Transkript
FORTBILDUNG
Generika in der Epilepsiebehandlung
Umstellung kann nur zusammen mit dem Patienten gelingen
In der medikamentösen Epilepsiebehandlung ist
Kontinuität von grösster Wichtigkeit. Bei Therapie-
umstellungen — etwa bei einem Wechsel von einem
Markenpräparat auf ein Generikum oder von einem
Generikum zu einem anderen — ist dem Behandlungs-
ziel Anfallsfreiheit Priorität einzuräumen.
BMC NEUROLOGY
Der steigende Kostendruck im Gesundheitswesen hat in den letzten Jahren zu einem Siegeszug der Generika geführt. Obwohl die Preisdifferenzen nicht mehr so gross sind, kann der Wechsel bei gewissen Patienten mit chronischen Krankheiten und daher hohen Medikamentenkosten wie Hypertonie oder Hyperlipidämie zu Einsparungen führen. Dies ohne Weiteres auf Epilepsiepatienten, die ebenfalls langfristig Medikamente schlucken müssen, zu übertragen, ist jedoch nicht statthaft, wie der US-amerikanische Epileptologe Kore Liow in «BMC Neurology» schreibt. Dies liegt daran, dass Epilepsien typischerweise in einer Alles-oder-nichts-Form auf die Therapie ansprechen. Viele Epileptikerinnen und Epileptiker können gut auf Generika eingestellt werden, bei anderen kann der Wechsel verheerende Folgen haben, da ein einziger Durchbruchanfall den Betroffenen einem direkten Verletzungsrisiko oder der Gefahr aussetzt, seine Arbeit oder die Fahrerlaubnis zu verlieren. In solchen Fällen müssen den eingesparten Medikamentenkosten die Auslagen für Notfalluntersuchungen, Hospitalisationen und die direkten Kosten für den Patienten gegenübergestellt werden. Inzwischen haben etliche Antiepileptika der neueren Generation ihren Patentschutz verloren und Generikakonkurrenz erhalten, weitere werden folgen (Beispiele aus der Schweiz in der Tabelle). Im Zuge dieser Entwicklung ist auch eine Flut von anekdotischen Berichten, retrospektiven Analysen und Übersichten erschienen, die alle Fragezeichen hinter die Auswechselbarkeit von Markenpräparaten und Generika setzen und trotz wenig überzeugender methodologischer Stringenz manche Neurologen und Epileptologen verunsichern, von den
Patienten ganz zu schweigen, denen man die zuverlässige Befolgung der Therapie zwecks Anfallfreiheit eingehämmert hat. «Die Diskussion wird auch weiter anhalten, bis gut kontrollierte Studien die kausale Beziehung zwischen Generikasubstitution und einem erhöhten Risiko für die Patienten, sei es wegen Durchbruchanfällen, sei es wegen erhöhter Toxizität, klären», so Kore Liow.
Bioäquivalenz und therapeutische Äquivalenz Mit gewissen Unterschieden im Detail fordern die USA ebenso wie die Europäische Union (oder die Schweiz) bei der Zulassung eines Generikums eine Erfassung der Bioäquivalenz im Rahmen kleiner Studien an Freiwilligen, in denen ein Vergleich der Absorptionsrate des Wirkstoffs (Spitzenplasmakonzentration und zeitlicher Plasmakonzentrationsverlauf als «area under the curve» [AUC]) zwischen ursprünglichem Markenpräparat und Generikum erfolgt. Für die Bioäquivalenz wird ein Streubereich bei den pharmakokinetischen Parametern akzeptiert, der beispielsweise 80 bis 125 Prozent betragen kann. Kritiker sind schnell zur Stelle, die bemängeln, dass solche Bioäquivalenzstudien typischerweise mit Einzeldosen bei einer kleinen Anzahl gesunder junger Freiwilliger erfolgen, was keineswegs der typischen Population von Epileptikern entspricht, von denen ein gewichtiger Anteil pädiatrische und alte Patienten sind, und dass so der Einfluss von Komedikationen oder Komorbiditäten nicht erfasst werden kann.
Merksätze
■ Selbst ein einzelner Durchbruchanfall kann die Lebensqualität gravierend beeinflussen; die wichtigen Fragen um die Generikasubstitution gehören daher auch in die Patientenschulung.
