Transkript
FORTBILDUNG
Ulcus cruris
Nicht immer sind die Venen schuld
a
Ulzerationen an den Unterschenkeln können bei einer Vielzahl von Erkrankungen auftreten. Die mit Abstand häufigste Ursache ist eine chronische venöse Insuffizienz. Nach adäquater Behandlung sollte sich innerhalb von drei Wochen eine Besserung des Befundes einstellen. Bleibt diese aus, ist auch an andere Ursachen der Ulzera zu denken.
STEPHAN KOBUS, STEFANIE REICH SCHUPKE, PETER ALTMEYER, MARKUS STÜCKER
c
b Abbildung 1a: Venöses Ulcus cruris in typischer Lokalisation Abbildung 1b: Arteriell bedingtes Ulkus mit Nekrosen der Endstrombahn Abbildung 1c: Necrobiosis lipoidica bei langjährig bestehendem Diabetes mellitus
Bei der chronischen venösen Insuffizienz kann es durch die venöse Stauung zu trophischen Störungen mit Ulzerationen kommen. Die typische Lokalisation für venöse Ulzera liegt am medialen Knöchel des Unterschenkels und ist als schwerste Form der chronisch venösen Insuffizienz anzusehen (Abbildung 1a). Die Lokalisation der Ulzerationen kann also einen Hinweis auf ihre Genese geben. So sind polyneuropathisch bedingte Ulzerationen typischerweise an druckexponierten Arealen der Fusssohlen oder Seitenkanten zu finden. Defizite der arteriellen Versorgung führen meist zu chronischen Wunden im Bereich der Endstrombahn (Abbildung 1b), wie zum Beispiel an den Akren und dem lateralen Knöchel des Unterschenkels. Auch Stoffwechselkrankheiten wie zum Beispiel ein Diabetes mellitus können zu Hautveränderungen im Bereich der Unterschenkel führen (Abbildung 1c). Treten Ulzerationen an untypischen Lokalisationen oder an mehreren Stellen gleichzeitig auf und sind gegebenenfalls mit weiteren Hauterscheinungen an anderer Stelle vergesellschaftet, sollte man bei Fehlen von venösen und arteriellen Ursachen insbesondere an maligne Grunderkrankungen und infektassoziierte Erkrankungen denken. Unter den malignen Erkrankungen ist in erster Linie an Plattenepithelkarzinome und in seltenen Fällen auch an Basalzellkarzinome zu denken, jedoch auch an kutane Lymphome und das seltene Kaposi-Sarkom, welche mit Ulzerationen einhergehen können.
Plattenepithelkarzinom Das Plattenepithelkarzinom tritt primär an lichtexponierten Arealen auf und geht mit dem Grad der Lichtexposition (Sonnenbräune) einher. Jedoch kommen Plattenepithelkarzinome auch an nicht lichtexponierten Stellen vor. Hier sind als pathogenetische Faktoren Papillomaviren als wahrscheinlich anzunehmen. Des Weiteren können aber auch externe Noxen wie Bestrahlung (Abbildung 2), mechanische und chemische Irritationen sowie Malnutrition zur Induktion eines Plattenepithelkarzinoms führen. Therapeutisch stellt die chirurgische Exzision bei ulzerierenden Tumoren an den Unterschenkeln (Abbildung 2) die Therapie der Wahl dar. Bei inoperablen oder ausgedehnten Befunden sind die Bestrahlung oder die Chemotherapie (z.B. MTX) probate Mittel. In Einzelfällen kann bei metastasierten Fällen eine Therapie mit Cetuximab erfolgen.
Merksätze
■ Bei Ulzera an untypischen oder mehreren Stellen sollte man auch an maligne Erkrankungen oder Infektionen denken.
■ Das Pyoderma gangraenosum ist assoziiert mit entzündlichen Grunderkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa.
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ULCUS CRURIS
Abbildung 3: Kutanes grosszelliges T-Zell-Lymphom im Bereich des Unterschenkels. Zusätzlich bestanden am übrigen Integument Erytheme und Plaques.
Abbildung 2: Therapieresistentes Ulkus auf dem Boden eines strahleninduzierten Plattenepithelkarzinoms. Gleichzeitig bestand eine chronische venöse Insuffizienz.
