Transkript
MEDIEN ■ MODEN ■ MEDIZIN
Rosenbergstrasse 115
Gut, die Idee ist nicht grad bestechend, vor allem wenn sie so ausgestaltet wird, dass nicht mehr Geld zusammenkommt und kein Steuerungseffekt resultiert. Die Rede ist von der vermutlich schon vor der Entbindung bestatteten Arztpraxiseintrittsgebühr von je 30 Franken für die ersten sechs Arztbesuche pro Kalenderjahr. Immerhin, die Aufregung darüber legt sich rasch angesichts des Anschlags an der Patientenanmeldung im Tierspital Zürich. Offenbar akzeptiert männiglich die «Notfallpauschale: Fr. 120.–». Nur ums klar zu stellen: Die Notfallpauschale kommt zusätzlich zu den Behandlungskosten zur Anwendung und werktags bereits ab 17.00 Uhr (nachts und am Wochenende sowieso). Und nicht bloss die ersten sechs Mal.
■■■
Nahe liegend wäre eine Infrastrukturpauschale von 100 Franken für jeden Besuch in der Notfallstation eines Spitals an jenen Tagen und zu jenen Tageszeiten, an denen Hausärzte Notfalldienste anbieten. Das ergäbe den erwünschten Steuerungseffekt in Richtung Hausärzte. Es gibt, soviel Selbstkritik muss sein, allerdings Kolleginnen und Kollegen, denen eine Steuerung in diese Richtung gar nicht genehm ist.
■■■
Öden Sie die Diskussionen über unser Gesundheitswesen auch gelegentlich an? Egal, ob im Fernsehen, im Radio oder in den Parlamenten, die Diskussionen verlaufen immer gleich: 1. Wir werden immer älter. 2. Wir werden immer anspruchsvoller. 3. Die Medizin macht laufend Fortschritte. 4. Klar, dass alles teurer wird. 5. Viele Leute können die Krankenkassen-
prämien nicht mehr bezahlen, deshalb:
6. Wir müssen die Kostenexplosion bekämpfen.
7. Nicht nur das, wir müssen die Kosten senken.
Und jetzt kommt der entscheidende Punkt, den sie dann alle auslassen, die Politiker aller Couleur, die Krankenkässler, die Ökonomen, Journalisten: Wir können die Kosen nicht senken, im Gegenteil, sie werden weiter ansteigen, weil: 1. Wir werden immer … 2. …
■■■
Meint ein Kollege: Stimmt schon, so läuft das, aber was gewinnt man aus dieser Erkenntnis? Ein origineller Lösungsansatz sei das jedenfalls nicht. Was soll man dem Kollegen antworten? Recht hat er. Das ist kein Lösungsansatz. Oder etwa doch? Er kann immerhin zweierlei bedeuten: Wenn wir schon wissen, weshalb die Kosten steigen, dann lasst uns an den Gründen werkeln. Ganz einfach: 1. Lasst uns weniger alt werden. 2. Lasst uns auf medizinische Dienstleis-
tungen verzichten (siehe unten). 3. Verhindert Fortschritte in der Medizin.
■■■
Zugegeben, es gibt noch einen weiteren Lösungsansatz: Wir hören auf, darüber zu sprechen, wie viel das Gesundheitswesen kostet, sondern unterhalten uns darüber: 1. Was und wem nützt es? 2. Wie verteilen wir die Kosten (und den
Nutzen)? Und dann wirds schon wieder ganz einfach: 1. Es nützt uns allen, indem es Arbeits-
plätze schafft und uns gesund hält oder macht oder uns zumindest am Leben erhält.
2. Der Nutzen muss allen zugute kommen (dies als Gebot der Solidarität und der gesellschaftlichen Ethik), die Kosten müssen alle bezahlen, die davon profitieren, wobei die sozial besser Gestellten halt etwas mehr beizutragen haben.
Fazit: Unser System ist eigentlich gar nicht so schlecht. Wir handeln jedes Jahr neu aus, wer wie viel bezahlen muss über Krankenkassenprämien, Selbstbehalte, Steuern. Und wenn in einem Jahr die Krankenkassenprämien halt mal etwas stärker ansteigen als üblich, dann werden wir politisch entscheiden, ob das tragbar ist oder wie die Mehrkosten sonst aufzuteilen sind. Genau das machen wir zurzeit. Ende der Aufregung.
■■■
Wenn da nicht jene wären, die immer noch glauben – siehe oben –, man könne die Kosten in unserem Gesundheitswesen senken. Quatsch und nochmals Quatsch, man kann sie nur anders verteilen. Senken kann man staatlich verordnete Tarife, und zwar so lange, bis die zugehörige Dienstleistung unrentabel wird. Dann hat man eines erreicht: einen Verzicht auf gewisse Dienstleistungen. O.K., wenn man das will … nur sollte mans dann auch offen sagen.
■■■
Und dies zum Schluss: Begegnest du einem Idioten, so behandle ihn als gleichwertigen Menschen – vielleicht fällt er drauf rein.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 12 ■ 2009 477