Transkript
FORTBILDUNG
Sexuelle Funktionsstörungen des Mannes
Der rasche Griff zum Rezeptblock behebt die Probleme nur selten
Gesamtschau eines Psychiaters, der die sexuellen Funktionsstörungen beim Mann nicht nur von einer streng medizinisch-biochemischen Warte mit Schwerpunkt auf der medikamentösen Behandlung aus betrachtet, sondern auch unter Einbezug des heutigen Wissens aus Epidemiologie, Sexualmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie, mit spezieller Berücksichtigung der Hausarztmedizin.
KURT APRIL
vielen Ländern (7), auch aus der Schweiz (8). In der Deutschschweiz wurden während sechs Monaten (2006 u. 2007) 90 Ärzte sowie 700 ihrer Patienten, die bei ihnen wegen ED in Behandlung standen, befragt. 80 Prozent der Patienten erachten die Sexualität als wichtigen Bestandteil einer Partnerschaft, und zwar unabhängig von der Altersgruppe. Rund ein Drittel berichtet über Hemmungen, mit dem Arzt über Sexualität zu sprechen, und zwei Drittel erwarten, dass der Arzt die Initiative zum Gespräch über sexuelle Schwierigkeiten übernimmt. Jeder dritte Patient wünscht eine Verordnung eines Medikamentes gegen ED ohne ein Gespräch. Und nur 4 Prozent der Ärzte gaben an, bei der letzten Konsultation eines ED-Patienten auch eine Sexualberatung als Ergänzung zur medikamentösen Behandlung eingesetzt zu haben. Bemerkenswert ist auch, dass 90 Prozent der Ärzte und Patienten der Meinung sind, dass eine ED in erster Linie medikamentös behandelt werden sollte.
Sexuelle Störungen bei Männern sind auf der ganzen Welt häufig und beeinträchtigen oft die Lebensqualität der Betroffenen wie auch deren Partner erheblich (1). Sexuelle Funktionsstörungen lassen sich im Wesentlichen in drei Bereiche einteilen: Störungen des sexuellen Interesses und Verlangens (Libidostörungen), Erektionsstörungen und Orgasmusstörungen (Ejakulationsstörungen). In der Global Study of Sexual Attitudes and Behaviours (GSSAB)(1, 2) mit weltweit 13 618 Männern wird, je nach Region – in Übereinstimmung mit anderen repräsentativen Studien (3, 4, 5) – die Ejaculatio praecox (20,7–30,5%) als häufigstes Problem beschrieben, gefolgt von der erektilen Dysfunktion (12,9–28,1%), der mangelnden sexuellen Appetenz (12,5–28,0%) und der Unfähigkeit, einen Orgasmus zu erreichen (9,1–21,1%) (Tabelle 1). Allein die Zahl der Männer mit erektiler Dysfunktion (ED) schätzten Laumann et al. (3) für die USA auf 30 Millionen und Casella et al. (6) für die Schweiz auf 400 000 Männer.
Das Arzt-Patienten-Gespräch in Schweizer Praxen In der Praxis, sowohl in Bezug auf die Anamnese, die Diagnose und die Therapie von sexuellen Problemen, ist das ArztPatienten-Gespräch der schwierigste Aspekt, der auch am meisten mit Fehlern behaftet ist. Das ergeben Studien aus
Merksätze
■ Neuere Studien zeigen, dass biologische, soziale, emotionale und Partnerschaftsfaktoren eine signifikante Auswirkung auf die Prävalenz von sexuellen Problemen haben.
■ Die morgendliche Erektion ist die letzte Erektion, die bei somatischen Ursachen verschwindet; umgekehrt schliesst das Vorhandensein einer morgendlichen Erektion eine organische Ursache nicht aus.
■ Liegen der sexuellen Störung eine behandelbare medizinische Ursache oder Risikofaktoren zugrunde, sollten diese zuerst therapiert werden.
■ Bei einer psychosozialen Ursache ist eine Psychotherapie oder psychologische Beratung indiziert. Manchmal reicht schon eine ärztliche Beratung eines feinfühligen und fachkundigen Hausarztes.
