Transkript
FORTBILDUNG
Antidepressiva bei Fibromyalgie
Linderung von Schmerzen, Schlafstörungen und depressiver Stimmung
Bei Studien zur medikamentösen Therapie bei Fibro-
myalgie wurden am häufigsten die Effekte von Antide-
pressiva untersucht, doch entsprechende Metaanaly-
sen sind rar. In einer kürzlich publizierten Metaana-
lyse wird Antidepressiva eine positive Wirkung auf
fibromyalgietypische Symptome wie Schmerz und
Depression sowie auf die Lebensqualität bescheinigt.
JAMA
Zu den Auswahlkriterien der Studien für die Metaanalyse gehörte neben der standardmässigen Forderung nach einem randomisierten, plazebokontrollierten Design die Forderung, dass die Fibromyalgiediagnose anhand allgemein anerkannter Kriterien gestellt worden war. In der Metaanalyse wurden die Endpunkte Schmerz, Fatigue, Schlafstörungen und Depression sowie die Lebensqualität ausgewertet. Die Suche nach Fibromyalgiestudien in mehreren einschlägigen Datenbanken über den Zeitraum von 1966 bis 2008 lieferte zwar über 300 Publikationen, in denen von Fibromyalgie und Antidepressiva die Rede war, doch fielen die allermeisten bereits durch das erste grobe Raster und nur 34 von ihnen waren einer detaillierteren Evaluation würdig. Am Ende blieben für die Metaanalyse 18 Fibromyalgiestudien mit insgesamt 1427 Patienten übrig. Diese Studien wurden in Nordamerika oder Puerto Rico (11), Brasilien (1), Skandinavien und Belgien (5) und der Türkei (1) durchgeführt. In allen Studien waren Patienten mit schweren somatischen Krankheiten ausgeschlossen. Elf Studien schlossen auch Patienten mit schweren mentalen Störungen aus, zehn Studien Personen im Alter unter 18 beziehungsweise über 60 Jahre; vier Studien schlossen Fibromyalgiepatienten aus, die zum fraglichen Zeitpunkt einen IV-Antrag gestellt hatten. Der Frauenanteil war mit median 98 Prozent extrem hoch; sieben Studien hatten von vornherein nur Frauen aufgenommen. Die Studien dauerten im Mittel zwei Monate (4 bis 28 Wochen) und sie befassten sich jeweils mit einer oder mehreren Sub-
stanzen. Tri- und tetrazyklische Antidepressiva wurden in acht Studien untersucht (7 Amitriptylin [Tryptizol®, Saroten® retard], 1 Nortriptylin [Nortrilen®]), MAO-Hemmer in drei (2 Moclobemid [Aurorix®, Moclo A®], 1 Pirlindole [nicht auf dem Markt]), SSRI in sechs (3 Fluoxetin [Fluctine® und Generika], 2 Citalopram [Seropram® und Generika], 1 Paroxetin [Deroxat® und Generika]) und SNRI in vier Studien (3 Duloxetin [Cymbalta®], 1 Milnacipram [nicht auf dem Markt]). Zusätzliche Medikamente waren in allen Studien erlaubt, auch Schmerzmittel wie Paracetamol. Ein Follow-up, welches Aufschluss über den weiteren Verlauf nach dem Absetzen der Antidepressiva hätte geben können, erfolgte in keiner der Studien. Die Compliance der Teilnehmer während der Studie wurde nicht speziell kontrolliert und in keiner der Studien wurden Serumspiegel der Antidepressiva erfasst. Im Durchschnitt waren 71 Prozent der Verum- und 78 Prozent der Plazebopatienten bis zum Studienabschluss dabei.
Resultate Wirksamkeit bescheinigen die Autoren den Antidepressiva auf die Linderung von Schmerzen, Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen, auch können sie eine Steigerung der Lebensqualität bewirken. Fatigue hingegen wurde nur von triund tetrazyklischen Antidepressiva (TCA), nicht aber von den anderen Substanzgruppen beeinflusst.
