Transkript
STUDIE REFERIERT
Steroidinduzierte Verringerung der Knochendichte
Einfluss von Zoledronat und Risedronat im Vergleich
Die langfristige Einnahme von Glukokortikoiden, beispielsweise bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder COPD, erhöht je nach Erkrankung und Steroiddosis das Frakturrisiko. Bei einer dauerhaften systemischen Steroidtherapie ist eine Verringerung der Knochendichte im Lendenwirbelbereich mitunter bereits nach drei Monaten messbar. In einer kürzlich publizierten Studie wurde der Einfluss von Zoledronat oder Risedronat auf die Knochendichte bei Patienten unter Langzeit-Steroidtherapie verglichen.
THE LANCET
Die Teilnehmer in der Zoledronatgruppe erhielten eine Zoledronatinfusion (5 mg) zu Beginn der Studie und in den nachfolgenden zwölf Monaten täglich eine Plazebotablette. Die Patienten in der Risedronatgruppe erhielten eine Plazeboinfusion und danach für zwölf Monate täglich eine Tablette mit 5 mg Rise-
dronat. Alle Probanden erhielten über den gesamten Studienzeitraum hinweg zusätzlich 400 bis 1200 IE Vitamin D und 1 g Kalzium pro Tag; diese Supplementierung begann frühestens 28 Tage vor der Infusion (Studienbeginn). Insgesamt wurden 833 Patienten im Alter von 18 bis 85 Jahren mit einer täglichen Mindestdosis von 7,5 mg oralem Prednisolon (bzw. Äquivalent) in die Studie aufgenommen. Bei allen Probanden war davon auszugehen, dass sie ihr Glukokortikoid noch mindestens zwölf weitere Monate nach Studienbeginn einnehmen würden. Diejenigen Patienten, die vor Studienbeginn ihr Glukokortikoid seit mindestens drei Monaten schluckten, definierte man als «Behandlungsgruppe» (n = 545; 272 Zoledronat/273 Risedronat). Die anderen, mit einem Vorlauf der Glukokortikoideinnahme unter drei Monaten, als «Präventionsgruppe» (n = 288; je 144 Zoledronat und Risedronat). Um eine möglichst ausgewogene Zusammensetzung der vier Studienarme zu erreichen, wurde bei der Zuteilung der Probanden das Geschlecht und die Dauer der vorherigen Glukokortikoidtherapie beachtet. Primärer Endpunkt war die prozentuale Veränderung der Knochenmineraldichte der Lendenwirbel L1–L4 nach einem Jahr. Sekundäre Endpunkte waren die prozentuale Veränderung der Knochendichte der Lendenwirbel nach sechs Monaten sowie in Schenkelhals, Hüfte, Trochanter und distalem Radius nach sechs und zwölf Monaten.
