Transkript
BERICHT
Leber: «Sitz des Lebens» und mehr
Phytotherapeutika für Leber, Galle, Magen und Darm
Bei gewissen Erkrankungen von Leber, Gallenblase, Gallenwegen und Bauchspeicheldrüse und beim Bild dyspeptischer Beschwerden können Phytotherapeutika die Schulmedizin sinnvoll ergänzen.
23. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft
für Phytotherapie (SMGP) in Baden/AG am 20. November 2008
JEAN-MICHEL JEANNIN UND BEAT MEIER
Die Leber aus schulmedizinischer … Prof. Dr. med. Jürgen Drewe, klinischer Pharmakologe am Universitätsspital Basel, resümierte zunächst wichtige Grundlagen: Die Leber ist rund 1,5 kg schwer, wird pro Minute von 1,5 Litern Blut durchflossen und scheidet täglich rund 250 ml Galle in den Darm aus. Die Galle enthält Gallensäuren, Bilirubin, allenfalls Schadstoffe, metabolisierte Medikamente und Metalle. Die Leber ist für die Entgiftung vieler potenziell toxischer, vor allem lipophiler Xenobiotika wichtig und entgiftet auch endogene Stoffwechselprodukte. Die Stoffe werden mit Hilfe des P450-Enzymsystems oder durch Konjugation hydrophiler Komponenten in wasserlösliche Metabolite umgewandelt, die besser ausgeschieden werden können. Die Konjugation mit Glukuronsäure (Glukuronidierung) ist der Haupteliminationsweg für Xenobiotika. Selten werden Substanzen durch diese Reaktionen in toxische Stoffe umgewandelt (Giftung, z.B. Paracetamol). Akute und chronische Krankheiten (z.B. Virushepatitiden) sowie Intoxikationen durch Alkohol, Medikamente und Gifte können die Leber akut oder chronisch schädigen. Die von Medikamenten induzierte Hepatopathie
gehört zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln und ist auch der häufigste Grund für den Rückzug von zugelassenen Medikamenten. Nur für wenige Hepatotoxine gibt es ein Antidot, beispielsweise Acetylcystein zur Behandlung einer ParacetamolIntoxikation. Auch pflanzliche Arzneimittel wurden und werden gelegentlich mit Leberschäden in Verbindung gebracht. Das therapeutische Arsenal der Schulmedizin zur spezifischen Behandlung von Lebererkrankungen ist relativ beschränkt: Interferone und Ribavirin zur
ter erkannt und ein Blick in die Zukunft geworfen werden. Funde aus Mesopotamien, aus dem antiken Griechenland und aus der römisch-etruskischen Kultur zeugen von der Praxis der Leberschau. Als Sitz des Lebens ist die Leber auch das Organ des Fühlens und Denkens. Die zum Verdauungssystem gehörenden Organe (Leber, Gallenblase, Gallenwege, Bauchspeicheldrüse) stehen in sehr enger topografischer und funktioneller Beziehung zum Magen und zum Darm, sodass sie aufeinander und auf das Befinden des Menschen grossen Einfluss haben. In der Phytotherapie
«Leber, Gallenblase, Gallenwege, Bauchspeicheldrüse sind als ein System und nicht einzeln zu betrachten.»
Behandlung von Hepatitiden, Stimulierung der Regeneration durch Zytokine, Darmsterilisation bei zirrhotischer Enzephalopathie. Oft bleibt nur die Transplantation.
