Transkript
STUDIE REFERIERT
Fischöl ohne Effekt auf Arrhythmien
Unklarer Nutzen in der kardialen Sekundärprävention
Ein systematischer Review hat die
Evidenz randomisierter kontrol-
lierter Studien mit Fischölsupple-
mentation in der kardialen Sekun-
därprävention zusammengefasst.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Bisheriger Kronzeuge für den Einsatz von mehrfach ungesättigten Fettsäuren (Omega-3-Fettsäuren) ist die bereits 1999 veröffentlichte GISSI-PrevenzioneStudie, welche bei Herzinfarktpatienten die Verabreichung von Eicosapentaensäure (EPA) plus Docosahexaensäure (DHA) im Verhältnis von 1,2:1 mit Plazebo verglich. Die Omega-3-FettsäurenSupplementation führte nach 31/2 Jahren zu einer signifikante Reduktion der Gesamtmortalität und der Mortalität aufgrund kardiovaskulärer Ursachen. Als ausschlaggebend für diese günstige Wirkung wurde eine Reduktion der plötzlichen kardialen Todesfälle eruiert und daher ein antiarrhythmisches Potenzial von Omega-3-Fettsäuren in Fischöl postuliert. Inzwischen sind allerdings drei randomisierte Fischölstudien bei Patienten mit implantierten Defibrillatoren publiziert worden, die für Fischöl keinen günstigen Einfluss auf den Verlauf dokumentieren konnten, was sich auch in einem negativen systematischen Review niederschlug. Dafür könnten verschiedene Faktoren verantwortlich sein, wie schlechte Methodik, allzu optimistische Annahmen zur Effektgrösse, schlechte Patientencompliance und hohe Dropout-Raten mit konsekutiv schlechter sta-
tistischer Power der Studien sowie der Einsatz unterschiedlicher Fischölpräparate mit variierendem Gehalt von EPA und DHA. Den beiden Omega-3-Fettsäuren werden unter anderem wegen abweichender Effekte auf Natrium- und Kaliumkanäle auch unterschiedliche antiarrhythmische Potenzen nachgesagt. Den früheren, nicht schlüssigen systematischen Reviews wollten Hernando Leon und Mitautoren von der Universität von Alberta in Kanada ein umfassenderes, auch neueste Studien einschliessendes Datenset hinzufügen (1).
Methodik Die Materialsuche folgte den Empfehlungen der Cochrane Collaboration. Eingang fanden randomisierte kontrollierte Studien bis Herbst 2006, die Fischöl als Ernährungsergänzung untersuchten. Primärer Outcome waren eine Verringerung der Anzahl im EKG dokumentierter angemessener Auslösungen eines implantierbaren kardialen Defibrillators sowie plötzlicher Herztodesfälle. Sekundäre Outcomes betrafen Mortalität aller Ursachen und die kardiovaskulären Todesfälle. Die Autoren suchten für EPA oder DHA auch nach einer Dosis-Wirkungs-Beziehung mittels Metaregressionsanalyse.
Resultate 12 Studien mit insgesamt 32 779 Patienten entsprachen den Einschlusskriterien. Ein neutraler Effekt wurde in 3 Studien mit 1148 Patienten für die Defibrillatorauslösung gefunden (Odds Ratio [OR] 0,90, 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,55– 1,46), ebenso wie in 6 Studien mit 31 111 Patienten hinsichtlich plötzlicher kardialer Todesfälle (OR 81, 95%-KI 0,52–
1,25). 11 Studien mit über 32 000 Patienten dokumentierten die Effekte von Fischöl auf die Gesamtmortalität (OR 0,92, 95%-KI 0,82–1,03) und auf eine Reduktion kardial bedingter Todesfälle (OR 0,80, 95%-KI 0,69–0,92). Die Metaregressionsanalyse zeigte keine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen DHA und EPA und kardialen Todesfällen. Die Autoren führten auch Subgruppenanalysen bei Patienten mit Koronarerkrankung oder mit Status nach Herzinfarkt durch. 4 Studien mit 15 528 Patienten zeigten eine 26-prozentige Reduktion plötzlicher Todesfälle (OR 0,74, 95%-KI 0,59–0,92) unter Fischöl. 8 Studien mit 16 390 Patienten ergaben eine signifikante 20-prozentige Reduktion der kardial bedingten Todesfälle (OR 0,80, 95%-KI 0,69–0,93) bei Patienten mit KHK oder durchgemachtem Myokardinfarkt.