■ In jedem Fall muss die Kontinuität der Therapie gewahrt bleiben, die bisher die Anfälle unter Kontrolle hielt.
■ Ein Wechsel von einem Markenantiepileptikum zu einem Generikum oder von einem Generikum zu einem anderen darf nur im Einverständnis und mit Wissen von Arzt und Patient erfolgen, damit Zeichen von Über- oder Untertherapie rasch erfasst und korrigiert werden können.
748 ARS MEDICI 18 ■ 2009
GENERIKA IN DER EPILEPSIEBEHANDLUNG
KOMMENTAR
Dr. Thomas Dorn, Schweizerisches Epilepsie-Zentrum Zürich
Die Bedeutung von Galenik und Compliance in der Pharmakotherapie der Epilepsien
Auch wenn es zu den Auswirkungen eines Wechsels der Galenik eines Antiepileptikums keine wissenschaftliche Evidenz aus grossen randomisierten Vergleichsstudien gibt, weisen kasuistische Veröffentlichungen und die Ergebnisse von Befragungen von Neurologen und Epileptologen aus den USA (1) und dem deutschsprachigen Raum (2) darauf hin, dass es im Gefolge eines solchen Wechsels zum Wiederauftreten beziehungsweise vermehrten Auftreten von Anfällen und Nebenwirkungen kommt. Dies führt zu vermehrten Telefonkontakten, zusätzlichen Praxisbesuchen, Notarzt- oder Notaufnahmekontakten und Krankenhausaufnahmen, wobei die epidemiologische Bedeutung dieser Probleme aus derartigen Befragungen natürlich nicht erschlossen werden kann. Unabhängig von der uns nicht bekannten Häufigkeit von Komplikationen bei einer solchen Umstellung ist aber plausibel, dass ein einzelner im Zusammenhang eines Galenikwechsels nach langjähriger Anfallsfreiheit auftretender Anfall erhebliche negative soziale Folgen haben und zum Beispiel zum Verlust eines Arbeitsplatzes führen kann.
Als Grund für die Schwierigkeiten beim Wechsel der Galenik wird angeführt, dass die in vielen Ländern gültigen Vorschriften bezüglich der Bioäquivalenz (das heisst, dass der Gruppenmittelwert bestimmter pharmakokinetischer Parameter bei einem Generikum 80 bis 125 Prozent des entsprechenden Werts des Originalpräparats betragen muss) nicht ausreichend sind, um im Fall einer Epilepsie das Auftreten von Anfällen nach langjähriger Anfallsfreiheit oder auch das plötzliche Auftreten von Nebenwirkungen zu verhindern. Der Autor der hier vorge-
stellten Veröffentlichung erwähnt aber auch, dass der Wechsel eines Präparats eine besondere Herausforderung für die Adhärenz des Patienten und damit auch für das Arzt-Patienten-Verhältnis darstellt. Ohnehin sollte bei der Betreuung von Patienten mit Epilepsie auf diesen Aspekt Wert gelegt werden, zeigte doch eine Studie, dass nach Anfällen bestimmte Antiepileptika-Serumkonzentrationen in rund 40 Prozent der so erfassten Situationen um mehr als 50 Prozent niedriger als die routinemässig gewonnenen Werte sind (3).
Weiterhin ist festzuhalten, dass die angegebenen Probleme bei jedem Wechsel der Galenik eines bestimmten Wirkstoffes auftreten können, unabhängig davon, ob ein Wechsel vom Originalpräparat zum Generikum oder umgekehrt oder auch von Generikum zu Generikum erfolgt. Schliesslich ist auch darauf hinzuweisen, dass manche Generika eine vorteilhaftere Galenik besitzen beziehungsweise «patientenfreundlicher» sind als die entsprechenden Originalpräparate (2).
