Transkript
FORUM
Asthma oder COPD?
Therapieversuch gibt die sichere Diagnose in der Praxis
Hanspeter Anderhub
Die Lösung des Problems: der Therapieversuch
Seit Jahren beschäftige ich mich mit dem Problem COPD/Asthma in der Praxis und kenne die Schwierigkeiten der Praktiker, «richtige» COPD-Patienten von «richtigen» Asthmatikern zu unterscheiden. In der Praxis ist alles anders und nicht so sonnenklar wie die Professoren an den Universitäten, die von unseren praxisspezifischen Problemen keine Ahnung haben, es uns weiszumachen versuchen. Patienten, die vor den Praktikern sitzen, tragen leider keinen COPD- oder Asthmakleber auf ihrer Stirn. Die COPD ist ein Mix aus asthmatischen und bronchitischen Anteilen. Die Patienten haben Husten, Auswurf und Atemnot unterschiedlichster Schwere. Wichtigstes und praktisch einziges bedeutsames Diagnostikum bleibt die Spirometrie. Damit dokumentieren wir die Obstruktion und ihr Ausmass. Aber nur in den wenigsten Fällen lässt sich die Frage «Was ist es nun, COPD oder Asthma?» — trotz allen Belehrungen von oben — sauber klären. Das wäre aber wichtig, weil wir nur dann therapeutisch richtig vorgehen können. Wie also soll der Praktiker das schaffen? Die vermutete COPD oder vielleicht doch besser das vermutete Asthma behandeln? Solche diagnostischen Ungewissheiten lassen sich weder mit klugen Arbeiten über Asthma/COPD noch mit differenzierten «weltweiten» Behandlungsrichtlinien in der Praxis sauber lösen — und häufig auch nicht im Spital. Zurück bleibt eine grosse Unsicherheit, die dann allzu häufig — und leider — in eine dimensionslose therapeutische Polypragmasie ausartet.
Meine Problemlösung ist ganz einfach: Der Praktiker hat einen Patienten mit Husten, Auswurf und Atemnot vor sich. In der Anamnese und in der klinischen Untersuchung spricht, wie so häufig, einiges für Asthma, einiges aber auch für eine COPD. Um solch rein akademischen Fragestellungen braucht sich der Arzt aber momentan überhaupt nicht zu kümmern. Viel wichtiger ist, dass er sich auf die weitere Diagnostik konzentriert und dazu eine sorgfältige Spirometrie durchführt. Damit hat er das Wichtigste getan, nämlich die Obstruktion erfasst. Der Courant normal war oder ist — leider immer noch häufig — sofort in die Therapieschublade zu greifen und den Patienten entweder mit einem Anticholinergikum, einem topischen Steroid, einem lang wirkenden Betamimetikum, einem Mukolytikum oder gar einer Kombination aus all diesen Goodies zu beglücken und damit die Polypragmasie einzuläuten. Was es an diesem Punkt braucht, ist ein Marschhalt. Das Einzige, was uns jetzt interessieren muss, ist die Frage, ob die Obstruktion reversibel, teilweise reversibel oder nicht reversibel ist. Mit dem sogenannten Therapieversuch beantworten wir diese Frage und geben uns gleichzeitig die therapeutische Marschrichtung vor — und zwar die korrekte!
Durchführung des Therapieversuchs
Therapieversuch heisst Einsatz von systemischem — und nicht topischem! — Kortison: entweder — für die Avantgarde, die Mutigeren und mit grossen Vorteilen
in der Praxis — mit einem Depotsteroid (Triamzinolonazetonid 80 mg, Triamcort® A80) oder — für die Konservativeren und Obrigkeitsgläubigen — mit 40 mg Prednison täglich während 14 Tagen. Das systemische Kortison wird kombiniert mit einem lang wirkenden Betamimetikum zweimal täglich, zum Beispiel Salmeterol (Serevent®) oder Formoterol (Oxis®, Foradil®) plus einem kurz wirkenden Betamimetikum nach Bedarf (z.B. Ventolin®, Berotec®, Bricanyl®). Schwere Bronchitiden können manchmal gleichzeitig auch ein Antibiotikum und bei starken Sekretproblemen ein N-Acetylcystein (z. B. Fluimucil®, Solmucol®) erforderlich machen. Der Patient wird entlassen, nach zwei (bei Depotsteroiden) oder drei bis vier Wochen (Prednison) wieder bestellt und die Spirometrie wiederholt. Und nun ergibt sich die Problemlösung wunderbarerweise wie von selbst. Wir kommen diagnostisch einen grossen Schritt weiter. Folgende drei Varianten kristallisieren sich heraus: 1. Ist die Obstruktion verschwunden und
hat sich die Spirometrie normalisiert, handelt es sich definitionsgemäss um Asthma. Das wiederum heisst Asthmatherapie, also hoch dosierte topische Steroide mit lang wirkenden Betamimetika, den LABA. 2. Ist die Obstruktion zwar immer noch vorhanden, aber um mindestens 15 Prozent oder wenigstens 200 ml Volumen besser — und zwar unabhängig von der Höhe der Istwerte —, dann sprechen wir heute von einer COPD mit teilweise reversibler Obstruktion. Hier liegt eine wenigstens teilweise behandlungsfähige Obstruktion, also ein Asthma vor. Therapeutische Konsequenz ist auch hier eine saubere Asthmatherapie, also wiederum hoch dosierte topische Steroide plus LABA. 3. Bleibt die Obstruktion, also der FEV1Wert, trotz systemischen Steroiden und lang wirkenden Betamimetika nach zwei bis drei Wochen unverändert, spricht man von einer COPD mit nicht reversibler Obstruktion. Das ist die
362 ARS MEDICI 9 ■ 2009
FORUM
Klinische Beurteilung
Thoraxröntgen
Evtl. weitere Abklärungen
FEV1 : > = normal
Asthma
ja
Chron.
