Transkript
FORTBILDUNG
Blutzuckerkontrolle bei Typ-2-Diabetes
NICE-Richtlinien zu neueren Medikamenten und Insulin
Auch in den kürzlich aktualisierten Empfehlungen des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) sind nun die Gliptine als Option aufgeführt, falls mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoff keine ausreichende Blutzuckerkontrolle machbar ist. Darüber hinaus wird betont, dass man insulinpflichtige Diabetiker möglichst auf Humaninsulin einstellen sollte.
harnstoff, falls Metformin nicht vertragen wird oder kontraindiziert ist. Als Grenzwert für eine ausreichende Blutzuckerkontrolle wird für beide Fälle ein HbA1c-Wert ≥ 6,5 Prozent angegeben. Dieser Grenzwert dürfe individuell jedoch auch höher angesetzt werden. Falls die Second-line-Standardkombination Metformin plus Sulfonylharnstoff nicht zu einer ausreichenden Blutzuckerkontrolle führt (HbA1c-Wert ≥ 7,5%, ggf. individuell höherer Grenzwert) und Humaninsulin nicht infrage kommt, empfehlen die NICE-Richtlinien als Drittlinientherapie das Gliptin Sitagliptin. Die Gabe von Gliptinen sollte nur dann fortgesetzt werden, wenn tatsächlich ein positiver metabolischer Effekt eintritt, nämlich ein Rückgang des HbA1c-Werts um mindestens 0,5 Prozent innert sechs Monaten.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
In einer kürzlich publizierten Zusammenfassung der aktualisierten Empfehlungen des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) geht es in erster Linie um den Stellenwert der neueren Diabetologika für die Behandlung von Typ-2-Diabetikern: Gliptine, Glitazone und GLP-1Mimetika. Ein weiterer Abschnitt ist der Insulintherapie gewidmet.
Gliptine Gliptine stabilisieren die normalerweise sehr kurzlebigen Inkretine, jene Botenstoffe also, die bei einer Blutzuckererhöhung dafür sorgen, dass vermehrt Insulin ausgeschüttet wird. Gliptine werden auch DPP-4-Inhibitoren genannt, da sie ihre Inkretin-stabilisierende Wirkung über die Hemmung des Inkretin-abbauenden Enzyms entfalten, der Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP-4). Gliptine entfalten ihre Wirkung abhängig vom Blutzucker, sodass nur ein geringes Hypoglykämierisiko besteht. In den NICE-Richtlinien werden Gliptine (Sitagliptin [Januvia®], Vildagliptin [Galvus®] als Second-line-Medikament zusätzlich zu Metformin anstelle der Sulfonylharnstoffe empfohlen, falls der Patient bei ungenügender Blutzuckerkontrolle ein hohes Hypoglykämierisiko hat oder Sulfonylharnstoffe nicht vertragen werden beziehungsweise kontraindiziert sind. Ebenfalls möglich ist die Kombination von Gliptinen mit Sulfonyl-
Glitazone Glitazone sind sogenannte Insulinsensitizer, welche die Insulinwirkung an Fett-, Muskel- und Leberzellen verstärken. Die NICE-Autoren empfehlen Glitazone für die gleichen Situationen wie die die oben genannten für die Gliptine (in Kombination mit Metformin oder Sulfonylharnstoffen bzw. als dritte Substanz zusätzlich zur Metformin-Sulfonylharnstoff-Kombination). Es werden jedoch für Glitazone einige Einschränkungen genannt: Sie sind bei Herzinsuffizienz kontraindiziert und sollten auch Patienten mit hohem Frakturrisiko nicht verabreicht werden. Bei Beginn oder Fortsetzung einer Glitazontherapie seien die jeweils aktuellen Empfehlungen der Zulassungsbehörden zurate zu ziehen. Die europäische und
Merksätze
■ Gliptine oder Glitazone kommen infrage, falls Metformin allein oder in Kombination mit Sulfonylharnstoff keine ausreichende Blutzuckerkontrolle ermöglicht.
■ Inkretinanaloga sind als Drittlinientherapie bei adipösen Patienten in Betracht zu ziehen.
■ Anstelle eines dritten oralen Antidiabetikums wird die Insulintherapie empfohlen, vorzugsweise mit humanem Intermediärinsulin (NPH).
