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STUDIE REFERIERT
Rhinitis ist bei Erwachsenen Prädiktor für Asthma
Nur Hausstaubmilbenallergie unabhängig assoziiert
Die vierte Gruppe umfasste Patienten mit allergischer Rhinitis, sodass bei ihnen sowohl eine Atopie als auch eine Rhinitis vorhanden war (n = 1217). Zur Charakterisierung des Zusammenhangs zwischen Rhinitis und Asthma wurden proportionale Risikomodelle nach Cox verwendet.
In zahlreichen Querschnittsstudien
wurde bereits ein enger Zusam-
menhang zwischen allergischer
Rhinitis und Asthma beobachtet.
Eine internationale populations-
basierte Longitudinalstudie zeigt
nun, dass bei Erwachsenen vor
allem die allergische, aber auch
die nicht allergische Rhinitis mit
einem erhöhten Risiko für eine
spätere Asthmaerkrankung ver-
bunden ist.
THE LANCET
Die Prävention von Asthmaerkrankungen durch Identifizierung und Management von Risikofaktoren und präklinischen Phasen ist von grosser Bedeutung. In zahlreichen epidemiologischen und klinischen Studien wurde ein enger Zusammenhang zwischen allergischer Rhinitis und Asthma beobachtet. Querschnittsstudien zufolge treten Asthma und Rhinitis häufig gemeinsam auf, sind mit den gleichen Risikofaktoren, einschliesslich der Atopie, verbunden und könnten sogar Manifestationen der gleichen Erkrankung sein. Die wenigen longitudinalen Studien, in denen der zeitliche Zusammenhang bei-
der Erkrankungen untersucht wurde, ergaben, dass der Entwicklung von Asthma oft eine Rhinitis vorangeht.
Longitudinale Datenanalyse Die Querschnittsdaten des European Community Respiratory Health Survey (ECRHS) belegen sowohl bei atopischen als auch bei nicht atopischen Erwachsenen eine positive Assoziation zwischen Rhinitis und Asthma. Die Autoren nutzten nun die Follow-up-Daten dieser Studie, um die Häufigkeit der Neuerkrankungen von Asthma bei Studienteilnehmern mit allergischer und nicht allergischer Rhinitis innerhalb eines Zeitraums von 8,8 Jahren zu ermitteln. Dazu führten die Wissenschaftler eine longitudinale populationsbasierte Analyse der Studiendaten des ECRHS aus 29 Zentren in 14 meist westeuropäischen Ländern durch. Im Rahmen der Analyse wurden die Daten von 6461 Patienten im Alter von 20 bis 44 Jahren ausgewertet. Eine Asthmainzidenz wurde als durch den Arzt bestätigtes Asthma zwischen beiden Erhebungen definiert. Das Vorliegen einer Atopie wurde über einen positiven Pricktest gegenüber häufigen tierischen und pflanzlichen Allergenen nachgewiesen. Bei Studienbeginn wurden die Teilnehmer in vier Gruppen klassifiziert: Die Teilnehmer der Kontrollgruppe (n = 3163) litten zu Studienbeginn weder an Asthma noch an Rhinitis. Bei den Mitgliedern der zweiten Gruppe bestand zwar eine Atopie, aber keine Rhinitis (n = 704). In der dritten Gruppe litten die Patienten an einer nicht allergischen Rhinitis. Somit lag bei ihnen zwar eine Rhinitis, aber keine Atopie vor (n = 1377).
