Transkript
FORTBILDUNG
Kompressionsstrümpfe dürfen in der Chirurgie nicht vergessen werden
Ein Plädoyer für eine einfache Präventionsmassnahme
Auch die neuesten systematischen Übersichten spre-
chen für den konsequenten Einsatz graduierter Kom-
pressionsstrümpfe zur Verhinderung von tiefen
Venenthrombosen nach chirurgischen Eingriffen. Die
Umsetzung der Erkenntnis betrifft die Organisation
im Spital, Allgemeinpraktikerinnen und -praktiker
können Patientenaufklärung und die Überwachung
nach der Entlassung sicherstellen.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Nach grösseren chirurgischen Eingriffen besteht ein Risiko für tiefe Venenthrombosen (TVT) von mehr als 20 Prozent, nach orthopädischen Eingriffen liegt es sogar über 40 Prozent. Dieses Risiko ist abhängig vom klinischen Zustand des Patienten und von der Art des Eingriffs. Zwar kann eine TVT zunächst asymptomatisch bleiben, Langzeitfolgen mit chronischer venöser Insuffizienz sind jedoch häufig, und es besteht auch immer das Risiko für eine Lungenembolie (LE) oder einen plötzlichen Tod. Graduierte Kompressionsstrümpfe sind allein oder in Kombination mit einer Pharmakoprophylaxe zur Verminderung dieses Risikos effektiv. Beide Prophylaxemassnahmen würden im klinischen Alltag noch suboptimal eingesetzt, schreiben Susan M. Philips und Mitautoren in einer der Änderung der klinischen Praxis gewidmeten Rubrik des «British Medical Journal».
Evidenzlage Sie stützen sich in ihren Ausführungen vor allem auf die Guideline Nr. 46 des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE), der ihrerseits eine Analyse von neun randomisierten kontrollierten klinischen Studien mit 1344 Patienten zugrunde liegt, in denen eine Prophylaxe mit Kompressionsstrümpfen einer Praxis ohne diese Prophylaxe gegenübergesetllt wurde. Kompressionsstrümpfe führten zu einer Senkung des TVT-Risikos um 51 Prozent, Auswirkungen
auf das LE-Risiko konnten wegen zu kleiner Studien- und Fallzahlen nicht evaluiert werden. Das NICE empfiehlt, dass alle für eine Operation hospitalisierten Patientinnen und Patienten von der Aufnahme bis zur Wiedererlangung ihres habituellen Aktivitätsniveaus graduierte Kompressionsstrümpfe tragen sollen. Einzige Ausnahme ist das Vorliegen einer peripher arteriellen Verschlusskrankheit. Auch eine Cochrane-Review sowie eine weitere systematische Übersicht waren zuvor zu weitgehend ähnlichen Schlüssen gekommen. Die NICE-Guideline postuliert überdies, dass die Kompressionsstrümpfe auch den Oberschenkel umfassen müssen und nicht schon unterhalb des Knies aufhören dürfen, für diese Empfehlung gebe es aber noch keine abschliessende Evidenz, schreiben die Autoren. Gemeinhin werden die mechanische Prophylaxe mit Kompressionsstrümpfen und die medikamentöse Vorbeugung mit Antithrombotika bei chirurgischen Patienten kombiniert angewendet, Kompressionsstrümpfe allein haben den Vorteil des fehlenden Blutungsrisikos.
Hindernisse bei der Umsetzung Der mechanischen TVT-Prophylaxe stehen ähnliche Umsetzungsprobleme entgegen wie der medikamentösen Thromboseprophylaxe, insbesondere: ■ unterschiedlich gute Kenntnisse der Ärzte hinsichtlich Risi-
koabschätzung und adäquater Prophylaxe
Merksätze
■ Graduierte Kompressionsstrümpfe sind, entweder allein oder bei höherem Risiko in Kombination mit einer pharmakologischen Prophylaxe, zur Verminderung des Risikos tiefer Venenthrombosen bei Chirurgiepatienten effektiv.
