Transkript
FORUM
Wie weiter nach Couchepins «Grounding»?
Pamphlet eines erzürnten Hausarztes
Hier ein paar Vorschläge, wie der Kampf gegen die Totengräber der Hausarztmedizin aussehen könnte. Mag sein, sie sind nicht alle realistisch. Mag sein, sie sind aus dem Bauch geboren und nicht alle fair. Mag sein, sie sind nicht alle wirksam. Mag sein, der Zorn siegt hier über die politische Correctness. Mag alles sein. Aber gut täten sie!
Jakob Riediker
Ein «akromegaler» bundesrätlicher Politiker hat uns einen unverdaulichen Haufen zurückgelassen. Angesichts der Handlungen dieses Magistraten drängt sich einem der Verdacht auf: Nein, er ist nicht urteilsfähig in Bezug auf die von ihm in letzter Zeit erlassenen und projektierten Aktionen. Und nein, er ist nicht wirklich selbstbestimmt, der Einfluss von Frau Verena Diener und von Apothekern als chronischen Verhinderern der Selbstdispensation (SD) ist offensichtlich. Wir sehen einzig und konstant den Willen, uns Grundversorgern permanent und subletal zu schaden. Was dagegen tun? Wir müssten diesem Despoten, allen Politikern, den Krankenkassen, den Arbeitgebern, aber auch den Patienten demonstrieren, wie viel mehr die bundesrätlich verordnete Zerstörung unserer Grundstruktur kostet. Wie? ■ Mit den betroffenen Patienten werden
wir ein ausführliches Gespräch führen über die Ursache und Auswirkung der einschneidenden Massnahmen und ihnen klarmachen, dass wir kurz vor dem Aus von vielen Allgemeinpraxen stehen. ■ Wir orientieren über die enormen Verwaltungskosten der Krankenversicherer, über deren Ausgaben für überflüssige Werbung, über die Auswirkungen der Kosten beim Kassenwechsel, über die Werbeprämien an Agenten, die
Managergehälter, Sponsoring, Controlling, aber auch über die Auswüchse im Berichtswesen und das Nichtvergüten von notwendigen Medikamenten und Abklärungen. ■ Wir zeigen mit einem preiswerten Standardgenerikum, wie viel günstiger die SD ist (ohne Beratungs- und Rechnungstaxe) und wie viel bequemer sie ohne den physischen Umweg in die Apotheke für den Patienten ist. ■ Wir zeigen, wie unausgereift die vorgesehene 30-Franken-Taxe ist, erklären aber auch, dass die ab 2010 vorgesehene Gesundheitskarte mehr kosten wird als dieser jetzt vorgesehene Unsinn. ■ Wir zeigen, dass der Tarmed vor zehn Jahren mit 1 Franken pro Taxpunkt wirtschaftlich korrekt berechnet wurde und wie er, entgegen der unterdessen eingetretenen Teuerung, statt angehoben jetzt unter 89 Rappen gesenkt wurde. ■ Wir zeigen, dass ein Allgemeinpraktiker mit 42-Stunden-Woche (inkl. Fortbildung und Papierkram) deutlich unter 90 000 Franken pro Jahr verdient und dass Werte um 190 000 Franken durch gewaltige Mehrarbeit, nachts, sonntags, in den Ferien, entstehen.
Sodann werden die folgenden Massnahmen — gemäss amtlicher Verordnung — von uns ab sofort konsequent durchgeführt und müssen von unseren Trust-
centern monatlich genau analysiert und publiziert werden. 1. Wir analysieren — zum neuen Tarif
im Präsenzlabor — pro Tag maximal vier Parameter. 2. Bei mehr Analysen senden wir jeden Patienten persönlich in unser Vertrauens-Grosslabor. Nur in Ausnahmefällen schicken wir aufbereitetes Blut dorthin. 3. Für alle bakteriologischen Analysen wird der Patient sowieso persönlich dorthin überwiesen (Rachenabstrich, Uricult mit Resistenzbestimmung, Blutkulturen, Stuhl- und Sputumbakteriologie). 4. Im Grosslabor bestellen wir nur das absolute Analysenminimum, damit uns keine Mengenausweitung angelastet werden kann. 5. Nach zirka drei Tagen wird der Patient zur nächsten Besprechung in die Praxis bestellt oder erhält einen Telefontermin. 6. Für Ergänzungen oder zur weiteren Abklärung von pathologischen Laborresultaten werden im Grosslabor zusätzlich Analysen, mit erneuter Grundgebühr, telefonisch oder schriftlich, verordnet. 7. Nötigenfalls wird der Patient auf den nächstmöglichen Termin nach Eingang der zusätzlichen Laborresultate nochmals bestellt. 8. Soweit eine Gefährdung des Patienten oder seiner Umgebung durch
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einen infektiösen, noch nicht abgeklärten Patienten oder durch ein pathologisches Geschehen möglich ist, wird er arbeitsunfähig geschrieben. 9. Alle Fälle, die mehr als vier notfallmässige Präsenzleistungen erfordern, werden via Rettungsdienst aus der Praxis in die zuständige Notfallstation evakuiert. Denn schliesslich: Wir dürfen keinen Fall wie im Kinderspital Aarau riskieren. 10. Wir behandeln anfänglich nur Symptomatik, nicht Ursache. 11. Wir reduzieren die Labor-Qualitäts-Kontrollen auf das vernünftige Minimum. 12. Wir ordnen für einen Teil der MPA Kurzarbeit an, nötigenfalls erfolgen Entlassungen.
13. Wir dokumentieren die Mehrbelastung im Zusammenhang mit der vorgesehenen Spital-Fallpauschale: Präoperative Abklärungen und intensive Nachbetreuung, aber auch Schularztuntersuchungen, behördlich verordnete Impfaktionen, Übungen oder Einsätze bei Pandemien, Abklärungen vor Krankenkassenwechsel oder bei Wechsel der Prämienstufe, in der Presse, im TV oder von irgendwelcher Behörde offiziell empfohlene Präventionsmassnahmen (Abklärung oder Therapie) erfolgen ausserhalb der Kostendeckelung des Tarmed, damit daraus keine Mengenausweitungen resultieren, die eine Taxpunktreduktion rechtfertigen würden.
14. Und schliesslich drohen wir damit, dass, falls bis Ende September 2009 aus Bern kein vernünftiger und verbindlicher Vorschlag kommt, alle über 60-jährigen Allgemeinpraktiker synchron und ohne Vertretung einen Erholungs- und Nacharbeitsurlaub von drei Wochen nehmen.
Also denn: Wir lassen die Kosten im ambulanten Laborbereich explodieren, bis Bern zur Vernunft kommt. Kurz: Wir demonstrieren, wie unfähig unsere Politiker sind. Dies die Vorschläge eines erzürnten und frustrierten Hausarztes. ■
Dr. med. Jakob Riediker Illnauerstrasse 10, 8307 Effretikon
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