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FORTBILDUNG
IBD und IBS: aktuelle Therapie
Limitierte medikamentöse Optionen bei Reizdarmsyndrom gegenüber breiter therapeutischer Palette bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
Im Gegensatz zur IBD (inflammatory bowel disease: chronisch entzündliche Darmerkrankungen) mit einer Reihe etablierter, medikamentöser Therapien sind die Therapieoptionen beim IBS (irritable bowel syndrome: Reizdarmsyndrom) weniger klar. Neben allgemeinen Massnahmen stehen dem behandelnden Arzt für IBSPatienten verschiedene pharmakologische, aber auch psychologisch-psychosomatische Therapieansätze zur Verfügung. Ziel der Therapie bei IBD ist es, das überreaktive Immunsystem zu bremsen und die Entzündung zu unterdrücken. In der Regel wird die Therapie des akuten IBD-Schubs von einer remissionserhaltenden Therapie unterschieden, die dann durchgeführt wird, wenn der Patient steroidrefraktär ist oder mehr als zwei Schübe pro Jahr erleidet.
JÜRGEN GSCHOSSMANN, FRANK SEIBOLD
Ein weiteres Gebiet ist die Therapie bei Komplikationen, beispielsweise Fisteln, Stenosen, Mangelernährung und Blutungen, auf die aus Platzgründen in diesem Artikel nicht eingegangen werden kann.
Therapie des akuten Schubs bei IBD 5-Amino-Salicylsäure 5-Amino-Salicylsäure-Präparate (5-ASA, Mesalazin, Mesalamin) spielen eine wichtige Rolle bei einer geringen bis mässiggradigen Erhöhung der Krankheitsaktivität und der Remissionserhaltung bei Colitis ulcerosa. Eine spezielle Galenik ist notwendig, um das Medikament im terminalen Ileum bezie-
hungsweise Kolon freisetzen zu können. Bei Morbus Crohn sind die 5-Amino-Salicylsäure-Präparate nur wenig wirksam.
Kortikosteroide Kortikosteroide sind nach wie vor ein Hauptbestandteil der Therapie eines akuten Schubs bei IBD. Als Dauertherapie sind sie jedoch nicht geeignet und auch wenig wirksam. In der Regel wird 1 mg/kg Körpergewicht Prednison appliziert und dieses in wöchentlichen Schritten wieder reduziert. Im Fall einer Entzündung im terminalen Ileum kann auch Budesonid als Steroid mit hohem First-Pass-Effekt verwendet werden, welches wesentlich weniger systemische Nebenwirkungen aufweist. Bei der Steroidtherapie ist zu beachten, dass nur zirka 50 Prozent der Patienten komplett auf diese Therapie ansprechen, während andere Patienten entweder gar nicht oder nur partiell auf eine solche Therapie ansprechen beziehungsweise steroidabhängig werden.
Merksätze
■ Kortikosteroide sind ein Hauptbestandteil der Therapie eines akuten Schubs bei IBD. Sie sind jedoch als Dauertherapie nicht geeignet.
■ Wenn bei IBD mit einer Anti-TNF-alpha-Therapie begonnen wird, sollte diese langfristig erfolgen, da eine bedarfsweise verabreichte Applikation zu einer verstärkten Antikörperbildung gegenüber diesen Medikamenten führt, was mit einem Wirkungsverlust verbunden ist.
■ Ziel jeglicher Arzt-Patienten-Gespräche bei IBS muss sein, den Patienten nach Ausschluss somatischer Differenzialdiagnosen in dem Sinne zu beruhigen, dass er von dem Stigma eines Hypochonders befreit wird.
■ Kausale medikamentöse Therapieansätze bei IBS haben sich bisher wegen mitunter schwerwiegender Nebenwirkungen nicht durchgesetzt. Eine medikamentöse Therapie beschränkt sich darum auf die von den IBS-Patienten beschriebenen Symptome.
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IBD UND IBS: AKTUELLE THERAPIE
Aufgrund pathophysiologischer Überlegungen wurden Steroide auch beim IBS eingesetzt, bisherige Studienergebnisse sind aber enttäuschend.