… und in komplementärmedizinischer Sicht Professor Reinhard Saller (Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Universität Zürich) erinnert daran, dass die Leber in verschiedenen Kulturen des Mittelmeerraums als Sitz des Lebens galt. Durch die Betrachtung der Leberoberfläche (Leberschau) konnte der Wille der Göt-
werden zur Therapie von Beschwerden im Bereich von Magen, Leber und Galle sowie zur Behandlung der Dyspepsie und des Reizdarms zum grössten Teil dieselben Mittel verwendet, weil enge funktionelle Zusammenhänge bestehen. Saller rief dann auch dazu auf, die vier Organe wieder als System und nicht einzeln zu betrachten. «Moderne» Lebermittel sind die Artischocke (Cynara scolymus, Extrakte aus den getrockneten Blättern), Sojaphospholipide (Lecithinum ex soja; Extrakte) und die Mariendistel Silybum marianum (Extrakte aus den Früchten stan-
278 ARS MEDICI 7 ■ 2009
BERICHT
dardisiert auf Silymarin/Silibinin). Die Mariendistel fördert die Fähigkeit, sich gegenüber emotionaler und physischer Ausbeutung, gegenüber Angriffen sowie Manipulationen angemessen zu behaupten. Sie unterstützt damit die Wahrung der eigenen Persönlichkeit, indem sie die aktive Abgrenzung gegenüber schädigenden psychischen Einflüssen stärkt.
ser qualifizierten therapeutischen Vielfalt bei.
Mariendistel Viele Leberkrankheiten können mit schulmedizinischen Methoden nur unvollkommen oder zum Preis von starken Nebenwirkungen geheilt werden. Professor Manfred Wiese, Chefarzt am Klinikum St. Georg in Leipzig, bot einen
«In klinischen Studien konnte mit Mariendistelextrakten eine Verbesserung der Leberfunktion und der Histologie nachgewiesen werden, ebenso eine Verminderung der Lipidperoxidation sowie eine Verbesserung des physiologischen Antioxidanzien-Status.»
Neben den Mitteln der modernen Phytotherapie gibt es auch spezifische Kräutermischungen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin, aus der Tibetischen Medizin und aus der Ayurvedischen Medizin. Eine ganzheitliche Betrachtung und Deutung von «Leber» eröffnet vielschichtige Möglichkeiten von phytotherapeutischen Behandlungsansätzen, was die Anwendungsmöglichkeiten von differenten «Lebermitteln» erheblich erweitert. Depressive Störungen, psychosomatische Erkrankungen, somatoforme Symptomkomplexe oder die ebenso häufigen wie konventionell schwierig zu behandelnden Symptome von Müdigkeit und Erschöpfung werden in der Komplementärmedizin oft in einen Zusammenhang mit einer ungenügenden Funktion der Leber gebracht. In diesem Kontext erhalten zudem die phytotherapeutischen Tonika eine erweiterte, relevante Bedeutung. «Bitter» ist entwicklungsgeschichtlich mit «Gefahr» verbunden. Die zahlreichen Rezeptortypen ermöglichen es dem Menschen, eine Vielzahl chemisch unterschiedlicher Bitterstoffe zu erkennen. Zahlreiche Bitterstoffe besitzen eine niedrige Entdeckungsschwelle. Da sie keine einheitlichen Strukturmerkmale aufweisen, ist das Drogenspektrum breit. Der Charakter der phytotherapeutischen Wirkstoffe mit ihrer komplexen Vielstoffnatur trägt entscheidend zu die-
Überblick über die klinische Forschung und die praktische Anwendung der Mariendistel, die schon in der Antike als Heilmittel geschätzt war. Die wichtigste wirksame Substanz aus den Früchten der Mariendistel ist das Silymarin, welches nach peroraler Verabreichung zu Silibinin umgewandelt wird und über den enterohepatischen Kreislauf in die einzelne Leberzelle gelangt. Pharmakologisch nachgewiesen sind folgende Wirkungen: Antidot (z.B. nach Knollenblätterpilz-Vergiftung), Hemmung der Lipidperoxidation, Radikalfänger, antifibrotische Aktivität, Verstärkung der Regenerationskraft der Leber. In klinischen Studien unterschiedlicher Qualität konnte eine Verbesserung der Leberfunktion und der Histologie nachgewiesen werden, ebenso eine Verminderung der Lipidperoxidation, eine Verbesserung des physiologischen Antioxidanzien-Status und eine Verminderung der nekrotisch-entzündlichen und fibrotischen Vorgänge. Interessante Ergebnisse wurden mit neuster Forschung in zwei klinischen Studien erzielt: Träger einer chronischen Hepatitis C, die auf eine Kombinationstherapie mit pegyliertem Interferon (PegIFN) und Ribavirin nicht angesprochen hatten, erhielten in einer ersten Phase Silibinin i.v. verabreicht. Die Behandlung wurde anschliessend mit der üblichen PegIFN-Ribavirin-Therapie
und zusätzlich mit der Verabreichung von Legalon® per os weitergeführt. In beiden Studien konnte nach der ersten Phase eine Abnahme der Viruslast beobachtet werden, welche sich in der zweiten Phase fortsetzte. Sollten diese Resultate bestätigt werden, dürften die Inhaltsstoffe der Mariendistel in Zukunft grosses Interesse wecken. In der Diskussion stand die Frage im Vordergrund, ob die virale Belastung auch mit oraler Mariendistel-Therapie reduziert werden kann. Dafür liegen Erfahrungen aus der Praxis von Tagungsteilnehmern, aber – so Professor Wiese – keine dokumentierten Fakten vor.
