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FORTBILDUNG
Pertussisimpfung bei Kindern und Erwachsenen
Antworten auf häufige Fragen in der Praxis
Pertussis gehört trotz verfügbarer effizienter Impfstoffe nach wie vor zu den endemisch auftretenden Infektionskrankheiten weltweit, so auch in der Schweiz. Dies hat verschiedene Gründe, wie zum Beispiel die suboptimale Wirksamkeit der Impfstoffe, die unzureichende Durchimpfungsrate in der Bevölkerung, der fehlende Langzeitschutz nach Impfung und Krankheit und die mangelhafte Herdenimmunität. Dieser Beitrag fasst den gegenwärtigen Stand des Wissens zusammen und bietet Antworten auf häufige Fragen zur Pertussisimpfung in der täglichen Praxis.
ULRICH HEININGER
Pertussis (Keuchhusten) ist eine akute Infektionskrankheit, die durch das gramnegative Stäbchenbakterium Bordetella pertussis hervorgerufen wird. Früher erkrankten überwiegend Säuglinge, Kleinkinder und Schulkinder, seit einiger Zeit wird die Erkrankung in zunehmendem Masse bei Jugendlichen und Erwachsenen diagnostiziert (1). Andere Erreger, wie zum Beispiel Adenoviren oder Mycoplasma pneumoniae, können die typischen Symptome der Pertussis imitieren (2), was diagnostische Probleme bereiten kann. Die Übertragung der Erreger erfolgt durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch, dem einzigen natürlichen Wirt der Pertussis. Somit ist Pertussis theoretisch durch flächendeckende und konsequente Impfmassnahmen eliminierbar.
Krankheitsbild Die Inkubationszeit der Pertussis beträgt zirka 7 bis 14 Tage. Sie beginnt bei Kindern wie auch bei Erwachsenen mit einem ein bis zwei Wochen dauernden Prodromalstadium (Stadium catarrhale) mit Rhinitis, Husten ohne Fieber oder allenfalls mit gering erhöhter Körpertemperatur. In der frühen Krankheitsphase der Pertussis besteht die höchste Ansteckungsgefahr.
Danach, im Stadium convulsivum, treten die typischen Hustenattacken (anfallsartig) auf. Zwischen den Hustenanfällen sind die Patienten meist beschwerdefrei. Das typische Blutbild mit Leukozytose und relativer Lymphozytose findet sich vor allem bei ungeimpften Säuglingen und Kleinkindern. Der starke, willkürlich nicht unterdrückbare Stakkatohusten tritt oft auch nachts mit ziehender Inspiration, Schleimerbrechen und Hustenreprisen in Erscheinung. Die Dauer des Stadium convulsivum ist höchst variabel und reicht von wenigen Tagen, in der Regel einigen Wochen, manchmal bis zu mehreren Monaten. Im anschliessenden Zeitraum von einigen Wochen werden die Hustenattacken seltener, uncharakteristischer und sistieren schliesslich (Stadium decrementi). Neben dem typischen Verlauf gibt es eine Vielzahl mitigierter Erkrankungsfälle, die klinisch (d. h. ohne mikrobiologische Diagnostik) oftmals nicht erkannt werden. Grundsätzlich sollte man daher bei jedem Husten, der länger als 14 Tage andauert, differenzialdiagnostisch an Pertussis denken. Besonders bedrohlich ist Pertussis im Säuglingsalter, wo häufig Apnoen auftreten, die zum plötzlichen Tod führen können (3). Die weiteren möglichen Komplikationen der Pertussis, die in jedem Lebensalter auftreten können, sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Merksätze
■ In der frühen Krankheitsphase der Pertussis besteht die höchste Ansteckungsgefahr.
■ Die antibiotische Therapie bei Pertussis ist in jedem Fall indiziert, da sie die Ansteckungsfähigkeit des Patienten binnen zirka fünf Tagen beendet.
■ Die Kombination von Chemoprophylaxe und Schutzimpfung ist innerhalb der ersten Tage nach Exposition möglich und sinnvoll, da durch das Antibiotikum die Wirkung der Impfung nicht beeinträchtigt wird.
■ Die Wirksamkeit der einmaligen Pertussisimpfung bei Erwachsenen entspricht ungefähr jener nach kompletter Grundimmunisierung im Säuglingsalter.
