Transkript
STUDIE REFERIERT
COPD-Prävalenz in der Hausarztpraxis
Mindestens jeder zweite Patient im frühen Krankheitsstadium wird übersehen
Hausärztinnen und Hausärzte müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, viele COPD-Patienten in ihrer Praxis erst zu spät zu diagnostizieren. Doch mit welchem Anteil an COPD-Patienten müssen sie überhaupt rechnen? Mediziner zweier Universitätsinstitute für Hausarztmedizin in Deutschland kommen zu dem Schluss, dass die COPD-Prävalenz bei über 40-jährigen Rauchern in der Hausarztpraxis rund 7 Prozent beträgt. Das ist weniger als bis anhin angenommen.
FA M I LY P RACT I C E
In den letzten 20 Jahren ging man zwar in über 120 Studien der Frage nach der COPD-Prävalenz in verschiedenen Ländern, Alters- und Bevölkerungsgruppen nach, aber nur 10 Studien befassten sich mit dem Anteil von COPD-Patienten unter den Rauchern in hausärztlichen Patientenkollektiven. Sie lieferten höchst unterschiedliche Prävalenzraten von 13 bis 92 Prozent. In 2 dieser Studien
erfasste man auch, wie viele COPD-Fälle «übersehen» worden waren: Zwei Drittel der COPD-Patienten wurden erst durch das Screening in der Hausarztpraxis entdeckt, was den eingangs genannten Vorwurf zu bestätigen scheint. Zu einem ähnlichen Resultat kommen auch Christian Gingter und seine Koautoren von den Instituten für Hausarztmedizin an den Universitäten Düsseldorf und Witten/Herdecke: Jeder zweite COPD-Fall wurde erst anlässlich ihrer Screeningstudie in der Hausarztpraxis neu entdeckt. Aber: Der Anteil der COPD-Patienten bei über 40-jährigen Rauchern lag mit 6,9 Prozent deutlich unter allen Angaben, die bisher in der Literatur genannt wurden. So ermittelte man beispielsweise in einer Schweizer Praxisstudie einen COPD-Verdachtsanteil von 28 Prozent bei den über 40-jährigen Rauchern. Grund für die Überschätzung des COPDPatientenanteils in der Hausarztpraxis sei die nicht repräsentative Auswahl der Untersuchten in früheren Studien, so die Autoren. In den bisherigen Prävalenzstudien zur COPD in der Hausarztpraxis wurden die Probanden in der Regel schriftlich eingeladen. Diese Vorgehensweise beinhaltet ein zweifaches Risiko der Vorselektion von Patienten mit höherer COPD-Wahrscheinlichkeit: Zum einen könnten die einladenden Ärzte – bewusst oder unbewusst – eher Patienten mit höherem COPD-Risiko einladen, zum anderen könnten sich eher Personen für eine entsprechende Untersuchung bereit erklären, die ohnehin bereits an Symptomen leiden oder sich ihres Gesundheitsrisikos (Raucher) bewusst sind.
Unangekündigte Studie in Hausarztpraxen Um derartige «Bias»-Quellen auszuschliessen, wählten die Düsseldorfer Forscher einen anderen Weg der Probandenrekrutierung. Sie kamen unangekündigt an zwei Tagen in die Hausarztpraxen und fragten jeden Raucher ab 40 Jahre, ob er/sie an einem Lungenfunktionstest mitmachen wollte. Es spielte keine Rolle, aus welchem Grund die Personen in die Praxis gekommen waren. Alle Probanden füllten den üblichen COPD-Fragebogen St. George’s Respiratory Disease Questionnaire (SGRQ) aus. Als Raucher zählten alle Personen, die in ihrem Leben mehr als drei Jahre lang geraucht und gegebenenfalls nicht früher als vor drei Jahren damit aufgehört hatten. Die COPD-Diagnose erfolgte anhand der GOLD-Richtlinien. Sofern eine COPD- oder Asthmadiagnose nicht bereits bekannt war, wurde die Lungenfunktion gemessen (3 × Peak Flow, 3 × Spirometer; beste Resultate gemäss ECEC93-Kriterien wurden gewertet). Bei Patienten mit Verdacht auf pulmonale Obstruktion (FEV1/FVC < 70%) erfolgte ein wiederholter Test 15 Minuten nach der Gabe eines schnell wirkenden Betamimetikums (0,2 mg Salbutamol); ab einer Reversibilität von 15 Prozent oder wenigstens 200 ml FEV1 ging man von einer reversiblen Obstruktion (keine COPD) aus. Resultate 28 Hausarztpraxen im Grossraum Düsseldorf beteiligten sich an der Studie. Insgesamt kamen an den beiden Testtagen 5020 Patienten in die Praxen, 3157 von Merksätze ■ Jeder zweite bis dritte COPD-Patient im Anfangsstadium wird in der Hausarztpraxis nicht erkannt. ■ Die Prävalenz der COPD bei über 40-jährigen Rauchern in der Hausarztpraxis ist mit rund 7 Prozent niedriger als bis anhin angenommen. 