Merksätze
■ In einem neuen systematischen Review randomisierter Studien ergab die Einnahme von Fischölpräparaten eine signifikante Reduktion der Todesfälle aufgrund kardialer Ursachen, hatte aber keinen Effekt auf Arrhythmien oder die Gesamtmortalität.
■ Zwischen der Reduktion kardialer Todesfälle und der Art des Fischöls wurde keine DosisWirkungs-Beziehung gefunden.
■ Die postulierte antiarrhythmische Wirkung von Omega-3-Fettsäuren wie Eicosapentaensäure (EPA) oder Docosahexaensäure (DHA) ist immer noch nicht schlüssig bewiesen.
■ Die Evidenz ist ungenügend, um eine optimale Formulierung der Omega-3-Fettsäuren EPA oder DHA zu empfehlen.
■ Die OMEGA-Studie neuesten Datums konnte bei Patienten nach durchgemachtem Myokardinfarkt unter optimierter Basisbehandlung mit Statinen, Plättchenhemmung, Betablockern und ACE-Hemmern für Fischöl keinen Zusatznutzen nachweisen.
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STUDIE REFERIERT
Zwar betrug die Inzidenz von Nebenwirkungen bei den zu Fischöl randomisierten Patienten 10,5 Prozent und bei den Kontrollen 6,7 Prozent, aber die meisten unerwünschten Effekte waren leichter Natur. Die Autoren berechnen die «number needed to treat», um 1 kardialen Todesfall zu verhindern, auf 189 und die «number needed to harm» für Nebenwirkungen auf 26.
Diskussion «Unser systematischer Review randomisierter Studien mit Fischölsupplementation zeigte keinen Nutzeneffekt auf Arrhythmieereignisse oder Gesamtmortalität, aber eine signifikante Reduktion der Todesfälle mit kardialer Ursache», schreiben die Autoren und halten fest: «Dies steht im Gegensatz zu den Resultaten der GISSI-Prevenzione-Studie, die annehmen liess, dass der günstige Effekt auf die Todesfälle primär einer Reduktion der plötzlichen kardialen Todesfälle zu verdanken war.» Zum fehlenden Nachweis einer Reduktion von Rhythmusstörungen oder plötzlicher Herztode merken die Autoren an, dass die Konfidenzintervalle weit waren und den Nutzen einer 45- bis 48-prozentigen Reduktion nicht ganz ausschliessen lassen. Eine gewisse Heterogenität war unter den Studien festzustellen, und trotz hoher Qualitätsscores für die Methodik bestanden substanzielle Unterschiede sowohl hinsichtlich der Fischöldosierungen als auch der Studienpower. «Im Licht der zurzeit greifbaren Evidenz bleibt die Rolle von Fischöl bei der Reduktion von Arrhythmieereignissen bei Risikopersonen noch zu erhellen», schreiben die kanadischen Autoren. Die Analyse ergab einen äusserst variablen Effekt von Fischöl auf plötzliche Herztode, der von einer 48-prozentigen Reduktion bis zu einem 25-prozentigen Anstieg der Ereignisse reichte. Die Ereignisse wurden überwiegend durch nur zwei Studien, die italienische GISSI-Prevenzione in der Sekundärprävention sowie die japanische JELIS-Studie mit Primär- und Sekundärprävention bei Hypercholesterinämie bestimmt. Die Rolle und vielleicht auch die Interaktionen
