Transkript
FORTBILDUNG
Impfungen schützen zu Hause und auf Reisen
Eine Übersicht mit aktuellen Empfehlungen
Durch die vermehrte Bevölkerungsdichte, die weltweit
zunehmende Mobilität und die Klimaveränderung
breiten sich Infektionskrankheiten weiter aus, darun-
ter auch einige, die durch Impfungen vermeidbar
sind. Heute kann man sich durch Impfen gegen mehr
als 25 verschiedene Krankheiten schützen. Indem man
solchen Erkrankungen vorbeugt, vermeidet man
gleichzeitig eine Übertragung auf andere Personen.
JULIAN SCHILLING
Eine regelmässige Überprüfung der Routineimpfungen ist für alle wichtig. Impfen ist auch in jedem Alter ein Thema, denn die meisten Impfungen schützen nicht ein Leben lang. Im Folgenden soll auf die verschiedenen Impfmöglichkeiten für zu Hause und auf Reisen eingegangen werden.
Standardimpfungen Durch die Grundimmunisierung im Kleinkindesalter sind bei uns Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Polio, Keuchhusten, Masern, Mumps und Röteln relativ selten geworden oder ganz verschwunden. Dies ist ein grosser Erfolg der Medizin, der viele Menschenleben rettet und vielen Menschen grosses Leid erspart. Solange die Krankheiten aber nicht weltweit ausgerottet sind, muss die Durchimpfung in der Bevölkerung aufrechterhalten werden. Sonst kann es wieder zu Ausbrüchen kommen. Die Impfung gegen Diphtherie und Tetanus (Wundstarrkrampf) sollte alle 10 Jahre aufgefrischt werden. Nach einer Grundimmunisierung (erste Impfungen im Kindesalter) sind Auffrischimpfungen jeweils ab sofort und für weitere 10 Jahre gültig. Bei tetanusgefährdeten Verletzungen, zum Beispiel Schürfungen, ist eine Auffrischung nach fünf Jahren nötig. Obwohl Poliomyelitis (Kinderlähmung) in weiten Teilen der Welt als ausgerottet gilt, treten heute weltweit wieder vermehrt Fälle auf. Nach einer vollständigen Grundimmunisierung ist eine
Auffrischimpfung ab sofort und für 10 Jahre gültig. Um die Anzahl Injektionen zu verringern, ist eine dreifachkombinierte Diphtherie-Tetanus-Polio-Impfung oder eine vierfache Kombination mit Pertussis (Keuchhusten) erhältlich. Sie kann für Erwachsene und Jugendliche auch nach einer abgeschlossenen Grundimmunisierung sinnvoll sein. Sehr wichtig für Kinder und Erwachsene ist die Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln, falls die Krankheiten noch nie durchgemacht wurden. Zurzeit geht man davon aus, dass für eine befriedigende lebenslange Immunität zwei Impfungen im minimalen Abstand von einem Monat notwendig sind. Die Impfung gegen wilde Blattern (Varizellen) wird für Erwachsene und Jugendliche ab 11 Jahren empfohlen, welche die Kinderkrankheit nicht durchgemacht haben. Es sind zwei Dosen im Abstand von mindestens vier Wochen notwendig. Auch in der Schweiz kommt es immer wieder zu epidemieartigen Ausbrüchen von Kinderkrankheiten. Zum Beispiel wurden von Anfang November 2006 bis zum Mai 2008 knapp 3000 Masernfälle gemeldet, was eine bedrohliche Zunahme darstellt. In bis zu 20 Prozent der Fälle kommt es zu Komplikationen. Gefürchtet sind Pneumonien und bleibende Schäden des Nervensystems durch Meningitiden. Bei Unsicherheit betreffend Schutz vor allen drei Krankheiten empfiehlt es sich, zwei Dosen des Dreifachimpfstoffes bei einem Mindestabstand von einem Monat zu verwenden.