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FORTBILDUNG
Tabelle 1: Mögliche Komplikationen Tabelle 1: der Pertussis
■ Apnoen und plötzlicher Tod (Säuglinge) ■ Pneumonie ■ zerebrale Krampfanfälle/Enzephalopathie ■ Rippenfrakturen ■ Leistenhernie
Epidemiologie Pertussis ist weltweit endemisch, zeigt keine regelmässige Saisonalität und führt häufig zu sporadischen Kleinraum- und etwa alle drei bis zehn Jahre zu landesweiten Epidemien. In der Schweiz wird die Häufigkeit der Pertussis seit vielen Jahren im Rahmen des Sentinella-Systems erfasst (4). Dabei errechnen sich jährliche Inzidenzen von rund 60 bis 370 Krankheitsfällen pro 100 000 Einwohner, wesentlich mehr als in den übrigen europäischen Ländern (5). Seit Beginn der Pertussisüberwachung durch das Sentinella-System im Jahr 1991 trat die letzte grosse Epidemie 1994/95 auf. Eine aktuelle Analyse der Sentinella-Daten ist derzeit in Bearbeitung.
Therapie Ein wirksames Antibiotikum, vorzugsweise ein Makrolid, sollte bei klinischem Verdacht so früh wie möglich verabreicht werden, wenn es einen unmittelbaren Nutzen für den Patienten haben soll. Wird die antibiotische Therapie erst im Stadium convulsivum begonnen, so ist wegen der bereits vorhandenen tracheobronchialen Schleimhautnekrosen nur ein geringfügiger Einfluss auf den Krankheitsverlauf zu erwarten. Die antibiotische Therapie bei Pertussis ist in jedem Fall indiziert, da sie die Ansteckungsfähigkeit des Patienten binnen zirka fünf Tagen beendet. Die Behandlungsdauer beträgt minimal 7 Tage (hat sich für Clarithromycin in einer Studie in Kanada, einem Land mit hoher Durchimpfungsrate, als effizient erwiesen [6]), bei ungeimpften Personen und typischer Symptomatik bis zu 14 Tage.
Chemoprophylaxe Erkrankte sollten für mindestens fünf (bis sieben) Tage nach Beginn der Antibiotikatherapie isoliert werden. Bei Verweigerung der Therapie kann die Ansteckungsfähigkeit bis zu vier Wochen betragen. Gefährdete exponierte Personen, insbesondere junge Säuglinge, aber auch andere unvollständig geimpfte Personen, können mittels Chemoprophylaxe mit einem Makrolid geschützt werden, wenn sie innerhalb der ersten Tage nach Exposition erfolgt. Beispielsweise beträgt die Behandlungsdauer für Clarithromycin 14 Tage, bei Erwachsenen hat sich alternativ Azithromycin über 5 Tage (500 mg p.o. an Tag 1, 250 mg p.o. Tage 2–5) bewährt (7). Die Kombination von Chemoprophylaxe und Schutzimpfung ist innerhalb der ersten Tage nach Exposition möglich und sinnvoll, da durch das Antibiotikum die Wirkung der Impfung nicht beeinträchtigt wird.
Impfprophylaxe Die heute verfügbaren azellulären Pertussisimpfstoffe (Pa) bestehen nicht wie die bis etwa 1995 verwendeten Ganzkeimimpfstoffe aus kompletten Zellen von Bordetella pertussis, sondern aus einzelnen Komponenten des Erregers, wie dem Pertussistoxin, filamentösen Hämagglutinin (FHA), Pertaktin und Fimbrien. Sie sind nicht als Einzelimpfstoffe erhältlich, sondern in Kombination mit Diphtherie- und Tetanustoxoiden und gegebenenfalls weiteren Impfantigenen. Die derzeit in der Schweiz verfügbaren Pertussisimpfstoffe sind in Tabelle 2 charakterisiert.
Verträglichkeit der Pertussisimpfung Lokale Impfreaktionen, wie zum Beispiel Rötung, Schwellung, Überwärmung und muskuläre Schmerzen an der Impfstelle, treten meist innerhalb der ersten drei Tage nach der Impfung auf und sind selbstlimitierend. Die Rate nach der Gabe von azellulären Kombinationsimpfstoffen (DTPa) liegt mit 2 bis 15 Prozent in der Grössenordnung, wie sie nach der Gabe einer alleinigen DT-Impfung beobachtet wird. Die Rate an lokalen Reaktionen nimmt mit steigender Anzahl der Impfdosen und zunehmendem Alter geringfügig zu.