Gift und Gegengift: Knollenblätterpilz/Mariendistel Nicht alles, was uns die Natur gibt, ist harmlos und hilfreich. Naturstoffe können teleologisch als Abwehrstoffe einer Spezies gesehen werden, welche ihr zum Überleben helfen. Es gibt allerdings nur wenige Naturstoffe, die beim Menschen zu klinisch relevanten Leberschäden führen. Der Mechanismus solcher toxischer Wirkungen ist weitgehend ungeklärt, da praktisch keine Forschungsmittel zur Verfügung stehen, beklagte Professor Thomas Zilker, Toxikologe am Klinikum der Technischen Universität München. Die Lebertoxizität ist für einige, naturheilkundlich auch früher nur selten eingesetzte Pflanzen einigermassen gesichert: Von Preslia cervina (Pennyroyal, Englische Wasserminze), Teucrium chamaedrys (englisch Germander, deutsch Garmander) und Larrea tridentata (Chaparral) liegen entsprechende Berichte vor. Beim Beinwell (Symphytum officinalis, Comfrey, Gemeiner Beinwell) sind die Pyrrozilidinalkaloide für die Vergiftungen nach chronischer Einnahme in grossen Mengen (als Salat) für die Toxizität verantwortlich. Die in der Schweiz zugelassenen topischen Arzneiformen, die zur Nachbehandlung von stumpfen Verletzungen sehr populär sind, enthalten ausschliesslich Extrakte, aus welchen die Pyrrozilidinalkaloide entfernt sind. Daher tauchen in der Arzneimittelinformation keine entsprechenden Warnhinweise auf.
ARS MEDICI 7 ■ 2009 279
BERICHT
Nach wie vor unklar sind die Ursachen
der unter Kawa beobachteten fulminanten Hepatitiden. Gesichert scheint nur eine Enzyminduktion bei chronischem
Die 24. Jahrestagung für Phytotherapie findet am 19. November 2009 wiederum in Baden zum Thema «Phytotherapie und Sport» statt.
Gebrauch mit einem Anstieg der
Gamma-GT. Es bleibt trotzdem umstrit- die akademische Medizin hat Gebrauch ■ Der Rettich gilt als warm reinigend.
ten, ob Kava-Präparate hepatotoxisch und Indikationen der Heilpflanzen in
Er fördert die Verdauung und wirkt
sind. Professor Zilker hatte an seiner neue Konzepte einbezogen, erläuterte
choleretisch und cholezystokinetisch.
Klinik jedoch einen Fall einer Intoxika- Dr. med. Dr. rer. nat. Bernhard Uehleke.
Entsprechend sind dyspeptische Be-
tion nach Langzeit-Einnahme von Kava- Im 18. und 19. Jahrhundert wird das In-
schwerden eine Hauptanwendung. Er
Extrakten, welche eine Lebertransplan- teresse auf Pflanzen mit deutlichen,
wird auch in Diäten zur Gewichts-
tation bedingte. Alle anderen Ursachen akuten Wirkungen fokussiert, was mit
reduktion eingesetzt.
konnten ausgeschlossen werden.