Merksätze
■ Antidepressiva können bei Fibromyalgiepatienten Schmerzen, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen lindern sowie eine Steigerung der Lebensqualität bewirken.
■ Fatigue wird bei diesen Patienten nur von tri- und tetrazyklischen Antidepressiva (TCA), nicht aber von den anderen Substanzgruppen beeinflusst.
■ Es gibt noch keine Studien über den Langzeitgebrauch von Antidepressiva bei Fibromyalgie.
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A N T I D E P R E S S I VA B E I F I B R O M YA LG I E
TCA hatten eine relativ starke Wirkung gegen Schmerzen, während diese bei MAO-Hemmern mittelmässig und bei SSRI und SNRI nur gering war. Die Dosis der trizyklischen Antidepressiva lag mit 12,5 bis 50 mg pro Tag im typischen Schmerztherapiebereich, aber noch weit unter der Dosis, die für einen antidepressiven Effekt nötig wäre. Es war somit nicht erstaunlich, dass diese Medikamente in der Metaanalyse bezüglich Depressionen keine Wirkung zeigten. Erstaunlicherweise fanden die Autoren eine solche auch nicht bei den mit SSRI behandelten Fibromyalgiepatienten, obwohl hier die Dosis im für die Depressionsbehandlung üblichen Bereich lag. Nur bei den SNRI zeigte sich der zu erwartende Effekt einer Stimmungsaufhellung. Die relativ kleinen Fallzahlen erlaubten aber keine Aussagen darüber, ob ein bestimmtes Antidepressivum bei Fibromyalgie generell besser sein könnte als ein anderes, so die Autoren. Vor einiger Zeit wurde ein «publication bias» bei Antidepressivastudien kritisiert. Negative Studien würden demnach gar nicht erst publiziert, sodass die Wirksamkeit der Medikamente überschätzt werde. Die Autoren der vorliegenden Metaanalyse schliessen aus der Struktur der ihnen vorliegenden Daten, dass derartige Verzerrungen hier nicht vorlagen und die errechneten Effektgrössen ein realistisches Bild der Wirksamkeit von Antidepressiva bei Fibromyalgie widerspiegelten.
Schlussfolgerungen Obgleich die Autoren zunächst schreiben, man könne keine Aussagen darüber machen, welches Antidepressivum bei Fibromyalgie am besten sei, sprechen sie am Ende doch zwei Empfehlungen aus, nämlich den kurzzeitigem Gebrauch von Amitriptylin (wegen des starken Effekts) oder Duloxetin (wegen der relativ grossen Patientenzahl in diesen Studien). Selbstverständlich dürften keine Kontraindikationen bestehen und allfällige Begleiterkrankungen, das Nebenwirkungsprofil und die Präferenz des Patienten seien ebenfalls zu berücksichtigen. Man müsse mit dem Patienten auf jeden Fall auch klare Ziele definieren (Linderung der Beschwerden, keine «Heilung»). Da es zur Langzeitanwendung von Antidepressiva bei Fibromyalgie keine Studien gibt, muss in regelmässigen Abständen überprüft werden, ob die Vorteile der Antidepressivabehandlung deren Nachteile (Nebenwirkungen) überwiegen.
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Renate Bonifer
Häuser W., Bernardy K., Üçeyler N., Sommer C.: Treatment of fibromyalgia syndrome with antidepressants. A meta-analysis. JAMA 2009; 301: 198—209.
Interessenlage: Der Erstautor gibt Vortragshonorare von Lilly, Mundipharma, Pfizer und Janssen-Cilag an sowie Beraterhonorare von Lilly und Pfizer; KB erhielt Kongressreisenunterstützung von Lilly und Pfizer, CS Vortragshonorare von Boehringer Ingelheim, Genzyme, Pfizer und Schwarz-Pharma.
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