Transkript
Komplexe Behandlungsoptionen bei Morbus Crohn
Indikationen und Timing neuer Medikamente
FORTBILDUNG
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Behand-
lung von Patienten mit Morbus Crohn durch immun-
supprimierende Substanzen und Antikörper stark
gewandelt. Unter Gastroenterologen wird zurzeit
diskutiert, ob die klassische Abfolge der medikamen-
tösen Optionen noch sinnvoll ist oder ob Biologika
und Immunsuppressiva, zumindest bei Hochrisiko-
patienten, am Beginn der Therapie stehen sollten.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Bei Verdacht auf Morbus Crohn sollte die Überweisung zu einem Spezialisten so rasch wie möglich erfolgen, raten die Autoren einer kürzlich im «British Medical Journal (BMJ)» publizierten Übersichtsarbeit. Allzu oft wird der Praktiker solche Patienten allerdings nicht zu Gesicht bekommen, denn die Inzidenz ist mit sechs bis sieben Fällen pro Jahr auf 100 000 Einwohner gering. Um trotzdem keinen Patienten zu verpassen, raten die Autoren zu einer raschen Überweisung zur Abklärung an den Spezialisten, wenn ein Patient über abdominelle Schmerzen und Diarrhö klagt, die mit Gewichtsverlust, Eisenmangel und/oder erhöhten Entzündungsmarkern assoziiert sind, und entsprechende Labortests ebenfalls eine entzündliche Darmerkrankung vermuten lassen. Zu diesen Tests gehören Blutbild, C-reaktives Protein, Harnstoff und Elektrolyte, Leberwerte sowie eine Stuhlprobe (Bakterienkultur und Mikroskopie). Ebenfalls ein Grund für die rasche Überweisung ist es, wenn ein Patient mit bekanntem Morbus Crohn in die Praxis kommt, der über neue oder stark veränderte Symptome berichtet. Dahinter kann nicht nur eine erhöhte Krankheitsaktivität des Morbus Crohn stecken. Es kommen auch andere Ursachen infrage, wie beispielsweise Infektionen, bakterielles Massenwachstum, gestörte Absorption von Gallensalzen, Motilitätsstörungen oder Gallensteine. Bleibt es trotzdem beim Verdacht auf eine erhöhte Morbus-Crohn-Aktivität, sollte vor dem Be-
ginn einer Kortikosteroidtherapie nach klaren Anzeichen gesucht werden, die diesen Verdacht bestätigen, wie etwa ein erhöhter Wert des C-reaktiven Proteins. Gleichzeitig räumen die Autoren jedoch ein, dass Tests immer auch fehlerhafte Resultate liefern können, womit die Therapiewahl letztlich grösstenteils von der Erfahrung des behandelnden Arztes abhängt. Es verwundert darum nicht, dass sich die Behandlung von Patienten mit Morbus Crohn zu einer Art «Subspezialität» entwickelt hat, nicht zuletzt wegen der recht komplexen Fragen zu Indikation und Timing von Immunsuppressiva und Antikörpern. Trotzdem ist es für jeden Hausarzt wichtig, über die aktuellen Therapieempfehlungen Bescheid zu wissen, denn man verspricht sich davon erheblichen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung und die Prognose der Patienten. So landeten vor der Einführung der Biologika die meisten Morbus-Crohn-Patienten früher oder später beim Chirurgen. Ob sich das künftig ändern wird, weiss noch niemand, aber es deute sich bereits ein Rückgang der OP-Raten an, spekulieren die BMJ-Autoren.
Kortikosteroide Kortikosteroide sind zur Behandlung im akuten MorbusCrohn-Schub nach wie vor die wichtigsten Medikamente. Bei leichter bis mittelschwerer Krankheitsaktivität wird Budesonid (Budenofalk®, Entocort® CIR®) empfohlen, da es eine geringere
Merksätze
■ Abdominelle Schmerzen und Diarrhö, die mit Gewichtsverlust, Eisenmangel und/oder erhöhten Entzündungsmarkern einhergehen, sind ein Grund für die Überweisung zur Abklärung durch den Spezialisten.