zwischen Statinen und Fischverzehr und Fischölsupplementation bedürfen weiterer Studien. Die hier beobachtete, signifikante Reduktion der kardialen Mortalität um 20 Prozent entspricht etwa derjenigen früherer systematischer Reviews und beruht hauptsächlich auf einer Verhinderung tödlicher koronarer Ereignisse. Experimentelle Studien bieten für diesen Effekt eine ganze Reihe von Erklärungen an, von einer Stabilisierung der atherosklerotischen Plaque (antiinflammatorische Wirkung, Hemmung der Lipoproteinlipase u.a.m.) bis zur Reduktion der Aktivität des CD-40-Systems. Der fehlende Effekt auf die Gesamtmortalität könnte bei einer Obergrenze des 95%-Konfidenzintervalls von 1,03 auch einfach an einer für diesen Endpunkt nicht ausreichenden Power gelegen haben. Für die Praxis halten die Autoren fest, dass aufgrund der derzeitigen Datenlage von einem günstigen Effekt von Fischöl auf Todesfälle kardialer Ursachen auszugehen ist. Die optimale Dosierung bleibe aber unbekannt, es sei jedoch vernünftig, mit einer Tagesdosis zu operieren, die derjenigen in der GISSI-Prevenzione-Studie ungefähr entspreche (465 mg EPA/ 386 mg DHA). Der Effekt auf Arrhythmieereignisse sei weiter nicht schlüssig. In einem Begleiteditorial halten der Epidemiologe und Koeditor der Cochrane Heart Group, Eric Brunner aus London, und der Sozial- und Umweltmediziner Hiroyasu Iso aus Osaka fest, dass auch der neueste systematische Review die wichtigen Antworten nicht bereithält, da seit der seinerzeit wegweisenden GISSI-Prevenzione-Studie nur wenig neue Untersuchungen erfolgten. Immerhin kam mit der Japan-Eicosapentaenoic Acid-Lipid-Intervention-(JELIS-)Studie eine weitere grosse Untersuchung bei 18 645 Patienten hinzu. Sie bestätigte, dass die Gabe von EHA zusätzlich zu einer Statinbehandlung bei Patienten mit KHK-Anamnese schwere kardiale Ereignisse um etwa 20 Prozent reduziert. Von Interesse war, dass dieser Behandlungsnutzen auch ohne gleichzeitige DHASupplementation und bei effektiver Li-
pidsenkung durch Statine zu erzielen
war – sogar bei einer Bevölkerung, die
traditionellerweise einen hohen Fisch-
verzehr aufweist. Die Editorialisten wen-
den angesichts vieler verbliebener offe-
ner Fragen ihren Blick nach vorn auf die
Publikation der OMEGA-Studie, die auf-
grund einer höheren Anzahl kardialer
Ereignisse bei Patienten aus Deutschland
der Metaanalyse von Leon et al. wichtige
Daten hinzufügen werde (ihr Text er-
schien online schon im Dezember 2008).
Über die Ergebnisse der OMEGA-Studie
berichteten J. Senges und Mitarbeiter
Ende März im Rahmen des diesjährigen
Kongresses des American College of Car-
diology (ACC) (3). An dieser Studie nah-
men knapp 4000 Patienten teil, die nach
einem akuten Myokardinfarkt entweder
ein hochgereinigtes Omega-3-Fettsäu-
ren-Präparat oder Plazebo einnahmen.
Alle Teilnehmer erfuhren zudem eine
leitliniengerechte Behandlung mit Plätt-
chenhemmung, Statinen, Betablockern
und ACE-Hemmern. Nach einem Jahr
war für den primären Endpunkt plötz-
licher Herztod keine Differenz zu ver-
zeichnen: Er wurde je zu 1,5 Prozent
erreicht. Auch für die weiteren Studien-
endpunkte (Gesamtmortalität, Reinfarkt-
rate, Hirnschlag, Arrhythmien) liessen
sich keine Differenzen eruieren. Der Stu-
dienleiter interpretierte die Ergebnisse
so, dass angesichts der niedrigen Ereig-
nisrate unter optimierter Therapie durch
Omega-3-Fettsäuren kein Zusatznutzen
entstand.
■
1. Hernando Leon et al.: Effect of fish oil on arrhythmias and mortality: systematic review. BMJ 2008; 337: a2931. DOI: 10.1136/bmj.a2931.
2. Eric Brunner, Hiroyasu Iso: Fish oil and secondary prevention of cardiovascular disease (editorial). BMJ 2008; 337: a2541. DOI: 10.1136/bmj.a2541.
3. ARS MEDICI Sonderreport Cardiology CongreEssentials: 58. Jahreskongress des ACC, Juni 2009, S. 6.
Halid Bas
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