Rhinitis und Asthmarisiko Die kumulative Asthmainzidenz betrug 2,2 Prozent (140 Personen, 91 Frauen und 49 Männer) über den gesamten Beobachtungszeitraum von 8,8 Jahren. Die Inzidenzen in den einzelnen Gruppen waren unterschiedlich. In der Kontrollgruppe der Patienten ohne Atopie und ohne Rhinitis betrug die Inzidenz 1,1 Prozent, und in der Gruppe mit nur atopischen Patienten lag sie bei 1,9 Prozent. Bei Patienten mit nicht allergischer Rhinitis wurde eine Asthmainzidenz von 3,1 Prozent beobachtet. In der Patientengruppe mit allergischer Rhinitis trat Asthma mit 4,0 Prozent am häufigsten auf. Nach rechnerischem Abgleich für Land, Geschlecht, Alter bei Studienbeginn, Body-Mass-Index (BMI), Einsekundenkapazität (FEV1), Immunglobulin E (IGE), familiäres Asthma und Rauchen wurde das adjustierte relative Asthmarisiko ermittelt. Bei Patienten, die lediglich unter Atopie gelitten hatten, betrug das adjustierte relative Risiko für Asthma 1,63. Für Patienten mit nicht allergischer Rhinitis wurde ein Wert von 2,71 ermittelt.
Merksätze
■ Bei Erwachsenen mit allergischer Rhinitis besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Asthma.
■ Eine Rhinitis ist auch ohne Atopie ein starker Prädiktor für Asthma.
■ Die bronchiale Hyperreaktivität ist vermutlich ein intermediärer behandelbarer Zustand im Entwicklungsprozess von der allergischen Rhinitis zum Asthma.
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STUDIE REFERIERT
KOMMENTAR
Hans-Peter Anderhub, La Punt Chamues-ch
Was bedeutet dies für die Praxis?
Bei Rhinitis «die Ohren spitzen»! Dies ist wieder einmal ein «schönes» Beispiel einer hoch wissenschaftlichen Studie gespickt mit entsprechenden Fachausdrücken («populationsattributables Risiko für Asthma» etc.), die aber wahrscheinlich den Grundversorger eher verwirrt entlässt und ihm kaum weiterhelfen wird. Was hier so verklausuliert zum Ausdruck gebracht wird, ist doch die einfache Tatsache, dass Asthma wie Rhinitis ein Problem derselben, entzündlich befallenen, respiratorischen Schleimhaut sind, unabhängig davon, ob eine Allergie mitspielt oder nicht. Denn nur bei ungefähr 20 Prozent der Rhinitiker/Asthmatiker ist die Allergensuche erfolgreich! Wird einmal eine Allergie gefunden, muss man sich erst noch fragen, wie relevant diese überhaupt ist. Die Grundprozesse sind identisch. Das respiratorische Schleimhautsystem ist erkrankt, und zwar entzündlich und ausgeprägt! Beschränkt sich die Entzündung — bei den wenigen Glücklichen — nur auf die Nase, dann spricht man logischerweise nur von Rhinitis. Die Entzündungskaskade kann jedoch häufig weitergehen, und die Entzündungsmediatoren werden irgendwann auch die bronchiale Schleimhaut erreichen. Zuerst vielleicht nur in geringerem Mass, was Symptome erzeugt, die unter den Begriff «bronchiale Hyperreaktivität» fallen. In der Folge macht sich die Entzündung aber häufig immer ausgeprägter bemerkbar, und es kommt zum klinisch typischen Bild, das dann auch weniger Geneigte schliesslich als «Asthma» erkennen. Immer noch drücken sich aber zu viele Ärzte um das Wort «Asthma» und tun sich schwer, eine Asthmatherapie einzuleiten, wenn Hinweise auf Allergien fehlen.
Die Entzündungsmediatoren und -zel-
len kümmern sich einen Deut um
unsere Abgrenzung in «obere» und
«untere» Luftwege. Wichtig für den
Arzt ist, dass er die gesamte respira-
torische Schleimhaut als «ein einziges
System» wahrnimmt, bei dem eher
selten nur ein einzelner Teil befallen ist. Früher
oder später wird die Entzündung das ganze Sys-
tem der respiratorischen Schleimhaut erfassen.
Der praktische Arzt muss sich vom «Allergie»-
Gedanken zu lösen versuchen, keine Zeit und
Geld für die Allergiefahndung verschwenden,
was leider immer noch flächendeckende Usanz
ist. Sondern laut «Entzündung!» schreien und
diese unverzüglich und zielgerichtet zu behan-
deln beginnen, Allergie hin oder her.