Tabelle 2: Verfügbare Pertussis-Impfstoffe in der Schweiz und ihre Zusammensetzung
Hersteller Sanofi Pasteur MSD GlaxoSmithKline
Handelsname Pentavac® Infanrix® (diverse Kombinationen)
Glaxo SmithKline
Boostrix® (Boostrix-IPV®)
Altersempfehlung1
2 Monate bis 4 Jahre
2 Monate bis 4 Jahre (DTPa-IPV-HBV-Hib) bzw. bis 7 Jahre (DTPa-IPV)
Ab 8 Jahren
PT (µg) 25 25
FHA (µg) 25 35
Pertaktin (µg) Andere Impfantigene2 — D, T, Hib, IPV 8 D, T, Hib, IPV, HBV
88
2,5
D, T (IPV)
1) durch die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) 2) D: Diphtherietoxoid für Kinder (bis 7 Jahre); d: reduziertes Diphtherietoxoid (ab 8 Jahren); T: Tetanustoxoid; Hib: Haemophilus influenzae Typ B;
IPV: inaktivierte Poliomyelitisvakzine; HBV: Hepatitis-B-Virus
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PERTUSSISIMPFUNG BEI KINDERN UND ERWACHSENEN
Ausgeprägtere lokale Reaktionen (> 2 cm Durchmesser) kommen bei weniger als 1 Prozent aller Impflinge
Tabelle 3: Schema für die Nachholimpfungen bei unvollständig Tabelle 3: geimpften Kindern (BAG und EKIF, Stand Januar 2009)
vor. Erwähnenswert ist das gelegentliche Auftreten einer gelenkübergreifenden Schwellung im Bereich der Injek-
Impfung/Alter
Dosen1
Intervalle weitere Auffrischimpfung
(total/max/max pa) (Monate) (Alter)
tionsstelle nach ein bis drei Tagen DTPa, IPV
(«whole limb swelling»), welche aber
6—11 Monate
3/3/32
0, 1, 8 3
4—7 Jahre 4
wenig beeinträchtigend und von kur-
12—14 Monate
3/3/32
0, 2, 8 3
4—7 Jahre 4
zer Dauer ist.
≥ 15 Monate — 3 Jahre 4 / 3 / 3 2
0, 2, 8 3
4—7 Jahre 4, 5
Gelegentlich (ca. 5%) kann im zeitlichen Zusammenhang mit PertussisKombinationsimpfstoffen Fieber auftreten, wobei der ursächliche Zusammenhang bei Ausschluss anderer Fieberursachen wahrscheinlich ist. Lokale Nebenwirkungen und die häufigsten systemischen Nebenwirkungen (z.B. Fieber) sind keine Kontraindikation für weitere Impfungen mit dem gleichen Impfstoff.
DTPa / DT, IPV 4—7 Jahre 1. Dosis < 6 Monate 1. Dosis ≥ 6 Monate
dTpa / dT, IPV8 8—10 Jahre 1. Dosis < 6 Monate 1. Dosis 6—11 Monate 1. Dosis > 1 Jahr
11—15 Jahre 1. Dosis < 6 Monate
5 / 3 / 2 2, 6 4 / 3 / 2 2, 6
5 / 3 / 2 2, 9 4 / 3 / 2 2, 9 3 / 3 / 2 2, 9
6 / 3 / 1 2, 10
0, 2, 8 3 0, 2, 8 3
11—15 Jahre 7 11—15 Jahre 7
0, 2, 8 3 0, 2, 8 3 0, 2, 8 3
0, 2, 8 3
11—15 Jahre 5, 7 11—15 Jahre 5, 7 11—15 Jahre 5, 7
in 10 Jahren 11
Wirksamkeit der Pertussisimpfung Die in den Neunzigerjahren bei Säuglingen durchgeführten Studien zur
1. Dosis 6—11 Monate 1. Dosis 1—3 Jahre 1. Dosis ≥ 4 Jahre
5 / 3 / 1 2, 10 4 / 3 / 1 2, 10 3 / 3 / 1 2, 10
0, 2, 8 3 0, 2, 8 3 0, 2, 8 3
in 10 Jahren 11 in 10 Jahren 11 in 10 Jahren 12
Bestimmung der Wirksamkeit neuer azellulärer Pertussisvakzinen führten zu aufschlussreichen neuen Erkenntnissen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen (10): ■ In den meisten Untersuchungen
war die ermittelte Wirksamkeit der azellulären Vakzinen um etwa 5 bis 10 Prozent geringer als die der
1) Total der im jeweiligen Alter im Prinzip empfohlenen Dosen/Anzahl der im jeweiligen Alter maximal nachzuholenden Dosen (es sind nie mehr Dosen notwendig als bei einer nicht geimpften Person)/Anzahl der im jeweiligen Alter maximal nachzuholenden Dosen gegen Pertussis. Beispiel: Ein 8-jähriges Kind sollte total 5 Dosen erhalten haben, damit eine Impfung, die im Alter von zwei Monaten begonnen wurde, vollständig ist. Die Anzahl nachzuholender Impfdosen beträgt aber maximal 3, davon 2 mit einer Pertussiskomponente (pa).
