Transkript
Editorial
«Wir dürfen uns nicht auf diese Experten verlassen.» Keine Ahnung mehr, wer das vor einigen Tagen festgestellt hat. Vermutlich jemand im Zusammenhang mit der Bankenkrise. Und vermutlich ein Politiker. Dieser Satz jedenfalls ist hängen geblieben. Stimmt er? Wenn die CEO der Banken behaupten, es seien die guten Leute nicht zu halten und neue gute Leute im Investmentbanking nicht zu gewinnen, wenn nicht horrende Boni garantiert werden, sind das dann Aussagen von Experten, auf die man hören sollte – oder eben nicht? Wenn die Jugendstrafvollzugsbehörden davor warnen zu erwarten, dass strengere und vor allem längere Gefängnisstrafen bei Jugendlichen die Gesellschaft besser vor Straftaten schützen, wobei die Statistiken aus anderen Ländern sogar
dass es keine Untersuchungen über die Folgen von Entscheiden von Experten im Vergleich zu Entscheiden von Laien gibt. Wer ist erfolgreicher, die Expertokratie oder die Demokratie? In welchem System werden weniger Fehlentscheide getroffen? Welches System ist wirtschaftlich überlebensfähiger? Und schon wieder stellt sich die
Expertokratie ist schlecht, Verzicht auf Experten ist schlechter
eher das Gegenteil nahelegen, muss man das dann glauben oder sollte man sich eher auf sein Bauchgefühl verlassen, das einem sagt: Wer zehn Jahre weggesperrt ist, kann wenigstens in diesen zehn Jahren kein Unheil anrichten. Schwierig. Da, wo man selber Experte ist, wird man dazu tendieren, Expertenwissen schwerer zu gewichten. Ebenso da, wo man mit Entscheiden von Laien schlechte Erfahrungen gemacht hat. Als Politiker hingegen, als der man in fast allen Fragen Laie ist und trotzdem entscheiden muss, wird man die Experten eher als Interessenvertreter sehen, deren Meinung allenfalls in den eigenen Enscheid einzubauen ist. Die Begründung ist einfach: Experten fokussieren auf einen kleinen Teil der Wirklichkeit, die Politiker hingegen haben das Ganze im Auge zu behalten; und keinesfalls darf man die Ressourcenallokation den befangenen Experten überlassen. Eigentlich erstaunlich,
Frage: Soll man die Antwort auf diese Frage den Experten überlassen oder können wir sie selber beantworten, auf der Basis der eigenen Erfahrung und unseres gesunden Menschenverstands? Vielleicht kann man es als Arzt, als der man sich permanent mit politischen Entscheiden von Laien herumschlagen muss, sei es in Sachen Labor und Selbstdispensation oder auch in Sachen Spitzenund High-Tech-Medizin. Um es auf den Punkt zu bringen: Beides hat seine Vor- und seine Nachteile, das schlechteste aller Systeme allerdings ist jenes, in dem die Laienpolitiker die Meinung der Experten, in unserem Fall also die Meinung der Mediziner zur Medizin, noch nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Dann sind Fehlentscheide tatsächlich vorprogrammiert. Das zeigt die Wirklichkeit – auch ohne Beizug von Experten.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 16 ■ 2009 641