Wichtig bleibt, dass wir Ärzte bei einer Rhinitis
sofort aufhorchen und vorwärts gerichtet zu
denken beginnen, um die Frühsymptome eines
Asthmas, die bronchiale Hyperreaktivität, nicht
zu übersehen. Die bronchiale Hyperreaktivität
ist in ihren Erscheinungen so vielfältig und dem
klassischen Asthma so völlig unähnlich, dass sie
häufig leider nur die Spezialisten mit ihrem
geschulten Sensorium und dem Hilfsmittel des
Methacholintests bemerken. Die bronchiale
Hyperreaktivität ist schillernd wie ein Chamä-
leon, kann sich — komplett asthmaatypisch — als
Müdigkeit, Hüsteln, Husten, Leistungsverminde-
rung, Abgeschlafftheit, thorakale Druckgefühle,
Nicht-Durchatmen-Können, Seufzerzwang, Gäh-
nen und anderes mehr äussern. Bei solchen dif-
fusen Symptomen, im Zusammenhang zum
Beispiel mit oder auch ohne Rhinitis, sind nicht
Hustenmittel, Schleimlöser, Antibiotika, Tranqui-
lizer oder gar der Psychiater die Lösung. Das
Zauberwort heisst Therapie der Entzündung,
sprich Asthmatherapie, und zwar nicht nur für
eine Woche, sondern zum Beispiel für zwei oder
drei Monate, je nach Beschwerdebild und in vol-
ler Dosierung. Und die Therapie einer solchen
Entzündung ist einfach: topische Steroide in
genügend hoher Dosierung und genügend lang,
für Nase und Bronchien.
■
Bei den Studienteilnehmern mit allergischer Rhinitis war das adjustierte relative Asthmarisiko mit 3,53 am höchsten. Stratifizierungen der Untersuchungspopulation nach Alter, Raucherstatus, Body-Mass-Index oder familiärem Asthma veränderte das Assoziationsmuster zwischen Rhinitis und Asthma nicht.
Insgesamt betrug das populationsattributable Risiko für Asthma aufgrund einer allergischen Rhinitis 32 Prozent (48% bei Männern und 23% bei Frauen). Das korrespondierende populationsattributable Risiko für Asthma aufgrund einer nicht allergischen Rhinitis betrug 27 Prozent (35% bei Männern und 23% bei Frauen).
Allergene, allergische Rhinitis und Asthma Die Verbindung von Asthma und allergischer Rhinitis war bei Patienten mit Sensibilisierung gegenüber mehr als drei Allergenen ausgeprägter als bei Teilnehmern, deren Rhinitis durch weniger als drei Allergene hervorgerufen wurde. Berechnungen bezüglich der Art der Allergene ergaben, dass nur die allergische Rhinitis aufgrund einer Sensibilisierung gegenüber Milben mit einem erhöhten Risiko für Asthma (2,79) verbunden war, unabhängig von anderen Allergenen.
