist zwar für die Behandlung bei rheumatoider Arthritis zugelassen, wird jedoch vom NICE nicht empfohlen, da diese Therapie nicht kosteneffizient sei.
Regelmässig den Krankheitsstatus überprüfen Bei allen Umstellungen und Anpassungen der medikamentösen Therapie ist der Krankheitsverlauf engmaschig zu kontrollieren. Dazu gehören die regelmässige Messung des CRP sowie die Erhebung der Krankheitsaktivität mit dem DAS28-Score, bei dem 28 Gelenke beurteilt werden. Nach der Erstdiagnose und bei aktiver Krankheit sollte die Kontrolle monatlich erfolgen. Bei stabiler Erkrankung können die Intervalle in Absprache mit dem Patienten grösser sein. Es sei aber wichtig, dass der Patient jederzeit wisse, wie er rasch einen Spezialisten aufsuchen kann, betonen die NICE-Autoren. Mindestens einmal jährlich sind folgende Kontrollen notwendig: Erfassen von Krankheitsstatus und -aktivität, von Komorbiditäten wie Hypertonie, ischämische Herzkrankheit, Osteoporose oder Depression sowie von Symptomen für Komplikationen wie Vaskulitis oder Erkrankungen der Wirbelsäule, Lunge oder Augen.
Chirurgie Bedenken hinsichtlich der Langzeithaltbarkeit von Gelenkprothesen sollten kein Grund sein, diese jüngeren Patienten mit rheumatoider Arthritis vorzuenthalten. Einen chirurgischen Eingriff kann man bei persistierenden Schmerzen erwägen sowie bei einer Verschlechterung von Gelenkfunktionen, progredienten Verformungen und persistierender lokaler Synovitis. Um bleibende Schäden zu verhindern, sollen Patienten mit drohender oder aktueller Sehnenruptur, Nervenkompression (z.B. Karpaltunnelsyndrom) oder Stressfrakturen zum Chirurgen überwiesen werden. Ein chirurgischer Eingriff habe primär das Ziel der Schmerzlinderung sowie der Besserung beziehungsweise Prävention von Verschlechterungen der Gelenkfunktion oder fortschreitender Deformation. Rein kosmetische Verbesserungen seien hingegen kein Grund für einen chirurgischen Eingriff, so die NICE-Autoren. Bei Anzeichen für septische Arthritis (besonders bei Gelenkprothesen) ist sofort eine medikamentöse und chirurgische Behandlung einzuleiten. Ebenfalls dringend ist die MRI-Untersuchung, falls Symptome einer Rückenmarkschädigung auftreten, wie Parästhesien, Schwäche oder Babinski-Reflex.
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FORTBILDUNG
Physiotherapie und allgemeine Massnahmen Patienten mit rheumatoider Arthritis sollten regelmässig Physiotherapie erhalten, um die allgemeine Fitness, Beweglichkeit und Muskelkraft zu stärken. Sie sollten darüber hinaus über schmerzlindernde Massnahmen wie TENS oder Wachsbäder informiert werden. Falls rheumabedingte Probleme bei Alltagsaktivitäten bestehen, sollten entsprechende Unterweisungen erfolgen. Auch Fusspflege, Einlagen und entsprechendes Schuhwerk sind wichtig. Wie bei allen chronischen Krankheiten sind auch Patienten mit rheumatoider Arthritis möglichst umfassend und verständlich über ihre Erkrankung zu informieren und gegebenenfalls psy-
chologisch zu unterstützen. Hierbei kommt Organisationen
wie der Rheumaliga eine wichtige Rolle zu.
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Renate Bonifer
Interessenlage: Der Erstautor gibt an, für seine Arbeitsgruppe Forschungsgelder von Wyeth, Schering-Plough und Abbott erhalten zu haben.
Quellen: Deigthon C et al.: Management of rheumatoid arthritis: summary of NICE guidance. BMJ 2009; 338: 710—712. National Institute for Health and Clinical Excellence: The management of rheumatoid arthritis in adults. (Clinical guideline 79). London: NICE, 2009. www.nice.org.uk/GC79
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