Merksätze
■ Die Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Polio, Keuchhusten, Masern, Mumps, Röteln und wilde Blattern gehören zu den Standardimpfungen.
■ Wichtige spezifische Reiseimpfungen richten sich gegen Hepatitis A und B, Gelbfieber, Tollwut, Typhus, Cholera, japanische Enzephalitis und Polio.
■ Auch FSME-, Pneumokokken- und Influenzaimpfungen können im Zusammenhang mit Reisen wichtig sein.
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IMPFUNGEN SCHÜTZEN ZU HAUSE UND AUF REISEN
Auswahl häufiger Abkürzungen in Impfpässen und Produkte
Boostrix®
DiTePer = Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten)
Boostrix Polio®
DiTePerPolio = Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten), Polio (Kinderlähmung)
Combi Hep. A + B Impfung gegen Hepatitis A und B = Gelbsucht durch das A- und B-Virus
Di Diphtherie
Ditanrix®
DiTe = Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie
DiTe Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie
DiTePer
Boostrix = Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten)
DiTePerHibIPV + HB z.B. Infanrix Hexa = Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Polio (Kinderlähmung), Pertussis, Haemophilus influenzae Typ B, Hepatitis B
DiTePerPolio
Boostrix Polio = Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten), Polio (Kinderlähmung)
Ducoral®
Schluckimpfstoff gegen Reisedurchfall und Cholera
FSME
Frühsommer-Meningoenzephalitis = Hirn- und Hirnhautentzündung = Zeckenenzephalitis
Hep. A
Impfung gegen Hepatitis A = Gelbsucht durch das A-Virus
Hep. B
Impfung gegen Hepatitis B = Gelbsucht durch das B-Virus
HiB Impfstoff gegen Haemophilus influenzae Typ B
HPV Impfstoff gegen humane Papillomaviren (HPV, engl. human papilloma virus)
Infanrix DTPA Hib Kinderimpfstoff gegen Tetanus, Diphtherie Polio (Kinderlähmung), Pertussis, Haemophilus influenzae Typ B
Infanrix Hexa®
DiTePerHibIPV + HB = Kinder-Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Polio (Kinderlähmung), Pertussis, Haemophilus influenzae Typ B, Hepatitis B
Lyssavac®
Impfstoff gegen Tollwut (ausser Handel)
M-M-Impfung
Impfstoff gegen Masern und Mumps
MMR Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln
Pertussis
Keuchhusten
Polio Kinderlähmung
Poliorix®
Impfstoff gegen Polio (Kinderlähmung)
Rabies
Tollwut
Rabipur®
Impfstoff gegen Tollwut
Rabuman®
Immunglobulin gegen Tollwut
Revaxis®
DiTePolio = Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Polio (Kinderlähmung)
Td-Virelon®
DiTePolio = Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Polio (Kinderlähmung)
Te Tetanus
Tetanus
Starrkrampf
Varizellen
Windpocken = Wilde Blattern = Spitze Blattern = Chickenpox
Vivotif®
Schluckimpfstoff gegen Typhus
Reiseimpfungen Wichtige spezifische Reiseimpfungen sind Hepatitis A und B, Gelbfieber, Tollwut, Typhus, Cholera, Reisedurchfall, Meningokokken-Meningitis, japanische Enzephalitis und Polio. Auch von reisemedizinischer Bedeutung sind FSME, Pneumokokken und Influenza. Dabei soll, besonders bei Reisen in Entwicklungsländer, der Reisemediziner oder die Reisemedizinerin entscheiden, in welcher Situation diese Impfungen angezeigt sind. Gegen Malaria und das häufiger werdende Dengue- und Chikungunia-Fieber gibt es zurzeit noch keine Impfung.
