Transkript
INTERVIEW
Lungenkrebs: Was bringt ein CT-Screening bei Risikopatienten?
Ein Gespräch mit dem Thoraxchirurgen Rolf Inderbitzi, der eine «gezielte Fallsuche» schon heute für sinnvoll hält
Das Bronchialkarzinom ist der häufigste bösartige Tumor bei Männern, weltweit weist es die höchste Krebsmortalität auf. Eine frühzeitige Diagnose könnte die Prognose deutlich verbessern, da eine kurative Tumorresektion prinzipiell möglich ist. Allein, bislang ist es nicht gelungen, eine Früherkennungsmethode zu etablieren. Die Hoffnungen ruhen derzeit auf dem CT-Screening bei Risikogruppen. Wir sprachen mit Rolf Inderbitzi, einem der Befürworter dieses noch heftig umstrittenen Verfahrens.
ARS MEDICI: Nun wissen wir aber inzwischen von anderen Früherkennungsmassnahmen, dass es ratsam ist, solche randomisierte und kontrollierte Studien abzuwarten. Oft genug hat sich der Nutzen schliesslich als geringer erwiesen als von den Verfechtern in Aussicht gestellt. Inderbitzi: Das ist auch beim Lungenkarzinom nicht auszuschliessen. Trotzdem wird derzeit die Diskussion um Nutzen und Kosten der Früherkennung vor allem von den Kritikern zu theoretisch und patientenfern geführt. Immerhin stehen als gewichtige Pro-Argumente jahrzehntelange Erfahrungen zur Verfügung. Ich meine damit die in der gesamten Onkologie benützte TNM-Klassifikation. Sie bildet die auf Patientendaten beruhende Grundlage, mit welcher auch für Bronchialkarzinome entschieden wird, ob es sich um ein kurativ angehbares Frühstadium oder eine Palliativsituation handelt! Das Postulat, mittels mehr diagnostizierter Frühkarzinome für die Erkrankten einen Überlebensvorteil zu erzielen, ist deshalb sehr wohl fundiert.
ARS MEDICI: Dr. Inderbitzi, Sie fordern ein CT-Screening zur Früherkennung des Bronchialkarzinoms bei Risikogruppen. Ist das nicht etwas verfrüht? Bislang fehlt doch ein Nutzennachweis durch randomisierte Langzeitstudien. Inderbitzi: Eingangs braucht Ihre Aussage eine Präzisierung. Wir fordern nicht ein CT-Screening, vielmehr handelt es sich hier um eine gezielte Fallsuche: eine asymptomatische, gesunde Risikopopulation soll definiert werden, bei welcher sich die gezielte Früherkennung medizinisch und ökonomisch lohnt. Jede früh erkannte Tumorkrankheit, die dadurch kurativ behandelt werden kann, bedeutet für den Patienten nichts weniger als die Chance auf gesundes Leben. Zum von Ihnen angesprochenen Nutzennachweis durch randomisierte Langzeitstudien: Die ELCAP-Studie, an welcher das LungenZentrum Hirslanden teilgenommen hatte, stiess genau diese Entwicklung an. Um unsere positiven Resultate zu überprüfen, wurde in den USA die bislang grösste prospektiv randomisierte Studie, der NLST-Trial, durch das National Cancer Institute in Gang gesetzt. Seit 2004 wurden darin bereits über 50 000 ehemalige oder aktive Raucher eingeschlossen.
ARS MEDICI: Die Voraussetzungen einer Früherkennung scheinen beim Bronchialkarzinom zumindest in einem Punkt eher günstig. Es gibt offenbar kaum gutartige Verläufe, sodass eine Überdiagnose von Tumoren, die im Grunde harmlos sind, eher unwahrscheinlich ist. Inderbitzi: Das ist richtig. Die Diskussion «Klinische Erfahrung versus statistische Theorie», welche unter anderem mit dem von Ihnen erwähnten Overdiagnosis-Bias argumentiert, wird dem drängenden Anliegen, nämlich der Verbesserung der unverändert tiefen 5-Jahres-Überlebenszeit von etwa 15 Prozent, nicht gerecht. Zudem ist in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung feststellbar, weg vom zentralen Plattenepithelkarzinom der grossen Luftwege hin zum peripheren Adenokarzinom, welches im Lungenparenchym liegt. Damit steigt die Möglichkeit einer CT-Früherkennung und somit einer radikalen, kurativen Tumorresektion.