Abbildung 4: Ulzeriertes Kaposi-Sarkom, welches nach mehrfacher Vorbestrahlung erneut als therapierefraktäres Ulkus am Vorfuss in Erscheinung trat.
Kutanes T-Zell-Lymphom Das kutane T-Zell-Lymphom ist eine Erkrankung, welche sich durch eine primär kutan ablaufende, monoklonale T-Zell-Proliferation auszeichnet. Auch extrakutane Manifestationen können auftreten. Die Klassifikation der T-Zell-Lymphome erfolgt nach klinischen, histologischen/immunhistologischen und molekularbiologischen Kriterien. Am häufigsten manifestieren sich kutane T-Zell-Lymphome als Mycosis fungoides, SézarySyndrom, lymphomatoide Papulose oder als pagetoide Papulose. Das klinische Erscheinungsbild variiert stark und reicht von diskreten kleinfleckigen Erythemen bis hin zu disseminierten, ulzerierten Tumorknoten (Abbildung 3). In seltenen Fällen kann es auch zu pannikulitisartigen Verläufen kommen. Therapeutisch steht neben der symptomatischen Therapie der bestehenden Ulzerationen die stadiengerechte Therapie des kutanen T-Zell-Lymphoms mittels PUVA, Interferonbehandlung, Chemotherapie oder Radiatio im Vordergrund.
Kaposi-Sarkom Das Kaposi-Sarkom ist ein multifokal proliferierendes Neoplasma aus spindelförmigen, niedrig malignen Zellen mesenchymalen Ursprungs. Es ist sehr häufig bei immuninkompetenten Patienten zu finden, insbesondere in Verbindung mit einer HIV-Infektion. Es existieren aber auch endemische Varianten, welche in Afrika und unter der südeuropäischen Bevölkerung vorkommen. Klinisch stellt sich das Kaposi-Sarkom mit initial braunroten bis violetten Flecken dar, aus denen plaqueartige und knotige Tumoren entstehen können. Diese Tumorknoten neigen zur Konfluenz und Ausbildung neuer Herde mit der Tendenz zu Ulzerationen (Abbildung 4). Die
Ausprägung der Herde orientiert sich an den Spaltlinien der Haut. Therapeutisch kommen kryotherapeutische und Laserverfahren zum Einsatz. Ausgedehnte Befunde bedürfen einer weitergehenden Therapie wie zum Beispiel der Bestrahlung. Zudem kommen intraläsionale oder systemische Chemotherapien zum Einsatz, welche mit einer Bestrahlung kombiniert werden können.
Leukozytoklastische Vaskulitis
Hierbei handelt es sich um eine Entzündung der kleinen Ge-
fässe, welche durch Ablagerung von zirkulierenden Immun-
komplexen oder Bakterientoxinen in den Gefässwänden mit
nachfolgender Komplementaktivierung ausgelöst wird. Frauen
sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer. Die
Erkrankung kommt sowohl im Erwachsenen- als auch im
Kindesalter vor.
Als auslösende Faktoren sind Medi-
kamente, Infekte, Autoantigene, Mali-
gnome und Virushepatitiden zu nen-
nen. In nahezu der Hälfte der Fälle
bleibt die Ursache jedoch unklar. Kli-
nisch findet sich häufig eine palpable
Purpura. In späteren Stadien kann es
zu hämorrhagischen Blasen und Ulze-
rationen kommen (Abbildung 5).
Histologisch zeigt sich eine leukozyto-
klastische Vaskulitis postkapillärer Ve-
Abbildung 5: Leukozytoklastische Vaskulitis mit ekthymaartigen Ulzerationen und angedeuteter Purpura
nolen mit fibrinoider Verquellung der Gefässwand und/oder Thromben in den Lumina. Therapeutisch kommen in erster Linie Steroide infrage, jedoch
können bei Therapieresistenz auch
Azathioprin und intravenöse Immun-
globuline verabreicht werden.
