Transkript
Systemische Kortikosteroide bei akutem Asthma
In der Praxis noch zu selten verordnet?
FORTBILDUNG
Obgleich systemische Kortikosteroide hilfreich bei
akutem Asthma sein können, werden sie nicht allen
Patienten verordnet, die prinzipiell dafür infrage
kämen. Kürzlich forderte der australische Mediziner
Steven Doherty im «British Medical Journal», dass –
mit Ausnahme leichter Fälle – möglichst alle Patien-
ten mit einer Asthmaexazerbation für einige Tage
systemische Steroide erhalten sollten.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Die Gabe systemischer Kortikosteroide bei akutem Asthma kann die Hospitalisationsrate senken, die Dauer der Symptomatik verkürzen und den Gebrauch von Betaagonisten sowie die Anzahl der Arztbesuche verringern. Der Autor des BMJBeitrags führt hierzu mehrere Studien an: So ergab eine Metaanalyse von sieben Studien mit insgesamt 426 Kindern und Jugendlichen im Alter von 1 bis 18 Jahren, dass Patienten mit systemischen Steroiden früher aus dem Spital entlassen werden konnten und ein geringeres Rückfallrisiko in den drei Monaten danach hatten (NNT [number needed to treat]= 3). Eine andere Analyse von sechs Studien mit insgesamt 374 Erwachsenen und Kindern ergab, dass die Patienten mit systemischen Steroiden bei akutem Asthma ein geringeres Risiko für wiederholte Hospitalisierungen hatten und weniger Betaagonisten benötigten. Recht wenig scheint über die tatsächliche Verordnungspraxis bekannt zu sein. Steven Doherty nennt in seinem Beitrag lediglich Daten aus 38 australischen Notfallstationen auf der Basis von insgesamt 1340 Fällen. Hier erhielten 59 Prozent der Patienten mit leichem Asthma und 86 beziehungsweise 82 Prozent derjenigen mit mittlerem bis schwerem Asthma bei einer akuten Exazerbation systemische Kortikosteroide. Das sei zu wenig, meint Doherty und formulierte darum neue Empfehlungen in der Rubrik «Change page» des «British Medical Journal», einem Forum für Forderungen nach umgehender Verän-
derung der therapeutischen Praxis aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Demnach sollen Patienten mit akutem Asthma vorübergehend orale Kortikosteroide in einer Dosis von 1 mg/kg KG Prednison (oder Äquivalent) pro Tag erhalten: Erwachsene für bis zu sieben Tage und Kinder für drei bis fünf Tage; ein langsames Ausschleichen sei nicht nötig. Der Autor stützt sich für diese Dosisempfehlung allerdings nur auf eine sehr kleine Studie, in der bei insgesamt 66 Patienten drei verschiedene Dosierungen verglichen wurden.
Inhalierte oder orale Kortikosteroide? In einer Metaanalyse mit sieben Studien mit insgesamt 1204 Erwachsenen und Kindern wurde vor fünf Jahren der Einfluss hoch dosierter inhalierter Steroide mit demjenigen oraler Steroide bei akutem Asthma untersucht. Man fand keinen statistisch signifikanten Unterschied hinsichtlich der Rückfallrate nach 7 bis 10 beziehungsweise 16 bis 21 Tagen. Dies könnte jedoch auch daran gelegen haben, dass die zugrunde liegenden Studien sehr heterogen waren. Obwohl inhalierte Kortikosteroide möglicherweise also genauso wirksam wie orale sein könnten, gebe es zurzeit mehr Daten, die für eine Bevorzugung der oralen Steroide sprächen, sowohl in der akuten Situation als auch nach der Entlassung aus dem Spital, meint Steven Doherty.
Kritiker sprechen von «Praxisferne» und «veralteten Daten» Kritiker der von Doherty geforderten Vorgehensweise monieren in den «Rapid Responses» auf der BMJ-Website, dass wichtige Studien des letzten halben Jahres (als die Publikation
Merksätze
■ Sofern keine Kontraindikationen bestehen, sollten Erwachsene mit akutem Asthma für bis zu sieben Tage orale Kortikosteroide erhalten, Kinder drei bis fünf Tage.
■ Es ist noch unklar, ob hoch dosierte inhalierte Kortikosteroide genauso wirksam bei akutem Asthma sind wie die oralen.
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FORTBILDUNG
KOMMENTAR
Dr. med. Hanspeter Anderhub La Punt Chamues-ch
Die Zusammenfassung der Arbeit von Doherty aus dem BMJ ist auch für die Verhältnisse bei uns hochaktuell, kommen doch auch hierzulande in der Therapie obstruktiver Lungenkrankheiten systemische
Wenn schon an Asthma sterben, dann bitte ohne Kortison
Steroide nur zögerlich, unterdosiert und, wenn schon, nur in extremis zum Einsatz. Grund ist die inhärente Angst vor Kortison, leider nicht nur der Patienten, sondern auch vieler Ärzte. Das heisst nichts anderes, als dass wir bereit sind, eine mangelhafte Asthmatherapie mit fortschreitender Entzündung zu akzeptieren, den Patienten seiner suboptimalen Lebensqualität zu überlassen und — last but not least — auch Todesfälle in Kauf zu nehmen.