■ Da auch bei organischen Ursachen psychoreaktive Komponenten häufig eine wichtige Rolle spielen, ist auch dann eine Beratung bezüglich der psychischen Probleme unerlässlich.
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Tabelle 1: GSSAB (2005): Prävalenz von Sexualproblemen in Europa bei Männern zwischen 40 und Tabelle 1: 80 Jahren (1) — Angaben in Prozent
Nordeuropa (alle) gelegentlich regelmässig häufig Südeuropa (alle) gelegentlich regelmässig häufig
Ejaculatio praecox
20,7 10,3 7,3 3,2 21,5 8,3 10,1 3,2
Erektile Dysfunktion
13,3 5,1 5,7 2,1 12,9 4,9 6,1 1,9
Fehlen von sexuellem Interesse
12,5 5,6 4,4 2,5 13,0 6,6 5,1 1,3
Orgasmusunfähigkeit
9,1 3,9 3,1 1,6 12,2 5,4 5,2 1,6
Unbefriedigte Sexualität 7,7 3,2 2,6 1,8 9,1 4,0 3,7 1,4
Schmerzen während Sexualität
2,9 1,4 1,2 0,3 4,4 2,0 1,8 0,5
Ätiologie und Risikofaktoren Psychogene und organische Komponenten spielen in der Ätiologie eine Rolle, wobei je nach Störung und Einzelfall psychische oder organische Faktoren im Vordergrund stehen. Die sexuellen Funktionen und Dysfunktionen sind kompliziert und in vielen Aspekten noch nicht verstanden. Die ED ist deutlich mit dem Alter assoziiert, was auf eine wichtige biologische Komponente hinweist. Ebenfalls mit dem Alter nimmt die Ejaculatio praecox (EP) leicht zu, während die Angst vor der Sexualität mit dem Alter abnimmt und die Freude und Befriedigung an der Sexualität in allen Alterskategorien etwa gleich
Tabelle 2: Sexuelle Störungen und Probleme in den letzten 12 Monaten vor der Erhebung von Laumann et al. 1994 (9) — Angaben in Prozent
Alter Angst vor Erektile Ejaculatio Keine Freude (Jahre) Sexualität Dysfunktion praecox an Sexualität
Alle 17,0
10,4 28,5
8,1
zu bleiben scheint (9) (Tabelle 2). In vielen epidemiologischen Studien (1, 8, 10) wird eine deutliche Korrelation der ED mit biologischen Risikofaktoren nachgewiesen: Nikotinabusus, Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Hypercholesterinämie, Schlaganfall, Prostatahyperplasie, Adipositas, Endokrinopathien (Diabetes mellitus, Testosteronmangel, Schilddrüsen-, Nebennierenstörungen, Prolaktinom), Tumoren und neurologische Krankheiten. Die psychische Gesundheit und Stress haben ebenso einen signifikanten Einfluss auf sexuelle Funktionen. Die GSSAB findet eine Korrelation von sexuellen Funktionsstörungen mit Depressionen, Angststörungen, Stress
(z.B. wegen finanzieller Probleme), psychosozialen Faktoren wie niedrigem Bildungsstand, sozioökonomischen Faktoren und häufig mit Partnerschaftsproblemen (11, 12). Partner, die einander zeigen, dass sie sich gegenseitig für die alltäglichen Angelegenheiten des anderen interessieren und über ihre sexuellen Bedürfnisse sprechen, zeigen ein relatives kleines Risiko für Sexualstörungen. Die GSSAB erkennt bei Beziehungskrisen und bei Paaren, deren gegenseitiges Interesse abgeflaut ist, vermehrt Sexualstörungen.
18—24 25—29 30—34 35—39 40—44 45—49 50—54 55—59
21,3 14,8 13,8 18,2 19,3 15,8 19,4 11,4
5,6 26,6 9,1 29,5 10,0 29,2 7,5 30,6 9,9 26,1 10,4 27,3 21,5 25,1 20,2 35,2
8,4 9,7 9,2 5,6 8,9 6,9 7,5 7,0
Diagnostik Bei allen sexuellen Funktionsstörungen kann die Diagnose häufig durch eine ausführliche und gezielte Sexualanamnese gestellt werden (13, 14). Zur somatischen Untersuchung gehören ein Genitalstatus und die Diagnosen der Risikofaktoren. Bei diagnostischer Unsicherheit ist eine Überweisung an einen Facharzt (Urologen, Psychiater etc.) angezeigt. Es gibt für den Patienten nichts Frustrierenderes als eine begonnene Diagnostik mit einer missglückten Therapie ohne Antwort auf die Ursache des Versagens und ohne einen Ausweg.
