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FORUM
Elektromagnetische Felder und Gesundheit: zwischen Ängsten und Wissen
Ein Bericht von der Krebstagung 2009 der Krebsliga Schweiz
Im Frühjahr führte die Krebsliga Schweiz zusammen mit der Forschungsstiftung Mobilkommunikation der ETHZ die Krebstagung 2009 mit obigem Titel durch. An der Veranstaltung nahmen Vertreter aus Medizin und Forschung, der Behörden, der Medien, der Industrie und von NGOs teil. Von zentralem Interesse waren die Referate führender Wissenschaftler auf dem Gebiet elektromagnetische Felder (EMF) und Gesundheit zum aktuellen Forschungsstand. Das abschliessende Podium diskutierte umweltpolitische Aspekte des Themas.
Hugo Lehmann und Jürg Studerus
Die Liste der Referenten und der Teilnehmer am Podium weckte hohe Erwartungen. Diese wurden indessen für Zuhörer kaum erfüllt, die mit der Thematik bereits gut vertraut waren. Ihnen wurden keine neuen Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung vorgestellt, und um das Thema EMF und Krebs umfassend zu präsentieren, fehlten Vertreter tierexperimenteller Studien. Diese hätten zur wichtigen Erweiterung der sehr epidemiologiebezogenen Sichtweise mit ihren grossen Unwägbarkeiten geführt. Obwohl der Unsicherheit der Befunde somit ein hoher Stellenwert eingeräumt wurde, waren sich die Wissenschaftler in der Diskussion einig, dass falls Effekte vorhanden wären, diese eher klein sein müssten. Ohne Zweifel verstanden es die Referenten, die Ergebnisse und Erkenntnisse ihrer Arbeiten auf anregende Weise, verständlich und populär zu vermitteln. In dieser Hinsicht mochte die Krebstagung 2009 für einen bedeutenden Teil der gegen 200 anwesenden Personen durchaus informativ gewesen sein. Besonders erwähnt seien in diesem Zusammenhang auch die Vorträge seitens der Bundesämter für Umwelt und Gesundheit, wel-
che ihren Modus Operandi im Diskurs elektromagnetische Felder und Gesundheit erläuterten. Prof. Dr. Martin Röösli, Institut für Sozialund Präventivmedizin der Universität Basel, stellte die neuesten Ergebnisse zur Expositionssituation der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Hochfrequenzfeldern (HF-EMF) vor, welche im Rahmen der Qualifex-Studie ermittelt wurden. Ferner gab Röösli einen Überblick über den Forschungsstand zu nicht kanzerogenen Gesundheitseffekten im Zusammenhang mit HF-EMF. Demnach sind die gemessenen Expositionen verglichen mit den Grenzwerten im Mittel als klein zu bezeichnen (im Mittel zwischen 0,1–0,6 V/m). Die Expositionen sind für die Menschen generell nicht wahrnehmbar. In neueren, methodisch guten epidemiologischen Studien wird kein Zusammenhang von Beschwerden und Exposition festgestellt. Offen bleibt die Frage, ob es Personengruppen gibt, die sensibel auf elektromagnetische Felder reagieren können.
Kein erhöhtes Krebsrisiko
Prof. Dr. Norbert Leitgeb, Technische Universität Graz, präsentierte die Ergebnisse epidemiologischer Studien über
den Zusammenhang von Kinderleukämien mit Magnetfeldimmissionen. Nach den Aussagen des österreichischen Forschers sind elektrische und magnetische Felder im Allgemeinen weit unterhalb der Immissionsgrenzwerte. Für Nieder-
Merksätze
■ Unbewiesen ist nach wie vor ein von elektromagnetischen Feldern unterhalb der gültigen Grenzwerte ausgehendes Gesundheitsrisiko.
■ Sollte indessen ein NIS-assoziiertes Gesundheitsrisiko unterhalb der Grenzwerte nachgewiesen werden, so wird es als schwach einzuschätzen sein.
■ Die Hill-Kriterien* für Studien in der Umweltmedizin sollten bei der Bewertung vor allem epidemiologischer Ergebnisse berücksichtigt werden.
■ Es sollte mit mehr Bedacht und Vorsicht mit Behauptungen über etwaige Gefahren der EMF umgegangen werden, denn Angst kann krank machen.