Abbildung 6: Pyoderma gangraenosum, mit bizarren schmerzhaften Ulzerationen und rötlich-braunem Randsaum
Pyoderma gangraenosum Das Pyoderma gangraenosum zeichnet sieh durch bizarr konfigurierte, multiple Ulzerationen in atypischer Lokalisation aus (Abbildung 6), welche von einem rot-lividen Randsaum umgeben werden. Die Veränderungen sind meist schmerzhaft. Das Pyoderma gangraenosum ist assoziiert mit entzündlichen Grunderkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, Kollagenosen sowie chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (M. Crohn/Colitis ulcerosa). Ebenso findet man es gemeinsam mit abszedierenden Lungenerkrankungen, einer monoklonalen Gammopathie oder myeloproliferativen Erkrankungen. Therapeutisch kommen neben
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FORTBILDUNG
Tabelle: Differenzialdiagnosen des Ulcus cruris
1. Vaskuläre Ursachen a. Chronische venöse Insuffizienz b. Periphere arterielle Verschlusskrankheit, isoliert oder in Kombina-
tion mit einer chronischen venösen Insuffizienz c. Angiodysplasie d. Lymphabflussstörungen
2. Vaskulitiden a. Begleitvaskulitis bei Autoimmunerkrankungen wie Kollagenosen b. Livedovaskulitis/-vaskulopathie c. Periarteriitis nodosa d. Pyoderma gangraenosum e. Kutane leukozytoklastische Vaskulitis
3. Vaskulopathie/Mikrozirkulationsstörung Diabetische Mikroangiopathie Kryoglobulinämie Nekrobiosis lipoidica Ulcus hypertonicum Martorell Cholesterinembolien Kalziphylaxie
4. Hämatologische Ursachen a. Sichelzellanämie b. Sphärozytose c. Thalassämie d. Sideroachrestische Anämie
5. Myeloproliferative Erkrankungen a. Plasmozytom b. Polycythaemia vera c. Thrombozythämie d. Morbus Werlhof
6. Neuropathische Ursachen Infektionen a. Mykosen b. Bakterielle Infektionen c. Infektionen durch Protozoen d. Virale Infektionen
7. Metabolische Ursachen a. Arzneimittel b. Hydroxyureatherapie c. Amyloidose d. Gicht e. Diabetes mellitus
8. Ulzerierte Hauttumoren
9. Chemische/physikalische Ursachen
10. Artefakte
ab
d c
Abbildung 7a: Erysipel mit ausgedehnten bullösen und hämorrhagischen Veränderungen Abbildung 7b: Ekthymata mit ausgestanzt wirkenden Ulzerationen Abbildung 7c: Gramnegativer Fussinfekt, zudem bestand ein für den Befund typischer Foetor. Abbildung 7d: Nekrotisierende Fasziitis, welche sich innerhalb von wenigen Tagen fulminant entwickelte.
Infektassoziierte Ulzerationen
Infektionen der Haut, des Gefässsystems oder der Lymphgefässe
kommen als Auslöser von Ulzerationen infrage. Insbesondere
das Erysipel (Abbildung 7a), das Ekthym (Abbildung 7b), Pyo-
dermien und chronische Infektionskrankheiten wie Mykobak-
teriosen sowie parasitäre Infektionen und Mykosen können mit
Ulzerationen einhergehen. So können beispielsweise gram-
negative Erreger, ausgehend von den Zehenzwischenräumen,
zu schweren Infektionen des Unterschenkels führen (Abbil-
dung 7c).
Bleibt es nicht bei einer Beteiligung von oberflächlichen Struk-
turen, können auch tiefer liegende Gewebe wie Muskelfaszien
betroffen sein, wo es zu einer rasch progredienten nekrotisie-
renden Fasziitis kommen kann (Abbildung 7d).
Als Eintrittspforten fungieren häufig Affektionen der Zehen-
zwischenräume, Lymphödeme, Verletzungen der Haut oder
des Weichteilgewebes, mangelnde Hygiene, feuchtwarmes
Klima, eine chronisch venöse Insuffizienz, ein geschwächter
Allgemeinzustand, mangelhafte Durchblutung im Bereich
der Akren (Akrozyanose) sowie angeborene oder erworbene
Immundefizite.
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Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de/downloads
Stephan Kobus Dr. med. Stefanie Reich Schupke
Prof. Dr. med. Peter Altmeyer Prof. Dr. med. Markus Stücker
St. Maria-Hilf-Krankenhaus Venenzentrum
D-44805 Bochum
der Wundbehandlung interne Therapien mit Cyclosporin A, Azathioprin, interne Steroide, intravenöse Immunglobuline sowie resistogrammangepasste Antibiosen zum Einsatz.
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 10/2009. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorenschaft.
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