Resultate Zu Beginn der Studie betrugen die durchschnittlichen T-Werte -1,37 (Behandlungs-
gruppe) und -0,93 (Präventionsgruppe), das heisst, bei den Studienteilnehmern lag zu Beginn der Therapie keine Osteoporose gemäss WHO-Definition vor (Grenzwert DXA T < -2,5). Nach zwölf Monaten war die prozentuale Zunahme der Knochendichte im Lendenwirbelbereich mit Zoledronat grösser als mit Risedronat (Behandlungsgruppe: 4,06 vs. 2,71%; Präventionsgruppe: 2,60 vs. 0,64%). Der gleiche Effekt war in geringerem Ausmass auch an anderen Knochen messbar: Oberschenkelhals (Behandlung: 1,45 vs. 0,39%; Prävention: 1,30 vs. -0,03%), Hüfte (Behandlung: 1,65 vs. 0,45%; Prävention: 1,54 vs. 0,03%) und Trochanter (Behandlung: 1,97 vs. 0,63%; Prävention: 2,75 vs. 0,48%). Im distalen Radius zeigte sich nur in der Behandlungsgruppe ein besseres Resultat für Zoledronat (0,85 vs. 0,09%). Das bessere Abschneiden für Zoledronat zeichnete sich bereits nach sechs Monaten ab. Gleichmässig verteilt über alle Studienarme brachen 63 Patienten die Studie vorzeitig ab: 15 wegen Nebenwirkungen, 21 zogen ihr Einverständnis wieder zurück, bei 19 Teilnehmern kam es zu Fehlern im Studienablauf, und 8 Teilnehmer verstarben. Mit Ausnahme der grippeähnlichen Nebenwirkungen in den ersten Tagen nach der Zoledronatinfusion wurden keine Unterschiede im Sicherheitsprofil der beiden Substanzen festgestellt. Die typischen, grippeähnlichen Nebenwirkungen nach der intravenösen Gabe von Bisphosphonaten wie Fieber, Myalgie, Merksätze ■ Zoledronat führt bei Patienten unter Langzeit-Steroidtherapie nach zwölf Monaten zu einem stärkeren Anstieg der Knochendichte als Risedronat. ■ Aufgrund der sehr niedrigen Inzidenz neuer Wirbelbrüche im Studienzeitraum erlaubt diese Studie keine Aussagen darüber, ob die Substanzen auch einen Einfluss auf die Frakturrate haben. 594 ARS MEDICI 14 ■ 2009 STUDIE REFERIERT KOMMENTAR Dr. med. Luzi Dubs, Winterthur sichtigt, dass pro Jahr 1 bis 2 Prozent der Knochenmasse physiologischerweise abgebaut wird. Somit sind die verwendeten Begriffe wie «Osteopenie» und «Osteoporose» mit der notwendigen Vorsicht zu geniessen. Fragwürdige klinische Relevanz Es dürfte kaum verwundern, wenn ein klinisch interessierter Leser diese Arbeit spätestens nach der Kenntnisnahme des Abstracts zur Seite legt. Es geht um den Vergleich zweier Bisphosphonate in einer altersmässig heterogenen Patientengruppe mit verschiedenen Morbiditäten, welche durch das gemeinsame Merkmal einer langfristigen Glukokortikoidtherapie gekennzeichnet ist. Zudem wurden zwei Subgruppen mit unterschiedlicher Expositionsdauer der Steroidtherapie gebildet. Somit ist die interne Validität eher bescheiden. Als primäre Outcome-Variable wird ein Surrogatendpunkt, eine densitometrische Messung am Lendenwirbelkörper, gewählt. Das Durchschnittsalter liegt bei 53 Jahren, der Frauenanteil bei 68 Prozent, von diesen sind 64 bis 69 Prozent postmenopausal. Die gemessenen Ausgangswerte von -0,9 bis -1,4 im T-Score dürften eher im altersentsprechenden Mittelwertsbereich liegen, wenn man berück- Im Wissen um die begrenzte Aussagekraft der Knochendichtemessung wird heute eher versucht, die Krankheit «Osteoporose», sofern man überhaupt von einer Krankheit sprechen kann, als Frakturrisiko innert zehn Jahren zu definieren. In der Studie werden wohl Frakturen an der Lendenwirbelsäule gesucht und wenige werden auch gefunden. Dabei gilt es im Auge zu behalten, dass gemäss osteologischen Publikationen 70 Prozent der sogenannten osteoporotischen LWK-Frakturen asymptomatische Zufallsbefunde im Röntgenbild sind. Dass «aus ethischen Gründen» keine Plazebogruppe gewählt wurde, zumal