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KOMMENTAR
Dr. med. Jean-Luc Fehr Klinik Hirslanden, Zentrum für Urologie, Zürich
Vorwand Prostata
Die vorliegende Arbeit gibt einen guten und kritischen Überblick
über die sexuellen Funktionsstörungen des Mannes. Richtiger-
weise wird die Schlüsselrolle des Grundversorgers aufgezeigt, der
auch ohne spezifische Ausbildung in Sexualmedizin beste Möglich-
keiten hat, die sexuellen Funktionsstörungen richtig zu erkennen
und zu deuten sowie die entsprechenden Weichen für die notwen-
dige Therapie zu stellen. Leider beschränkt sich die Sexualana-
mnese häufig auf die Befragung nach der Miktionssituation und
den Stuhlgewohnheiten. Hier besteht gleichzeitig die Möglichkeit,
ungezwungen nach der sexuellen Funktion zu fragen. Die Sexual-
anamnese eröffnet dem Hausarzt wesentliche Kenntnisse über die
psychische Verfassung seines Patienten, seine psychosozialen
Verhältnisse und über mögliche organische Ursachen einer
Sexualstörung oder organische Begleiterkrankungen. Viele Män-
ner besuchen ihren Hausarzt unter dem Vorwand der Prostata,
möchten aber primär die sexuelle Funktion ansprechen. Mit dem
Satz: «Möchten Sie sonst noch etwas ansprechen?» wird dem
Patienten die Möglichkeit gegeben, das noch häufig tabuisierte
Thema vorzubringen.
■
Anamnese Die Anamnese steht am Anfang und im Zentrum der Diagnostik. Im Laufe der Anamnese sollte sich abzeichnen, ob eine Störung primär psychisch oder organisch bedingt ist. Es handelt sich um den schwierigsten Teil der Diagnostik, da eine sexuelle Dysfunktion für viele Betroffenen ein Tabu bedeutet. Ausdruck davon ist, dass ein Teil der Patienten vom
Tabelle 3: PDE-5-Hemmer im Vergleich
Dosierungen Höchstdosis pro Tag Einnahmezeit Wirkdauer
Sildenafil (Viagra®)
Tadalafil (Cialis®)
25, 50, 100 mg 10, 20 mg
100 mg
20 mg
Vardenafil (Levitra®)
5, 10, 20 mg
20 mg
60 min vor GV 60 min vor GV 25—50 min vor GV
ca. 4–5 h
bis zu 36 h ca. 5–6 h
Arzt einfach «Viagra» verlangt, aber nicht bereit ist, für eine angemessene Diagnostik ausführlich Auskunft zu geben. Der Arzt benötigt viel Einfühlungsvermögen und Wissen über sexuelle Funktionen und ihre Störungen, um eine adäquate Anamnese aufnehmen und eine Beratung durchführen zu können. Die Sexualanamnese sollte nicht nur als eine Befragung, sondern als eher ein informatives Gespräch gestaltet werden, in dem Fragen und Ausdrücke wie Libido, Erektion, Orgasmus, Ejakulation, ED, EP, verminderte sexuelle Appetenz geklärt werden. Zur Sexualanamnese gehören: die Fragen nach sexuellen Erfahrungen, sexueller Entwicklung, Ablauf der sexuellen Reaktion, sexueller Zufriedenheit, Masturbation, bereits angewendeten Vermeidungsstrategien, dem Stellenwert der Sexualität und des Leidensdrucks. Die Partnerin sollte möglichst schon bei der Anamnese mit einbezogen werden, weil sich die Problematik besser erfassen lässt und sich dadurch manchmal auch eine andere Diagnose und Therapie ergibt. Weitere wichtige Teile der Anamnese: Alter, Sozialstatus, Begleiterkrankungen, Medikamente, Drogen, Alkohol, Paardynamik und Qualität der Partnerschaft, Psychostatus und Therapiewunsch. Ein besonderer Hinweis auf die morgendliche Erektion: Diese ist die letzte Erektion, die bei somatischen Ursachen verschwindet (14); umgekehrt schliesst das Vorhandensein einer morgendlichen Erektion eine organische Ursache nicht aus.