Anti-TNF-alpha-Antikörper Als weiteres Akutmedikament können auch Anti-TNF-alphaAntikörper eingesetzt werden. Mittlerweile sind in der Schweiz drei unterschiedliche Anti-TNF-wirksame Medikamente auf dem Markt, die entweder subkutan injiziert (Certolizumab pegol/Cimzia® und Adalimumab/Humira®) oder intravenös appliziert werden (Infliximab/Remicade®). Die Anti-TNFalpha-Antikörper führen bei zirka 50 Prozent der Patienten mit Morbus Crohn zur Remission. Für Colitis ulcerosa ist zurzeit nur Infliximab zugelassen. Die Remissionsrate liegt bei der Colitis ulcerosa bei 40 Prozent. Die drei zugelassenen Anti-TNF-alpha-Präparate scheinen in ihrer Effektivität vergleichbar zu sein. Wenn mit einer AntiTNF-alpha-Therapie begonnen wird, sollte diese langfristig durchgeführt werden, da eine bedarfsweise verabreichte Applikation dieser Medikamente («On-demand»-Therapie) zu einer verstärkten Antikörperbildung gegenüber diesen Medikamenten führt, was mit einem Wirkungsverlust verbunden ist. Es gibt derzeit noch keine Empfehlungen, bei welchen Patienten die Anti-TNF-alpha-Therapie abgesetzt werden kann, ohne dass es in der Folge bald zu einem Rezidiv kommt. Möglicherweise spielt hier die Bestimmung von Calprotectin eine gewisse prognostische Rolle. Falls Patienten bisher noch nicht mit Immunmodulatoren (Azathioprin, 6-Mercaptopurin, MTX) therapiert wurden, wäre der Einsatz solcher Medikamente sinnvoll, um dem Rezidiv nach Absetzen des Anti-TNFAntikörpers vorzubeugen. Als Rescuetherapie bei der Colitis ulcerosa kann neben TNF-Antikörpern auch Tacrolimus oder Ciclosporin eingesetzt werden.
Remissionserhaltung bei IBD Nach wie vor sind Azathioprin und 6-Mercaptopurin die Hauptstandbeine der remissionserhaltenden Therapie. Generell sollte eine Dosierung von 2,5 mg/kg Körpergewicht bei Azathioprin und 1,5 mg/kg Körpergewicht bei 6-Mercaptopurin angestrebt werden. Im Fall einer Azathioprinunverträglichkeit kann Methotrexat als Ersatzmedikament eingesetzt werden. Die subkutane oder intramuskuläre Verabreichung von 15 mg Methotrexat pro Woche ist in der Remissionserhaltung eine wirksame Therapie. Ist eine remissionserhaltende Therapie mit Azathioprin, 6-Mercaptopurin und Methotrexat aufgrund von Nebenwirkungen oder Ineffektivität nicht möglich, kann auch die Anti-TNF-alpha-Antikörper-Therapie als Dauermedikation appliziert werden. Weitere Bedeutungen bei der Remissionserhaltung haben gewisse Probiotika. Beispielsweise hat der E.-coli-Stamm Nissle 1917 einen remissionserhaltenden Effekt bei der Colitis ulcerosa. Bei Patienten mit IBD und intestinalen Beschwerden, bei denen jedoch aufgrund der Laboranalysen und bildgebenden Diagnostik (Radiologie und Endoskopie) kein Hinweis für
eine Entzündung oder ein mechanisches Problem wie beispielsweise eine Stenose, Verwachsungen oder eine enteroenterale Fistel vorliegt, kann eine Überlappung zum IBS vorliegen. Solche Patienten können insbesondere auch von einer psychosomatischen Therapie profitieren.
