Transkript
Editorial
Der Überlieferung nach ordnete einst der Stauferkaiser Friedrich II. ein grausliches Experiment an: Er liess Gefangene bei lebendigem Leib luftdicht einmauern, bis sie elendiglich verreckten. Alsdann liess er die Kerker öffnen, in der Erwartung, der Geist müsse entweichen. Doch der weht bekanntlich wo er will, nur fassen wir ihn nicht. Heute geht es glücklicherweise humaner zu. Menschen legen sich in die Röhre, und Neurowissenschaftler sehen mithilfe von PET und fMRI ihrem Geist bei der Arbeit zu. Denn was wir geistige Aktivität nennen, ist ja nichts anderes als das gesetzmässige Spiel der Neuronen in den Arealen
Bilderfluch
des Gehirns. Gefühle, Willensakte und Handlungen basieren auf neuronalen Prozessen. Geist und Bewusstsein sind folglich nicht vom Himmel gefallen, sondern haben sich den physikalischchemischen Naturgesetzen gehorchend entwickelt. Der Siegeszug der Neurowissenschaften hat zweifellos wichtige Erkenntnisse, etwa über die Plastiziät des Gehirns, zutage gefördert und unser Verständnis über das Zusammenspiel von kognitiven und emotionalen Prozessen erhellt. Einzelne Vertreter einer radikal neurodeterministischen Ideologie haben allerdings auch einigermassen bizarre Vorstellungen in die Welt gesetzt, nach denen der menschliche Wille nichts anderes sei als eine Illusion und bewusste Entscheidungen lediglich Ausdruck vorgängig neuronal determinierter Entscheidungsprozesse. Also: Wir tun nicht was wir wollen, sondern wir wollen was wir tun. Solche Extremauffassungen zeigen, dass sich die Neurowissenschaft davor hüten muss, einem neuronalen Reduktionismus das Wort zu reden. Es ist absurd zu meinen, Neurone würden miteinander reden, würden denken, glauben und fühlen.
Eine besondere Faszination übt auf Fachleute und Laien das Neuroimaging aus. Hirnscans muten nachgerade wie das Logo der Neurowissenschaft an. Wer heute einen Psychiatriekongress besucht, ist unweigerlich der verführerischen Hirnbilderflut ausgesetzt. Hirnscans suggerieren Objektivität und Wissenschaftlichkeit vermutlich durch das realistisch wirkende Hirnbild, letztlich also (auch) durch ihre Ästhetik. MRI und PET lassen jedoch keine Aussage über den Geisteszustand des Untersuchten zu. Wir können uns anhand eines Hirnbilds kein Bild von einem Menschen machen. Das aus den Messdaten konstruierte Bild besagt nichts anderes, als dass in bestimmten Hirnarealen zu einem bestimmten Zeitpunkt die zerebrale Durchblutung erhöht ist. Selbst wenn dadurch indirekt die Stärke der neuronalen Erregung gemessen wird, bleibt der Erkenntnisgewinn bescheiden. Für eine Vielzahl von Wahrnehmungs- und Denkprozessen kommt es nämlich nicht auf die Zahl der aktiven Neuronen an, sondern auf das umschriebene Zusammenspiel lokaler Neuronenverbände. Die meisten neurowissenschaftlich orientierten Psychiater wissen um die Grenzen ihres biologischen Instrumentariums. «Indem ich (biologische) Teilaspekte aufkläre, erkläre ich natürlich die Schizophrenie nicht», gibt sich der Göttinger Psychiater Peter Falkai in einem Interview (s. ARS-MEDICIBeilage) bescheiden. Dass andererseits mit Versprechungen und Verheissungen mächtig die neurobiologische Trommel gerührt wird, ist nicht zu verkennen.
Uwe Beise
ARS MEDICI 5 ■ 2009 169