Prävention Bei der ED und seltener bei der EP bestehen die bereits erwähnten Risikofaktoren (4, 5). Deshalb ist es nur logisch, dass ein optimales Management dieser Krankheiten gegen die Entwicklung insbesondere der ED präventiv wirken kann. Obwohl dazu nur wenige Daten existieren, kann ebenso logisch gefolgert werden, dass Lifestyle-Modifikationen wie Vermeiden von Rauchen und Drogenkonsum, Halten des idealen Gewichts, regelmässige Bewegung und vernünftiger Alkoholkonsum präventiv wirken oder sogar eine ED zu verbessern vermögen (3, 4, 10).
Behandlung Liegen der sexuellen Störung eine behandelbare medizinische Ursache oder Risikofaktoren zugrunde, wie Depression, Angstoder Suchterkrankung, Medikamentennebenwirkungen, HerzKreislauf-Erkrankungen, Hypertonie, Diabetes mellitus und so weiter, sollten diese zuerst therapiert werden. Bei einer psychosozialen Ursache ist eine Psychotherapie oder psychologische Beratung indiziert. Manchmal reicht schon eine ärztliche Beratung eines feinfühligen und fachkundigen Hausarztes. Da auch bei organischen Ursachen psychoreaktive Komponenten häufig eine wichtige Rolle spielen, ist auch dann eine Beratung bezüglich der psychischen Probleme unerlässlich. Medikamentöse Therapie: Zur Behandlung der ED sind die Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (PDE-5-Hemmer) unter Berücksichtigung von Kontraindikationen und Anwendungseinschränkungen etablierte, gut verträgliche Medikamente
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(Tabelle 3). Eine Behandlung mit PDE-5-Hemmern kann vom Hausarzt nach gründlicher Anamnese «ex iuvantibus» versucht werden (14). Bei den anderen sexuellen Funktionsstörungen gibt es zwar interessante Ansätze und Studienergebnisse für verschiedene Medikamente, aber in der Schweiz bis anhin keine Zulassung für diese Indikationen. Psychoedukation/Beratung/Psychotherapie: Psychoedukation, Beratung und Psychotherapie beruhen auf gesichertem Wissen um Funktion und Dysfunktion sexueller Reaktionen. Es hilft häufig schon, den Patienten von heute geläufigen Mythen (wie: ein impotenter Mann kann seine Frau nicht glücklich machen oder ist nicht in der Lage, eine erfüllte Partnerschaft zu führen) zu befreien, die sich leider epidemisch ausgebreitet und Ärzte aller Fachrichtungen nicht verschont haben. Das gemeinsame Herangehen an das Problem mit einer fachgerechten Psychoedukation durch den Hausarzt oder Facharzt führt in einigen Fällen bereits zum Erfolg. Der Einbezug der Partnerin ist häufig hilfreich. Psychotherapeutisch stehen die integrierte Psychotherapie, die kognitive Verhaltenstherapie und Paartherapie zur Verfügung, wobei sexualmedizinische und paartherapeutische Erfahrung vorhanden sein sollte.
