Transkript
MEDIEN ■ MODEN ■ MEDIZIN
Rosenbergstrasse 115
Man erinnert sich an die Zeiten des Streits um die Einführung des Tarmeds. Wir von ARS MEDICI haben von Anfang an, vor, während und nach der Durchstierung des Tarmeds durch die FMH, behauptet, dieses Tarifsystem diene im Interesse von Kassen und Politik (wie viele Krankenkassenfunktionäre sitzen nun schon wieder in National- und Ständerat?) einem vorrangigen Ziel: Sparen, und zwar auf Kosten der Ärzte. Natürlich haben wir recht gehabt und recht behalten. Im Jahr 2012 soll in den Schweizer Spitälern durchgängig das neue Klassifikationssystem Swiss DRG eingeführt werden. Es mag einige Vorteile gegenüber der heutigen Situation haben, aber was glauben Sie – im Ernst mal – eigentlich, versprechen sich Kassen und Politik davon?
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Kann sein, dass sich, wenn Sie diese Zeilen lesen, bereits wieder einiges geändert hat im Streit um die Labortarife. Hoffentlich. Zu befürchten ist allerdings, dass Herr Kollege Zeltner, Chef des BAG, bis dahin von seinen Wahrnehmungsstörungen nicht geheilt ist und, beleidigt ob der Widerborstigkeit der Praktiker, nur umso sturer an seinen Vorstellungen festhält, mit der Vernichtung des Praxislabors liessen sich Kosten sparen. Eines jedenfalls scheint sicher: Couchepin wird die Kostenfolgen dieser Seldwylerei kaum selber nachgeprüft, sondern sich auf seinen Chefbeamten verlassen haben. Zeltner ist das Problem. Seit Jahren. Wir sollten es endlich benennen und lösen.
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Wo es ausnahmsweise recht hat, hat es recht, das BAG: Die Schweiz ist ein Entwicklungsland in Sachen Masernimpfung. Ob ein Impfobligatorium (Vorschlag GDK) bei den gegenüber staatlichem Zwang genuin widerborstigen Schweizern die rich-
tige Massnahme ist, darf man allerdings getrost hinterfragen. Will man die Impfung notfalls mit Polizeigewalt erzwingen oder wenigstens damit drohen? Oder Bussen und Beugehaft verhängen? Die militanten Impfgegner würden vermutlich lieber Bussen zahlen beziehungsweise clevere Anwälte einschalten oder – noch effektvoller – sich beugeinhaftieren lassen, als ihre Kinder zur Impfung führen.
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Die jüngste Meldung aus dem BAG erinnert grauslich an die SARS-Hysterie im Jahr 2003, als Herr Zeltner (natürlich er) in einer einsam zu verantwortenden und nie bereuten Amokaktion die Schmuckund Uhrenmesse in Basel bodigte, indem er allen Ausstellern aus Asien die Teilnahme daran verbot. Die Kosten in Millionenhöhe trugen andere. Heute gab das BAG eine Masernwarnung an die Passagiere und das Flugpersonal zweier Flüge heraus. Betroffen: ein El-Al-Flug vom vergangenen Dienstag von Tel Aviv nach Zürich sowie ein Swiss-Anschlussflug gleichentags von Zürich nach Genf. Ein Passagier dieser Flüge sei kurz nach der Ankunft in der Schweiz an Masern erkrankt, schreibt das BAG. Ein Glück, dass das nervöse Amt nicht gleich ein medizinisch begründetes Grounding von El Al und Swiss anordnete. Sollte das BAG dereinst erkennen, um wie viel höher das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko der Influenza ist, verglichen mit Masern, werden wir wohl damit rechnen müssen, bald Reisewarnungen der Art «Achtung, vermeiden Sie Reisen in die Region Bern, im Altersheim Sonnenhübeli in Belp sind zwei Bewohner an Grippe erkrankt» zu vernehmen.
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In Krisen gibt es zweierlei extreme Verhaltensweisen: Solidarität und Rücksicht oder Egoismus und Ellenbogen. Beim
Untergang der Titanic haben statistisch gesehen mehr Frauen und Kinder überlebt als Männer, mehr Passagiere der ersten als Passagiere der vierten Klasse und – mehr Amerikaner als Engländer. Anständiges Schlangestehen scheint nicht überlebensfördernd zu sein.
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Dass das Recht des Stärkeren auch unter scheinbar zivilisierten Gesellschaften noch immer gilt, lernen wir Schweizer nur widerstrebend. Nett sein half schon vor zehn Jahren nichts, als die Schweizer Banken Opfer einer wohlorganisierten Erpressung wurden und 1,25 Milliarden Wiedergutmachung für Holocaustopfer bezahlen mussten. Und Rechtsstaatlichkeit hilft auch heute nichts, wenn es darum geht, Konkurrenten auf dem Finanzmarkt auszubooten, indem die USA statt den legalen Weg den Weg der politischen Erpressung vorziehen und so die Aufhebung des Bankgeheimnisses erzwingen. Wir werden uns noch wundern.
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Karneval in Rio de Janeiro: Gouverner, c’est prévoir, sagt sich die brasilianische Regierung, und lässt an Touristen und Einheimische kostenlos 65 Millionen Kondome verteilen. Man wundert sich, dass ein paar wenige zwischendurch überhaupt noch Zeit finden, Samba zu tanzen. Eins von beidem scheint da ziemlich tifig zu gehen.
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Und dies zum Schluss: Das Wissen verfolgte ihn – doch er war schneller.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 5 ■ 2009 173