Hepatitiden Die Impfung gegen Hepatitis A, eine durch Wasser und Nahrungsmittel übertragene virale, akute Leberentzündung, ist für alle Personen, die in Risikogebiete reisen, sinnvoll, so beispielsweise auch in Südeuropa, wo Kläranlagen nicht überall Standard sind. Die Impfung gegen Hepatitis B richtet sich gegen eine Viruserkrankung, welche durch unsaubere Wundversorgung, Blut und Sexualkontakt übertragen wird und eine Leberentzündung verursacht. Sie kann zu chronischen Verläufen mit Zerstörung der Leberzellen und zu Leberkrebs führen. Das Virus ist sehr ansteckend. Deshalb wurde die Impfung auch in den Routineimpfplan für Adoleszente aufgenommen. Für einen Langzeitschutz sind für Hepatitis A mindestens zwei Dosen notwendig, für Hepatitis B zwei bis vier Impfungen.
Gelbfieber Nicht zu verwechseln mit Gelbsucht ist Gelbfieber. Die Krankheit kommt in tropischen Teilen Afrikas und Südamerikas vor und verläuft in 50 bis 70 Prozent der Fälle tödlich. Es handelt sich um eine Viruserkrankung, welche durch tagaktive Mücken übertragen wird. Der Impfschutz erreicht etwa 10 bis 14 Tage nach einer Impfung die volle Wirksamkeit und hält 10 Jahre. In manchen Ländern wird für die Einreise eine Gelbfieberimpfung mit Bestätigung im internationalen Impfausweis verlangt. Aufgrund der Wiederausbreitung der Viruskrankheit mit mehreren Todesfällen wurden im Winter 2007/08 nicht geimpfte Personen
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bei der Einreise in Brasilien oder Tansania zwangsgeimpft. Es ist daher sinnvoll, die sich schnell ändernden Einreisebestimmungen in den Risikogebieten zu kennen.
Tollwut Die Tollwut wird durch ein Virus verursacht, welches das Nervensystem befällt und zerstört. Wenn die Krankheit ausgebrochen ist, verläuft sie akut und praktisch ausnahmslos tödlich. Weltweit sterben jährlich mindestens 60 000 Menschen an Tollwut. Die letzten drei Tollwutfälle in der Schweiz gehen auf das Jahr 1977 zurück. Folgende Regionen und Länder sind zurzeit weitgehend tollwutfrei: Westeuropa, alle Mittelmeerinseln, Australien und Ozeanien, einige Inseln im Indischen Ozean, die Antarktis, Japan, einige atlantische und karibische Inseln. Bei Reisen in Risikogebiete von mehr als einem Monat kann die Impfung sinnvoll sein.
Typhus Die Salmonellose ist eine schwere bakterielle Infektionskrankheit. Sie wird durch verunreinigte Nahrungsmittel und kontaminiertes Wasser übertragen. Besonders empfohlen wird die Schluckimpfung für den indischen Subkontinent, Nord- und Westafrika, bei Aufenthalten in Entwicklungsländern von mehr als einem Monat und generell bei Reisen unter schlechten hygienischen Verhältnissen. Zwei Wochen nach der letzten Dosis beträgt der Impfschutz rund 50 bis 70 Prozent und hält etwa ein Jahr an. Mögliche Nebenwirkungen sind leichter Durchfall und Übelkeit.
Reisediarrhö und Cholera Obwohl Reisediarrhö-Episoden für gewöhnlich selbstlimitierend verlaufen, können sie für erkrankte und mitreisende Personen während Urlaubs- oder Geschäftsreisen eine erhebliche Belastung darstellen. Bis zu einem Drittel der Reisenden sind während einer Durchfallepisode für ein bis zwei Tage bettlägerig, 40 Prozent sind in ihren Aktivitäten stark eingeschränkt. Empfohlen wird die Schluckimpfung für Reisen in CholeraRisikogebiete (zum Beispiel Überschwemmungsgebiete oder Flüchtlingslager) und für Risikopatienten mit Begleiterkrankungen wie kardiovaskulären Leiden, Nierenerkrankungen, Diabetes, Reizdarm, entzündlichen Darmerkrankungen oder Immunschwäche.