466 ARS MEDICI 11 ■ 2009 STUDIE REFERIERT ihnen waren über 40 Jahre alt, 583 von ihnen (17%) waren Raucher. 432 Patienten wurden untersucht und ausgewertet, was einer relativ hohen Beteiligungsrate von rund 80 Prozent entspricht. 34 von ihnen füllten lediglich den Fragebogen aus, da bei ihnen bereits zuvor Asthma oder COPD diagnostiziert worden war. Insgesamt fanden sich bei den 432 Probanden 29 Fälle mit Asthma (10 davon neu entdeckt) und 30 Patienten mit COPD (6,9%; 15 Fälle neu entdeckt). Alle neu entdeckten COPD-Fälle waren noch in den Anfangsstadien GOLD 1 (FEV1/FVC < 70% und FEV1 > 80%) oder GOLD 2 (FEV1/FVC < 70% und FEV1 50–80%). Stärken und Schwächen der neuen Studie Die Autoren räumen ein, dass selbst in ihrem Studiendesign ein «selection bias» vorgelegen haben könnte, weil mancher beim Arzt nicht zugeben mag, Raucher zu sein oder erst vor weniger als drei Jahren damit aufgehört zu haben. Da man aufgrund anderer Erhebungen aber wisse, dass die Raucherquote bei Personen über 40 Jahre in Deutschland bei 22 Prozent liegen dürfte, also relativ nahe an den erfassten 17 Prozent in der Studie, träfe dieser Punkt nicht zu. Eine weitere Fehlerquelle könnte die fehlerhafte Diagnose der «bekannten Asthmapatienten» sein. Doch selbst wenn der sehr unwahrscheinliche Fall gegeben gewesen sein sollte, dass alle Asthmapatienten in der Studie in Wirklichkeit COPD gehabt hätten, wäre die COPDPrävalenz mit 10 Prozent immer noch niedriger gewesen als üblicherweise in der Fachliteratur zu lesen. Christian Gingter und seine Kollegen sind jedenfalls fest davon überzeugt, in ihrer Studie die wahre, relativ niedrige Prävalenz von COPD in der Hausarzt- praxis ermittelt zu haben. Sie glauben, dass alle vergleichbaren Studien mit einem erheblichen «selection bias» behaftet sind und darum zu hohe Prävalenzraten ergaben. Ausserdem seien ihre Resultate in Einklang mit der Erfahrung deutscher Hausärzte in der Praxis, dass die COPD im Rückgang begriffen sei. Insofern dürfe man sich darüber freuen, dass gesundheits- und umweltpolitische Massnahmen wie die Feinstaubverordnung und vor allem die Rauchverbote langsam Früchte zu tragen begännen. ■ Gingter C., Wilm S., Abholz HH.: Is COPD a rare disease? Prevalence and identification rates in smokers aged 40 years and over within general practice in Germany. Family Practice 2009; 26: 3—9. Interessenlage: Die Autoren geben keine Interessenkonflikte an; die Studie wurde von den Universitäten Düsseldorf und Witten/Herdecke ohne Unterstützung von Sponsoren durchgeführt. Renate Bonifer BEKANNTMACHUNG 8. Zürcher Review-Kurs in klinischer Kardiologie Donnerstag bis Samstag, 22. bis 24. April 2010 Kongresslokalität Swissôtel Zürich Oerlikon Am Marktplatz Oerlikon 8050 Zürich http://zurich.swissotel.com ReferentInnen Insgesamt ca. 50 Referenten: Kardiologen aus der ganzen Schweiz, Europa und den USA (Mayo Clinic) Sprachen Deutsch und Englisch Zielgruppe Kardiologen, Internisten, interessierte Allgemeinpraktiker, Endokrinologen, Nephrologen Veranstalter HerzGefässStiftung Zürich, Klinik im Park Mayo Clinic, Rochester MN, USA Wissenschaftliche Leitung Prof. Dr. med. Ch. Attenhofer Jost, HerzGefässZentrum Zürich, Klinik Im Park Prof. Dr. med. A.J. Tajik, Mayo Clinic, Rochester MN, USA Prof. Dr. med. H. Connolly, Mayo Clinic, Rochester MN, USA Organisation CONTENT GmbH Frau Simone Abegg Eggenwilerstrasse 13a, 5620 Bremgarten Tel. 056-648 28 00, Fax 056-648 28 01 E-Mail: simone.abegg@contenter.ch Internet: www.contenter.ch ARS MEDICI 11 ■ 2009 467