Wo liegen die Probleme? Heute wissen praktisch alle, dass wir beim Asthma langfristig die Entzündung und nicht den Bronchospasmus behandeln. Die segensreichen inhalativen Steroide haben hier den Durchbruch geschafft. Was wir aber weniger gut wissen und schlecht einschätzen können, ist das Ausmass. Leichte oder schwere Entzündung? Diese beiden einfachen Extreme können meistens problemlos auseinandergehalten werden. Bei «leicht» denkt wohl niemand daran, systemisch Kortison zu verabreichen, bei «schwer» ist dies für die meisten selbstredend. Schwieriger wird es beim Hauptharst der asthmatischen Patienten, jenen, die zwischen diesen Extremen liegen. Sie weisen einmal eine stärkere, einmal eine geringere Entzündung auf, fluktuieren sozusagen, und die Patienten beginnen diesen chronischen Entzündungszustand zu akzeptieren und mit ihm zu leben. Das Ausmass der Entzündung lässt sich leider mit den Instrumenten unserer Allgemeinpraxis nur schlecht bis gar nicht erfassen. Das führt dazu, dass die Entzündung fast immer unterbewertet und entsprechend mangelhaft angegangen wird. In diese Gruppe gehören neben den neu erkannten Asthmatikern, bei denen wir eine Therapie beginnen wollen, natürlich auch die eigentlichen Asthmaexazerbationen. Das Schwergewicht dieser Gruppe bilden aber alle jene Asthmatiker, die bereits in Behandlung stehen. Klar, viele sind gut eingestellt und «entzündungsfrei», oder sagen wir wenigstens «entzündungsarm». Daneben gibt es aber eine grosse Gruppe, die nur so tut als ob. Sie sind klinisch nicht oder wenig auffällig — «Wir kennen sie!» Sie kreuzen bei uns auf, weil sie das Gefühl haben, es gehe zwar nicht schlecht, aber irgendetwas stimme nicht ganz, weil sich bei ihnen ein
gewisser Leidensdruck entwickelt, die körperliche Leistungsfähigkeit vielleicht etwas abgenommen hat. Sie gestehen, häufig auch erst auf Befragen, den Leidensdruck ein, geben aber klinisch, zum Beispiel auskultatorisch, wenig bis nichts her und sind sogar spirometrisch vielleicht «nur leicht» obstruktiv. Da weht offensichtlich keine rote Flagge, kein Extremfall. Aber weder der Patient noch wir als Ärzte sind mit der Situation ganz zufrieden: «Es ist etwas nicht ganz in Ordnung!»
Lassen wir uns vom wenig eindrücklichen, «fast normalen» klinischen Bild einlullen, kriechen wir der Entzündung auf den Leim und werden möglicherweise nichts unternehmen, zuwarten oder uns zu nur marginalen Therapieänderungen im Sinne von «etwas mehr Symbicort®, etwas mehr Ventolin®» entschliessen. Damit lassen wir der Entzündung freien Lauf. Der Patient adaptiert sich zusehends an den schlechter werdenden Zustand, lebt damit, bis er uns oder dem Spital schliesslich früher oder später als Notfall seine Aufwartung machen wird.
Das muss und darf nicht sein, und hier kann den Empfehlungen Dohertys, die Therapiemodifikationen bei allen auch bland scheinenden Asthmaverschlechterungen kurz dauernd mit systemischem Kortison zu unterstützen, nicht genügend Gewicht beigemessen werden.
Wann sind wir gut beraten, neben einer hoch dosierten inhalativen Steroidtherapie zusätzlich Kortison systemisch einzusetzen?
Therapiebeginn (Asthma oder COPD): Die heutigen inhalativen Steroide sind ohne Zweifel sehr potent. Um ihre Wirkung voll entfalten zu können, müssen sie aber immer zuerst eine Schleim- und Entzündungsbarriere durchdringen. Je nach Grad der Entzündung, über den wir ja so schlecht Bescheid wissen, ist trotz höchster Dosierung die Penetration schlecht und der Wirkungseintritt damit verzögert. Das Erfolgserlebnis lässt auf sich warten, Patient und Arzt befällt die Frustration. Geben wir in solchen Fällen initial zur hoch dosierten Inhalationstherapie für einen Zeitraum von 7 bis 14 Tagen systemisch Kortison hinzu, wird das Entzündungs- und Sekretproblem rasch gepackt, den topischen Steroiden der Weg geebnet, sodass sie ihre Wirkung ohne zeitliche Latenz voll entfalten können.
