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BERICHT
Vitamin D — auch fürs Herz
Mehr an die Sonne oder doch eher Substitution?
Vitamin D ist nicht nur für die Knochengesundheit unerlässlich, sondern auch für das Herz-Kreislauf-System. Da sehr viele Menschen einen chronischen Vitamin-D-Mangel haben, sollte die Furcht vor der Sonne relativiert werden — sagt ein Kardiologe.
«Cardiology Update 2009 — Programmschwerpunkte, neue Entwicklungen und therapeutische Optionen in der kardio-
vaskulären Medizin», 15.—20. Februar 2009 in Davos.
HALID BAS
Die wichtige Funktion von Vitamin D für die Homöostase der Mineralien Phosphat und Kalzium und für die Aufrechterhaltung des Knochenstoffwechsels ist gut untersucht und wohlbekannt. Zunehmend wird klar, dass Vitamin D auch in viele weitere Prozesse im Körper hineinspielt, wofür das Vorhandensein von reichlich Vitamin-DRezeptoren in sehr vielen Geweben spricht. Den Kardiologen interessiert, dass Vitamin-D-Rezeptoren in Lunge, glatten Gefässmuskel- und Endothelzellen oder auch Herzmuskelzellen in grosser Zahl vorkommen und dort auch eine physiologische Funktion haben müssen. «In diesem Zusammenhang ist der grassierende Vitamin-D-Mangel in der Allgemeinbevölkerung bedenklich», erklärte Professor Frank Ruschitzka, Departement für Kardiologie am Universitätsspital Zürich, am Cardiology Update 2009 in Davos.
Starke Signale Dass ein Vitamin-D-Mangel für die kardiovaskuläre Gesundheit nachteilig ist, liess schon vor 30 Jahren die Tromsø Heart Study vermuten, die hohe Mortalitätsraten an Myokardinfarkt im sonnenarmen Nordnorwegen dokumen-
tierte. Aus vielen weiteren Untersuchungen ist bekannt, dass ein Vitamin-DMangel bei 30 bis 50 Prozent der Allgemeinbevölkerung vorkommt. Die Mangelversorgung ist jahreszeitenabhängig und nördlich einer Breite von 35° N – was etwa Rom oder Atlanta entspricht – häufiger. Die Folge einer Beeinträchtigung der körpereigenen Synthese in der Haut unter UV-Einfluss fällt auch ins Gewicht bei dunkelhäutigen Menschen und Individuen, die sich vor allem in Gebäuden aufhalten, wozu sehr viele alte Menschen gehören. «Aber auch die bewusste UV-Vermeidung inklusive des verbreiteten Einsatzes von UV-Blockern
und Gefässen zugute kommen müsste. Im Rahmen der Framingham Offspring Study wurden bei 1739 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ohne anfängliche kardiovaskuläre Erkrankung die 25-Dihydroxy-Vitamin-D-(25-OH-Vit.-D-)Spiegel gemessen. Sehr deutlich reduzierte Werte (< 15 ng/ml) wurden bei 28 Prozent, noch tiefere Spiegel (< 10 ng/ml) bei 9 Prozent nachgewiesen. Nach einem mittleren Follow-up von 5,4 Jahren erlitten 120 Individuen ein kardiales Ereignis. Individuen mit tiefen Werten hatten ein erhöhtes kardiales Risiko, signifikant war der Unterschied mit einer Verdoppelung des Risikos bei hypertensi- «Auch die bewusste UV-Vermeidung unter dem Eindruck der heutigen Melanomhysterie erhöht das Risiko eines Vitamin-D-Mangels.» unter dem Eindruck der heutigen Melanomhysterie erhöht das Risiko eines Vitamin-D-Mangels», stellte der Kardiologe durchaus provokativ fest. Er nannte auch einige weitere, überwiegend epidemiologische Hinweise, die einen Vitamin-D-Mangel als kardiovaskulären Risikofaktor ausweisen und sich so verstehen lassen, dass eine gezielte Behebung dieses Defizits Herz ven Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Zudem war eine Dosis-Wirkungs-Beziehung erkennbar mit adjustierten Hazard Ratios von 1,53 bei 25-OH-Vit. D zwischen 