■ Vorteil der Kompressionsstrümpfe ist, dass sie das Blutungsrisiko nicht erhöhen, sie dürfen aber bei peripher arterieller Gefässerkrankung nicht angewendet werden.
■ Alle Spitäler sollten eine Thromboseprophylaxe-Strategie haben, die festlegt, wer bei allen aufgenommenen Patienten für die Erfassung und das Management des Thromboserisikos zuständig ist.
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FORTBILDUNG
KOMMENTAR
Prof. W.A. Wuillemin Kantonsspital Luzern und Universität Bern
Was bedeutet dies für die Praxis?
Eine mechanische Prophylaxe ist nur dann wirksam, wenn sie auch korrekt angewendet wird
Zu den mechanischen Methoden der postoperativen Thromboseprophylaxe gehören die schnellstmögliche Mobilisation, graduierte Kompressionsstrümpfe sowie Systeme für die intermittierende pneumatische Kompression. Die mechanischen Methoden sind attraktiv wegen der fehlenden Blutungsneigung. Trotzdem muss betont werden, dass auch die pharmakologischen Methoden der Thromboseprophylaxe, also die Heparine, insbesondere die niedermolekularen Heparine, in grossen Studien nur eine minimale beziehungsweise gar keine Erhöhung der Blutungsneigung zeigten. Das Wirkungs-Nebenwirkungs-Verhältnis ist insbesondere für niedermolekulare Heparine ausgesprochen günstig. Wie im Artikel erwähnt wird, ist eine Thromboseprophylaxe nur dann wirksam, wenn sie auch zur Anwendung kommt. In dieser Hinsicht sind die Daten weltweit schlecht, die Thromboseprophylaxe wird ungenügend eingesetzt. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Interview mit Prof. Jürg H. Beer in ARS MEDICI 14/2008, Seite 238–239. Die Situation ist in der Schweiz besser. Im internationalen Vergleich ist die Rate derjenigen Patienten, die eine Thromboseprophylaxe brauchen und sie auch bekommen, bei uns überdurchschnittlich hoch. Trotzdem gibt es auch in der Schweiz Optimierungsbedarf, sowohl bezüglich des
Punktes, dass diejenigen Patienten, die eine Prophylaxe brau-
chen, sie auch erhalten, als auch hinsichtlich des Aspekts, dass
diejenigen, die keine brauchen, auch keine bekommen. Dies gilt
insbesondere für die Innere Medizin (siehe dazu den Artikel von
Chopard P. et al., J. Int. Med. 2005; 257: 352–357).
Die mechanische Thromboseprophylaxe hat den Nachteil, dass
sie in der Anwendung aufwendiger ist als die pharmakologische
Prophylaxe. Dies fördert mit Sicherheit deren Verbreitung nicht.
Zudem ist eine mechanische Prophylaxe nur dann wirksam,
wenn sie auch korrekt angewendet wird. Sonst ist sie kontrapro-
duktiv. Darauf wird speziell in den neusten ACCP-Guidelines hin-
gewiesen (Chest 2008; 133, 381 ff.).
Ebendiese ACCP-Guidelines empfehlen die mechanische Throm-
boseprophylaxe in erster Linie dort, wo wegen Blutungsrisikos
eine medikamentöse Prophylaxe kontraindiziert ist. Zudem
schlagen sie vor, die mechanische Thromboseprophylaxe zusätz-
lich zu einer medikamentösen Prophylaxe dort zu gebrauchen,
wo ein speziell hohes Thromboembolierisiko besteht, zum Bei-
spiel bei bariatrischer Chirurgie. Diese ACCP-Guidelines erwäh-
nen die alleinige mechanische Thromboembolieprophylaxe in
gewissen Situationen mit mittlerem Thromboembolierisiko, er-
wähnen aber explizit, dass diese Methode als einzige Throm-
boembolieprophylaxe in Hochrisikosituationen nicht indiziert ist.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Wichtigste bei der
venösen Thromboembolieprophylaxe darin besteht, dass sie bei
denjenigen Patienten zur Anwendung kommt, die sie brauchen,
dass sie dort vermieden wird, wo sie unnötig ist oder schadet,
und dass sie korrekt angewendet wird. Letzteres ist besonders
wichtig für die mechanische Thromboembolieprophylaxe. Diese
ist in der Schweiz sicher nicht sehr stark verbreitet, in erster
Linie aber deshalb, weil die wirksamere pharmakologische Pro-
phylaxe meistens korrekt zur Anwendung kommt.
