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Arsenicum: Jobs für Alte
Untertitel
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Lead
Frau S. unterrichtete Ölmalerei in der Klubschule Migros. Als sie pensioniert werden sollte, protestierten ihre Schüler, die sie nicht missen wollten. Den Wunsch der Kunden nahm die Migros ernst: Frau S. arbeitete weiter. Wie andere Alte auch: Herr K. verwaltungsrätelt weiter. Herr G. wurde sogar aus dem Ruhestand zurückgeholt, um weiter zu bänkern ... Nur Frau I., die Pensionierungskurse für die Belegschaft eines Konzerns durchführte, erging es anders. Man schickte sie in Pension – in einem jüngeren Alter als ihre männlichen Kollegen.
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arsenicum
F rau S. unterrichtete Ölmalerei in der Klubschule Migros. Als sie pensioniert werden sollte, protestierten ihre Schüler, die sie nicht missen wollten. Den Wunsch der Kunden nahm die Migros ernst: Frau S. arbeitete weiter. Wie andere Alte auch: Herr K. verwaltungsrätelt weiter. Herr G. wurde sogar aus dem Ruhestand zurückgeholt, um weiter zu bänkern ... Nur Frau I., die Pensionierungskurse für die Belegschaft eines Konzerns durchführte, erging es anders. Man schickte sie in Pension – in einem jüngeren Alter als ihre männlichen Kollegen. Ehemalige Kursteilnehmer und Mitdozenten waren empört, denn Frau I. hatte die Kurse fachlich exzellent und mit viel Herzenswärme gegeben. Dass sie selbst eine Fast60-Jährige war, die vor Lebensfreude strotzte und jede Menge Pläne hatte, gab ihren Vorträgen Authentizität und war ein ermutigendes Vorbild für die Teilnehmer. Frau I. hat statistisch noch mehr als 27 Jahre Leben vor sich. So fit wie sie ist, kann sie noch viel sinnvolle Arbeit leisten. Für ihren ehemaligen Arbeitgeber hatte sie sich so ins Zeug gelegt, als wäre es ihre eigene Firma. Doch der Arbeitgeber, der nur ein solcher war und so handelte, hat dies nicht bemerkt. Oder nicht geschätzt. Als Anbieter von Pensionierungskursen ist er jetzt nicht mehr glaubwürdig. Natürlich gibt es gute Gründe, Alte zu entlassen. Zum Beispiel, wenn deren Leistung nicht ausreicht. Spitzensportler mit Arthrose. Ausgebrannte Kreative. Intellektuelle, die sich nicht mehr fortbilden. Oder wenn die Stelle zur Ausbildung oder Existenzsicherung junger Menschen nötig ist. Man darf von Alten auch erwarten, dass sie akzeptieren, wo ihre Schwächen liegen. Körperlich und in der Schnelligkeit der Reaktion können sie nicht mit Jungen mithalten. Sie lernen anders, oft langsamer, und arbeiten anders. Doch das kann auch eine Stärke sein, dieses Bedächtigere, Tolerante. Es gibt gute Gründe, Alte arbeiten zu lassen. Ein souveräner Alter, eine coole Alte, die ihre Lebenserfahrung wohlwollend statt

besserwisserisch einsetzen, können in einem Team wertvoll sein. Alte können Mut machen, unterstützen, loben, Risiken und Chancen oft richtig einschätzen. Ihr Tadel ist milder, hat aber Gewicht. Freundliche Alte könnten doppelt belastete Junge unterstützen, damit diese ein nicht ganz so aufreibendes Leben führen müssen. Aber viele Rentner verprassen inzwischen das Geld auf Kreuzfahrten, das eigentlich in die Zukunft der Jungen investiert werden sollte und führen mit wirkungslosen AntiAging-Produkten einen sinnlosen Kampf gegen Alter und Tod. Es gibt sie aber noch, die weisen, hilfsbereiten älteren Menschen, die gestressten Jungen zur Seite stehen, etwas für sie tun – und dabei selbst profitieren. Die Jungen sind dankbar, lachen mit ihnen über die Macken und Gebresten des Alters, bewahren sie vor Altershalstarrigkeit und Einsamkeit. Aufgrund der demografischen (und finanziellen) Situation machen sich vorausblickende Arbeitgeber vermehrt Gedanken, wie sie ältere Menschen sinnvoll an der Arbeit beteiligen können. Sie planen neue Arbeitsmodelle für Alte, mit anderen Arbeitszeiten, Löhnen und Bedingungen. Und arbeitsfreudige Oldies entwickeln kreative Ideen, wie sie ihre Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung stellen können. Oft tun sie das ehrenamtlich. Oder aus Liebe, wie die enkelbetreuenden Grosseltern, die ihren Kindern eine Karriere ermöglichen und ihren Enkeln ein liebevolles Familienleben. Es ist okay, wenn die Alten selbst etwas davon haben. Wie die über 70-jährige Hausarztkollegin, die es als «Jungbrunnen» bezeichnet, dass sie seit sieben Jahren bei ihrer Praxisnachfolgerin einspringt. «Meine inneren Organe werden bis zu meinem Lebensende arbeiten», sagt sie resolut, «und das Gleiche gilt für mein Hirn. Ich höre doch nicht auf zu denken und zu arbeiten, nur weil ich alt bin.» «Und für mich ist es eine Burn-out-Prophylaxe!», schmunzelt ihre junge Chefin, «weil du mir Ferien und Auszeiten ermöglichst.»

Jobs für Alte

262 ARS MEDICI 7 ■ 2009