10 und 15 ng/ml und 1,80 bei 25-OH Vit. D < 109 ng/ml. Neben diversen Querschnittserhebungen hat eine europäische Untersuchung (Ludwigshafen Risk and Cardiovascular Health [LURIC] Study) auch prospektive 484 ARS MEDICI 12 ■ 2009 BERICHT Boscolo/pixelio Daten geliefert, die in dieselbe Richtung zeigen. In dieser Kohorte von 3258 Frauen und Männern, die zu einer Konornarangiografie an ein tertiäres Zentrum gekommen waren, verstarben während der Beobachtungszeit 737 Patienten, davon 463 an einer kardiovaskuären Ursache. Nach dem Follow-up von 7,7 Jahren korrelierten die beiden tiefsten Quartilen der 25-Hydroxyvitamin-D-Spiegel je mit einer Verdoppelung der Gesamtund der kardiovaskulären Mortalität. Diese Effekte waren unabhängig vom Vorliegen einer Koronarerkrankung, vom körperlichen Fitnesszustand oder einer Herzinsuffizienz, zeigten hingegen eine signifikante Beziehung zu Entzündungsparametern wie C-reaktivem Protein oder Interleukin 6. «Dies sind doch starke Signale», meinte Professor Ruschitzka, «allerdings belegen sie noch keine Kausalität.» Vitamin D und Renin Wirklich schlüssige Interventionsstudien liegen bis heute nicht vor, aber es gibt auch hier einige Hinweise. So nimmt mit zunehmender nördlicher Breite der Blutdruck zu, eine Solariumstudie, die unter künstlicher UV-B-Bestrahlung eine Blutdruckabnahme dokumentierte, passt in dieses Bild, ebenso Studien, die belegen, dass die VitaminD-Zufuhr per os (insbesondere zusammen mit Kalzium) den Blutdruck effektiv senkt. Gemeinsamer Nenner sind sekundärer Endpunkt der Women’sHealth-Initiative-(WHI-)Studie war die Veränderung des Risikos für Herzinfarkt, kardiovaskuläre Mortalität oder Schlaganfall durch Vitamin-D- plus Kalziumsubstitution. Hier konnte kein Effekt nachgewiesen werden. «Es ist aber zu betonen, dass in der WHI-Studie die Vitamin-D-Dosis mit zweimal 200 IE «Geht regelmässig hinaus an die Sonne, holt euch dort euer Vitamin D, aber passt auf, dass ihr keinen Sonnenbrand kriegt!» inzwischen gut etablierte wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigen, dass Vitamin D über renale Vitamin-D-Rezeptoren direkt (und nicht nur auf dem Umweg über Kalziummetabolismus und Parathormon) die Reninexpression reguliert: Zu tiefe Vitamin-D-Spiegel bedeuten einen Wegfall der Unterdrückung der Reninexpression mit Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems. Professor Ruschitzka erwähnte allerdings auch ein negatives Studienergebnis. Ein täglich eindeutig zu tief war, weshalb das negative Ergebnis nicht erstaunt», betonte Frank Ruschitzka. Eine provokative Botschaft Was ist also mit Blick auf die kardiovaskuläre Rolle von Vitamin D zu raten? «Noch gibt es keine Vitamin-D-Substitutionsstudien mit adäquater Power», räumte der Kardiologe in Davos ein. Bei dokumentierter Unterversorgung sind sicherlich eine Auffüllung der Vitamin-D- Speicher und eine anschliessende Erhaltungstherapie angezeigt. Da ungenügende Vitamin-D-Speicher aber für breite Bevölkerungsschichten ein Problem seien, müsse hier die Botschaft lauten: «Geht regelmässig hinaus an die Sonne, holt euch dort euer Vitamin D, aber passt auf, dass ihr keinen Sonnenbrand kriegt!» Schliesslich sei dies auch ein Ratschlag, der nicht nur dem Herzen nützen dürfte, sondern auch mit mehr Lebensfreude zu tun habe als die ziemlich lustfeindliche «Achtung Sonne»-Propaganda. Dermatologen (und auch Osteoporosespezialisten) dürften da eine etwas andere Auffassung haben … ■ Halid Bas ARS MEDICI 12 ■ 2009 485