Bei anfallsfreien Patienten soll also ein Wechsel der Galenik vermieden werden. Wenn bei (nicht anfallsfreien) Patienten eine Umstellung auf ein anderes Präparat erfolgt, sind sie sorgfältig über die neuen Tabletten zu informieren und zu instruieren. Ferner ist der Wechsel durch die Bestimmung eines Medikamentenspiegels vor der Umstellung und dessen Vergleich mit den bei allfälligen Anfällen oder Nebenwirkungen im Verlauf beziehungsweise nach der Umstellung bestimmten Serumkonzentrationen zu begleiten, um die Ursachen, auch allfällige Adhärenzmängel, besser zu erfassen und daraus dann die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Selbstverständlich spricht nichts gegen die Verordnung eines Generikums, wenn ein neuer Wirkstoff — sei es zur Erstbehandlung, sei es im Verlauf einer Behandlung — zum Einsatz kommen soll.
1. Wilner AN. Therapuetic equivalency of generic antiepileptic drugs: results of a survey. Epilepsy and Behaviour 2004; 5: 995—998.
2. Kraemer G, Steinhoff BJ, Feucht M, Pfäfflin M, May TW. Erfahrungen mit Generika bei Epilepsiepatienten. Ergebnisse einer Internet-basierten Befragung in Deutschland, Österreich. Epileptologie 2006; 23: 152—161.
3. Specht U, Elsner H, May TW, Schimichowski B, Thorbecke R. Postictal serum levels of antiepileptic drugs for detection of noncompliance. Epilepsy Behav. 2003; 4: 487—495.
Ausserdem kann ein Wechsel unter Generika, von denen das eine am unteren, das andere am oberen Rand des Akzeptanzbereichs zugelassen wurde, zu Problemen führen. Um dem Rechnung zu tragen, wurde der Akzeptanzbereich für die Bioäquivalenz bei Generikasubstitution enger gefasst (z.B. in Dänemark auf 90 bis 111%). Fallberichte – mit allen Unwägbarkeiten einer retrospektiven Optik – deuten immer wieder darauf hin, dass trotz Bioäquivalenz die therapeutische Äquivalenz beim individuellen Patienten nicht gegeben sein kann, was für diesen ernsthafte Konsequenzen, zum Beispiel einen erneuten Krampfanfall nach langer Anfallsfreiheit, haben kann. Im Umgang mit der Problematik hat die American Academy of Neurology (AAN) klar Stellung bezogen und sich gegen die Generikasubsitution ohne Zustimmung des behandelnden Arztes
gewandt und zudem gefordert, dass der Einsatz neuerer Antiepileptika nicht durch finanzielle Hürden eingeschränkt werden dürfe. Damit will diese Instanz, ebenso wie viele andere, nicht etwa den Generikaeinsatz bei Epilepsie an sich verhindern, denn das kostensparende Potenzial bei Erstverschreibungen oder auch beim sorgfältig überwachten Wechsel im Rahmen einer Therapieumstellung wird durchaus anerkannt.
Insuffiziente Datenlage Zwar erschienen erste Berichte über Durchbruchanfälle beim Wechsel zu generischen Antiepileptika schon in den Achzigerjahren, die Datenlage bleibt jedoch ausgesprochen dürftig, da rigorose gut kontrollierte Studien fehlen. Auch eine MedlineSuche der Publikationen der letzten fünf Jahre ergab wenig Erhellendes. Zwar traten die meisten Publikationen für eine Ein-
ARS MEDICI 18 ■ 2009 749
FORTBILDUNG
Tabelle: Gebräuchliche Antiepileptika Tabelle: Originalpräparate und Generika
Wirkstoff Acetazolamid Carbamazepin
Clobazam Clonazepam Gabapentin
Lamotrigin
Levetiracetam Nitrazepam Phenobarbital
Pregabalin Primidon Rufinamid Sultiam Topiramat Valproat
Vigabatrin Zonisamid
Originalpräparat Diamox® Tegretol®
Urbanyl® Rivotril® Neurontin®
Lamictal®
Keppra® Mogadon® Luminal®
Lyrica® Mysoline® Inovelon® Ospolot® Topamax® Depakine®, Depakine® Chrono
Sabril® Zonegran®
Generikum
— Carsol® CR, Neurotop® retard, Timonil®/-retard — — Gabantin®, GabapentinMepha®, Gabapentin Sandoz®, Gabitril® Lamotrigin Desitin®, Lamotrigin Helvepharm, Lamotrigin Sandoz®, Lamotrin-Mepha® — — Aphenylbarbit 15 mg/50 mg/ 100 mg — — — — — Valproat Chrono Desitin®, Valproat Sandoz® 300/500, Orfiril®/-long — —
Kasten: Für Patienten: Wege zu besseren Kasten: Erfahrungen mit Generika bei Epilepsie
■ Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob Sie ein geeigneter Kandidat für Generika sind oder ob bei Ihnen ein Risiko für erneute Anfälle besteht.