Meningokokken-Meningitis Es handelt sich bei dieser Krankheit um eine bakterielle Hirnhautentzündung, welche sich durch Tröpfchen (von Mensch zu Mensch) oder auch via Staub übertragen kann. Sie tritt epidemieartig auf, vor allem in trockenen Regionen Afrikas südlich der Sahara, gelegentlich auch in Teilen Asiens und selten in Südamerika. Für diese Regionen empfiehlt sich die Kombinationsimpfung gegen vier häufige Bakterientypen für Reisende mit engem Kontakt zur Lokalbevölkerung, bei Aufenthalten während einer Epidemie und/oder von mehr als vier Wochen. Der Impfschutz hält 3 bis 5 Jahre. Für Pilger nach Mekka ist die Impfung sinnvoll und obligatorisch.
Frühsommer-Meningoenzephalitis FSME Die durch Zecken übertragene virale Enzephalitis kommt nicht nur in der Schweiz vor. Betroffen sind insbesondere Reisende nach Österreich, Süddeutschland, Osteuropa, in die baltischen Staaten, nach Südschweden, Südfinnland und Russland. Empfohlen ist die Impfung für Personen, welche in Endemiegebieten wohnen oder sich dort aufhalten. Ein temporärer Impfschutz ist rund zwei Wochen nach der zweiten Impfung zu erwarten. Die Grundimmunisierung ist nach einer dritten Impfung nach 12 bis 18 Monaten abgeschlossen. Danach braucht es in regelmässigen Abständen eine Auffrischimpfung.
Japanische Enzephalitis Diese asiatische Schwesterkrankheit der FSME tritt vor allem in Reisanbaugebieten Asiens in der Regenzeit auf und wird durch dämmerungs- und nachtaktive Mücken übertragen. Empfohlen ist die Impfung gegenwärtig für Langzeitreisende, welche sich mehr als vier Wochen in ländlichen Gegenden in den betroffenen Regionen während der kritischen Zeit aufhalten. Zurzeit sind drei Impfungen im Abstand von jeweils ein bis vier Wochen notwendig. Der Schutz hält rund drei Jahre. Anschliessend kann die Immunität durch eine weitere Dosis jeweils um drei Jahre verlängert werden. Auf Mitte 2009 wird ein Impfstoff der nächsten Generation gegen japanische Enzephalitis erwartet.
Pneumokokken Für kleine Kinder, ältere Erwachsene und Reisende mit Risikofaktoren gehört die Pneumokokkenimpfung auch zu den Reiseimpfungen. Besonders wichtig ist diese Impfung für Personen ohne oder mit einer funktionslosen Milz. Generell empfohlen wird sie für Kinder unter zwei Jahren und für über 65-Jährige, für Personen, die mit einer grösseren Gruppe von Menschen in Kontakt kommen (Flüchtlingslager), für Patienten mit chronischen Lungenkrankheiten, Herzkrankheiten und für Diabetiker. Die Wirksamkeit wird auf 60 bis 85 Prozent geschätzt.
Influenza
Die Grippeimpfung wird generell für Personen über 65 Jahre
und für Personen mit chronischen Krankheiten (Herz- oder
Lungenprobleme, Diabetes, immunologische Krankheiten)
und deren Angehörige empfohlen. Für Reisen, auf denen viele
Menschen auf einem beschränkten Raum zu erwarten sind,
wie Kreuzfahrten oder Pilgerreisen, kann eine Grippeimpfung
sinnvoll sein. Das gilt auch bei Reisen im Sommer in Regionen
der Südhemisphäre der Erdkugel.
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PD Dr. med. Julian Schilling Travel Clinic Zürich Forchstrasse 92 8008 Zürich
E-Mail: med@travelclinic.ch
Interessenkonflikte: keine
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