■ Die Behandlung mit Anti-TNF-alpha-Antikörpern hat die Behandlung von Patienten mit schwerem Morbus Crohn revolutioniert. Eine Erhaltungstherapie mit diesen Biologika ist bei sorgfältig ausgewählten Patienten sinnvoll.
■ Es ist an die Möglichkeit opportunistischer Infektionen zu denken, wenn Patienten, die mit Biologika behandelt wurden, innert zwei Monaten mit neuen Symptomen in die Praxis kommen.
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systemische Wirkung hat als andere Kortikosteroide. Kortikoisteroide bremsen die Krankheitsaktivität, sind aber für eine Erhaltungstherapie nicht geeignet und könnten ein Rezidiv ohnehin nicht verhindern.
Mesalazin und Antibiotika Die für die Behandlung von Patienten mit Colitis ulcerosa wichtige Substanz Mesalazin (Asacol®, Asazine®, Mesazin®, Pentasa®, Salofalk®) ist bei Morbus Crohn kaum wirksam und für diese Indikation in der Schweiz auch nicht zugelassen. Bei leichten bis mittelschweren Krankheitsschüben wirkt Mesalazin kaum besser als Plazebo. Zur Erhaltungstherapie scheint Mesalazin das Rezidivrisiko nach einem chirurgischen Eingriff zu mindern, nicht aber in einer medikamentös erzielten Remissionsphase. Bei milden Verlaufsformen des Morbus Crohn kann man auf eine Erhaltungstherapie sowieso verzichten. Antibiotika sind zwar bei entsprechenden septischen Komplikationen sinnvoll; Versuche, Morbus Crohn mithilfe von Breitbandantibiotika zu lindern, brachten aber nichts.
Azathioprin, Mercaptopurin und Methotrexat Das Immunsuppressivum Azathioprin und die Zytostatika Mercaptopurin und Methotrexat verlängern die Remissionsphase. Bei Patienten mit einem aggressiven Krankheitsverlauf neigen Gastroenterologen mehr und mehr dazu, eines dieser Medikamente trotz deren Nebenwirkungsprofil eher früher als später zu verordnen. In den zurzeit gültigen Richtlinien der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) sieht man die Thiopurine (Azathioprin, Mercatopurin) in erster Linie als Steroid-sparende Medikamente, die sowohl bei Kortikoidabhängigen als Kortikoid-refraktären Morbus-Crohn-Patienten sowie bei starkem Befall des Dünndarms angewendet werden sollten. Nach den Richtlinien der ECCO kommen Thiopurine für folgende Patienten infrage: bei schwerem Rezidiv, bei zwei oder mehr Kortikoidzyklen pro Jahr, bei Rezidiv nach Absenkung der Kortikoiddosis unter 15 mg, bei Rezidiv innert drei Monaten nach Absetzen der Kortikosteroide und als postoperative Prophylaxe bei komplexem Morbus Crohn (Fisteln oder extensive Krankheitsaktvität). Am häufigsten wird Azathioprin verwendet. Eine Metaanalyse von sechs Studien mit insgesamt 319 Patienten ergab, dass das Rezidivrisiko unter Azathioprin-Erhaltungstherapie etwa halb so hoch ist wie unter Plazebo. In einer prospektiven Studie mit Patienten in Remission, bei denen die einen Azathioprin absetzten und die anderen nicht, zeigte sich innert 18 Monaten eine Rezidivrate von 21 Prozent ohne Azathioprin gegenüber 8 Prozent bei denjenigen, die die Substanz weiterhin einnahmen. Knochenmarkssupression, Hepatitis und Pankreatitis zählen zu den wichtigsten Nebenwirkungen von Azathioprin. Zu den weiteren, meist vorübergehenden unerwünschten Wirkungen
* CDAI: Crohn Disease Activity Index. Ab einem CDAI > 150 spricht man von einer behandlungsbedürftigen Krankheitsaktivität, bei > 300 Punkten spricht man von einem schweren Schub. Die Definition der «Response» kann in unterschiedlichen Studien unterschiedlich sein, meist handelt es sich um einen Abfall des CDAI-Werts um 70 bis 100 Punkte.