■ Lernen Sie die typischen Zeichen für eine Über- oder Unterbehandlung mit Ihrem Antiepileptikum oder dem entsprechenden Generikum kennen:
— Überbehandlung: Benommenheit, Schläfrigkeit, Hautausschlag — Unterbehandlung: Anfälle, Aura.
■ «Ehrlich währt am längsten»: Berichten Sie genau, wie Sie Ihre Medikamente — auch vergessene! — eingenommen haben und ob Sie Nebenwirkungen oder Durchbruchanfälle hatten. Hierbei hilft ein genaues Anfalls- und Nebenwirkungstagebuch.
■ Gehen Sie wenn möglich immer zur gleichen Apotheke, da man Sie dort kennt und freundlich behandelt.
■ «Kenne deine Pillen»: Ob Markenpräparat oder Generikum — merken Sie sich Grösse und Farbe. Schauen Sie genau an, was man Ihnen in der Apotheke aushändigt, stellen Sie wenn nötig Fragen.
■ «Meine Rechte als Patient»: Sie haben ein Recht darauf, das zu erhalten, was Sie zu erhalten erwarten. Gibt man Ihnen etwas anderes (z.B. ein Generikum), dem Sie nicht trauen, wenden Sie sich an Ihren Arzt.
grenzung der Generikasubstitution bei Epilepsie ein, aber es handelte sich überwiegend um unkontrollierte Beobachtungen. Kore Liow hebt bloss zwei überzeugendere Studien jüngsten Datums hervor, die anhand der Auswertung von Verschreibungsdaten zeigten, dass bei Antiepileptika im Vergleich zu anderen Wirkstoffklassen ein Wechsel zurück zum ursprünglichen Markenpräparat häufiger vorkam und dass bei denjenigen Patienten, die nicht wieder zurückwechselten, ein statistisch signifikanter Anstieg der Antiepileptikadosis zu beobachten war. In der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur fänden die seit Langem gehegten Bedenken von Ärzten und Patienten hinsichtlich Generikasubstitution und Durchbruchanfällen durchaus ihre Stütze, hält der Autor fest, und die erfolgreiche Anfallskontrolle dürfe nicht auf dem Altar kurzfristiger Kosteneinsparungen geopfert werden. Dies entspricht der Verpflichtung, die der Arzt gegenüber seinen Patienten hat.
Da heute eine Vielzahl neuerer und älterer Antiepiletika als
Primär- und Sekundärtherapie zum Einsatz kommt, ist die Be-
handlung für die Patienten oft verwirrend und muss (immer
wieder) hinsichtlich erwünschter Wirkung und möglicher Ne-
benwirkungen möglichst genau erklärt werden. Dem Arzt fällt
auch die Rolle zu, auf die Wichtigkeit der Patientencompliance
und Therapieadhärenz hinzuweisen.
■
Kore Liow (Via Christi Comprehensive Epilepsy Center, University of Kansas School of Medicine, Wichita/USA): Understanding patients’ perspective in the use of generic antiepileptic drugs: compelling lessons for physicians to improve physician/patient communication. BMC Neurology 2009; 9: 11. DOI: 10.1186/1471-2377/9/11.
Interessenkonflikte: Der Originalautor deklariert finanzielle Zuwendungen für Forschung und Beratertätigkeit der wichtigen Pharmafirmen mit Interessen auf dem Gebiet der Epilepsiebehandlung.
Halid Bas
Tipps zur Arzt-Patienten-Kommunikation Da sich das Umfeld der Therapie aber – zum Beispiel wegen finanzieller Zwänge im Gesundheitswesen – ändern kann, muss die Arzt-Patienten-Kommunikation Schritt halten. Hierzu gibt der Autor einige Ratschläge (Kasten).
750 ARS MEDICI 18 ■ 2009