ARS MEDICI: Unterscheiden sich die peripher wachsenden Tumoren in ihren biologischen Eigenschaften? Inderbitzi: In der täglichen Erfahrung zeigt es sich, dass die peripher wachsenden Tumoren, überwiegend Adenokarzinome, im Vergleich zu den zentralen Plattenepithelkarzinomen
ARS MEDICI 16 ■ 2009 655
INTERVIEW
Inderbitzi: Es stimmt, dass sich eine beträchtliche Anzahl möglicher falsch positiver Befunde finden lässt. Die Spezifität der CT-Diagnostik ist schlecht und liegt deutlich unter 50 Prozent. Entscheidend ist deshalb, was in Risikopopulationen mit den entdeckten Befunden geschieht. Bei Rundherden unter einem Durchmesser von 10 mm ist eine Folgeuntersuchung nötig. Lässt sich dabei nach drei bis sechs Monaten eine Grössenzunahme erkennen, muss aufgrund der wahrschein-
Zur Person PD Dr. med. Rolf Inderbitzi
ist Gefäss-, Thorax- und Lungenchirurg am Lungen-
zentrum Hirslanden. Er gehört dem wissenschaftlichen
Beirat von ARS MEDICI an.
eine Tendenz zur früheren Metastasierung besitzen. Im Einzelfall lässt sich jedoch keine sichere Aussage darüber machen. Damit würde eine Steigerung der Malignität stattfinden. In der Tat ist es nicht selten, dass bei Patienten trotz mutmasslich kurativer Tumorresektion bei kleinem Primärkarzinom bereits nach einigen Monaten Metastasen nachweisbar werden. Auch aus diesem Grund sind wir für eine abschliessende Nutzenbewertung der Früherkennung auf die Resultate der derzeit laufenden randomisierten Studien angewiesen.
«Die Zahl der peripher wachsenden
Adenokarzinome nimmt zu, damit aber auch
die Möglichkeit der Früherkennung
und radikalen Tumorresektion»
ARS MEDICI: Dennoch fordern Sie bereits heute ein CT-Screening. Wer gehört denn zum Kreis der Risikopatienten, die Sie untersuchen möchten? Inderbitzi: Es handelt sich, wie erwähnt, nicht um ein Screening, sondern um eine Fallsuche, mit welcher klinisch noch stumme Bronchuskarzinome gesucht werden. Ein erhöhtes Risiko besitzen Raucher, Menschen, in denen das Bronchuskarzinom familiär gehäuft aufgetreten ist, oder Patienten, die bereits früher ein Karzinom im oberen Nasen-Rachen-Raum entwickelt haben. Auch Menschen, die in staubbelasteter Umgebung arbeiten, sind dazuzuzählen. Natürlich spielt auch das Lebensalter eine Rolle. Bei einem langjährigen Raucher scheint die Früherkennungsuntersuchung ab dem 50. Lebensjahr sinnvoll zu sein. Von diesem Alter an steigt die Zahl der Bronchialkarzinome. ARS MEDICI: Jede Früherkennung kann prinzipiell auch Schaden anrichten, etwa indem falscher Alarm ausgelöst wird durch falsch positive Befunde. Wie hoch ist die Spezifität der CT-Diagnostik?
«Die Meinungen unter den Kollegen
sind unversöhnlich geteilt»
lichen Malignität die Diagnose erzwungen werden. Bei Rundherden über 10 mm gilt dies bereits nach der ersten Feststellung. Mithilfe der dreidimensionalen Befundrekonstruktion können Oberflächenveränderungen dargestellt werden, welche ebenfalls wichtige Rückschlüsse auf eine potenzielle Malignität zulassen.
ARS MEDICI: Inzwischen ist die von Ihnen angesprochene grosse prospektive Studie zur Früherkennung mittels CTScreening in den USA begonnen worden. Wie ist die Untersuchung konzipiert und wann ist mit Ergebnissen zu rechnen? Inderbitzi: Die sogenannte NLST («National Lung Screening Trial») ist eine Studie des US-amerikanischen National Cancer Institute, welches eine aus Männern und Frauen zusammengesetzte Risikopopulation im oben angegebenen Sinne untersucht. NLST vergleicht zwei Arme zur Suche nach Lungenkrebs-Frühstadien: der eine mittels Spiral-Computertomografie, der andere mit Standard-Thoraxröntgenbild. Letzterer wurde miteinbezogen, weil ältere grosse Studien aus den Siebzigerjahren durch den Einsatz des konventionellen Thoraxröntgenbildes keine Sterblichkeitsreduktion nachzuweisen vermochten. Die Studie begann im Februar 2004, die Verlaufsbeobachtung der erfassten Probanden dauert insgesamt 8 Jahre.
ARS MEDICI: Wie stehen eigentlich Ihre Schweizer Kollegen zum Lungenkarzinom-Screening? Inderbitzi: Die unverändert schlechte Prognose des Bronchialkarzinoms vor Augen, ist der Wunsch nach einer effektiven Früherkennungsmethode unter allen Kollegen sicher sehr gross. Allerdings sind die Meinungen über die CT-Suche als Weg dahin, beinahe einer religiösen Auseinandersetzung gleich, unversöhnlich geteilt. Die eine Gruppe betont den hohen finanziellen Aufwand bei nachweislichen statistischen Lecks der vorliegenden Studienergebnisse. Insbesondere der noch ausstehende statistische Beweis einer Lebensverlängerung durch die CT-Untersuchung (Lead-time- und Lengthtime-Bias) wird als Grund gegen das «CT-Screening» angeführt. Die anderen Kollegen warten zwar ebenso sehr auf die NLST-Resultate, stehen aber dafür ein, bis dahin nicht auf empirisch nachgewiesene (TNM-System), im Ansatz sinnvolle
656 ARS MEDICI 16 ■ 2009
INTERVIEW
Früherkennungsmassnahmen zu verzichten, wenn damit im Einzelfall therapeutische Erfolge zu erzielen sind.