gehören Übelkeit und Erbrechen sowie Grippe-ähnliche Symptome. Trotzdem tolerieren drei von vier Morbus-CrohnPatienten Thiopurine. Es ist unklar, ob die Bestimmung der Thiopurin-Methyl-Transferase beziehungsweise die Suche nach entsprechenden Mutationen sinnvoll ist, um das Risiko einer Knochenmarkssuppression unter Azathioprin abzuschätzen. Man nimmt an, dass eine verminderte Aktivität der Thiopurin-Methyl-Transferase ein höheres Risiko bedeutet, weil die Metabolisierung der Thiopurine zu weniger toxischen Substanzen langsamer abläuft. Die Aussagekraft entsprechender Labortests ist jedoch begrenzt. So wiesen beispielsweise 31 von 41 Patienten mit Azathioprin-induzierter Knochenmarkssuppression gar keine entsprechende Mutation ihrer Thiopurin-Methyl-Transferase auf. Auch ein normaler Genotyp entbindet also nicht von der Pflicht zu einer sorgfältigen Überwachung des Blutbildes unter Azathioprintherapie.
Anti-TNF-alpha-Antikörper Zurzeit sind drei Antikörper gegen den Entzündungsmediator Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-alpha) für die Indikation Morbus Crohn in der Schweiz zugelassen: Infliximab (Remicade®), Certolizumab (Cimzia®) und Adalimumab (Humira®). Infliximab wird intravenös gegeben, die beiden anderen werden subkutan injiziert. Alle drei Antikörper scheinen eine vergleichbare Wirksamkeit aufzuweisen, direkte «Head-to-head»Vergleichsstudien gibt es nicht. Als Beispiel für die Wirksamkeit dieser Biologika schildern die BMJ-Autoren eine Infliximab-Studie: Etwa jeder zweite Patient mit aktiver Krankheit erreicht demnach mit Infliximab die Remission (CDAI<150, siehe Fussnote). 54 Wochen später waren nach der sich anschliessenden Erhaltungstherapie mit Infliximab (alle 8 Wochen) noch 24 Prozent der Patienten in Remission gegenüber 9 Prozent der Patienten, die als Erhaltungstherapie nur ein Scheinmedikament erhalten hatten. Anti-TNF-alpha-Antikörper werden für die Behandlung im akuten Schub und die Erhaltungstherapie bei mittelschwerem bis schwerem Morbus Crohn empfohlen, wenn eine Therapie mit Kortikoiden und/oder Immunsuppressiva nicht erfolgreich ist. Patienten mit Fisteln oder extraintestinalen Crohn-Manifestationen scheinen in besonderem Mass von Anti-TNFalpha-Antikörpern zu profitieren. Schwere Infektionen sind eine zwar seltene, aber riskante Nebenwirkung der Anti-TNF-alpha-Antikörper. Sie traten in Studien von 12 bis 18 Monaten Dauer bei 2,8 bis 4 Prozent der Patienten auf. Es ist schwer zu sagen, wie hoch die Infektionsrate bei vergleichbar kranken Patienten ohne Biologika und ausserhalb von Studien ist. Eine Auswertung des Post-Marketing-Registers TREAT ergab im Sommer 2004 Folgendes: 6273 Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung waren erfasst, 3334 davon hatten Infliximab erhalten. Die Wahrscheinlichkeit einer schweren Infektion war mit Infliximab erhöht (Hazard Ratio 1,77; 95%-Konfidenzintervall: 1,27–2,46). Die Autoren dieser Auswertung gaben allerdings zu Bedenken, dass Infliximab möglicherweise kein unabhängiger Risikofaktor für schwere Infektionen sei, sondern die höhere Infektionsrate
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eher auf die Schwere der Erkrankung in diesem Patientenkollektiv sowie die Gabe von Prednison zurückzuführen sei. Prednison erwies sich in der statistischen Auswertung als unabhängiger Risikofaktor für erhöhte Infektionsrate und erhöhte Mortalität. Die kürzlich publizierte Auswertung eines dänischen Crohnund Colitis-Registers umfasst 651 Patienten (davon 619 mit Morbus Crohn) aus der alltäglichen Praxis mit insgesamt 3351 Infliximab-Infusionen. Bei rund 80 Prozent der Patienten zeigte sich eine positive klinische Response. Infusionsreaktionen traten bei 146 von 3351 Infusionen auf (4,4%). Bei 95 Patienten (14,6%) kam es zu schweren, meist mit Sepsis assoziierten Nebenwirkungen wie Abszess, Pneumonie, Aspergillose und Tuberkulose. Diese Rate erscheint recht hoch, könnte aber für die Verhältnisse in der Praxis, ausserhalb sorgfältig kontrollierter Studien, realistisch sein, warnen die BMJ-Autoren. Eine erhöhte Krebsrate, wie sie in einer Metaanalyse bei Rheumapatienten mit Infliximab gefunden wurde, zeigte sich im dänischen Praxisregister nicht. Kontraindikationen für Anti-TNF-alpha-Antikörper sind Sepsis, Tuberkulose, Optikusneuritis, Infusionsreaktion und Krebs.