Therapie bei IBS Im Gegensatz zur IBD, für die eine Vielzahl etablierter Therapien vorliegt, sind die Therapieoptionen beim IBS nicht abschliessend geklärt. Dies beruht nicht zuletzt darauf, dass das Reizdarmsyndrom durch das Fehlen einer in der täglichen Routine nachweisbaren somatischen Ursache für diese funktionelle Erkrankung des unteren Verdauungstrakts gekennzeichnet ist. Unabhängig von der im Einzelfall gewählten Therapiemöglichkeit sollten Patientensicherheit und Verhältnismässigkeit oberste Priorität haben. Dies ist umso mehr zu betonen, als das IBS für den betroffenen Patienten zwar mit einer deutlichen Einschränkung seiner persönlichen Lebensqualität verbunden sein kann, das funktionelle Syndrom per se aber nicht lebensbedrohlich und auch mit keiner Verringerung der Lebenserwartung assoziiert ist. Ähnlich der Arbeitshypothese einer multifaktoriellen Pathophysiologie des IBS sind auch die Behandlungsstrategien für das Reizdarmsyndrom vielfältig. Sie lassen sich in drei Therapiegruppen zusammenfassen beziehungsweise unterteilen: Neben einer ersten Therapiesäule mit allgemeinen Massnahmen stehen dem behandelnden Arzt verschiedene pharmakologische, aber auch psychologisch-psychosomatische Therapieansätze zur Verfügung.
Allgemeinmassnahmen Bezüglich der Allgemeinmassnahmen steht das Therapiebündnis zwischen Arzt und Patienten im Vordergrund. Viele Patienten mit IBS haben eine Odyssee mit vielen verschiedenen Arztkontakten hinter sich, an deren Ende die vermeintliche Erkenntnis steht, an einer primär eingebildeten Krankheit zu leiden. Ziel jeglicher Arzt-Patienten-Gespräche muss deshalb sein, den Patienten nach Ausschluss somatischer Differenzialdiagnosen in dem Sinne zu beruhigen, dass er von dem Stigma eines Hypochonders befreit wird. Der nächste Therapieschritt ist eine gründliche Analyse der Begleitumstände, welche mit Episoden beziehungsweise neuen «Schüben» des IBS assoziiert sind. Hierbei muss der Patient in den Stand gesetzt werden, diese Triggersituation zu erkennen. In einem weiteren Schritt müssen ihm Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie ebendiese Situationen vermieden werden können. Unter der Rubrik «Allgemeinmassnahmen» sind auch Veränderungen des Fasergehalts der Nahrung einzuordnen. Ähnlich wie beim Verdacht auf eine begleitende Nahrungsmittelunverträglichkeit gilt es, hierbei pragmatisch und nach dem «Trial-and-Error»-Prinzip vorzugehen. Basierend auf einer sorgfältigen Nahrungsmittelund Ernährungsanamnese sollten mögliche alimentäre Auslöser der Reizdarmsyndrombeschwerden identifiziert und entsprechende Auslassversuche unternommen werden.
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FORTBILDUNG
Medikamente Die nächste Therapieebene, nämlich der Einsatz unterschiedlicher Medikamente, ist dadurch gekennzeichnet, dass beim IBS primär symptomorientierte Pharmaka zum Einsatz kommen. Kausale medikamentöse Therapieansätze hatten zwar in den letzten Jahren durch vielversprechende Forschungsergebnisse vor allem bezüglich der Bedeutung serotoninerger Mechanismen einen grossen Auftrieb erfahren. Durch potenzielle kardiovaskuläre Nebenwirkungen bis hin zum Myokardinfarkt (Tegaserod) und zur ischämischen Kolitis (Alosetron) wurde die ursprüngliche Euphorie bezüglich dieser verschiedenen für die Behandlung des Reizdarmyndroms vorgesehenen Serotoninagonisten beziehungsweise -antagonisten jedoch deutlich gedämpft. Entweder erreichten die entsprechenden Medikamente nie das Stadium der Markteinführung, oder sie sind zurzeit nur unter Auflagen für eine genau definierte Subpopulation der Patienten mit IBS freigegeben. Tegaserod, ein partieller 5-HT4-Rezeptor-Agonist, wurde in den USA nach initial weitverbreitetem Einsatz zwischenzeitlich wegen der oben genannten potenziellen Nebenwirkungen vom Markt genommen und wird nun über ein «investigational new-drug