Transkript
STUDIE REFERIERT
Wirken alle Betablocker gleich gut?
Zwei Studien lassen vermuten, dass Patienten mit Herzinsuffizienz auch mit vielen älteren Betablockern erfolgreich behandelt werden können.
Anders als Carvedilol, Bisoprolol und Metoprolol sind viele ältere Betablocker nie in Endpunktstudien auf ihre Wirksamkeit bei Patienten mit Herzinsuffizienz (und linksventrikulärer Dysfunktion) untersucht worden. Zwei in den «Archives of Internal Medicine» erschienene Untersuchungen haben nun ergeben, dass offenbar auch die älteren Betablocker bei diesen Patienten die Mortalität und die Hospitalisationsrate senken. Die Aussagekraft der Studien ist aber umstritten.
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Seit Langem ist bekannt, dass Betablocker die Mortalität und die Hospitalisierungsrate bei Herzinsuffizienzpatienten mit linksventrikulärer Dysfunktion senken. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass trotz des nachgewiesenen Nutzens viele dieser Patienten keine Betablocker erhalten. Hierfür werden eine Reihe von
Gründen angeführt: So dürfte eine Rolle spielen, dass manche Ärzte Zweifel an den einschlägigen Studien haben. Sie geben zu bedenken, dass in vielen Untersuchungen die reale Alltagswelt nicht gut abgebildet sei, dass beispielsweise Ältere oft nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Gerade bei Betagten aber achten Ärzte zunehmend darauf, eine Polypharmazie möglichst zu vermeiden, dem dann unter Umständen die Betablocker zum Opfer fallen. Daneben dürften gelegentlich auch die Verträglichkeit und – bei den neueren Betablockern – Kosten eine Rolle für den zurückhaltenden Einsatz von Betablockern spielen.
Deutlicher Überlebensvorteil unter Betablockern In einer Studie, die im Dezember 2008 in den «Archives of Internal Medicine» veröffentlicht wurde, hat ein amerikanisches Team um Judith Kramer nun Medicare- und Medicaid-Daten von fast 12 000 herzinsuffizienten Patienten im Alter über 65 Jahre ausgewertet, jeder vierte war gar über 85 Jahre. Die Patienten waren zumindest einmal wegen einer Herzinsuffizienz hospitalisiert worden. Die Autoren richteten ihr Augenmerk vor allem auf das Überleben der Patienten vom Tag 30 bis zu einem Jahr nach der Entlassung aus dem Spital. Dabei zeigte sich, dass Patienten unter Betablockern einen statistisch signifikanten Überlebensvorteil aufwiesen. Innerhalb eines Jahres starben absolut etwa 8 Prozent weniger im Vergleich zu Patienten, die keine Betablocker erhalten hatten. Insgesamt waren 41 Prozent der Patienten mit einem Betablocker behandelt worden.
Kramer und ihre Kollegen gingen aber noch einer weiteren Frage nach: Sie versuchten herauszufinden, ob es unter den Betablockern Wirksamkeitsunterschiede gibt. Für Patienten mit Herzinsuffizienz und linksventrikulärer Dysfunktion gelten bislang nur Carvedilol, Metoprolol und Bisoprolol als evidenzbasiert. Für verschiedene ältere, generische Betablocker, wie Atenolol, Propanolol oder Timolol, liegen keine Studien bei dieser Patientenpopulation vor. Es ist lediglich erwiesen, dass sie die Sterblichkeit nach Herzinfarkt verringern helfen. Die Auswertungen von Kramer et al. zeigen nun, dass ältere Betablocker auch bei Herzinsuffizienz den neueren nicht nachstehen. Unter dem Aspekt von Rehospitalisierungen, einem sekundären Outcome-Parameter, schnitten sie zur Überraschung der Autoren sogar besser ab. Diese Befunde wurden in einer zweiten, ebenfalls in den Archives of Internal Medicine publizierten Studie von Go et al. im Prinzip bestätigt. Etwa 11 000 Patienten in einem Durchschnittsalter von 74 Jahren, die eine Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz überlebten, wurden in die Studie einbezogen. Auch hier fiel die Mortalität im Jahr nach der Entlassung höher aus bei Patienten, die nicht mit Betablockern versorgt wurden. Der Gruppe «ohne Betablocker» waren aller-
Merksätze
■ Bei Patienten mit Herzinsuffizienz und linksventrikulärer Dysfunktion senken Betablocker die Mortalität. Das gilt auch für betagte Menschen.
