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US-amerikanische Wissenschaftler halten Nutzen der Ganzkörperuntersuchung für schlecht untermauert
Was bringt das Screening auf Hautkrebs?
Kaum irgendwo in Europa erkranken prozentual so viele Menschen an einem malignen Melanom wie in der Schweiz. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Zahl der Neuerkrankungen auf 1700 Fälle pro Jahr verdoppelt. Jedes Jahr sterben in der Schweiz 250 Menschen an diesem Tumorleiden. Was liegt also näher als die Forderung, alles präventiv Mögliche und Sinnvolle zu tun, um die Entstehung von Hautkrebs durch geeigneten Sonnenschutz zu verhindern und über Früherkennungsmassnahmen Melanome rechtzeitig zu entdecken und zu behandeln. Bei diesem Tumor gilt als sicher: Je früher Melanome entdeckt werden, desto besser sind die Heilungschancen. Solcher Plausibilität zum Trotz ist es bislang nicht gelungen, den Nutzen von Screeninguntersuchungen in randomisierten und kontrollierten Studien überzeugend unter Beweis zu stellen. Eine australische Studie, die wirklich harte Daten liefern dürfte, wird
nicht vor 2015 erwartet. Entsprechend skeptisch klingen zwei kürzlich in den «Annals of Internal Medicine» (2009; 150: 188–193 und 194–198) publizierte systematische Analysen der U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF), einer öffentlichen akademischen Einrichtung, die in den USA Empfehlungen für präventiv-medizinische Massnahmen herausgibt. In dem Beitrag kommen die Autoren zu dem Fazit, es gebe nach wie vor «keine Evidenz aus kontrollierten Studien für einen Nutzen des Hautkrebsscreenings durch eine Ganzkörperuntersuchung.» Nutzen und Risiken der Hautuntersuchung beim Allgemeinarzt und die Selbstuntersuchung der Bevölkerung (nicht gemeint sind spezielle Hochrisikogruppen) seien schlicht aus den Daten nicht mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln. Bisherige Studien zeigten jedoch, dass Ärzte den Hautkrebs in früheren Stadien zu diagnostizieren imstande seien. In einer bevölkerungsbasier-
ten randomisierten und kontrollierten Screeningstudie aus Australien ergab sich eine Spezifität von 86 Prozent, der positive Vorhersagewert betrug aber nur knapp 3 Prozent. Derzeit gebe es allenfalls eine indirekte Evidenz , dass das Screening beim Arzt die Morbidität und Mortalität beeinflusse. Das Lebenszeitrisiko eines Amerikaners für ein Melanom beträgt momentan knapp 2 Prozent für Männer, mit 1,3 Prozent liegt es bei Frauen etwas geringer. Das Lebenszeitrisiko, an Hautkrebs zu sterben, beträgt 0,35 respektive 0,20 Prozent. Mehrere Studien hätten gezeigt, dass obwohl die Diagnose häufiger gestellt wird, mutmasslich aufgrund von Screeningprogrammen, die Melanomsterblichkeit sich nicht substanziell verändert hat. Auch Daten des National Cancer Institute lieferten keine Beweise dafür, dass die Ganzkörperuntersuchung bei nicht speziell gefährdeten Patienten einen Einfluss auf die Mortalität habe. Ob diese Daten sich auf alle Regionen der Welt übertragen lassen, erscheint aber ungewiss. Die Krebsliga Schweiz weist beispielsweise darauf hin, dass die Melanomsterblichkeit durch verbesserte Früherkennung gesunken sei. ■
U.B.
HIV/AIDS
Senkt frühe Therapie die Sterblichkeit?
Bis heute ist umstritten, wann asymptomatische HIV-Patienten mit einer antiviralen Behandlung beginnen sollten. Die North American AIDS Cohort Collaboration on Research and Design (NA-ACCORD) hat nun in Analysen von 20 prospektiven US-Kohorten zeigen können, dass die Sterblichkeit bei frühzeitiger Therapie geringer ausfällt als bei herausgezögertem Behandlungsbeginn. Die Daten wurden letzte Woche im «New England Journal of Medicine» online publiziert (www.nejm.org). In einer ersten Analyse verglichen Mari Kitahata von der Universität von Washington in Seattle rund 2000 Patienten, die bei CD4+-Zahlen von 351–500/mm3 mit der Therapie begannen, mit fast 6300 Patienten, die die Therapie erst nach einem weiteren Abfall der CD4+-Zellen starteten. Die Therapieverzögerung erhöhte das Sterberisiko
um 69 Relativprozent. In einer weiteren Analyse wurden 2220 Patienten, welche die Therapie sehr früh – bei CD4+-Zahlen von noch über 500/mm3 – begannen, mit fast 7000 Patienten verglichen, die mit der Behandlung abwarteten. Das Sterberisiko war hier gar um 94 Prozent erhöht. Kitahata und Mitarbeiter hatten sich dabei auch die Mühe gemacht, mögliche Störeinflüsse einzukalkulieren, wie etwa Alter und Geschlecht oder Koinfektion mit Hepatitis C oder i.v.Drogenkonsum. Dennoch lässt die Studie eine definitive Antwort über den richtigen Therapiezeitpunkt nicht zu. Es lasse sich nämlich nicht ausschliessen, dass die länger Lebenden bessere Ausgangsbedingungen hatten, geben die Editorialisten Paul E. Sax und Lindsey R. Baden unter Hinweis auf die limitierte Aussagekraft einer Beobachtungsstudie zu
bedenken. Eine wichtige Fehlerquelle ist
der Health-Seeking-Bias. Er besteht in die-
sem Fall darin, dass HIV-Patienten, die sich
für eine frühe Therapie entscheiden, ver-
mutlich insgesamt gesundheitsbewusster
leben als Patienten, die die Therapie hinaus-
zögern. Der gesündere Lebensstil kann sich
auch auf die Therapiecompliance auswir-
ken. Patienten, die später beginnen, nehmen
womöglich die Tabletten weniger zuverläs-
sig ein und springen bei Nebenwirkungen
schneller ab. Darauf deute tatsächlich die
geringere Rate der Virussuppression nach
12 Monaten bei Patienten mit spätem The-
rapiebeginn hin, meinen die Editorialisten.
Sie erkennen die Analyse der NA-ACCORD
deshalb nicht als Beweis für die Notwendig-
keit eines frühen Therapiebeginns an. Die
Entscheidung müsse unbedingt dem Patien-
ten selbst überlassen werden, zumal eine
Therapie auch mit Nebenwirkungen und
dem Risiko von Resistenzentwicklungen
behaftet sei.
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U.B.
308 ARS MEDICI 8 ■ 2009