Bronchiale Hyperreaktivität als intermediärer Faktor «Die bronchiale Hyperreaktivität ist wahrscheinlich ein intermediärer Faktor im Entwicklungsprozess von der allergischen Rhinitis zum Asthma», schreiben die Autoren. Zwei Argumente stützen diese Hypothese. Zum einen ist die allergische Rhinitis ein Risikofaktor für bronchiale Hyperreaktivität bei nicht asthmatischen Erwachsenen. Zum anderen weiss man mittlerweile, dass der Entwicklung von symptomatischem Asthma häufig eine asymptomatische bronchiale Hyperreaktivität vorangeht und diese somit als Risikofaktor für die Erkrankung angesehen werden kann. In der vorliegenden Studie nahm das Asthmarisiko nach rechnerischem Abgleich für bronchiale Hyperreaktivität beträchtlich ab. Dies weist darauf hin, dass die allergische Rhinitis teilweise in der Entwicklung einer bronchialen Hyperreaktivität resultiert. Diese Beobachtung ist von Bedeutung, weil die bronchiale Hyperreaktivität als dynamischer Prozess angesehen wird, der mit einer antientzündlichen Therapie beeinflusst werden kann. Für die Interaktion zwischen den oberen und den unteren Luftwegen könnten lokale Mechanismen wie der Verlust der schützenden Funktion der Nase oder die Aspiration von Nasensekreten verantwortlich sein. Mittlerweile wird jedoch vor allem ein systemischer Pfad zur Erklärung der Wechselwirkungen favorisiert. In Provokationsstudien wurde eine Zunahme an zirkulierenden Entzün-
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STUDIE REFERIERT
Inzidenz von Asthma in Patientengruppen mit und ohne vorbestehende Atopie und/oder Rhinitis (n = 6461)
Gesamtkollektiv keine Atopie, keine Rhinitis Atopie, aber keine Rhinitis nicht allergische Rhinitis allergische Rhinitis
Kumulative Asthmainzidenz
2,2% 1,1% 1,9% 3,1% 4,0%
Adjustiertes relatives Risiko (95%-Konfidenzintervall) — — — 2,71 (1,64—4,46) 3,53 (2,11—5,91)
hen ist, sondern den gesamten Atem-
trakt in Mitleidenschaft zieht, auch wenn
kein klinisches Asthma vorliegt. Unter
der Annahme, dass die Entzündung
auch bei nicht allergischer Rhinitis vor-
liegt, ist die systemische Ausbreitung der
Entzündung von der nasalen zur bron-
chialen Mukosa eine wahrscheinliche
Erklärung für die Verbindung zwischen
Rhinitis und Asthma. Nur Interventions-
studien könnten aber Aufschluss geben,
ob die Behandlung der allergischen Rhi-
nits das Auftreten von Asthma tatsäch-
lich effektiv beeinflusst.
■
dungszellen und Mediatoren nach Inhalieren von Allergenen beobachtet. Vermutlich resultiert der Übergang von Entzündungsmodulatoren wie Interleukin-5 und Eotaxin vom Entzündungsort in die
systemische Zirkulation in der Ausschüttung von Eosinophilen, Basophilen und deren Vorläuferzellen aus dem Knochenmark. Somit gibt es Hinweise, dass die allergische Rhinitis kein lokales Gesche-
Shabaan Rafea, Zureik Mahmoud et al.: Rhinitis and onset of asthma: a longitudinal population-based study, Lancet 2008; 372: 1049—1057.
Interessenkonflikte: keine
Petra Stölting
BEKANNTMACHUNG
15th Wonca Europe Conference 32. SGAM-Kongress / 32e Congrès de la SSMG
16. bis 19. September 2009, Congress Center Basel
Thema: The Fascination of Complexity — Dealing with Individuals in a Field of Uncertainty
Organisationskomitee: Bruno Kissling, MD Prof. Peter Tschudi, MD Heinz Bhend, MD Bruce Brinkley, MD Dagmar Haller-Hester, MD, PhD François-Gérard Héritier, MD Lilli Herzig, MD Astrid Lyrer, MD Monika Reber Feissli, MD
Wissenschaftliches Komitee: Prof. Peter Tschudi, MD, Basel Lilli Herzig, MD, Lausanne Prof. Edouard Battegay, MD, Zürich Prof. André Busato, MSc, PhD, Bern Prof. Jacques Cornuz, MD, MPH, Lausanne Prof. Jean-Michel Gaspoz, MD, MSc, Genf Prof. Mario Gehri, MD, Lausanne Urs Glenck, MD, Zürich Beat Künzi, MD, Bern Danièle Lefebvre, MD, Genf Milo Puhan, MD, PhD, Zürich Andreas Rothenbühler, MD, Bern
Administrative Leitung: Dr. Schlegel Healthworld AG Heidi Fuchs / Andrea Studer Sennweidstrasse 46 6312 Steinhausen Tel. 041-748 76 00 Fax 041-748 76 11 E-Mail: a.studer@schlegelhealth.ch Internet: www.congress-info.ch
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