program» nur noch an Frauen unter 55 Jahren ohne bekannte kardiovaskuläre Begleiterkrankungen mit einem obstipationsdominierten IBS abgegeben. Auch Alosetron, ein 5-HT3-Rezeptor-Antagonist, sollte gemäss Empfehlungen der FDA nur einem ausgewählten Patientenkollektiv verabreicht werden. Im Fall von Alosetron sind dies Patientinnen mit diarrhödominiertem IBS mit einer Beschwerdedauer von mehr als sechs Monaten, welche auf klassische und konventionelle Therapien nicht angesprochen haben. Angesichts dieser unbefriedigenden Gesamtkonstellation konzentrieren sich die medikamentösen Behandlungsansätze derzeit zwangshalber auf die Therapie der von den Patienten beschriebenen Symptome. Im Fall eines obstipationsdominierten IBS werden neben osmotisch wirksamen Laxanzien vor allem auch Faserprodukte eingesetzt. Deren Verwendung wird jedoch durch unerwünschte Nebeneffekte, vor allem eine Zunahme der Blähungen, begrenzt. Bei diarrhödominiertem IBS werden verschiedene Antidiarrhoika wie zum Beispiel Loperamid erfolgreich eingesetzt. Ist das führende Symptom Abdominalschmerz, haben die Autoren positive Erfahrungen mit Spasmolytika wie Mebeverin (Duspatalin® retard) gemacht. Einschränkend muss jedoch in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass der Einsatz vieler dieser symptomatisch zur Verwendung kommenden Medikamente den Kriterien der evidenzbasierten Medizin nicht entspricht, randomisierte doppelblinde Studien oft fehlen und entsprechend die Medikamente vor allem probatorisch (mit aber oft gutem Erfolg) verabreicht werden. Nicht zuletzt als Ausdruck der Hypothese, dass das Reizdarmsyndrom Ergebnis einer Störung der «brain gut axis» ist, werden im Sinne einer Therapieeskalation bei IBS-Patienten auch Psychopharmaka wie trizyklische Antidepressiva und selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer eingesetzt. Die entsprechenden Studien sind jedoch bezüglich der effektiven Wir-
kung dieser Medikamente bei IBS teilweise widersprüchlich. Ein schwerwiegender Einwand ist auch die Frage, ob mit diesen Psychopharmaka das Reizdarmsyndrom selbst oder nicht vielmehr Komorbiditäten wie Angstzustände und Depression behandelt werden.
Psychosomatik Die dritte Säule der aktuellen Behandlungsoptionen bei Reizdarmsyndrom sind psychologische beziehungsweise psychosomatische Vorgehensweisen. Die in diesem Zusammenhang am besten erforschte Technik ist die kognitive Verhaltenstherapie. Vielversprechend sind aber auch Behandlungsansätze mit Hypnose, wobei unter anderem Entspannungselemente im Vordergrund stehen. Bedauerlicherweise fehlen aber bis dato vergleichende Studien von Psychotherapie beziehungsweise Psychotherapie plus medikamentöser Therapie versus Pharmakotherapie allein.
Weitere Optionen Noch keine abschliessende Aussage kann zum Einsatz nicht absorbierbarer Antibiotika sowie Probiotika für die Behandlung des IBS gemacht werden. Basierend auf den derzeit vorliegenden Daten zahlreicher Studien, sind Letztere zwar nicht generell wirksam, doch scheinen bestimmte Probiotika ohne signifikante Nebenwirkungen die Symptomausprägung beim IBS positiv zu beeinflussen. Aufgabe der Forschung muss es deshalb sein, die für das IBS wirksamen Probiotika zu identifizieren. Gleichermassen attraktiv ist eine mögliche Behandlung des Reizdarmsyndroms mit Phytotherapeutika. Auch hier gilt es, vor dem Hintergrund erster, vielversprechender klinischer Studien die effektiv wirksamen Bestandteile der aus oft zahlreichen verschiedenen Pflanzenstoffen bestehenden Präparate zu bestimmen und deren Wirkmechanismus zu analysieren. ■
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Jürgen Gschossmann
Chefarzt Innere Medizin Klinikum Forchheim
Krankenhausstrasse 10 D-91301 Forchheim
E-Mail: juergen.gschossmann@klinikum-forchheim.de
Interessenkonflikte: keine
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