2) Bei unbekanntem Impfstatus wird empfohlen, eine erste Dosis DTPa/dTpa zu verabreichen und danach zur Festlegung des weiteren Vorgehens die Antikörper gegen Tetanustoxin zu bestimmen. Alternativ können diese Kinder auch als nicht geimpft betrachtet werden. Kinder, die vollständig gegen Diphtherie und Tetanus, aber nicht gegen Pertussis geimpft sind, erhalten maximal eine zusätzliche Dosis DTPa oder dTpa.
3) Ein Intervall von 6 Monaten zwischen zweiter und dritter Dosis ist notwendig für einen lang dauernden Schutz (Reaktivierung des immunologischen Gedächtnisses).
Ganzkeimvakzinen. Alle azellulären Pertussisvakzinen besitzen gegenüber typischen Erkrankungen eine deutlich bessere Wirksamkeit (ca. 85%) als gegenüber weniger typischen und kürzer dauernden
4) Weitere Auffrischimpfungen mit 11 bis 15 Jahren und danach alle 10 Jahre. Insgesamt 5 Dosen gegen Poliomyelitis.
5) Mindestens 2 Jahre nach der letzten Dosis.
6) Kinder, die mit 3 oder weniger Dosen gegen Pertussis geimpft wurden, erhalten 2 Dosen DTPa (aber nur 1 Dosis, falls vollständig DT-geimpft), sowie 0 bis 1 Dosis der allenfalls fehlenden DT-Impfungen.
7) Die Auffrischimpfung mit 11 bis 15 Jahren erfolgt bei Kindern, die < 5 Pertussisimpfungen erhalten hatten, mit einem dTpa-Impfstoff; insgesamt 5 Impfdosen gegen Poliomyelitis.
Erkrankungen (ca. 50–75%). ■ Tendenziell zeigten azelluläre Vak-
zinen mit drei und mehr Pertussisantigenen (wie die heute in der Schweiz zugelassenen Produkte,
8) Aufgrund ausgeprägterer lokaler Reaktionen wird ab dem 8. Geburtstag mit einer geringeren DiphtherieAntitoxin-Dosis (d) und Pertussisdosis (pa) geimpft.
9) Kinder, die nur mit 3 oder weniger Dosen gegen Pertussis geimpft wurden, erhalten maximal 2 Dosen DTPa sowie 0 bis 1 Dosis der allenfalls fehlenden dT-Impfung.
10) Kinder, die mit weniger als 5 Dosen gegen Pertussis geimpft wurden, erhalten maximal 2 Dosen dTpa sowie 0 bis 2 Dosen der allenfalls fehlenden dT-Impfungen.
Tabelle 2) eine bessere Wirksamkeit als azelluläre Vakzinen mit nur ein oder zwei Antigenen. ■ Bisherige Langzeitbeobachtungen
11) Total 5 Dosen gegen Poliomyelitis (3 Dosen, falls bei Primovakzination Alter > 11 Jahre); danach dT-Auffrischimpfungen alle 10 Jahre.
12) Total 4 Dosen gegen Poliomyelitis (3 Dosen, falls bei Primovakzination Alter > 11 Jahre); danach dT-Auffrischimpfungen alle 10 Jahre.
sprechen für eine anhaltende Schutz-
dauer von mindestens sechs Jahren
nach drei bis vier Impfungen in den ersten beiden Lebens- Die bisher einzige Wirksamkeitsstudie für eine Pertussis-
jahren.
impfung bei Erwachsenen umfasste Jugendliche und Erwach-
Die Schutzdauer nach der fünften Dosis im Alter von vier bis sene im Alter von 15 bis 65 Jahren (11). Sie erhielten dop-
sieben Jahren ist nicht bekannt.
pelblind-randomisiert eine azelluläre Pertussisvakzine oder
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einen Hepatitis-A-Impfstoff. Anschliessend erfolgte über zwei Jahre eine kontinuierliche Beobachtung auf Husten. Bei den 2784 Studienteilnehmern traten im Beobachtungszeitraum 3171 Hustenepisoden auf, von denen jedoch nur ein geringer Anteil die Falldefinition «Pertussis» erfüllte. Die meisten Pertussisfälle traten bei den nicht gegen Pertussis geimpften Studienteilnehmern auf, sodass eine Wirksamkeit der Impfung von 92 Prozent (95%-Konfidenzintervall: 32–99%) resultierte. Die Wirksamkeit der einmaligen Pertussisimpfung bei Erwachsenen entspricht ungefähr jener nach kompletter Grundimmunisierung im Säuglingsalter.
