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MEDIEN ■ MODEN ■ MEDIZIN
Rosenbergstrasse 115
In Deutschland gehts den Praktikern bekanntlich noch schlechter als in der Schweiz. Vermutlich so, wie uns in ein paar Jahren. Das Gesundheitswesen hat die gleichen Probleme. Zitat Prof. Dr. JürgDietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer: «Heute gibt allein den Ausschlag, was finanzierbar ist. Das Günstigste wird zum Besten erklärt. Das ist ein Irrtum. Das einzige Kriterium für die Politik scheint mir zu sein, dass der Beitragssatz (analog bei uns: die Krankenkassenprämien, Red.) stabil bleiben kann. Eine Gesundheitspolitik im eigentlichen Wortsinn ist das nicht.» Es sei den Schweizer Gesundheitspolitikern ins Stammbuch geschrieben!
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Angeblich sollen in gewissen Gegenden der Schweiz mehr künstliche (Schulter-) Gelenke eingesetzt werden als in anderen. Kritische Geister stellen sofort die Frage, ob das daran liegen könnte, dass in den gelenkprothesenreichen Zonen eine Klinik liege mit einem entsprechend hohen Angebot an Orthopäden. Noch kritischere Geister fragen sich demgegenüber, ob die Versorgung mit künstlichen Gelenken in den gelenkprothesenarmen Regionen möglicherweise ungenügend sei. Aber klar, das ist keine populäre Frage. Weder wenns um Gelenkprothesen noch wenns um Herzkatheter oder Chemotherapien geht.
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Die Zukunft des Praxislabors ist düster. Wenn man den Prognosen der Fachleute aus Technik und Marketing glauben darf, dann werden einige der wichtigsten Laboranalysen – Blutzucker, Cholesterin, IgE u.a. – bald von den Grossverteilern (Coop, Migros, Aldi & Co.) verkauft. Zum halben Preis und begleitet vom Angebot, sich bei einem Kollegen in einem medizi-
nischen Callcenter über die Konsequenzen des Testresultats informieren zu lassen. Kostenlos natürlich, denn die Dienstleistung wird vom Werbebudget von Coop oder Migros übernommen – die sich bis dann vermutlich mit Kapital an den Callcentern beteiligt haben werden, zusammen mit den Krankenkassen, die dieses Konzept unterstützen, weil sie froh sind, dass die Leute ihre Diagnosen dort einkaufen, wos – im Gegensatz zum Arzt – nichts kostet. Das ist natürlich alles nur Fiktion, genauso wie folgende Vorstellung: In den Coop/Migros/Lidl/Aldi-Apotheken kann man sich künftig möglicherweise auch aufwendigeren Analysen unterziehen. Die Blutentnahme nehmen Praxisassistentinnen vor, das Testresultat kann man am Ende des Einkaufs abholen oder es wird gleichentags per Fax oder E-Mail nach Hause geliefert, zusammen mit einer Empfehlung des Grossverteiler-Arztes. Der rät dann zum Beispiel dazu, in der Grossverteiler-Apotheke dieses oder jenes Medikament einzukaufen; notfalls kann er auch mal ein Rezept ausstellen. Bis zum Hausarzt schlüpfen nur noch jene durch, deren Befund tatsächlich unklar ist oder die eine unabhängige Zweitmeinung wünschen. Hausarzt? Da ängstliche Menschen nicht gerne warten und am liebsten sofort wüssten, was los ist, kann man sich dannzumal vielleicht in der grossverteilereigenen Poliklinik versorgen und beraten lassen. Das ökonomisch Praktische daran: Auch die Polikliniken werden von den Krankenkassen zusammen mit den Grossverteilern betrieben. Möchten Sie gerne selber weiterspinnen? Zum Beispiel so: Die Polikliniken stehen unter der Leitung von speziell ausgebildeten medizinischen Marketingfachleuten mit Ethikfachausweis. Diese Ausweise wiederum sind in Kursen zu erwerben, die von den Klubschulen für höhere Fachkräfte angeboten werden. Lediglich die Fachärzte – Kardiologen, Onkologen, Gynäkologen – werden sich dieser Entwicklung noch eine Zeit
lang entziehen können. Die ersten Grossverteiler-Herzkatheter-Kliniken mit Fachkräften aus dem Baltikum werden aber nicht ewig auf sich warten lassen. Standardisiert und einheitlich im Design, sehr funktional und natürlich kostengünstig, werden sie in den grossen Städten der reicheren Industrieländer aufgebaut. Wiederum zusammen mit fortschrittlichen Krankenversicherern. Es wird sich bald herausstellen, dass eine moderne Medizin wegen ihrer immensen Kosten nur noch auf dem Weg über den standardisierten Discounter finanzierbar ist. Selbstständige Ärzte ade, sie werden sich entweder anstellen lassen oder Zusatzdienstleistungen anbieten müssen, die für die Grossverteiler zu teuer oder zu unanständig sind oder einen zu geringen Werbeeffekt haben. Sie denken, das erleben Sie nicht mehr? Tja …
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Nun wissen wirs: Unverschmutzte Hosen und ein sauberer Autositz sind kein hochwertiges Rechtsgut, und Durchfall stellt keine Notstandssituation dar. Das musste sich ein Autofahrer von den Bundesrichtern sagen lassen, die über eine Tempoüberschreitung auf der Autobahn zu befinden hatten. Der Angeklagte war mit Tempo 170 geblitzt worden. Seine Erklärung: Er wollte – wofür die Richter Verständnis hatten – wegen seines Zustands (drohendes Disaster!) so rasch wie möglich die nächste Toilette erreichen. Durchfall sei zwar äusserst unangenehm, meinten die hohen Herren, nur rechtfertige das die Eile nicht, mit der der bedauernswerte Mann das medizinisch und menschlich Notwendige anstrebte. Drei Monate Führerausweisentzug und eine saftige Busse lautete das Verdikt. Bleibt zu hoffen, dass die Herren nie Probleme mit der Prostata kriegen.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 14 ■ 2009 565