Fallbeispiele An zwei Fallbeispielen will ich mögliche psychologische Faktoren und Beratungsmöglichkeiten darstellen:
Fallbeispiel 1
Ein 47-jähriger Lehrer leidet seit 30 Jahren unter Erektionsstörungen und Ejaculatio praecox. Diese Problematik wirkte sich auf seine Lebensqualität aus und bewirkte depressive Verstimmungen. Er selber vermutete einen tiefer liegenden, unbewussten «psychischen Knopf», der sich nicht beheben liesse oder höchstens in einer intensiven, teuren und jahrelangen Psychoanalyse. Deshalb suchte er erst nach erheblichem Druck durch die zehn Jahre jüngere Partnerin den Psychiater auf. Sie dominierte ihn im Alltag, war wegen seiner sexuellen Störungen unzufrieden und hätte gerne ein Kind mit ihm gehabt. Er war überzeugt, dass die Ursache alleine in seiner Psyche lag, weil die sexuellen Störungen in den bisherigen vier Partnerschaften regelmässig nach drei Monaten auftraten, bei der Masturbation keine Störung vorhanden war, beim Oralverkehr die Erektion in 50 Prozent und beim Vaginalverkehr in 90 Prozent der Versuche versagte und er bei vollendetem Vaginalverkehr zum Leidwesen der Partnerin dann meist noch zu schnell war. In den letzten zwei Jahren vermied er den Vaginalverkehr, denn bei jedem Misserfolgserlebnis fühlte er sich traurig und nervös. Sexualität bedeutete für ihn ausschliesslich Vaginalverkehr. Was auf den ersten Blick nach einer langen Therapie bei einem komplizierten, chronischen Verlauf einer Sexualstörung aussah, konnte nach 15 Sitzungen (davon wenige Paargespräche) mit einem zufriedenen Patienten mit funktionierendem Geschlechtsverkehr abgeschlossen werden.
Wichtige Therapieelemente: Vermittlung der Erkenntnis, dass zugrunde liegende psychische Faktoren nicht unerreichbar tief sitzen müssen, diese mit psychiatrischer Hilfe leicht verstanden werden können und so veränderbar sind. Diese Beziehungsmuster werden vom Psychiater erfasst und dem Patienten kognitiv und emotional vermittelt. Er lernte, sich nicht mehr so stark dominieren zu lassen, seine Bedürfnisse anzumelden und mit der Partnerin Meinungsverschiedenheiten auszutragen, wozu die strittigen Verhütungs- und Kinderfragen gehörten. Das Wegbringen der Zuspitzung auf den Vaginalverkehr gelang durch das sogenannte Sensualitätstraining (Einbezug der Partnerin und Hausaufgaben mit spielerischen Streichelübungen, um sich gegenseitig besser in Bezug auf Erotik und Sexualität kennenzulernen).
Fallbeispiel 2
Ein 23-jähriger Physikstudent, der noch nie Sexualität, ein Liebesabenteuer oder eine Partnerschaft erlebt hatte, da er in Panik geriet, wenn Sexualität «drohte». Erster und einziger Versuch mit 18 Jahren, bei dem die Erektion völlig versagte und er glaubte, sich stark blamiert zu haben. Er versuchte One-NightStands mit unbekannten Frauen, da er annahm, so weniger unter Stress zu stehen. Aber bevor es zur Sache ging, machte er sich aus dem Staub. Was half: Vermitteln (intellektuell und emotional), dass sein Problem kein schwerwiegendes und auch kein seltenes Phänomen ist, da die Erektion beim Mann eben störanfällig ist; dass Frauen nicht erwarten, schon nach wenigen Tagen von einem potenten Mann völlig spontan in Ekstase gebracht zu werden; dass der Mann nicht aussergewöhnlich witzig und unterhaltend sein muss, um eine Frau erobern zu können (dann wäre die Menschheit langst ausgestorben); dass Erektionsstörungen seltener sind, wenn ein Paar sich beim Kennenlernen Zeit lässt, zuerst Vertrauen aufbaut und dann sich leichter getraut, über sich, die Verhütung und sexuell übertragbare Krankheiten zu sprechen. Nach 15 Sitzungen lernte er eine Studentin kennen, in die er sich verliebte und mit der die Sexualität von Anfang an gut funktionierte. Unser Student brauchte beim ersten Mal einen PDE-5-Hemmer, um seine Selbstsicherheit aufzubauen, und ärgerte sich danach darüber, da er es als Scheinsicherheit empfand und beim zweiten Mal nicht sicherer war, da er nicht wusste, ob es nur dank der Pille funktionierte, aber es funktionierte.
Diese verkürzten Falldarstellungen sollen nur einige psychologische Aspekte aufzeigen und dem Leser näherbringen, dass sexuelle Dysfunktionen von einem in Sexualmedizin ausgebildeten Psychotherapeuten manchmal in kurzer Zeit gebessert oder geheilt werden können.