alle Probanden auch Kalzium und Vitamin D gleichzeitig verabreicht bekamen, kann nur Ausdruck davon sein, dass die Sponsorfirma in erster Linie das Produkt der Konkurrenzfirma aus dem Markt zu verdrängen beabsichtigt. Die technische Durchführung der Studie mit tiefem Drop-out vermittelt wohl methodische Professionalität und durch die Bestimmung einer hohen Fallzahl ergeben sich Ergebnisunterschiede mit statistischer Signifikanz. Sehr fragwürdig bleibt jedoch die klinische Relevanz, was den Kliniker ja am meisten interessiert. ■ Kopfweh und Gelenkschmerzen waren in der Regel nach drei Tagen vorüber. Die Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen betrug in allen Studienarmen 16 bis 20 Prozent. Die Verschlechterung einer rheumatoiden Arthritis war die häufigste schwere Nebenwirkung in der Behandlungsgruppe, sowohl bei Zoledronat als auch bei Risedronat (je 2%). Ebenfalls bei beiden Substanzen war Fieber die häufigste schwere Nebenwirkung in der Präventionsgruppe (je 1%). In einer früheren Studie zur postmenopausalen Osteoporose wurden unter Zoledronat im Vergleich zu Plazebo etwas häufiger Arrhythmien beobachtet (6,9 vs. 5,3%); in der vorliegenden Studie gab es keine statistisch relevanten Unterschiede hinsichtlich kardialer Nebenwirkungen zwischen Zoledronat und Risedronat (0–2% in allen vier Studienarmen). Die Entwicklung der Frakturrate gehörte nicht zur Fragestellung der Studie. Zirka 14 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten irgendwann einmal vorher eine Fraktur erlitten; im Studienzeitraum kam es bei insgesamt 8 Patienten zu neuen Wirbelfrakturen (Zoledro- nat 1,3%; Risedronat 0,8%). Schlussfolgerungen In einem Kommentar in der gleichen «Lancet»-Ausgabe heben Luigi Gennari (Universität Siena) und John P. Bilezikian (Columbia-Unversität New York) lobend hervor, dass diese Studienresultate auf ein breites Patientenspektrum anwendbar seien, weil die Studienkandidaten nicht aufgrund ihrer Knochendichte, sondern allein aufgrund einer hoch dosierten Glukokortikoidtherapie ausgewählt wurden. Sie sind sich mit den Studienleitern darin einig, dass es bis heute nur relativ kurze Studien von ein bis zwei Jahren Dauer mit Medikamenten zur Prävention glukokortikoidinduzierter Frakturen gibt und man deren Resultate nicht vorschnell auf eine Langzeitanwendung extrapolieren dürfe. Die Studie erlaubt zwar Aussagen zum Surrogatparameter Knochendichte, gibt aber keine Antwort auf die Frage, ob unter Zoledronat oder Risedronat mit unterschiedlichen Frakturraten zu rechnen ist. Hierfür wäre eine sehr viel grössere Studie nötig. Auf eine Plazebo- gruppe habe man aus ethischen Grün- den verzichtet, so die Studienleiter. Somit bleibt auch die Frage unbeantwor- tet, wie sich die Knochendichte ohne Bisphosphonate entwickelt hätte. Überdies geben die Kommentatoren Gennari und Bilezikian zu bedenken, dass Frakturen unter Glukokortikoid- therapie häufig bei Patienten ohne ent- sprechende Knochendichteverringerung auftreten. Glukokortikoide erhöhen das Frakturrisiko offensichtlich also auch auf anderen Wegen. ■ Renate Bonifer Reid DM et al.: Zoledronic acid and risedronate in the prevention and treatment of glucocorticoid-induced osteoporosis (HORIZON): a multicentre, double-blind, double-dummy, randomised controlled trial. Lancet 2009; 373: 1253—1263. Interessenlage: Die Studie wurde von Novartis Pharma finanziert. Der Erstautor und sechs weitere Autoren aus verschiedenen Universitäten geben Beraterhonorare und Grants von zahlreichen pharmazeutischen Firmen an; die restlichen fünf Autoren sind beziehungsweise waren Mitarbeiter von Novartis. ARS MEDICI 14 ■ 2009 595