Gleich zum Antikörper greifen? Zuerst Kortikosteroide, dann Thiopurine oder Methotrexat, dann Biologika, dann Chirurgie – so lautet die klassische Abfolge mit steigender Krankheitsaktivität gemäss aktuellen Therapieempfehlungen. Seit einiger Zeit wird diskutiert, ob eine möglichst frühe Therapie mit Immunmsuppressiva und/oder Biologika bei besonders schwer erkrankten Patienten sinnvoller wäre. So ergab eine vor neun Jahren publizierte Studie mit Kindern, bei denen erstmals Morbus Crohn diagnostiziert wurde, dass bei einer Erhaltungstherapie mit Mercaptopurin nach 18 Mo-
naten nur 9 Prozent der Patienten ein Rezidiv hatten gegenüber
47 Prozent in der Kontrollgruppe. In einer offenen Studie
waren 60 Prozent der Erwachsenen, die initial mit Infliximab
und Azathioprin behandelt wurden, nach sechs Monaten in
Remission gegenüber 36 Prozent in der klassisch behandelten
Gruppe. Angesichts des jahrzehntelangen Krankheitsverlaufs
sind dies zwar nur vorläufige Daten, doch das Konzept sei ver-
lockend, meinen die BMJ-Autoren.
Auch für eine prophylaktische Gabe von Azathioprin gibt es
Anhaltspunkte. Zwei Studien ergaben, dass Patienten, die zum
Zeitpunkt der Diagnose entweder eine perianale Erkrankung
hatten, Kortikosteroide benötigten und unter 40 Jahre alt
waren oder eine extensive Entzündung aufwiesen (z.B. Ge-
wichtsverlust >5 kg), im späteren Verlauf zwei- bis fünfmal
häufiger eine grosse Darmresektion bevorstand. Bei solchen
Hochrisikopatienten sollte eine prophylaktische Thiopurin-
behandlung erwogen werden.
Zusammenfassend raten die BMJ-Autoren dazu, das poten-
zielle Risiko sowohl der Übertherapie als auch der mangelhaf-
ten Versorgung mit Immunmodulatoren und Anti-TNF-alpha-
Antikörpern bereits frühzeitig zu bedenken. Die Behandlung
mit Anti-TNF-alpha-Antikörpern habe die Behandlung von Pa-
tienten mit schwerem Morbus Crohn revolutioniert, und eine
Erhaltungstherapie mit diesen Biologika sei bei sorgfältig aus-
gewählten Patienten sinnvoll.
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Fraser Cummings JR, Keshav S, Travis SPL: Medical Management of Crohn’s disease. BMJ 2008; 336: 1062–1066.
Interessenlage: Alle Autoren geben an, Forschungsgelder und Vortrags- und/oder Beraterhonorare von verschiedenen pharmazeutischen Unternehmen erhalten zu haben.
Renate Bonifer
www.multiplesklerose.ch
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