Transkript
FORTBILDUNG
Harnwegsinfekte in der allgemeinmedizinischen Praxis
Tatsächliche Resistenzlage sollte Wahl des Antibiotikums bestimmen
Bei akuten unkomplizierten Harnwegsinfekten sind in
der Praxis auch dann zufriedenstellende Therapie-
ergebnisse zu beobachten, wenn mutmassliche, relativ
viele resistente Keime im Spiel sind. Cotrimoxazol
lässt sich daher in der empirischen Initialtherapie
immer noch vertreten.
HALID BAS
Der akute Harnwegsinfekt (HWI) gehört zu den sehr häufigen Beratungsergebnissen in der Allgemeinpraxis. Während die geschilderte Symptomatik und wenige Zusatzfragen sehr rasch zur beschreibenden Diagnose «akute (unkomplizierte) Zystitis» führen, bleiben Ursache und damit Ausrichtung der Therapie zunächst oft im Unklaren. Die Patientin – bei den HWI-Betroffenen handelt es sich überwiegend um Frauen – erwartet eine rasche Linderung der Beschwerden, also in den meisten Fällen eine sofortige, empirische Antibiotikumbehandlung. Da akute unkomplizierte HWI zu mindestens 90 Prozent durch Escherichia coli verursacht werden, war während recht langer Zeit «Bactrim» (Trimethoprim-Sulfamethoxazol, Cotrimoxazol) die Standard- beziehungsweise Reflexantwort. Der liberale Einsatz dieses Antibiotikums hat jedoch zu zunehmenden Resistenzen und damit zu Unsicherheiten bei der initialen Präparatewahl geführt. Eine unter praktischen Gesichtspunkten sehr interessante prospektive Kohortenstudie bei 497 erwachsenen Frauen aus Grossbritannien hat untersucht, was herauskommt, wenn durch Trimethoprim resistente Erreger verursachte akute unkomplizierte HWI in der Allgemeinpraxis mit Trimethoprim (das Monopräparat ist in der Schweiz seit Längerem nicht mehr im Handel) behandelt werden (1). 75 Prozent der Frauen mit akuter Symptomatik hatten eine signifikante Bakteriurie, eine Trimethoprimresistenz lag bei 13,9 Prozent vor. Patientinnen mit resistenten Isolaten hatten einen längeren Krankheitsverlauf (7 vs. 4 Tage), häufigere erneute Konsultationen in der Allgemeinpraxis (39% vs. 6% in der 1. Woche) sowie häufigere zusätzliche Antibiotikaverschreibungen (36% vs. 4% in der
1. Woche) und höhere Raten einer signifikanten Bakteriurie nach einem Monat (42% vs. 20%). Die Autoren zogen einige bemerkenswerte Schlüsse: ■ Patientinnen mit resistenten Erregern hatten signifikant
schlechtere Verläufe. ■ Eine Trimethoprimresistenz war seltener als aus Routine-
labordaten erwartet. ■ Um eine wegen Therapieversagens erfolgende Rekonsulta-
tion zu verhindern, hätte bei 23 Frauen eine mikrobiologische Untersuchung mit Resistenzbestimmung erfolgen müssen. ■ Eine empirische anitbiotische Behandlung ist gerechtfertigt. ■ Wenn sich Patientinnen innert der ersten Woche wieder melden, soll ein Antibiotikumwechsel mit Urinkultur mit Resistenzbestimmung erfolgen. ■ Die labormedizinischen Ressourcen sollten sich auf die Resistenzüberwachung konzentrieren, um die Basis für die empirische Antibiotikumwahl zur Verfügung zu stellen.
In einem begleitenden Editorial im «British Medical Journal» (2) schreiben Dee Mangin und Les Toop: «Während die relative Differenz bei den Therapieversagen um das Sechsfache (39% vs. 6%) eindrücklich ist, ist aus der Perspektive der Allgemeinmedizin die tiefe absolute Rate der Rekonsultationen in der Folgewoche (39%) beeindruckend. Das bedeutet doch,
Merksätze
■ Akute unkomplizierte Harnwegsinfekte (HWI) werden zu rund 90 Prozent durch Escherichia coli verursacht.
■ Resistenzdaten überschätzen die Häufigkeit resistenter Erreger im Allgemeinen, da man auf Routineproben abstellt, die den Gegebenheiten bei akuten unkomplizierten HWI in der alltäglichen Praxis nicht wirklich entsprechen.
■ In der Praxis ist es auch weiterhin gerechtfertigt, eine empirische Initialbehandlung bei akuter unkomplizierter Zystitis mit Cotrimoxazol zu beginnen.
■ Im Gegensatz zu den akuten unkomplizierten Zystitiden sollten komplizierte Harnwegsinfekte (ausser in der Schwangerschaft, wo ein Betalaktam gegeben werden muss) mit Ciprofloxacin behandelt werden.