■
■ fehlender Glaube an den Nutzen der Prophylaxe ■ fehlende Überzeugung, dass in Guidelines gesammelte Evi-
denz auch auf alle klinischen Situationen übertragbar ist. Ausserdem können Organisationsaspekte im Krankenhaus (Indikationsstellung, Einkauf, Anpassung, Dokumentation usw.) problematisch sein. Weiter ist die Aufklärung der Patienten oft inkonsistent, und es muss auch gründliche Informations- und Motivationsarbeit geleistet werden, da Patienten oft darüber klagen, dass Kompressionsstrümpfe schmerzhaft, zu warm, juckreizfördernd und unbequem seien, was besonders auf die oberschenkellangen Strümpfe zutrifft. Compliancestudien haben gezeigt, dass die Strümpfe im Spitalalltag nach dem Baden oder Gehen oft nicht wieder angezogen werden.
Verbesserungsmöglichkeiten bei der Umsetzung Für eine Verbesserung oder konstante Sicherung der Prophylaxe tiefer Venenthrombosen bei chirurgischen Patienten be-
darf es einerseits eines ausreichenden Problembewusstseins bei den Ärzten, andererseits geeigneter Strukturen und Vorgaben im Spitalalltag unter Einbezug und Verantwortlichkeit der Pflegenden. Forschungsergebnisse zeigen, dass eine Verbesserung des Wissensstands hinsichtlich TVT-Risikoabschätzung und -prophylaxe bei den Ärztinnen und Ärzten zwar wichtig, aber nicht besonders effektiv ist, wenn nicht ein zusätzlicher Schritt mit aktiver Erinnerung an die Aufgabe und Vereinfachung der Verschreibung, beispielsweise mittels eines computerbasierten Systems, hinzukommt. Alle Patienten sollten vor einem Eingriff gut über das Thromboserisiko informiert werden, am besten durch Arzt und Krankenschwester. Die Notwendigkeit der Prophylaxe beziehungsweise allfällige Kontraindikationen müssen gut sichtbar dokumentiert werden. Ist eine Prophylaxe indiziert, kann die Anpassung und Abgabe der Strümpfe durch die verantwortliche Pflegefachperson erfolgen. Zudem muss das richtige
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FORTBILDUNG
Tragen der Strümpfe im Spital zuverlässig überwacht werden, und bei Bedarf müssen die Patienten mit zwei Paar Strümpfen nach Hause entlassen werden. Patienten mit gesteigertem TVT-Risiko sollten beide Prophylaxeformen – Kompressionsstrümpfe und medikamentöse Thromboseprophylaxe – erhalten. Auch die Hausärzte müssen sich des postoperativen Thromboserisikos ständig bewusst sein, und auch ihnen kommt die Aufgabe der Patientenaufklärung zu. Umgekehrt haben sie Anspruch, vonseiten des Krankenhauses bei der Entlassung hinsichtlich der notwendigen Dauer der Fortführung einer Thromboseprophylaxe präzise informiert zu werden.
Schliesslich schlagen die Autoren vor, dass bei der Qualitäts-
evaluation von Spitälern auch der Einsatz von Kompressions-
strümpfen und weiteren TVT-Prophylaxemassnahmen Berück-
sichtigung finden soll.
■
Susan M. Phillips (Research Implementation Program, National Institute of Clinical Studies, National Health and Medical Research Council, Melbourne/AUS) et al.: Use of graduated compression stockings postoperatively to prevent deep vein thrombosis. BMJ 2008; 336: 943–944. DOI: 10.1136/bmj.39513.642789.AD
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