ARS MEDICI: Wie ist denn die momentane Praxis an Ihrem Zentrum? Empfehlen Sie das CT-Screening? Inderbitzi: Wenn ein Risikopatient, beispielsweise ein starker Raucher, mit dem Wunsch nach Abklärung an uns herantritt, unterstützen wir diesen Wunsch und empfehlen ein Lowdose-Spiral-CT ohne Kontrastmittelgabe. Der Patient wird informiert, dass er die Untersuchung selbst zahlen muss. Die Kosten betragen zurzeit 340 Franken pro Untersuchung; die Strahlenbelastung entspricht ungefähr 2,5 konventionellen Thorax-Röntgenbildern. ARS MEDICI: Aber besteht nicht bei vielen Rauchern die Tendenz, die Gefahren des Rauchens zu verdrängen? Und würde das nicht bedeuten, dass ohnehin nur wenige freiwillig selbst
an einem offiziell empfohlenen Screeningprogramm teilnehmen würden und damit die Ausbeute insgesamt gering bliebe? Inderbitzi: Es ist sicher zutreffend, dass viele Raucher dazu neigen, die Gefahren des Rauchens zu bagatellisieren. Aber der Zusammenhang zwischen Nikotinabusus und Bronchialkarzinom ist inzwischen in der Bevölkerung anerkannt. Mehr Raucher sind auch bereit, darüber zu sprechen, und stehen einer Früherkennung aufgeschlossener gegenüber. Zudem werden im Falle einer nachweislich erfolgreichen Früherkennungsmethode nicht einzig Raucher, sondern weitere Risikogruppen davon profitieren.
ARS MEDICI: Dr. Inderbitzi, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Die Fragen stellte Uwe Beise.
BEKANNTMACHUNG
15. Europäischer Wonca-Kongress 2009 zusammen mit dem 32. SGAM-Kongress, 16. bis 19. September 2009 in Basel
«The Fascination of Complexity – Dealing with Individuals in a Field of Uncertainty»
Ein tiefes Verständnis der Komplexität und ein virtuoser Umgang mit der Unsicherheit sind zentrale Fähigkeiten der Hausärzte in der täglichen Praxis. Das Kongressprogramm bietet ein grosses Angebot an Präsentationen, die vom wissenschaftlichen Komitee durch sorgfältiges Reviewing aus über 1200 – teils aktiv akquirierten, meist jedoch spontan eingereichten – Abstracts zusammengestellt wurden.
Sechs renommierte Persönlichkeiten aus Europa und Übersee werden die Hauptreferate halten und in das Thema der «Komplexität und Unsicherheit» einführen. Sie werden den Bogen spannen von wichtigen Herausforderungen unserer Zeit – wie Gentechnologie, Nanowissenschaften, Neurobiologie, Umwelteinflüssen, Informationstechnologie und Gesundheitspolitik – zur Hausarztmedizin. Diese Plenarveranstaltungen werden aus dem Englischen simultan gedolmetscht auf Deutsch und Französisch. Zwei Referenten werden die Kongresstage Donnerstag und Freitag abschliessen – mit einem Referat zu einem aktuellen Thema mit grosser Bedeutung für unsere medizinische Praxis: ■ «Prophylactic HPV vaccine: why or why not?» ■ «Influenza: dealing with viral uncertainty» 130 Stunden Workshops stehen zur Wahl: ■ 25 «Wild cards», Workshops präsentiert von eingeladenen
Referenten, behandeln während des ganzen Kongresses als roter Faden das Thema der «Komplexität und Unsicherheit».
■ 10 Workshops zu innovativen Lehrmodellen oder spezifischen Herausforderungen in der hausärztlichen Forschung werden von jeweils einem unserer Schweizer Institute für Hausarztmedizin präsentiert.
■ 20 Workshops bilden den integrierten SGAM-Kongress und behandeln hausärztliche Probleme aus den Bereichen der Pädiatrie, Gynäkologie, Psychiatrie und Labormedizin.
■ Über 15 Workshops werden von den Netzwerkorganisationen EURACT (Lehre), EGPRN (Forschung) und EQuiP (Qualität) sowie spezifischen Interessensgruppen von Wonca angeboten.
Über 60 Workshops sind von Hausärzten aus ganz Europa organisiert, mit einem bunten Strauss an relevanten Themen für die tägliche hausärztliche Praxis.
Informationen Dr. Winfried Suske Dr. Schlegel Healthworld AG Sennweidstrasse 46 6312 Steinhausen Tel. 041-748 76 29 Fax 041-748 76 11 E-Mail: w.suske@schlegelhealth.ch
Das definitive Programm jetzt auf: www.woncaeurope2009.org
ARS MEDICI 16 ■ 2009 657