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BERICHT
PSA-Screening: zwei neue Studien, aber kein Ende der Diskussion
Der Nutzen der Prostatakarzinom-Früherkennung bleibt weiter umstritten
Viele europäische Urologen feiern die ermutigenden Ergebnisse einer europäischen PSA-Screeningstudie, doch die Diskussion wird aller Voraussicht nach weitergehen. Zwar lässt sich die Überlebensprognose durch Früherkennung etwas verbessern, doch der Preis dafür ist hoch, für manche wohl zu hoch.
ren schwelenden Diskussion ein Ende bereiten. Überzeugend gelungen ist das nicht. Auch nach den nun im «New England Journal of Medicine» publizierten Zwischenergebnissen bleibt es bei der Erkenntnis: Das PSA-Screening führt zwar zu deutlich mehr Krebsdiagnosen und Krebsbehandlungen, es rettet aber nur wenigen Männern das Leben.
UWE BEISE
Kaum eine Früherkennungsmassnahme ist so umstritten wie das PSA-Screening auf ein Prostatakarzinom. Die Ärzteschaft scheint gespalten, zumindest ist sie verunsichert. Das gilt auch für die Schweiz. Gerade einmal jeder zweite Arzt ist vom Nutzen des PSA-Screenings überzeugt. Das hat gerade eine Befragung bei Schweizer Allgemeinärzten und Internisten ergeben, die eine Arbeitsgruppe um Johannes Steurer, Horten-Zentrum der Universität Zürich, im Februar dieses Jahres im «Journal of Evaluation in Clinical Practice» veröffentlicht hat. Die Forscher hatten 245 Allgemeinärzte und Internisten befragt, die an einer Fortbildungsveranstaltung teilnahmen. Trotz mancher Zweifel erklärten drei von vier Befragungsteilnehmern, dass sie den Test ihren männlichen Patienten ab dem 50. Lebensjahr empfehlen würden. Dahinter steht offenbar nicht etwa ein finanzieller Anreiz, sondern ein Sicherheitsdenken. Viele Ärzte befürchten offenbar juristische Konsequenzen, falls ein Patient später an Prostatakrebs erkrankt und ihm der PSA-Test vorenthalten wurde. Das mag zwar in der Schweiz eher unwahrscheinlich sein, in den
USA ist aber ein solcher Fall publik geworden. Im Jahre 1999 hatte der US-amerikanische Hausarzt Daniel Merenstein einen etwas über 50-jährigen gesunden Patienten darüber aufgeklärt, dass die Risiken des Tests hoch seien, der Nutzen dagegen vergleichsweise gering. Merenstein stand unter dem Eindruck einer Fortbildungsveranstaltung, von der er ebendiese Erkenntnis mit nach Hause gebracht hatte. So kam es, dass der Test nicht durchgeführt wurde. Einige Jahre später erkrankte der Patient an Prostatakrebs und verklagte seinen Arzt. Meren-
PLCO liefert verwässerte Ergebnisse In die amerikanische PLCO (Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian)-Studie wurden bis 2001 76 693 Männer im Alter von 55 bis 69 Jahren aufgenommen. Der Hälfte wurde für sechs Jahre ein jährlicher PSA-Test angeboten. In der Kontrollgruppe sollte plangemäss auf ein Screening verzichtet werden. Nach sieben Jahren wurden in der ScreeningGruppe 22 Prozent mehr Prostatakarzinome diagnostiziert. Die Inzidenz betrug 116 auf 10 000 Personenjahre gegenüber 95 auf 10 000 Personenjahre in der Kontrollgruppe. Das eigentliche Ziel,
1410 Männer müssen auf PSA untersucht und 48 Krebspatienten behandelt werden, damit ein Todesfall durch Prostatakrebs verhindert werden kann.
