Transkript
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Rosenbergstrasse 115
Auf einmal haben ihn alle lieb, haben ihn respektiert, seine Führungsqualitäten und seinen starken Charakter geschätzt und bedauern, dass «der einzige Intellektuelle» (bekannt geworden mit Wortspielen wie Duce für Blocher und Mengele für Mörgele) aus dem Bundesrat zurücktritt. Gut, nicht alle, aber erstaunlicherweise ganz besonders die politische Linke, von Anita Fetz bis Daniel Vischer. Lob erntet Noch-Bundesrat Couchepin bei ihnen allerdings kaum wegen seiner politischen Arbeit (AHV, IV, Gesundheitswesen – alles ungelöste Fälle), schon eher wegen seiner wichtigen Bodenbereiterrolle beim Putsch gegen Ex-Bundesrat Blocher. Er sei ein grosser Bundesrat. Ist er das? Leute, die mit ihm – nicht als Freunde, sondern in politischen Funktionen – zu tun hatten, schildern ihn als arrogant, herrisch, nicht willens zuzuhören, als jemanden, der grundsätzlich immer recht hatte. Die letzte starke Persönlichkeit. Nun denn, wenn das bereits genügt, um als grosser Bundesrat zu gelten, dann mag Couchepin wohl als grosser in die Geschichte eingehen. Das Eingehen sei ihm gegönnt – und uns wenigstens sein Gehen. Und dann … nil nisi bene.
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Das Gerangel um die Bundesratsnachfolge ist wie immer ziemlich peinlich, aber unvermeidlich, wies scheint. Die CVP-glpEVP-Fraktion will eine Person aus den eigenen Reihen aufstellen. Herrn Schwaller zum Beispiel, jedenfalls jemanden mit ökologischem Bewusstsein. Und Verständnis fürs Gesundheitswesen. Die Grünliberalen kennen auch bereits die Geeignete aus ihrer Fraktion – die Idealbesetzung sozusagen. Wundern Sie sich also nicht, wenn Verena Diener auf einmal nur noch französisch spricht, ihren Wohnsitz kurzfristig nach Martigny verlegt und wenns sein muss auch noch ein Aufnahmegesuch bei der welschen CVP einreicht. Ganz
richtig: Die Zürcher Ex-Gesundheitsdirektorin, deren kantonale Gesundheitsgesetze vom Volk dreimal verworfen wurden, weil sie ums Verrecken die Selbstdispensation verboten halten wollte, gilt als valable Kandidatin. Sie wirds kaum schaffen bis in den Bundesrat, hoffen wir mal, aber es bestätigt sich wieder einmal: Es kann immer noch schlimmer kommen.
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Auch ein Arzt wird als Bundesratskandidat und damit als potenzieller Vorsteher des Departements von Pascal Couchepin gehandelt: der Tessiner Ignazio Cassis, der für die FDP seit 2007 im Nationalrat sitzt. Eigentlich vielversprechend, immerhin ist der 48-jährige Kollege Vizepräsident der FMH. Daneben sitzt der rührige Mediziner mit zwei FMH-Titeln (Innere Medizin sowie Prävention und Gesundheitswesen) allerdings auch im Vorstand des Forum Managed Care, ist Mitglied des Stiftungsrats der Stiftung Equam und Präsident von Public Health Schweiz sowie Mitglied von InfoSocietyDays, dem Fachbeirat des swiss eHealth Forums. Von 1997 bis 2008 war er zudem Kantonsarzt, seit 1998 ist er «Médecin associé» des Instituts für Sozialund Präventivmedizin der Universität Lausanne, seit 2001 Lehrbeauftragter an der Universität Lugano. Von 1991 bis 1999 war Cassis Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen, 1997 bis 2005 Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen, 2000 bis 2003 Mitglied der Nationalen Arbeitsgruppe «Koordination der Spitzenmedizin in der Schweiz», seit 2005 ist er Mitglied der Nationalen Expertenkommission «Prävention und Gesundheitsförderung» und ebenso lange Mitglied der Steuergruppe «Nationale eHealth-Strategie und schliesslich seit 2008 im Vorstand der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Viel übereinstimmende Erfahrung mit den nicht von
öffentlichen Geldern finanzierten, sondern unternehmerisch tätigen praktizierenden Kollegen, der sogenannten Basis, lässt sich daraus leider nicht ableiten. Aber gut, immerhin, wenigstens mal ein Kollege mit einem erstaunlichen Hang zu öffentlichen Ämtern und politischen Mandaten.
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Ach ja, und dann ist da noch die Sache mit dem Führerschein. Nichts Spezielles für Tessiner Nationalräte. Ignazio Cassis wurde kürzlich auf der Autobahn A2, zwischen Bellinzona Nord und Bellinzona Süd, mit 171 km/h erwischt. Nun droht der Entzug des Führerscheins für drei Monate. «Peinlich für einen Bürger», wie der FDP-Nationalrat meint, der neben allem anderen auch noch Gemeinderat von Collina d'Oro bei Lugano ist.
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Der letzte erledigte Vorstoss von Kollege Ignazio Cassis im Nationalrat übrigens trug den Titel «Mehr schweizerische Musik in den Sendungen der SSR SRG idée suisse». Mit dieser Interpellation wollte Cassis wissen, 1. ob «sich der Bundesrat über die Bedeutung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SSR SRG idée suisse für die Förderung der schweizerischen Musik bewusst» sei, 2. ob «der Bundesrat auch die Meinung vertrete, dass der im Radio gespielte Anteil an schweizerischer Musik die Einkünfte und die künstlerische Produktion der Musikerinnen und Musiker direkt beeinflusse» und 3. ob «er bereit sei, die SSR SRG idée suisse dazu aufzurufen, mehr schweizerische Musik zu übertragen.» (Der Bundesrat übrigens war sich in seiner Antwort 1. bewusst, vertrat 2. ebenfalls die Meinung, war aber 3. nicht bereit …)
Richard Altorfer
ARS MEDICI 13 ■ 2009 525