Hilfe grober Tiermodelle zur Isolierung ■ Die Gelbwurz zeigt ein ähnliches
Gesichert ist die Toxizität der Amatoxine aktiver Substanzen und zur Differenzie-
Profil. Sie ist choleretisch, cholezysto-
des Knollenblätterpilzes, des Nadelholz- rung in Magen- und Gallemittel führt.
kinetisch und magenanregend. Ihr
häublings und einiger Lepiota-Arten Fehlerhafte Modelle (Magenfistel, Galle-
Einsatzgebiet sind dyspetische Be-
(Schirmlinge). Auch wenn keine ran- fistel) unterstützten diesen Trend.
schwerden.
domisierten Doppelblindstudien durch- Uehleke präsentierte die heute im Indi-
geführt werden können, so ist die intra- kationsgebiet bedeutenden Arzneipflan- Als Phytotherapeutika für Magen und
venöse Verabreichung von Legalon SIL®, zen mit ihren modernen Indikationen:
Darm gelangen einerseits Bitterstoffe
einem hochdosierten parenteralen Prä- ■ Schöllkraut wird bei krampfartigen (Enzian, Tausendgüldenkraut, Ingwer,
parat (20 mg/kg KG Silibinin), bei Knol-
Beschwerden der Gallenwege und Wermut), andererseits ätherische Öle
lenblätterpilz-Vergiftung im Rahmen
des Magen-Darm-Trakts angewendet. (Minze und Pfefferminze, Kümmel,
einer komplexen Intensivtherapie all-
Da – selten beobachtet bei heute Fenchel, Anis) zum Einsatz, ebenso ent-
gemein akzeptiert. Die früher übliche
nicht mehr gebräuchlichen hohen zündungshemmende Pflanzen (Kamille,
Süssholz) und Laxanzien (Quellstoffe:
Flohsamen; Anthranoiddrogen: Senna,
«Die in der Schweiz zugelassenen topischen Arzneiformen von Beinwell enthalten ausschliesslich Extrakte,
Aloe, Faulbaum, Medizinischer Rha-
barber).
■
aus welchen die lebertoxischen Pyrrozilidinalkaloide
Jean-Michel Jeannin, Beat Meier
entfernt sind.»
Verabreichung von Penicillin alleine oder in Kombination mit Silibinin hat die Überlebenschancen klar verringert, weshalb Zilker dringend davon abriet.
Von der Klostermedizin zum modernen Extrakt Die Klöster haben das medizinische Wissen der Antike bewahrt, gepflegt und angewendet. Grundlage waren die vier Elemente nach Empedokles – Luft, Feuer, Erde, Wasser –, die vier Säfte nach Galen und Avicenna – Sanguis, Chole, Melanchole, Phlegma – sowie die vier Qualitäten – warm, kalt, feucht, trocken. Das Wissen ging später von den Klöstern in die akademische Medizin und in die Volksmedizin über. Die Volksmedizin hat die Indikationen und Anwendungen unverändert übernommen,
Dosierungen – ein gewisses Risiko für Lebertoxizität besteht, sollen nach vier Wochen die Leberparameter bestimmt werden. Bei vorbestehendem Leberschaden ist Schöllkraut kontraindiziert. ■ Löwenzahn fördert die Gallemotilität und kann bei «träger Galle» verabreicht werden. ■ Die Artischocke gilt als warme und feuchte Pflanze. Ihre wichtigsten Wirkungen sind eine Anregung des Magens, der Galle und des Stoffwechsels sowie eine Senkung des Cholesterins. Die Minze ist warm und trocken und wird bei «verstopfter Leber», Gallenwegsdyskinesien und Reizdarm eingesetzt. Sie wirkt spasmolytisch, choleretisch und cholezystokinetisch.
Korrespondenzadresse: Geschäftsstelle SMGP
c/o Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften
Life Sciences und Facility Management
Grüental, Postfach 335 8820 Wädenswil
E-Mail: Beat.Meier@zhaw.ch
280 ARS MEDICI 7 ■ 2009