Raucher?
Husten > 4
Spirometrie
nein Wochen nein
ja
nein
Obstruktion? ja
Therapieversuch
Spirometrie nach
Therapieversuch
FEV1 : Verbesserung > 15% u/o 200 ml
COPD mit reversibler Obstruktion
Raucherentwöhnung
1
2
Abbildung: Differenzialdiagnose COPD/Asthma in vier Schritten (Quelle: www.copd-swiss.ch).
FEV1 : COPD mit nicht
Verbesserung
reversibler
3
4 < = 15% u/o 200 ml Obstruktion «eigentliche» COPD, der FEV1-Wert hat sich nicht verändert! Hier ist eine Asthmatherapie wie bei den beiden anderen Varianten nicht sinnvoll. Die Behandlung muss voll auf die COPD ausgerichtet werden, also lang wirkende Anticholinergika (z.B. Spiriva®), lang wirkende Betamimetika und N-Acetylcystein als Antioxidans vor allem im Winterhalbjahr. Aber keine topischen Steroide verschreiben! Diese teuren Medikamente kann man sich hier — und im Gegensatz zu den beiden anderen Subformen der Obstruktion — schenken, da sie in diesen Fällen erfahrungsgemäss nichts bringen. Ein- zige Ausnahme: bei gehäuften Exazerbationen kann eine Therapie mit hoch dosierten topischen Steroiden versucht werden. Damit haben wir es geschafft. Jetzt wissen wir genau, was der Patient, der vor uns sitzt, hat: Es ist entweder ein Asthma oder es ist eine COPD. Das einfache Vorgehen mit dem Therapieversuch hat die Diagnose an den Tag gebracht (Abbildung). Fruchtloses Rätseln und Streitereien mit praxisfremden Dogmatikern sowie Verwirrungen durch Guidelines und Papers konnten wir uns schenken. Jetzt wird auch die Behandlung stim- men, weil sie zielgerichtet fast automa- tisch vorgegeben ist. Zu einer Polyprag- masie wird es kaum noch kommen. Der Patient ist zufrieden, weil es ihm bes- ser geht. Und Sie als Praktiker sind eben- falls zufrieden, weil Sie gelernt haben, mit ihren eigenen, einfachen Mitteln die Kontrolle über ein komplexes Krank- heitsgeschehen zu erlangen. Sie bleiben Chef! ■ Dr. med. Hanspeter Anderhub FMH Innere Medizin und Pneumologie Chesa Via Bella 7522 La Punt Chamues-ch E-Mail: h.anderhub@gmail.com BUCHBESPRECHUNG Helfen und heilen, aussergewöhnliche Bündner Ärzte vom 17. Jahrhundert bis heute Von Alexander Condrau. 2.erw. Auflage 2009; 207 Seiten, brosch., Fr. 28.—. ISBN 978-3-905688-44-3; Südostschweiz Buchverlag (Zürich/Chur) Medizingeschichte ist immer anregend. Sie lässt die rasche Entwicklung der Heilkunde besser verstehen und weckt Bewunderung für die Ärzte, die in der Vergangenheit Grosses bei der Erarbeitung von neuen Behandlungsmethoden geleistet haben. Dies gilt nicht nur für die Universitätszentren, auch ein Bergkanton wie Graubünden hat in den letzten 400 Jahren namhafte, bewundernswerte Ärzte und Pioniere im Gesundheitswesen hervorgebracht. — Das vorliegende sehr ansprechende Buch gibt darüber Auskunft. In klar gegliederten Kurzkapiteln berichtet der sprachgewandte Autor, selber Spross einer alten Bünder Ärztefamilie, über zahlreiche initiative, örtlich und auch landesweit hoch- verehrte Mediziner der letzten Jahrhunderte. Da wird von einsatzfreudigen Landärzten wie von renommierten Universitätsprofessoren berichtet, ebenso auch von erstmals angewendeten medizinischen Errungenschaften und von der unterschiedlichen Akzeptanz alternativmedizinischer Methoden. Auch die Eröffnung und allenfalls Schliessung von bekannten Bündner Kliniken und Heilbädern werden dargestellt. Es macht Freude und klärt viele Fragen, im informativen und unterhaltsamen Buch zu blättern. Insbesondere die älteren Berufskollegen werden mit Interesse die Kapitel über bekannte Namen wie Fanconi, Prader, Condrau, Largiadèr, Markoff u.a. lesen und darüber biographische Daten und manche anekdotische Begebenheit erfahren. Das Buch berichtet aber auch üb er manche der Berufsethik und dem Pflichtbewusstsein verpflichtete im Unterland weniger bekannte Bündner Ärzte. So verdient das kostengünstige, von der Kulturförderung des Kantons Graubünden gesponserte Werk breite Resonanz — ich kann es allen Kollegen als anregende Lektüre warm empfehlen. Hans-Ulrich Kull, Küsnacht ARS MEDICI 9 ■ 2009 363