Transkript
MEDIEN ■ MODEN ■ MEDIZIN
Rosenbergstrasse 115
Die Schweinegrippe – ein weiterer MedienHype nach BSE, Vogelgrippe, SARS? Wie zuvor Waldsterben und saurer Regen? Eines Tages, wenn es wirklich ernst wird, wird keiner mehr auf die Warnung hören. Erst dann wird man sich der Drohung mit dem «bösen Wolf» erinnern, den man aus Jux 100 Mal angekündigt hat, worauf beim 101. Mal, als er tatsächlich kam, keiner mehr zuhörte.
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Ein Gewehr darf jeder Wehrmann bei sich zu Hause lagern, für den Fall des Falles. Verbunden mit der (selten enttäuschten) Erwartung, dass er es nur im Ernstfall hervorholt und benutzt. Tamiflu hingegen wird nur gegen Rezept abgegeben. Das BAG warnt davor, Tamiflu einfach so zu Hause zu lagern. Merkwürdig! Traut man den Leuten nicht? Befürchtet man, sie würden das Medikament aus lauter Angst vor der Schweinegrippe einfach so schlucken, morgen schon, oder die Familie damit füttern? Und wenn dem so wäre? Die Fachleute warnen davor, es könnten Resistenzen entstehen, die die Behandlung im Ernstfall beeinträchtigen. Bitte? Vielleicht weil die Schweinegrippeviren in Mexiko davon erfahren haben oder wie? Wenn die Leute Tamiflu ohne Grund schlucken, freut das vermutlich die Firma Roche und allenfalls uns als ihre Aktionäre, den Viren hingegen dürfte das ziemlich egal sein. Resistenzen entstehen nämlich nur dort, wos auch Viren hat. Liebe Fachleute: Sind keine Viren vorhanden, kann man soviel Tamiflu futtern wie man will, es gibt keine Resistenzen. Sind die Viren aber im Körper, dann bringt das Medikament wenig, wenn mans aus Angst vor Resistenzen in der Nachttischschublade liegen lässt. Also: Jedem Schweizer eine Packung Tamiflu! Wer Angst hat davor, kann das Päckchen ja im Zeughaus deponieren.
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Die Schweizer Hausärzte zwischen Resignation und Trotz. Chouchepin kümmert sich
einen Sch… um ihre Proteste. Er wird die Margenreduktion auf die Medikamente durchboxen, die reduzierten Labortarife, möglicherweise sogar die Arztbesuchstaxe, die die Hausärzte für die Krankenkassen einziehen und weiterleiten dürfen. (Allenfalls sogar selber bezahlen, falls sie bei einer ärmeren älteren Patientin, die sechsmal innert zweier Wochen den Arzt aufsuchen muss, mal darauf verzichten möchten.) Die Reaktion der offiziellen Ärztevertretungen? Mässig überzeugend. Ein in seiner Wirkung rasch verpuffter DemoTag, stille Obstruktion und die Hoffnung darauf, dass Zeltner durch jemand Vernünftigeren und Couchepin möglichst bald durch irgendwen ersetzt wird.
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Natürlich handelt es sich bei der angekündigten «Prämienexplosion» um ein multifaktorielles Geschehen. Alle wissen, dass wir an mindestens drei Faktoren – längere Lebenserwartung, technischer Fortschritt und höhere Ansprüche der Patienten – nichts ändern können oder wollen. Alle wissen, dass wir Ärzte an der in den letzten Jahren bundesrätlich verordneten Reduktion der Reserven der Krankenkversicherer mit ihrer Siedeverzugswirkung nicht schuld sind. Aber nicht alle scheinen zu wissen und noch weniger wollen darüber sprechen, dass auch die Börsenverluste der Krankenversicherer deren Reserven angeknabbert haben. Egal, alle scheinen sich einig, dass man bei den Ärzten sparen muss.
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Die Summe, die einige Leute bereit sind, für die Aufnahme der Komplementärmedizin in den Grundversicherungskatalog den Prämienzahlern aufzuhalsen, dürfte etwa die Grösse der Einsparungen haben, die sich das BAG von der Revision der Labortarife zulasten der Praxislabors erhofft. Kolleginnen und Kollegen, die sowohl Praxislabor mit kostendeckenden Tarifen als auch komplementärmedizinische Therapien von
den Krankenkassen übernommen haben wollen, werden sich fragen müssen, auf welche von beiden Leistungen man eher verzichten kann. Vor dem Hintergrund der Kostenneutralität ist die Frage einfach: Labor oder Globuli?
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Die Facebook-Community nimmt rasend schnell zu. Warens vor drei Wochen noch 175, sinds heute schon 200 Millionen, die das virtuelle Tratsch- und Kontaktforum nutzen. Die Jungen tummeln sich tagsüber in der elektronischen Welt, die Angestellten mit wirtschaftskrisenbedingt reduziertem Arbeitsanfall während der Arbeitszeit, die Selbstständigen abends und nachts. Nur wir Älteren sind etwas frustriert: 120 FreundInnen (dies die Schreibweise der deutschen Version) hat, so die jüngste Meldung, jeder Facebooker im Durchschnitt. Da können wir nur neidisch gucken. Unsere potenziellen «FreundInnen» schreiben Berichte und Gutachten für die Versicherung, erbeten Kostengutsprachen, begründen Therapien, ärgern sich über politabstinente Kollegen, diskutieren in standespolitischen Gremien, bilden sich weiter und fort, lesen Fachzeitschriften, versorgen Notfallpatienten oder sitzen auch mal vor der Glotze. Viele von ihnen haben von Facebook im besten Fall grad mal gehört. Wie soll man da auf 120 FreundInnen kommen? Also denn, Burn-outer, Alt-68-er und von der administrierten Medizin die Schnauze voll Habende, ab ins Facebook, scheffelt Freunde und vergnügt euch wenigstens virtuell noch auf die letzten Tage.
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Der gute Rat am Ende: Sei reizend zu deinen Feinden. Nichts ärgert sie mehr.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 10 ■ 2009 397