Transkript
FORTBILDUNG
Therapiemanagement der Arthrose bei Erwachsenen
NICE-Leitlinien für die Praxis
Eine Arbeitsgruppe des National Institute for Health
and Clinical Excellence in Grossbritannien hat
Empfehlungen zur Behandlung von Arthrosen ausge-
arbeitet, die hier kurz zusammengefasst sind.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Für einen optimalen Behandlungserfolg müssen Ärzte und Betroffene über die Bedeutung der Basistherapie und das Spektrum aller ergänzenden Therapieoptionen umfassend informiert sein. Die Leitlinien des National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) zum Therapiemanagement der Arthrose basieren auf der besten verfügbaren Evidenz und umfassen die folgenden Empfehlungen für die klinische Praxis.
Ganzheitliche Erfassung und Management der symptomatischen Arthrose ■ Erfassen und beurteilen Sie die Auswirkungen der Ar-
throse auf die körperliche Funktionsfähigkeit, die Lebensqualität, den Beruf und die Stimmungslage sowie auf Beziehungen und Freizeitaktivitäten der Betroffenen. ■ Überarbeiten Sie regelmässig die Behandlungsstrategie entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Patientin, des Patienten. ■ Formulieren Sie in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Patienten einen individuellen Managementplan zur Therapie. Bei der Ausarbeitung sollten auch Komorbiditäten berücksichtigt werden, die die Auswirkungen der Arthrose verschlimmern. ■ Diskutieren Sie den Nutzen und die Risiken aller Behandlungsoptionen in allgemeinverständlicher Form.
Kernbestandteile der Therapie Stellen Sie Beratungsangebote, Empfehlungen und Anweisungen für alle Patienten mit symptomatischer Arthrose bereit über ■ den Zugang zu angemessener mündlicher und schriftlicher
Information über das Krankheitsbild ■ angemessene körperliche Aktivitäten einschliesslich loka-
ler Muskelstärkung und allgemeiner Ausdauerfitness ■ Massnahmen zur Gewichtsnormalisierung.
Weitere nicht pharmakologische Behandlungsmassnahmen oder Medikamente können die Basistherapie ergänzen (Abbildung), und viele Arthrosepatienten nutzen mehrere Optionen. Einige Behandlungsmassnahmen sind nur bei bestimmten Gelenken wirksam.
Nicht pharmakologische Begleitmassnahmen ■ Vereinbaren Sie mit dem Arthrosepatienten Strategien zum
Selbstmanagement. Betonen Sie dabei die Wichtigkeit der Basistherapie, vor allem der Bewegungsübungen. ■ Regen Sie positive Verhaltensänderungen an wie sportliche Betätigung, Gewichtsverlust, das Tragen angemessenen Schuhwerks (mit stossdämpfenden Eigenschaften) oder einen angemessenen Anstrengungslevel bei körperlichen Aktivitäten (Vermeiden von Leistungsspitzen und Durchhaltephasen).
Erwägen Sie auch weitere Therapien und unterstützende Massnahmen wie ■ lokale Hitze- oder Kälteanwendungen ■ (manuelle) Manipulation und Stretching, vor allem bei
Arthrose in der Hüfte ■ transkutane elektrische Nervenstimulierung (TENS) ■ Bandagen, Gelenkstützen oder Schuheinlagen bei Patienten
mit biomechanischen Gelenkschmerzen oder Instabilitäten
Merksätze
■ Arthrose ist eine der Hauptursachen von Schmerzen und Behinderungen.
■ Kernbestandteile des Therapiemanagements sind umfassende Information und Beratung, ein individuelles Bewegungsprogramm und Massnahmen zur Gewichtsnormalisierung.
■ Die Basistherapie sollte bevorzugt durch nicht medikamentöse Behandlungsmassnahmen ergänzt werden.
■ Vor der Gabe von oralen NSAR oder COX-2-Hemmern sollten als sicherere Alternativen topische NSAR und/oder Paracetamol zur Schmerzlinderung erwogen werden.
ARS MEDICI 8 ■ 2009 323
FORTBILDUNG
■ Alle oralen NSAR und COX-2-Hemmer
Capsaicin
Orale NSAR einschliesslich COX-2-Hemmern
Opioide
Intraartikuläre Kortikosteroidinjektionen
haben eine ähnlich schmerzstillende Wirkung, variieren jedoch bezüglich ihrer potenziellen gastrointestinalen, hepatischen
Bandagen
Stossgedämpfte Schuhe oder Einlagen
Transkutane Nervenstimulation
(TENS)
Paracetamol
Topische NSAR
Patientenschulung, Empfehlung, Zugang zu Informationen
Kraftübungen und Ausdauertraining
Normalisierung des Gewichts
Lokale Hitze- und Kälteanwendungen
Hilfsgeräte
und kardiorenalen Toxizität. Daher sollten bei der Auswahl des Medikaments und der Dosis alle individuellen Risikofaktoren einschliesslich des Alters berücksichtigt werden. Zudem sollte ein Monitoring dieser Risikofaktoren eingeplant werden. ■ Ziehen Sie bei unzureichender Wirksamkeit von niedrig dosiertem Aspirin vor dem Er-
Manuelle Therapien (Manipulation und
Stretching)
Gelenkersatz
satz oder einer Ergänzung durch orale NSAR oder COX-2-Hemmer (in Verbindung mit einem Protonenpumpenhemmer) an-
dere Analgetika in Betracht.