Schon geringe Verschlechterungen aus vorher stabilem Therapieverlauf (Asthma oder COPD): Wiederum bleibt das Ausmass der Entzündung unklar und wird fast dauernd unterbewertet. Eine blosse Dosisanpassung der inhalativen Medikamente — als Standardvorgehen, wie es auch in den Guidelines gepredigt wird — birgt wiederum keine Garantie, dass die Medikamente die Entzündungs- und Sekretbarriere innert nützlicher Frist durchdringen können. Auch hier wird nur ein systemischer Kortisonstoss zusammen mit einer Optimierung der Inhalationsdosis den Umschwung mit sich bringen.
Lang dauernde Hustenphasen bei Asthma: Ein lang dauernder Husten jeglichen Schweregrads ist, bei Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen (Röntgenbild), Ausdruck einer ungenügend kontrollierten Entzündung der respiratorischen Schleimhaut. Hier überwiegt wiederum meistens das Sekretproblem, das die Penetration der topischen Steroide ver- oder wenigstens stark behindert. Hier sind nicht Hustenmittel, Antibiotika oder Schleimlöser der Weg zum Glück. Erst eine
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optimierte, hoch dosierte Therapie mit inhalativen Steroiden unterstützt von einem Stoss systemischen Kortisons wird die Entzündung unter Kontrolle bringen.
Husten ist bei asthmatischen Kindern ein vordringliches und häufiges Problem. Bedenkenlos werden Unmengen von Hustensirups und Antibiotika verabreicht, ohne den Husten auch nur im Geringsten zu beeinflussen. Hier gelten die gleichen Ansätze wie bei Erwachsenen, eine optimierte Therapie mit inhalativen Steroiden, unterstützt von einem kurzen, meistens fünftägigen Stoss systemischer Steroide (z. B. 15–20 Tbl. Betnesol® 0,5 mg verteilt über 5 Tage).
Bewährte Therapiemuster: Basis jeder Asthmabehandlung ist die regelmässige Therapie mit inhalativen Steroiden und lang wirkenden Betamimetika (Seretide® 500, Symbicort® 400), deren Dosis in der Anfangsphase einer Behandlung und bei den beschriebenen Verschlechterungen immer die höchste sein muss. Dosisreduktionen stehen bei Stabilisierung frühestens nach einem Monat zur Diskussion. Wie verabreichen Sie nun Kortison systemisch? Es gibt zwei Möglichkeiten: oral oder parenteral.
Die orale Verabreichung (7—14 Tage 40 mg Prednison/Tag [mittlere Dosis] ohne Ausschleichen) hat folgende Nachteile: Dosisunsicherheit bei schlechter Compliance, langsamer Wirkungseintritt (Tage!), Verträglichkeit, deutlich grössere Kortisonmenge als parente-
ral. Doherty spricht in seinem Artikel von 1 mg Prednison/kg KG während mindestens sieben Tagen. Diese Dosis ist für den «Normalfall» sicher im oberen Bereich gewählt. Meistens genügen 0,5 mg/Tag/kg KG.
Noch avangardistisch, aber ideal für die Praxis ist die parenterale Gabe: 80 mg Triamzinolonazetonid i.m. (Triamcort®, Kenacort® A80) mit folgenden Vorteilen: rascher Wirkungseintritt (Stunden) mit graduellem automatischem Auswaschen, gesicherte Compliance, deutlich geringere Kortisonmenge. Die Nachteile sind gelegentlich Zwischenblutungen vor der Menopause und postmenopausale Schmierblutungen (die Frauen müssen auf diese Eventualität aufmerksam gemacht werden), und das Behandlungsschema ist bei Typ-1-Diabetikern detailliert zu besprechen.
Wer hat noch Angst vor systemischem Kortison? Wird Kortison so eingesetzt, handelt es sich um zeitlich begrenzte, eher niedrig dosierte, kurz dauernde und einmalige Anwendungen. Relevante Systemeffekte sind weder von der oralen noch von der parenteralen Variante zu erwarten. Was aber sicher relevant sein wird, ist der massive, rasche und nachhaltige Rückgang der Entzündung. Dies erst ermöglicht den inhalativen Steroiden, ihr volles Wirkungsspektrum zügig zu entfalten. Resultat sind Patienten mit einer wiedergewonnenen Lebensqualität, die diesen Namen nun auch verdient.
bereits vom BMJ angenommen, aber noch nicht publiziert worden war) nicht beachtet werden. So habe sich beispielsweise bei Kindern unter sechs Jahren gezeigt, dass diese bei akutem Asthma nicht von oralen Kortikosteroiden profitierten. Ein britischer Allgemeinmediziner warf Doherty Praxisferne vor und bezeichnete die oralen Steroide als letztes Mittel für asthmakranke Kinder beziehungsweise als Medikament, welches nur bei Erwachsenen infrage komme, wenn der «peak flow» unter
50 Prozent des erwarteten Werts liegt. Man darf gespannt sein, welche Argumentation sich auf Dauer durchsetzen wird. ■
Renate Bonifer
Interessenkonflikte: keine deklariert Quelle: Doherty S.: Prescribe systemic corticosteroids in acute asthma. BMJ 2009; 338: b1234.
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