■ Nach den aktuellen Studien stehen die älteren, inzwischen als Generika erhältlichen Betablocker den neueren, «evidenzbasierten» Präparaten nicht nach.
■ Allerdings kann man bei Betablockern nicht von einem eindeutigen Klasseneffekt ausgehen. So erwies sich z.B. Metoprolol als auffallend schwächer wirksam.
ARS MEDICI 5 ■ 2009 209
STUDIE REFERIERT
KOMMENTAR
Prof. Bernhard Meier Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital Bern
Betablocker — der Glanz ist definitiv ab
Die beiden Studien können auf einen einfachen Nenner gebracht werden. Herzinsuffizienzpatienten, die einen Betablocker ertragen, haben eine bessere Prognose als solche, die ihn nicht ertragen. In beiden Registern waren die Patienten nicht randomisiert, sondern analysiert aufgrund der chronischen Betablockereinnahme oder eben nicht. Nur in der zweiten Studie wurden Patienten erwähnt, die den Betablocker nur kurz einnahmen. Sie figurieren in der Gruppe ohne Betablocker. Der wahrscheinlichste Grund für eine abgebrochene Einnahme von Betablockern sind Nebenwirkungen.
Über Jahrzehnte waren Betablocker bei Herzinsuffizienz kontraindiziert, weil sie die Herzinsuffizienz aggravieren. Dies ist heute nicht anders. Patienten, die einen Betablocker bei vorbestehender Herzinsuffizienz nicht ertragen, sind Patienten mit einer schwereren Herzinsuf-
fizienz als solche, die ihn ohne Weiteres ertragen. Der Einsatz eines Betablockers stellt also eine Art Prüfstein oder Schweregradierung der Herzinsuffizienz dar, vor allem, wenn er nicht gemäss dem aus solchen Lehren resultierenden Grundsatz «dose low, go slow» erfolgt.
Der Praktiker wird bei der leichten Herzinsuffizienz keinen Betablocker verordnen, es sei denn, es bestehen eine Ruhetachykardie, eine signifikante supra- oder ventrikuläre Rhythmusstörung oder eine noch unzulänglich behandelte Hypertonie. Bei der mittelschweren Herzinsuffizienz kann ein wenig negativ inotroper Betablocker (Carvedilol, Bisoprolol) mit niedriger Anfangsdosis versucht werden. Erträgt dies der Patient, wird eine Dauertherapie mit etwas gesteigerter Dosis angestrebt. Damit hilft man dem Patienten wahrscheinlich. Einen traditionellen Betablocker zu verwenden, stellt eine Alternative dar. Damit legt man die Prüflatte allerdings höher, und mehr Patienten werden durchfallen, weil sie den Betablocker nicht ertragen. Schon geringe Nebenwirkungen (Hypothymie, erektile Dysfunktion, etc.) berechtigen zum Abbruch. Bei der schweren Herzinsuffizienz ist der Kardiologe oder gar der auf Herzinsuffizienzbehandlung spezialisierte Kardiologe gefragt. Aus der Hüfte ist hier nicht mehr zu schiessen. ■
dings auch Patienten zugeordnet worden, die während des Follow-ups für eine kurze Zeit Betablocker eingenommen hatten. Ein interessantes Resultat förderte der Vergleich der Betablocker zutage. Verglichen mit Atenolol fiel das Sterblichkeitsrisiko unter dem kürzer wirksamen Metoprolol um 16 (Relativ-) Prozent höher aus. Atenolol, als Vertreter der generischen Betablocker, unterschied sich wiederum nicht von dem «evidenzbasierten» Carvedilol.