Abbildung: Optionen zur Therapie der Arthrose bei Erwachsenen
■ Erwägen Sie intraartikuläre Kortikosteroidinjektionen zur Linderung moderater bis
schwerer Schmerzen.
■ Hilfsgeräte wie Spazierstöcke oder spezielle Wasserhahn- Rubefacientia und intraartikuläre Hyaluroninjektionen werden
hebel für Patienten mit Problemen bei bestimmten Alltags- zur Behandlung von Arthrose nicht empfohlen.
aktivitäten. Lassen Sie sich im Einzelfall von Experten wie
Ergotherapeuten oder Sanitätshäusern beraten.
Chirurgische Eingriffe
Die Durchführung von arthroskopischen Spülungen und Dé-
Elektroakupunktur sollte bei Arthrose wegen einer bis anhin bridement sollte nicht routinemässig empfohlen werden, aus-
unzureichenden Evidenz nicht angewendet werden. Die An- ser bei einer Kniearthrose mit Gelenksperre. Diese Eingriffe
wendung von Glukosamin und Chondroitinprodukten wird in sind nicht geeignet bei Gelenksteife und Unbeweglichkeit auf-
den NICE-Richtlinien ebenfalls nicht empfohlen.
grund längerer Immobilität, bei Wegknicken des Kniegelenks
(«giving way») oder einem röntgentechnischen Nachweis von
Ergänzende medikamentöse Behandlung
freien Gelenkkörpern.
Wägen Sie den Nutzen und die Risiken einer medikamentösen Vor der Überweisung zu einem chirurgischen Eingriff an den
Behandlung sorgfältig ab, vor allem bei älteren und komorbi- Gelenken sollte sichergestellt werden, dass dem Patienten an-
den Patienten.
dere Behandlungsoptionen und mindestens die Basistherapien
■ Zur Schmerzlinderung kann Paracetamol (Dafalgan®, Pa- angeboten wurden.
nadol® u.v.a.) angeboten werden. In einigen Fällen ist eine Bei schweren Gelenksymptomen wie Schmerzen, Steifheit und
regelmässige Gabe notwendig.
eingeschränkter Funktionsfähigkeit, die die Lebensqualität
■ Erproben Sie bei Arthrose im Knie und in den Händen zu- substanziell beeinträchtigen und auf andere Optionen nicht
nächst die Wirksamkeit von Paracetamol und/oder topi- ansprechen, sollte ein Gelenkersatz erwogen werden. Die
schen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), bevor Sie Überstellung zum Chirurgen sollte dann vor einer langfristigen
orale nichtselektive NSAR, COX-2-Hemmer oder Opioide Funktionseinschränkung und massiven Schmerzen erfolgen.
verschreiben.
Patientenspezifische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Rauchen,
■ Ziehen Sie auch die Anwendung von topischem Capsaicin Übergewicht und Komorbiditäten sollten kein Hinderungs-
(z.B. Isola Capsicum®) in Betracht.
grund für einen Gelenkersatz sein.
■ Reichen Paracetamol oder topische NSAR zur Schmerzlin- Entscheidungen über chirurgische Eingriffe sollten eher auf
derung nicht aus, erwägen Sie eine Ergänzung mit Opioid- Diskussionen mit dem Patienten und seinen Stellvertretern sowie
analgetika (z.B. Zaldiar®) oder den Ersatz des Paraceta- den behandelnden Ärzten und Chirurgen basieren als auf gängi-
mols durch orale NSAR oder COX-2-Hemmer.
gen Instrumenten zur Erarbeitung der Prioritätensetzung. ■
■ Geben Sie NSAR oder COX-2-Hemmer in der niedrigsten wirksamen Dosis über einen möglichst kurzen Zeitraum. Die erste Wahl sollte entweder ein COX-2-Hemmer (z.Zt. also Celebrex®) oder ein Standard-NSAR sein. Verschreiben Sie beide Substanzen immer zusammen mit einem
Conaghan, Philip G, Dickson John et al.: Care and management of osteoarthritis in adults: summary of NICE guidance, BMJ 2008; 336: 502—503.
Interessenkonflikte: Zwei der Autoren deklarieren Honorare von MSD, Novartis, Pfizer, Wyeth, Bristol Myers Squibb und Napp.
Protonenpumpenhemmer.
Petra Stölting
324 ARS MEDICI 8 ■ 2009