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Arsenicum: Aprilnarren
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«Es darf nicht wahr sein, dass ich hier bin und streike!», seufzte der graumelierte Weisskittel neben mir. Dann klagte er mir sein Leid. Er sei ein Endfünziger, mit ganzem Herzen Landarzt, FDP-Mitglied, katholisch, in seiner Gemeinde engagiert, mit einer Pflegefachfrau seit 35 Jahren glücklich verheiratet. Er hätte es nie für möglich gehalten, bei etwas so Unwürdigem, Kindisch-Trotzigem, Linksradikalem wie einem Streik mitzumachen.
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arsenicum
«E s darf nicht wahr sein, dass ich hier bin und streike!», seufzte der graumelierte Weisskittel neben mir. Dann klagte er mir sein Leid. Er sei ein Endfünziger, mit ganzem Herzen Landarzt, FDP-Mitglied, katholisch, in seiner Gemeinde engagiert, mit einer Pflegefachfrau seit 35 Jahren glücklich verheiratet. Er hätte es nie für möglich gehalten, bei etwas so Unwürdigem, Kindisch-Trotzigem, Linksradikalem wie einem Streik mitzumachen. Zeit seines Lebens habe er Aufträge pflichtbewusst ausgeführt, habe sich an die Anordnungen von Vorgesetzten gehalten, seinen Patienten gedient, in Konfliktsituationen das Gespräch gesucht und einen Konsens oder Kompromiss ausgearbeitet. Und nun stünde er hier, mit einem albernen weissen Luftballon in einer Hand und einem Schild mit Slogan in der anderen. Und warum? Damit es ihm nicht verunmöglicht würde, seine Patienten – auch die, die nur meckern – weiter zu betreuen und zwölf Stunden am Tag zu einem eher mageren Lohn zu arbeiten. Er müsse heute seine Patienten im Stich lassen – auch seine allererste Patientin nach Praxiseröffnung, die gerade im Sterben läge – weil der Bundesrat seiner Partei uneinsichtig sei. Er fühle sich unwohl, dass er zu derartigen Mitteln greifen müsse, aber es gäbe keine andere Alternative. «Doch!», lachte seine Frau, die kampflustig neben ihm stand, «doch, es gibt eine Alternative. Gar nichts tun. Lass Herrn Couchepin und die Krankenversicherer doch unser Gesundheitswesen ruinieren, diese günstige Versorgung für jedermann und jedefrau, um die die ganze Welt uns beneidet. Dann geht es euch Hausärzten doch nur besser.» «Es wird dann wieder eine private Medizin kommen», orakelte der Kollege vor uns, ein bekennender grün-roter Linker, «wo sich Leute mit Geld gute Hausarzt- oder Spezialistenmedizin einkaufen. Und die anderen in schlechten, staatlich finanzierten Massenbetrieben abgefertigt werden.» «Von Krankenschwestern!», schnaubte die Dreissigjährige, modisch Gekleidete hinter uns. «Die machen dann die Triage. Verteilen Aspirin an Leute mit Subduralhämatom. Geben Epi-

leptikern mit Harnwegsinfekten Chinolone.» «Lassen Sie sich nicht in einen Konflikt mit Pflegefachfrauen hineininstrumentalisieren,» mahnte die Arztgattin des Streikunlustigen, «Herr Couchepin verfährt nach dem Prinzip ‹teile und herrsche›, genau wie im Streit um die Selbstdispensation mit den Apothekern. Er provoziert verschiedene Berufsverbände des Gesundheitssystems, sodass sie aufeinander losgehen und sich um Aufgaben und Entlöhnungen streiten, sich gegenseitig fertigmachen, und nicht gemeinsam gegen ihn vorgehen und für unser Gesundheitssystem kämpfen.» «Es ist ungeheuerlich, dass ausgerechnet ich als Linker einem Rechten wie Couchepin eine Dosis sozialdarwinistischen Medizinkapitalismus wünsche, dass ich der Ärzteschaft raten muss, betriebswirtschaftlich zu kalkulieren und ihre Expertenmacht für bessere Arbeitsbedingungen auszuspielen!» stöhnte der Grün-Rote. «Es ist unethisch, als Arzt zu streiken.» Eine dicke ältere Kollegin rief von hinten: «Nun seien Sie mal nicht so traurig, dass Sie gegen Ihre Prinzipien verstossen. Nehmen Sie es locker. Herr Couchepin wird mit freundlicher Mithilfe der Kassen unser gutes System zerstören und für sich selbst exzellente Leibärzte holen, die er fürstlich entlöhnt. Die Hausärzte werden aussterben und die Spezialisten werden endlich auch mal so abzocken wie es Banker und Manager seit Langem tun. Die Kassen werden trotzdem weiter jammern und angeblich kein Geld haben. Die Krankenschwestern werden als Hausarztersatz gute Arbeit leisten, die Apotheker einige ihrer Verschreibungsfehler noch verhindern. Die Toten, die wegen ungenügendem Wissen und Fehlentscheiden sterben, werden statistisch nicht gross auffallen. Und die Patienten? Die geben lieber für das neue Auto Geld aus, statt für eine Krankenkassenprämie, die ihnen eine gute Versorgung garantiert.» «Und warum demonstrieren Sie dann hier?», fauchte der Linke. «Weil ich das alles sehr schlimm finde und es nicht kampflos hinnehmen will!», lächelte die Dicke.

Aprilnarren

310 ARS MEDICI 8 ■ 2009