«Nicht leichtfertig interpretieren» In einem begleitenden Kommentar warnt der Kardiologe Bertram Pitt vor einer leichtfertigen und vorschnellen Interpretation der beiden Studien und weist auf einige Schwachstellen hin. In der Studie von Go et al. hatten nur die Hälfte der Studienteilnehmer auch einen ACE-Hemmer oder einen A-II-Rezeptor-
antagonisten erhalten, nur 60 Prozent waren mit einem Diuretikum behandelt worden. Ähnlich verhielt es sich in der Studie von Kramer et al. «Es ist deshalb fraglich, wie schwer die Herzinsuffizienz der Patienten tatsächlich gewesen ist», schreibt Pitt. Keine der beiden Studien liefere Informationen über die linksventrikuläre Funktion. Damit stelle sich die Frage, ob Betablocker tatsächlich bei Patienten mit Herzinsuffizienz und linksventrikulärer Dysfunktion verschrieben wurden – also bei all jenen, bei denen ein Therapieerfolg hinsichtlich der Überlebensrate zu erwarten wäre. Womöglich seien sie aber (auch) herzinsuffizienten Patienten mit Hypertonie und intakter Ventrikelfunktion verordnet worden. Ob diese Patienten ebenfalls mit einem Überlebensvorteil rechnen können, ist bislang nicht eindeutig gesichert, vermerkt Pitt.
«Weiter nur evidenzbasierte
Betablocker»
Der Kardiologe spricht sich dafür aus,
bei Patienten mit Herzinsuffizienz und
linksventrikulärer Dysfunktion nur die
evidenzbasierten Betablocker zu verord-
nen, obwohl die aktuellen Archives-Stu-
dien durchaus auch eine andere Inter-
pretation möglich erscheinen lassen. Die
Frage, ob die älteren und kostengünsti-
geren Betablocker wirklich so wirksam
wie die neueren evidenzbasierten seien,
könne nur in grossen, prospektiven Stu-
dien geklärt werden, meint Pitt. Aller-
dings zweifelt er daran, dass solche kost-
spieligen Untersuchungen je in Angriff
genommen werden.
Die wichtigste Botschaft, so Pitt, sei aber,
dass alle herzinsuffizienten Patienten
mit eingeschränkter Ventrikelfunktion,
auch die Älteren, mit einem Betablocker
versorgt würden, sofern nicht eindeutige
Kontraindikationen oder Unverträglich-
keit bestünden. Eine Ausnahme macht
er für Metoprolol, von dem er abrät –
«nicht notwendigerweise aufgrund der
Go-Studie, sondern weil eine frühere gut
konzipierte Studie die Unterlegenheit zu
Carvedilol gezeigt hat».
Eine etwas abweichende Meinung äus-
sert in einem zweiten Kommentar der
Epidemiologe Brian L. Storm. Er hält auf-
grund der aktuellen Studien auch den
Einsatz der älteren generischen Beta-
blocker bei Herzinsuffizienten mit links-
ventrikulärer Dysfunktion für gerechtfer-
tigt. Allerdings, so schreibt er, «ist gut
verständlich, dass mancher es nicht so
sieht».
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Alan S. Go et al.: Comparative effectiveness of different betaadrenergic antagonists on mortality among adults with heart failure in clinical practice. Arch Intern Med 2008; 168 (22): 2415—2421.
Judith M. Kramer: Comparative effectiveness of beta-blockers in elderly patients with heart failure. Arch Intern Med 2008; 168 (22): 2422—2428.
Kommentar Bertram Pitt: Arch Intern Med 2008; 168 (22): 2431—2432.
Kommentar Brian L. Storm: Arch Intern Med 2008; 168 (22): 2428—2430.
Interessenlage: Die Studienautoren geben zahlreiche Verbindungen zu Firmen an, die kardiologische Medikamente einschliesslich Betablockern auf dem Markt haben.
Uwe Beise
210 ARS MEDICI 5 ■ 2009