* Hill, AB.: The environment and disease: association or causation? Proc Royal Soc Med 1965; 58: 295—300.
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Angstbesetzt, bis jetzt aber freigesprochen: Mobilfunkantennen (wie hier auf dem Säntis)
frequenzfelder gibt es keine Hinweise aus Laborstudien, dass unterhalb der Grenzwerte schädliche Effekte hergerufen werden. Epidemiologische Studien deuten hingegen auf einen statistischen Zusammenhang mit Kinderleukämien. Diese Korrelation ist aber nur schwach und kausal nicht erklärbar. Nach Darstellung von Dr. Joachim Schüz, Institut für Krebsepidemiologie der Dänischen Krebsgesellschaft, ist das Risiko bei Langzeitnutzern von Mobiltelefonen noch offen. Bislang zeigen methodisch gute Studien aber keine Erhöhung des relativen Krebsrisikos. Dr. Mirjana Moser, BAG, erläuterte die schwierige Lage der Behörden zum Erlass von Stellungnahmen und Weisungen bei ungesicherter wissenschaftlicher Datenlage wie bei Fragen zu nicht ionisierender Strahlung (NIS) und ihren gesundheitlichen Konsequenzen. Sie legte
im Namen des BAG ein klares Bekenntnis zur Forschungsförderung und zu Vorsorgemassnahmen ab. Wobei unter Vorsorge nicht generell ein Senken der Grenzwerte zu verstehen sei, sondern eine Kombination von Information, gezielter Forschungsförderung und individuellen Vorsorgemassnahmen. Mehr Vorsorge sei bei Endgeräten notwendig, wie bei Induktionsherden und Mobiltelefonen. Erreicht werden soll dies durch vermehrte internationale Aktivitäten der Behörden in Normierungs- und Standardisierungsgremien. Dr. Jürg Baumann, BAFU, legte das Schutzkonzept seines Bundesamtes bezüglich NIS und Gesundheit dar. Er verteidigte das bislang angewandte Vorsorgeprinzip und seine Inhalte. Der Experte machte klar, dass die Vorsorge in der NISVerordnung (NISV) eine pragmatische Antwort auf die wissenschaftliche Unsi-
cherheit ist. Der von Kritikern geforderte
Unschädlichkeitsnachweis lässt sich na-
turgemäss nicht erbringen. Die NISV
werde konsequent umgesetzt und durch
die Rechtssprechung des Bundesgerich-
tes mitgetragen. Der interessierte Leser
kann zur Vertiefung die Vorträge der
Referenten unter: www.krebsliga.ch/de/
fachleute/forschende/krebstagung_2009/
programm_krebstagung_2009/index.cfm
abrufen.
Seinen Abschluss fand der Anlass in
einer Podiumsdiskussion mit Stände-
rätin Christine Egerszegi, Prof. Dr. med.
Franco Cavalli, Dr. Michael Burkhardt
(Sunrise), Dr. med. Bernhard Aufdereg-
gen (Ärztinnen und Ärzte für Umwelt-
schutz) und Nationalrätin Dr. med.
Yvonne Gilli. Hierbei beschränkte sich die
Diskussion allerdings auf politische For-
derungen der Mobilfunkkritiker und ihre
Relativierung seitens der Vertreter der
Wissenschaft. Der Onkologe Franco Ca-
valli meinte etwa, es würde ihn mehr
ängstigen, wenn sich seine Enkel im
Schnellimbiss verpflegten, als wenn
diese ein Handy benutzten. Ständerätin
Egerszegi brachte den Vorschlag ins
Spiel, Mobilfunkantennen mittels Geset-
zesrevision nicht mehr der Siedlungs-
infrastruktur zuzurechnen. Bernhard
Aufdereggen verlangte generell Zurück-
haltung beim Einführen neuer Technolo-
gien, damit genügend Zeit für die Abwä-
gung der Risiken bliebe. Quasi als
Schlusswort appellierte Mirjana Moser
vom BAG für die Weiterführung der For-
schungsunterstützung im Bereich EMF
und Gesundheit. Man solle die aufgebau-
ten Forschungskapazitäten auch nach
dem Nationalen Forschungsprogramm
57 weiter nutzen.
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Dr. rer. nat. Hugo Lehmann Jürg Studerus
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Interessenkonflikte: ergeben sich aus der Firmenzugehörigkeit
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