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FORTBILDUNG
die amerikanische Diabetesgesellschaft EASD und ADA empfehlen Rosiglitazon (Avandia®) wegen Hinweisen auf ein erhöhtes Myokardrisiko derzeit nicht mehr für die Behandlung von Typ-2-Diabetikern; für Pioglitazon (Actos®) gilt diese Einschränkung nicht. Pioglitazon wird in den NICE-Richtlinien in Kombination mit einer Insulintherapie empfohlen, sofern ein Typ-2-Diabetiker trotz hoher Insulindosen eine ungenügende Blutzuckerkontrolle aufweist und eine deutliche blutzuckersenkende Antwort auf Pioglitazon bei ihm gegeben ist.
Gliptin oder Glitazon? Gliptine seien den Glitazonen vorzuziehen, sofern Gewichtszunahme ein Problem darstellt oder Glitazone kontraindiziert sind (z.B. Herzversagen in der Anamnese, Herzinsuffizienz). Auf der anderen Seite seien Glitazone den Gliptinen vorzuziehen, falls der Patient mit hoher Wahrscheinlichkeit eine reduzierte Insulinsensitivität aufweist, Gliptine sich bei ihm als zu wenig wirksam erwiesen haben oder kontraindiziert sind. Bei Patienten, für die beide Substanzklassen gleichermassen geeignet wären, sei der Wunsch des Patienten zu berücksichtigen.
GLP-1-Analoga GLP-1 (Glucagon-like peptide-1) ist ein Inkretin und somit ein Botenstoff mit einer Halbwertszeit von wenigen Minuten, der bei Blutzuckererhöhung für eine erhöhte Insulinausschüttung sorgt. GLP-1-Analoga sind stabiler und verlängern die Insulinausschüttung. Zurzeit ist ein GLP-1-Analogon, das Exenatid (Byetta®), zugelassen. Bei einem HbA1c-Wert ≥ 7,5 Prozent (ggf. individuell höherer Grenzwert) empfehlen die NICE-Richtlinien Exenatid als Drittlinientherapie bei einem BMI ≥ 35 und damit verbundenen psychischen und medizinischen Problemen sowie bei einem BMI <35, falls Insulin einen bedeutenden Einfluss auf die Berufs-
tätigkeit des Patienten hätte oder ein Gewichtsverlust wegen übergewichtsassoziierter Komorbiditäten wünschenwert ist. Die Therapie mit Exenatid sollte nur fortgesetzt werden, sofern der HbA1c-Wert innert sechs Monaten um mindestens 1 Prozent sinkt und die Gewichtsabnahme mindestens 3 Prozent des ursprünglichen Gewichts beträgt.
Insulintherapie
Bei Patienten mit dualer oraler Diabetestherapie und deutlicher
Hypoglykämie sei der Beginn einer Insulintherapie dem Hin-
zufügen einer dritten oralen Substanz vorzuziehen, falls dem
Insulingebrauch keine unüberwindlichen Hürden entgegen-
stünden (z.B. beträchtliche Beeinträchtigungen bei beruf-
lichen, sozialen oder Freizeitaktivitäten, Adipositas, Spritzen-
angst usw.).
Für den Beginn der Insulintherapie wird humanes Intermediär-
insulin (NPH) empfohlen. Ein lang wirksames Insulinanalo-
gon (Glargin/Lantus®; Detemir/Levemir®) sei eine Alternative
für Patienten mit Problemen bei der Selbstinjektion, da man
hierbei mit weniger Injektionen pro Tag auskommt. Ein lang
wirksames Insulinanalogon kommt laut den NICE-Richtlinien
darüber hinaus bei Patienten infrage, die ihren HbA1c-Zielwert
wegen schwerer Hypoglykämie nicht erreichen oder Hypo-
glykämien unabhängig von ihrem HbA1c-Wert aufweisen. Die
kürzlich aufgekommene Diskussion, ob Glargin das Krebs-
risiko erhöhen kann oder nicht, ist in diesen Richtlinien noch
kein Thema.
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Renate Bonifer
Interessenkonflikte: keine deklariert
Quelle: Adler A.I. et al.: Newer agents for blood glucose control in type 2 diabetes: summary of the NICE guidance. BMJ 2009; 338: 1328—1329.
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