Durchführung Die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) und das BAG empfehlen derzeit die Primovakzination (Grundimmunisierung) aller Säuglinge mit drei Dosen (DTPa-IPV-Hib, ggf. mit HBV) ab der vollendeten 8. Lebenswoche und mit 15 bis 24 Monaten sowie eine Auffrischimpfung im Alter von 4 bis 7 Jahren. Ferner war bisher für Jugendliche von 11 bis 15 Jahren das Nachholen einer fehlenden vierten und/oder fünften Dosis empfohlen, wohingegen für Personen ab dem Alter von 16 Jahren in der Schweiz bis jetzt keine Pertussis-Impf-Empfehlung besteht. Für ungeimpfte Jugendliche (<16 Jahre) sowie für Kinder im Alter von 8 bis 10 Jahren bestand bis jetzt eine Empfehlungslücke. Dies hat sich mit den neuesten EKIFEmpfehlungen 2009 geändert (Tabelle 3). Die auf den ersten Blick komplizierte Tabelle birgt aber erstmals klare Empfehlungen für inkomplett geimpfte Kinder und Jugendliche (Anmerkung: Ähnliche Tabellen im Impfplan 2009 empfehlen analog dazu das Vorgehen bezüglich Pertussisimpfung für völlig ungeimpfte Personen unter 16 Jahren beziehungsweise solche mit unbekanntem Impfstatus). So wird zum Beispiel bei einem bis anhin nie oder ein-, zwei- oder dreimal gegen Pertussis geimpften Jugendlichen im Alter von 11 bis 15 Jahren aus immunologischen Gründen immer nur eine Dosis eines Pertussis-Kombinationsimpfstoffes empfohlen, weil Studien gezeigt haben, dass dies in jedem Fall ausreichend ist (8).
Pertussisimpfung bei Erwachsenen Diverse Strategien, auch Erwachsenen einen Impfschutz gegen Pertussis zukommen zu lassen, befinden sich derzeit in der Schweiz in der Diskussion. Dieser Diskussion liegen folgende Beobachtungen zugrunde (9): ■ Pertussis ist keine ausschliessliche «Kinderkrankheit».
Vielmehr kann sie in jedem Lebensalter auftreten. ■ Erwachsene mit Bordetella-pertussis-Infektion sind oftmals
die Quelle von Pertussis bei ungeschützten beziehungsweise unzureichend geschützten Säuglingen in ihrer näheren Umgebung. ■ Azelluläre Pertussisimpfstoffe für Erwachsene sind verfügbar, gut verträglich und wirksam. ■ Die Pertussisimpfung kann ohne zusätzliche Impftermine und ohne zusätzliche Injektionen im Rahmen der Auffrischimpfung gegen Diphtherie und Tetanus appliziert werden.
Grundsätzlich bieten sich zwei Möglichkeiten für die Erweite-
rung des Pertussisimpfschutzes ins Erwachsenenalter:
1. Allgemein empfohlen («Basisimpfung» oder «ergänzende
Impfung»): Eine zunächst einmalige Impfung (als dTpa-Kom-
binationsimpfung) bei der nächsten fälligen diTe-Impfung;
über die Notwendigkeit und das Intervall allfälliger weiterer
Auffrischimpfungen müssen noch entsprechende Studiener-
gebnisse abgewartet werden. Eine Kosten-Nutzen-Evaluation
wäre hilfreich.
2. Indikationsimpfung («Risikogruppen-Impfung»): Diese im
Angloamerikanischen auch als «cocoon strategy» bezeichnete
Vorgehensweise könnte zum Beispiel folgende Risikogruppen
umfassen:
■ Präkonzeptionell Frauen mit Kinderwunsch; kann die
Impfung nicht vor der Konzeption erfolgen, so sollte sie
bevorzugt in den ersten Tagen nach der Geburt des Kindes
nachgeholt werden.
■ Bei anstehender Geburt enge Haushaltskontaktpersonen
(Eltern) und Betreuer (z.B. Tagesmütter, Babysitter, ggf.
Grosseltern); die Impfung sollte spätestens vier Wochen
vor Geburt des Kindes erfolgen.
■ Medizinisches Personal, insbesondere in Einrichtungen
der Pädiatrie, der Schwangerenbetreuung und der Geburts-
hilfe sowie in beruflicher Indikation Personal in Gemein-
schaftseinrichtungen und Kinderheimen.
■
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Ulrich Heininger
Leitender Arzt
Universitäts-Kinderspital beider Basel
4005 Basel
E-Mail: Ulrich.Heininger@ukbb.ch
Interessenkonflikte: keine
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