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FORTBILDUNG
dass 61 Prozent der Frauen mit resistenten Erregern nicht wegen eines Versagens der Therapie erneut vorsprachen.» Und sie werden dann noch etwas deutlicher: «Schlussendlich kommt es den Patientinnen auf die Beseitigung der Symptome, nicht auf die mikrobiologische Eradikation an. Daher sollten wir Resistenzdaten bei der Entscheidungsfindung und Entwicklung von Guidelines für die Allgemeinmedizin mit Vorsicht beiziehen.» Diese Aussagen stützen sie auf die Beobachtung in dieser und anderen Studien, dass die Häufigkeit von mikrobiologischen Resistenzen im Allgemeinen überschätzt wird, da man auf Routineproben in grossen Labors abstellt, die den Gegebenheiten bei akuten unkomplizierten HWI «in der Praxis draussen» eben nicht ganz entsprechen. Rigide Guidelines zur Verschreibung des Antibiotikums der ersten Wahl könnten im Übrigen zur Eindämmung von Antibiotikaresistenzen weniger hilfreich sein als gedacht, da eine (vernünftig begründbare) Vielfalt bei den Erst-Linien-Antibiotika den Selektionsdruck abschwächt, was aber noch weiter untersucht werden müsste, wie die Editorialisten anmerken. Wichtig erscheint in jedem Fall eine Anpassung der empirischen Antibiotikumwahl an die regionalen Gegebenheiten. Daher sind an sich interessante Studien aus anderen Ländern oder Kontinenten und ihre Schlussfolgerungen mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen. Selbst in der kleinen Schweiz gibt es bei den Resistenzdaten durchaus regionale Unterschiede, wie ein Projekt des Nationalfonds (SEARCH) gezeigt hat, das heute in Form einer interaktiven Datenbank der Universität Bern (3) jeweils aktuelle Auskünfte zu geben vermag. Auf diese Daten bezog sich auch Dr. med. Philippe Rafeiner, Infektiologe und Spitalhygieniker am Kantonsspital St. Gallen, in seinem Vortrag am diesjährigen 14. St. Galler Infekttag (4). Gemäss den Guidelines der Infectious Diseases Society of America (IDSA) ist die initiale empirische Therapie mit Chinolonen erst gerechtfertigt, wenn mehr als 10 bis 20 Prozent der E. coli eine Cotrimoxazolresistenz aufweisen. Diese Schwelle wäre unterschritten, wenn man die SEARCH-Daten beizieht (Tabelle), mit denen übrigens auch die Resistenzlage am Institut für Klinische Mikrobiologie und Immunologie (IKMI) St. Gallen vergleichbar ist. Auch Philippe Rafainer wies darauf hin, dass die SEARCH-Daten wie andere Routinelaborerfassungen die Inzidenz resistenter Erreger überschätzen, da bei vielen jungen, sonst gesunden Frauen mit akutem HWI eine empirische Therapie in aller Regel ohne Uricult erfolgt und ihre Daten somit keinen Eingang finden. Zudem umfasst in der Datenbank die Region Ostschweiz auch das Tessin, also ein ziemlich heterogenes Kollektiv. Der St. Galler Infektiologe hielt es daher für gerechtfertigt, in der Praxis auch weiterhin eine empirische Initialbehandlung bei akuter Zystitis mit Cotrimoxazol zu beginnen, da selbst bei ungünstigen Resistenzdaten aufgrund der Aufkonzentrierung in den Harnwegen eine bakterielle Eradikation erreichbar sei und angesichts einer gewissen Spontanheilungsrate mit einem klinischen Therapieansprechen gerechnet werden dürfte. Er schlug daher bei unkompliziertem HWI zweimal täglich Cotrimoxazol 800/1600 mg (Bactrim® oder Generika) für drei Tage vor, oder alternativ Nitrofurantoin
Tabelle: Resistenzlage bei ambulanten Harnwegsinfekten in der Schweiz im Jahr 2008, in Prozent
Antibiotikum/Region empfindlich intermediär resistent
Trimethoprim-Sulfamethoxazol (Cotrimoxazol)
Ostschweiz
75,6 0,0
Westschweiz
78,2 0,0
Schweiz, Mitte
74,7 0,1
Schweiz gesamt
76,4 0,0
24,4 21,8 25,2 23,5
Fluorochinolone, ältere Ostschweiz Westschweiz Schweiz, Mitte Schweiz, gesamt
80,6 85,7 81,4 83,0
0,4 19,1 0,2 14,1 0,5 18,1 0,4 16,6
Nitrofurantoin Ostschweiz Westschweiz Schweiz, Mitte Schweiz, gesamt
95,1 3,6 1,4 94,7 3,6 1,7 94,1 3,9 2,1 94,6 3,7 1,8
(Quelle: www.anresis.ch)
Die geografischen Regionen in der Resistenzdatenbank:
(Furadantin® retard oder Generika) zweimal täglich 100 mg für
5 (bis 7) Tage. Die früher propagierte Einmaldosis von 3 Tab-
letten Cotrimoxazol 800/1600 mg erzielt schlechtere Eradika-
tionsraten als die dreitägige Behandlung, könnte jedoch im
Rahmen der Selbstmedikation durch die Patientin unmittelbar
nach Auftreten der ersten Symptome oder bei rezidivierenden
HWI prophylaktisch postkoital durchaus ausreichen. Im Ge-
gensatz zu den akuten unkomplizierten Zystitiden sollten
komplizierte HWI (ausser in der Schwangerschaft, wo ein Beta-
laktam gegeben werden muss) mit Ciprofloxacin (Ciproxin®
oder Generika) behandelt werden.
■
Halid Bas
Interessenkonflikte: keine
1 C.A.M. McNulty et al.: Clinical relevance of laboratory-reported antibiotic resistance in acute uncomplicated urinary tract infection in primary care. J Antimicrob Chemother, published September 12, 2006. DOI: 10.1093.jac/dk1368.
2 Dee Mangin, Les Toop: Urinary tract infection in primary care. BMJ 2007; 334: 597—598. DOI: 10.1136/bmj.39148.403206.80.
3 Schweizerisches Zentrum für Antibiotikaresistenzen, Institut für Infektionskrankheiten, Universität Bern; www.anresis.ch.
4 www.infekt.ch/index.php?artID=353&artID=1726.
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