stein wurde in dem Zivilprozess zwar freigesprochen, die Fortbildungseinrichtung jedoch zu Schadenersatz in Höhe von 1 Million Dollar verurteilt. Dabei ist der Nutzen des PSA-Screenings bislang kaum durch harte Daten gesichert. Eine US-amerikanische und eine europäische Studie sollten der seit Jah-
durch rechtzeitige Therapie Menschenleben zu retten, schlug allerdings fehl. Die Sterblichkeit lag mit 2,0 Todesfällen auf 10 000 Personenjahre in der Screening-Gruppe sogar um 13 Prozent höher als in der Kontrollgruppe, in der 1,7 Todesfälle auf 10 000 Personenjahre dokumentiert worden. Der Unterschied war
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BERICHT
Professor Jonas Hugosson: Überrascht von den positiven Studienergebnissen
aber statistisch nicht signifikant. Auch die Auswertung nach zehn Jahren, die inzwischen für zwei Drittel der Teilnehmer vorliegt, weist in keine andere Richtung. Die Studie hat allerdings nur eine eingeschränkte Aussagekraft, die Ergebnisse wurden nämlich deutlich verwässert: Die hohe Akzeptanz des Tests in den USA hatte dazu geführt, dass auch in der Kontrollgruppe der Anteil der Patienten, die ausserhalb des Studienprotokolls einen PSA-Test vornehmen liessen, auf bis zu 52 Prozent anstieg. Im Screening-Arm liessen 85 Prozent PSATests durchführen. Günstiger fielen die Zwischenergebnisse der European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) aus. Es handelt sich hierbei um die Auswertung von separaten Studien aus sieben europäischen Ländern – die Schweiz war durch das Prostatazentrum des Kantonsspitals Aarau vertreten –, an denen insgesamt 162 000 Männer teilnahmen, die bei Studieneintritt 55 bis 69 Jahre alt waren. Eine PSA-Bestimmung fand alle 4 Jahre statt, bei einem Wert über 3 ng/ml wurde eine Biopsie durchgeführt. Nach neun Jahren führte das PSA-Screening zu dem erwarteten Anstieg der Diagnosen: Bei 8,2 Prozent der PSA-Gescreenten, aber nur bei 4,8 Prozent in der Kontrollgruppe wurde ein Prostatakrebs festgestellt. Wie die Arbeitsgruppe um Fritz Schröder von der Erasmus-Universität in Rotterdam berichtet, hatte dies durchaus positive Auswirkungen auf die Überlebensprognose. So fiel die Zahl der Krebs-Todesfälle unter den Gescreenten um 20 Prozent geringer aus. Allerdings präsentie-
ren sich die Zahlen absolut gesehen nicht ganz so eindrucksvoll: In der Screening-Gruppe starben von 10 000 Männern 7 weniger an Prostatakrebs. Zahlen zur Gesamtsterblichkeit sind in der Studienpublikation nicht zu finden. Für die Praxis bedeuten die Resultate: 1410 Männer müssen auf PSA untersucht und 48 Krebspatienten behandelt werden, damit ein Todesfall durch Prostatakrebs verhindert werden kann. Der Aufwand erweist sich als hoch: Im Screening-Arm waren bei den 73 000 Männern etwa 17 000 Biopsien vorgenommen worden. Michael Barry von der Universität Harvard nennt in einem begleitenden Editorial des «NEJM» den Nutzen bescheiden und mit dem substanziellen Risiko von Überdiagnose und Übertherapie erkauft. Man geht heute davon aus, dass etwa 50 Prozent der Prostatakrebse zu Lebzeiten keine Symptome hervorrufen.
Europäische Urologen feiern Screeningerfolg Die Kehrseite der Screening-Medaille sehen auch die Autoren der ERSPC-Studie durchaus. Dennoch fällt die Reaktion unter den europäischen Urologen positiv aus. Die Studienergebnisse waren just zum Zeitpunkt des diesjährigen Jahreskongresses der European Association of Urology (EAU) in Stockholm eingetroffen. Und prompt feierte die Gesellschaft in einer Pressemitteilung die Ergebnisse als grossen Screeningerfolg: «Das PSA-Screening senkt die Sterblichkeit bei Prostatakrebs um 20 Prozent!» Ähnlich froh klang auch die Botschaft der Aarauer Klinik. Nach einer Erklärung des Aargauer Studienleiters Maciej Kwiatkowski konnte bei 7,3 Prozent der im Aargau gescreenten Männer Prostatakrebs diagnostiziert werden, die Zahl der Todesfälle sei sogar halbiert worden. Dabei waren zunächst offenbar gar nicht alle Studienleiter ganz überzeugt davon, die Zwischenergebnisse angesichts der geringen Todesfallzahlen schon zu publizieren. Schliesslich habe man aber nicht daran vorbei gekonnt, dass die Resultate eben doch statistisch signifikant seien, gab der Göteborger Urologe Professor Jonas Hugosson in
Stockholm in einer kleinen Runde mit
Vertretern der Fachpresse zu verstehen.
«Man hätte uns vielleicht eines Tages
Vorwürfe gemacht, nicht eher mit den
Ergebnissen an die Öffentlichkeit gegan-
gen zu sein», meinte Hugosson. Schwe-
den hat weltweit die höchste Prosta-
takrebsrate. Im Laufe des Lebens er-
kranken 10 Prozent der Männer an dem
Tumor, 5 Prozent versterben an dem
Tumorleiden. Kein Wunder also, dass
der schwedische Gesundheitsminister
nach Bekanntwerden der Resultate die
sofortige Einführung des PSA-Scree-
nings in seinem Land forderte. Doch
Hugosson, eigentlich angetan von den
positiven Resultaten, trat gleich auf die
Bremse. Zwar gebe es nun deutliche
Hinweise auf einen Nutzen, doch sei die
Datenlage insgesamt noch zu schwach,
und die Überdiagnosen seien ein gravie-
rendes Problem. Für ihn sei zunächst
entscheidend herauszufinden, wie sich
Männer fühlen, die fortan mit einer
Krebsdiagnose leben müssen. Bis auf
Weiteres gelte es, Nutzen und Risiken
mit jedem Patienten genau zu erörtern.
Dass der Druck auf die Männer steigen
wird, einen PSA-Test vornehmen zu las-
sen, räumte Hugosson aber ein.
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Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
J. Steurer et al.: Legal concerns trigger prostate-specific antigen testing. Journal of Evaluation in Clinical Practice, 2009; 15: 390—392. G.L. Andriole et al.: Mortality results from a randomized prostate-cancer screening trial. N Engl J Med 2009; 360: 1310—1319. Schröder et al.: Screening and prostate-cancer mortality in a randomized European study. N Engl J Med 2009; 360: 1320—1328. Michael J. Barry: Screening for prostate cancer — the controversy that refuses to die. N Eng J Med 2009; 360: 1351—1354.
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