Diskussion Die Einführung von Viagra® vor elf Jahren (FDA-Zulassung am 27.3.1998) ist die Folge von entscheidenden Fortschritten im Verständnis der Pathophysiologie der erektilen Dysfunktion
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und deren Behandlung. Nur: Macht Viagra auch glücklich? Manchmal schon, darauf deuten die hohen Verkaufszahlen hin. Öfters nicht, darauf deutet die hohe Rate von Therapieabbrüchen – 50 Prozent in zwei Jahren – hin (15). Viagra machte den Hersteller Pfizer zur Nummer eins auf dem Pharmamarkt: Bisher sollen etwa 250 Millionen Rezepte für 35 Millionen Männer weltweit ausgestellt worden sein; in der Schweiz allein sollen 100 000 Viagra-Tabletten pro Monat eingenommen werden (16). Für diesen Erfolg war nicht nur die wirksame Substanz Sildenafil verantwortlich, sondern auch ein effizientes Marketing. Seither wird die Literatur über sexuelle Funktionsstörungen von Fachleuten und Laien meist von PDE-5-Hemmern und der Erforschung anderer Medikamente dominiert, die Männer und Frauen zu Glück und Ekstase verhelfen sollen. Eine Metaanalyse der Behandlung mit Sildenafil zeigte eine signifikante Erhöhung der Anzahl Männer mit mindestens einer(!) Episode eines vollzogenen Geschlechtsverkehrs um 80 Prozent verglichen mit 45 Prozent bei Plazebo (17), und eine andere Studie mit 100 mg Sildenafil berichtete eine Zunahme von 51 Prozent verglichen mit 30 Prozent für Plazebo (18). Der hohe Prozentsatz der Plazebowirkung weist darauf hin, dass es offensichtlich wichtigere andere Komponenten der Wirksamkeit gibt als die Relaxation der glatten Muskulatur durch die PDE-5-Hemmer. Sexualität ist ein komplexes Geschehen, bei dem die Psyche, das Nervensystem und die Hormone einen wesentlichen Anteil haben, um eine befriedigende Sexualität zu erleben. Die anfängliche Euphorie bezüglich PDE-5-Hemmern bei Männern mit Impotenz und ihren behandelnden Ärzten scheint übertrieben. Von den sexuellen Problemen des Mannes lassen sich schätzungsweise nur 10 Prozent mit PDE-5-Hemmern zufriedenstellend bessern. Bei der Therapie aller sexuellen Funktionsstörungen muss beachtet werden, dass manche Paare einen funktionierenden Vaginalverkehr nicht als Voraussetzung für eine befriedigende Sexualität und schon gar nicht für eine glückliche Partnerschaft erleben. Wie oft suchte mich schon ein verzweifelter älterer Mann wegen Potenzstörungen auf, weil er darunter litt, seine Partnerin nicht mehr sexuell befriedigen zu können. Im gemeinsamen Gespräch gestand dann die Ehefrau, dass sie eigentlich ganz gut ohne Geschlechtsverkehr lebe und ihr in den letzten Jahren der Geschlechtsverkehr gar keine Freude mehr gemacht habe. Wenn wir Ärzte einem Menschen mit Problemen in der Sexualität wirklich helfen wollen, brauchen wir ein umfassendes Verständnis der Sexualität und deren Bedeutung für die Lebensqualität des Menschen. Diese Betrachtungsweise fliesst automatisch bei jeder Beratung eines Patienten mit sexuellen Funktionsstörungen ein. Die Erfahrung aus der Praxis von Ärzten und die Statistiken der Epidemiologen belegen, dass die Sexualstörungen und die Unzufriedenheit mit ihrem Sexualleben und ihrer Partnerschaft – trotz PDE-5-Hemmern – eher zu- als abnehmen (3). Was dagegen zu helfen vermag, ist das ärztliche Gespräch und dem Patienten gut zuhören zu können. Gerade bei diesen Problemen vermag das einfühlsame und
fachgerecht geführte Gespräch von der Anamnese bis zur
Therapie heilend zu wirken. Grundversorger können dabei
eine Schlüsselrolle einnehmen.
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Dr. med. Kurt April FMH Psychiatrie und Psychotherapie
Seestrasse 126 8810 Horgen
E-Mail: kurt.april@hin.ch
Interessenkonflikte: keine
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